Textdaten
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Autor: H. Nordheim
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Titel: In guter und böser Zeit
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 32, 33, S. 433–436, 449–452
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[433]
In guter und in böser Zeit.
Dorfgeschichte aus Franken von H. Nordheim.


Der Sonnabend Nachmittag in der Stadt und auf dem Lande hat immer ein anderes Ansehen, wie der von den anderen Wochentagen. Er ist gleichsam der Quartiermacher für den Sonntag. Wo fände der Sonntag seine Ruh’, wenn der Sonnabend nicht räumte, sorgte, ihm bettete?

In der Stadt ist das sonnabendliche Schaffen mehr im Innern der Wohnungen bemerklich. Der äußere Verkehr ist großartiger, da verliert sich die Verschiedenheit an diesem Tage mehr. Allein auf dem Dorfe erkennt man sie sogleich, sei es an den höher, aufgestriffelten Hemdärmeln der Frauen, an dem raschen Verkehr [434] am Brunnen, wie an den lauter und freier klingenden Stimmen der Kinder, die mehr Freiheit haben, während die Erwachsenen arbeiten, oder sei es an der früheren Heimkehr der Geschirre, und tausend andern Dingen.

In Heubach hätte man den Sonnabend im Sommer auch daran erkennen können, daß der alte blinde Veit Valt von vier Uhr an allein auf der Bank vor seiner Thüre saß. An den andern Tagen mochte er stehen oder gehen, wo er wollte, so war „seine Alte“ bei ihm. Aber am Sonnabend mußte sie die Aermel auch aufstriffeln und, wie der Veit Valt sagte, „dem Sonnabends Haye-Ho den Garaus machen helfen.“

Es war im Juni und ein heißer Tag gewesen, es hatte halb sechs geschlagen, und der Sonnabends Haye-Ho war am allertollsten, denn um sechs Uhr wollte ein Jedes fertig sein, und da galt es Eile. Es war aber auch in dem Augenblick ein Spectakel, daß man kaum sein eigenes Wort verstand. Von der einen Seite trieb der Hirt die Heerde heim, von der andern kamen die Gänse und Schweine gerade auch zusammen zum Dorf herein. Die Leute, die ihr Vieh erwarteten, die Thiere, die alle durcheinander liefen und nicht weniger schrien, als die Menschen, die Mädchen am Brunnen, denen ein Schwein in die Queere lief und die mit der vollen Butte nicht hurtig genug dem Vieh ausweichen konnten, Alles schrie und lärmte durcheinander.

Der alte Veit Valt war aber stockblind, und je größer der Lärm um ihn her wurde, je stiller saß er auf seiner Bank. Er nahm wohl seinen Stock, der neben ihm lag, und stützte sich, vorn über gebeugt, darauf, aber er saß still da und sah aus, als spräche er in sich hinein: „Lärmt Ihr nur zu, was kümmert’s mich.“ Es kümmerte ihn auch nicht.

Der Veit Valt war nun vierundsechzig Jahre alt und seit seinem sechsundzwanzigsten Geburtstage ein stockblinder Mann. Gerade an demselben Tage hatte er sich vor sechsunddreißig Jahren mit seiner Alten, damals war sie aber eine Junge, und noch dazu eine recht Schöne, verlobt. Weil ihn unser Herrgott aber mit dem schweren Schicksal heimgesucht hatte, daß er von aller Pracht, mit der er seine Erde geschmückt, nichts mehr sehen sollte, so kehrte der Veit seine Augen nach innen hinein. Da prüfte und wägte er seine Gedanken, zog seine Erinnerungen mit hinzu und sein Ohr nahm jedes Wort von außen, das nicht ein unnützes war, auch mit hinein. Da stellte er sich dann in seinen Gedanken Bilder zusammen, die oft so hell aus dem Leben kamen, als hätte er sie mit den schärfsten Augen selbst gesehen. Er hörte um so feiner; darum hatte er auch bald weg, was der Lärm um ihn her bedeutete, und darum dachte er bei sich: „Lärmt nur zu.“ Er wußte, nach Regen kommt Sonnenschein, nach dem Sonnabend kommt der Sonntag, und der Höllenlärm um ihn her mußte doch auch ein Ende nehmen.

