Instinct oder Ueberlegung? (Die Gartenlaube 1880/6)

Textdaten
<<< >>>
Autor: C. Br.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Instinct oder Ueberlegung?
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 104
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[104] Instinct oder Ueberlegung? Der Restaurateur der Südbahnstation Steinbrück in Untersteiermark übersiedelte vor einigen Jahren nach dem neun Meilen entfernten Laibach, wo er wieder die Bahnhofrestauration übernahm. Hierher hatte er auch seinen Hund mitgenommen, ein unschönes Thier, welches man in keine bestimmte Rasse einreihen konnte und das sich auch durch keine besonderen geistigen Eigenschaften auszeichnete; kurz vor der Uebersiedelung war er zur Pflege vorübergehend anderweit untergebracht gewesen. Da ihm die vollste Freiheit gelassen ward, so wurde es anfänglich auch nicht beachtet, daß er jetzt halbe Tage lang fortblieb; nur wurde es mit der Zeit auffällig, daß er blos Nachmittags verschwand und Abends sich pünktlich wieder einstellte. Man forschte ihm immer nach, konnte aber trotz aller Bemühungen seinen Verbleib nicht entdecken, bis seine Schliche durch einen Conducteur aufgedeckt wurden; dieser hatte Folgendes bemerkt.

Wenn die Passagiere des um ein Uhr Nachmittags durch Laibach nach Wien fahrenden Postzuges aus den Waggons stiegen, um am Büffet eine Erfrischung einzunehmen, so schlich sich der Hund unbemerkt in einen gerade leerstehenden Waggon und setzte sich ruhig unter das Sitzbrett. In dieser Lage verhielt er sich bis Steinbrück vollkommen ruhig; hier, wo sämmtliche Passagiere ausstiegen, um zu diniren, konnte es ihm nicht schwer fallen, sich unbemerkt aus dem Waggon zu entfernen, worauf er um den Bahnhof herum und erst von der Straße aus in die Restauration hineinging, sodaß es aussah, als käme er aus dem Orte. Die Bediensteten, die den Hund wohl kannten, glaubten, er sei für die Dauer in der Familie zurückgeblieben, in welche ihn sein Herr vor der Uebersiedelung nach Laibach gegeben, werde daselbst schlecht gehalten und wolle sich daher hier schadlos halten.

Gegen Abend, nach einem Aufenthalte von circa drei Stunden, verschwand er wieder und benutzte, wie später erforscht wurde, den Nachtzug, um nach Laibach zurückzukehren. Diese Spazierfahrten zwischen den beiden Orten setzte er durch ein halbes Jahr ungestört fort und schien einen solchen Gefallen daran zu finden, daß er sich schließlich wöchentlich zwei- bis dreimal auf die Reise machte, bis sein räthselhaftes Verschwinden durch jenen Conducteur aufgedeckt wurde. Man legte ihn nunmehr an die Kette und die Reisen hatten ein Ende.

Ob es nun Anhänglichkeit an seinen früheren Aufenthaltsort war, ob es dort bessere Mittagskost gab oder ob es nur das Vergnügen an Spazierfahrten war, was ihn bewog, seiner neuen Heimath von Zeit zu Zeit untreu zu werden, lassen wir dahingestellt sein; wir müssen nur die Schlauheit bewundern, mit der er sich so lange Zeit vor Entdeckung zu wahren wußte, und daß er nie das Ziel seiner Reise verfehlte, nie über Laibach oder Steinbrück weiterfuhr. Was sagt die Südbahngesellschaft zu einem solchen „blinden Passagier“?
C. Br.