Um sechs Uhr war er richtig vorbei; die Glocken läuteten das Abendgebet. Es waren nicht mehr viele Leute auf der Gasse und die da wären, standen still und falteten die Hände. Die im Haus, fast ohne Ausnahme, thaten’s alle. Der Veit war aufgestanden; er hatte seine Kappe zwischen die Hände genommen; neben ihm stand seine Alte. Sie hatte die Hände auch zusammengelegt und sprach leis’ einen Spruch. Das dauerte nicht länger als fünf Minuten, hernach wurde es wieder lebendig von Stimmen, es zog wieder Leben ein, aber Lärm nicht mehr. Die Arbeit war gethan, der Sonntag hätte kommen dürfen, seine Ruhe war schon vor ihm eingekehrt.

Der Valt setzte sich mit seinem Weibe noch einmal nieder; sie wollten auch noch zusammen schwätzen und den Martin, ihren Sohn, erwarten. Sie hatten weiter kein Kind, denn ihren Aeltesten, den Hannes, hatten Sie vor vier Jahren an einer Hirnentzündung[WS 1] hergeben müssen. Die Leute sagten, der Doctor, der ihn behandelte, hätte gemeint, es wäre ein Glück, daß er gestorben sei, denn er wäre sonst auch wie sein Vater blind geworden. Das wußten aber die Eltern nicht. Der Martin war nun ihr Ein und Alles. Er glich dem Vater, wie aus dem Gesicht geschnitten, hatte auch ganz seine Statur, groß und breitschulterig; sie hatten auch Beide so eine vorstehende Stirne und schwarze Haare und Augen; der Martin war der schönste und bravste Bursche in Heubach, gerade wie sein Vater es auch gewesen war; seine Mutter sagte oft, es gemahnte sie immer, wenn sie ihren Sohn sähe, es müßte der Vater sein.

Die Alten saßen länger wie sonst vor der Thüre und sie wunderten sich, daß der Martin so lang ausblieb. Er war nach einem anderen Dorfe gegangen, und wollte sich eine Kuh besehen. Endlich kam er an; er war stark gegangen und hatte heiß. Alle Drei gingen nun in’s Haus, setzten sich zusammen an den Tisch, und der Martin fing gerade an zu erzählen, als der Herr Pfarrer hereintrat.

Wenn es auch am Sonnabend nicht gebräuchlich ist, daß ein Pfarrer Abends ausgeht, weil er da wohl immer noch an seiner Predigt studirt, der Heubacher Pfarrer kam doch. Er war gar ein rascher Mann und meinte, das wäre nicht gut, wenn er seine Predigt erst am Sonnabend machen wollte. Er kam, wenn nichts Besonderes vorfiel, fast alle Abend zu Valt’s; er war nicht mehr jung, hoch in den Fünfzigen und nicht verehelicht. Noch als Candidat starb ihm seine Braut, und er blieb darum allein. Den alten blinden Valt hatte er gern; er brachte ihm Bücher, die die Frau und der Martin ihm vorlasen, und theilte ihm mit, was er selbst erfuhr oder auch las. Dafür erzählte der Alte ihm auch viel und mancherlei. Es war eigentlich sein Hauptumgang, wenngleich die ganze Gemeinde und jeder Einzelne gut mit ihm stand und ihn hoch hielt.

Die drei Männer setzten sich auf die Bank um den Tisch her. Die Mutter, sie hieß Anne, holte Messer, das Brod und das Salzfaß aus dem Tischkasten, dann stellte sie Käs und eine Lippe mit Bier hin. Dem „Vater“ stellte sie Alles handgerecht, weil er nicht sah. Dann setzte sie sich auch dazu. Der Herr Pfarrer nahm nichts an, das wußte sie schon, es wurde ihm also auch nichts angeboten. Seine Cigarre rauchte er bei sich wegen der Augen vom Valt, aber er erzählte mancherlei, derweil die Andern tüchtig zulangten. Nach einer Weile sagte er zum Martin und blinzelte ihm zu, er solle reden:

„Nun, Martin, habt Ihr heute nichts Neues in Waldek gehört?“

„O ja, Herr Pfarr, ich hab’ Mancherlei gehört; zuerst, daß der Wehner verunglückt ist.“

Der alte Valt fuhr in die Höhe und richtete seine beiden blinden Augen wie erschreckt auf den Sohn.

„Verunglückt! Wie ist’s zugegangen?“

„Er hat sich mit seinem Weibe überworfen, die Leute sagen, sie hätten sich geprügelt, es wäre fast alle Tage nicht anders gewesen, und da hab’ er sich endlich am Steinbruch an einen Baum aufgehängt.“

Es sprach eine ganze Weile keins ein Wort; der Alte, das sah man, war tief erschüttert; es legte sich ihm selbst ein rother Ring um die Augen her, die feucht waren. Nach ein paar Minuten reichte er die rechte Hand der Anne hin, die neben ihm saß, und sagte:

„Davor hat mich unser Herr Gott bewahrt.“

Der Pfarrer sagte:

„Gegen so ein Unglück ist’s noch leichter zu tragen, wenn man blind ist, freilich muß man so ein paar Augen bei der Hand haben[WS 2], wie der Anne ihre.“

Es wurde noch viel hin und her gesprochen, der Alte war wieder, wie er’s nannte, „fidel und vergnügt“ und der Pfarrer sprach zu ihm: „Ich habe Euch schon lang einmal bitten wollen, Ihr solltet mir erzählen, wodurch die Wehnerin denn so weit gekommen, wie sie jetzt ist, und wie Ihr eigentlich mit ihr gestanden habt, ich wußte aber immer nicht, ob Ihr es gern thätet.“

Der Alte sagte: „Ich habe immer nicht gern davon gesprochen, aber heute, wo es wieder einmal so recht hell geworden ist, an was für einem Abgrund ich gestanden bin, da ist mirs recht; da will ich Euch den Hergang erzählen. Meine Alte kennt ihn schon, aber sie darf’s mit anhören und thut’s auch gern, denn sie ist schuld dran, daß ich bei Zeiten umgewend’t bin.

„Die Wehnerin ist von hier bürtig und ihr Vater war wohlhabend, nicht reich, die Ricke war aber sein einzig Kind, und sie hätten es zu was Rechtem bringen können, denn die Frau war brav und fleißig. Dem Wehner lag’s aber ordentlich im Blut, er konnte nicht vom Kartenspiel lassen, und wenn in der Stadt eine Lotterie gezogen wurde, war’s auch, wie wenn es hinter ihm brennte, er mußte dazu. Jedermann warnte ihn, denn es verlautete, er spielte auch mit, wenn zum Vogelschießen in der Stadt Bank gehalten wurde. Er hat auch richtig ein paar Mal ordentlich gewonnen, das war sein Unglück. Wenn aber einer immerfort spielt, so müßte es gar nicht mit rechten Dingen zugehen, wenn es nicht [435] zwischendurch ein paar Mal glücken sollte. Er redete mit keinem Menschen mehr davon, denn ein Jedes rieth ihm ab, d. h. jeder Ordentliche, aber er spielte, wo sich nur eine Gelegenheit dazu bot.

„Die Ricke war ein prächtiges Mädchen; ich habe mein Lebtag nicht wieder so ein paar Augen gesehen; ihr Gesicht war wie lauter Milch und Blut und gesund war sie wie ein Fisch im Wasser. Unsere Väter waren Schulcameraden gewesen und wollten, wir Zwei sollten ein Paar werden. Wir Zwei hätten nichts dagegen gehabt, wenn die Eltern es auch nicht gewollt hätten, denn wir Zwei hatten uns schon gern, wie sie fünfzehn und ich achtzehn Jahre alt war; nicht nur gern, wir gehörten einander, wie man so spricht, mit Leib und Seele an, und es hätte mir Einer geben können, was er wollte, ich hätte nicht von ihr gelassen.

„Sie war zwanzig Jahre alt geworden und es sollte bald mit uns vor sich gehen. Ich konnte es schier nicht erwarten, bis ich sie nur hätte. In der Stadt war Vogelschießen, und der Vater von der Ricke ging am Sonntag mit ihr hin. Ich hatte auch mit gewollt, aber mein Vater litt’s nicht. Er sagte, der Wehner wäre im Stand, und verleitete mich auch zum Spielen. Ich brummte wohl was darüber, aber wir hatten gewaltigen Respect vor unserem Alten, und so blieb ich daheim. Die Andern kamen spät wieder, und ich sah die Ricke am Abend nicht mehr. Früh am Morgen erzählte mir der Knecht, ob ich denn gehört, was für ein Glück die Ricke gehabt hätte; sie habe ja in der Lottobude auf alle ihre Nummern gewonnen, und in der Stadt einen Tragkorb borgen müssen, um alle die Sachen, meist Tassen und Gläser, aber auch ein paar Dutzend Teller, ein Gedeck Bildzeug und ein Bügeleisen, heim zu tragen. Sie wäre aber auch wie toll vor Freude und sie ließe sich nicht abhalten, sie wollte gleich heute wieder in die Stadt und drin bleiben, so lang das Vogelschießen dauerte.

„Mir hätt’s schon recht sein können, daß die Ricke so viel Glück gehabt hatte, aber daß sie wieder in die Stadt wollte, versalzte mir gleich den Spaß. Ich ging zu ihr, und wie ich in die Stube trat, wunderte ich mich, denn der ganze Tisch und die Bank lagen voll gewonnener Sachen. Die Ricke hatte einen Kopf wie eine Kohle und lachte und jauchzte nur in einem fort. Der Vater hatte seinen Jux daran, die Mutter saß am Spinnrad und sagte nichts, aber sie sah mich an, als müßte ich ihr Rath bringen. Die Ricke gefiel mir nicht und ich sagte, sie solle lieber nicht wieder auf’s Vogelschießen gehen, aber da kam ich gut an:

„Ob ich mir auch schon von den Neidhämmeln was hätte vorschwatzen lassen? Das Gerede käme vom puren Neid“, und so fort.

„Ich hatte noch nichts vom Gerede gehört, und ging meiner Wege, aber wo ich mich nur sehen ließ, trugen mir’s die Leute zu, die Ricke habe sich übel aufgeführt und hätte in der Bude und hernach im Weinhaus geschrieen und gelärmt, daß die Stadtleute sich schier zu Tode über sie gelacht, die Heubacher sich aber schier zu Tode geschämt hätten.

„Ich ging herum, wie wenn ich selber was Unrechtes gethan hätte; die Ricke aber wurde um so toller, je mehr sie merkte, daß viele Leute dagegen waren. Von mir verdroß sie’s am meisten und mir war’s, als ging mir ein Pfahl immer tiefer in’s Fleisch. Es half auch kein Abreden, sie ging am Nachmittag mit ihrem Vater und ihrem Vetter, dem Wehner, der sich nun erhängt hat, wieder in die Stadt. Es fehlte auch so nicht an Begleitung, denn es war damals keine gute Zucht in unserem Dorf, und Viele gingen nur nicht mit, weil sie gehört hatten, daß die Stadtleute sich so über die Spielwuth und die Frechheit von den Heubachern aufgehalten hatten.

„Damals waren die Heubacher, es gab nicht viel Ausnahmen, überhaupt verschrieen; sie verdienten’s aber auch, und wenn ich dran denke, wie’s jetzt steht, und daß kein Dorf weit und breit ist, was so viel Achtung hat, wie Heubach, so kann ich unserem Herr Gott, der uns Sie, Herr Pfarr, und Ihren Vorgänger geschickt hat, nicht genug danken.“

„Es stand freilich noch immer nicht gar zu gut, wie ich hierher kam,“ sagte der Pfarrer Butzer, „aber mein Vorgänger, der Feldmann, hatte mir in den fünfundzwanzig Jahren, wo er hier war, doch schon vorgearbeitet, denn das war ein tüchtiger Mann.“

„Ja, das muß wahr sein,“ sagte die Valtin, „der sich auch schon einen Gotteslohn verdient, und wenn wir Sie nicht dafür bekommen hätten, so wär’s ein Unglück gewesen, daß er versetzt wurde. Er war freilich „ein bißle“ barsch.“

„Ja, das war er,“ sagte der Valt und lachte, daß ihm der Leib schüttelte, „barsch war er und ich glaube, wenn sich jetzt einer herausnehmen wollte, was der that, so nähm’s kein gutes Ende. Aber damals ging Noth an Mann und die Regierung that nicht nur ein Auge zu, sie hielt die zehn Finger vor alle zwei; und das war gut, denn so aufsässig von Anfang an die Meisten ihm waren, so gern hatten sie ihn Alle mit einander, wie er fortging.“

„Das glaub’ ich,“ fiel der Pfarrer ein, „im Anfang hatte ich ja meine liebe Noth. Wo ich was that oder angab, da hieß es: „der Feldmann hat es anders gemacht.“ Ich kann’s noch nicht vergessen, ich mochte ungefähr ein Jahr hier sein, da kam der Feldmann unverhofft einmal zu Besuch. Er kam zu Fuß und oben an der Hölle sah ihn zuerst der „böse Meyer“ –.

„Ja freilich,“ fiel ihm die Anne in’s Wort, „an dem er sechs Jahre zuvor seinen Stock zerschlug, weil er’s mit angesehen hatte, wie er seinem eigenen Vater in der Hitze einen Schlag gab. Gerade der, der „böse Meyer“, hing ihm hinterher am meisten an, und ich hätte Keinem rathen wollen, ein Wort gegen den Pfarrer zu sagen, wenn der Meyer dabei war.“

„Ja, der war’s,“ fing der Pfarrer wieder an; „er kam mit einem wahren Gebrüll zum Dorf hereingelaufen, daß die Meisten dachten, es wäre „Feuerio!“ aber er schrie nur immer: „der Feldmann kommt!“ Und hinter ihm her hinkte die lahme Hirtin, kein Mensch hatte sie je so laufen sehen, und schrie auch: „der alte Pfarrer kömmt!“ und ehe er nur im Dorfe ankam, war schon Alles aus den Häusern und ein Jubiliren, als wenn ein Kaiser käme. Mir war’s im ersten Augenblicke nicht einerlei; es rührte sich ordentlich so was wie Eifersucht in mir. Aber ich schluckte es hurtig hinunter und dachte, es wäre besser den Himmel anzurufen, daß es mir einmal auch so erginge wie dem Feldmann.“

„Das hoffe ich nicht, Herr Pfarr,“ sagte der Veit und lachte so verschmitzt in sich hinein, „denn ich denk’, Sie sollen nicht von Heubach fort kommen.“

„Das denken wir auch,“ fielen ihm die Anne und der Martin in die Rede und der Pfarrer nickte und lachte mit ihnen.

„Es war aber nicht zu verwundern, daß der Feldmann so einen Anhang hatte,“ sagte der Valt, „aber er war auch nicht immer so barsch, wie gegen den bösen Meyer; er konnte auch lammfromm, wie ein Kind, gegen die sein, die sich nichts vorzuwerfen hatten, und wenn ich denke, daß er den lahmen Schneider mutterseelenallein gepflegt hat. Tag und Nacht acht Tage lang nicht von seinem Bett gekommen ist, wie er den Typhus hatte, und Keins zu ihm wollte, bis endlich die Gänsehirtin auf sein Zureden ihm beistand, da kann man es schon begreifen, wo die Liebe zu ihm herkam. Manchmal ließ er auch närrische Streiche ausgehen, aber ihm glückte Alles, denn er that Alles zu seiner Zeit. Einmal in der Dämmerung kam er dazu, wie ein Handwerksbursche sich am Brunnen ungebührlich gegen die Magd vom Schulmeister benahm; sie hatte die volle Butte und konnte ihm nicht darauf dienen; da kam unser Feldmann ihm von hinten bei und gab ihm ein paar Tachteln, denn Kräfte hatte er, daß der Stromer nur so taumelte und zum Dorfe draußen war, hast du nicht gesehn.“

„Und weißt Du’s noch,“ sagte die Anne, „wie er der „Müllerin“, der Schreinersfrau, anrieth, das nächste Mal, wo ihr Mann betrunken heim käme und sie prügeln wolle, solle sie den Spieß umdrehen und auf ihn losprügeln?“

„Freilich, freilich! sie wollte erst nicht dran, war so ein stilles, kleines, braves Fraule, aber der Feldmann redete ihr zu und sie that’s. Da war auch auf der Stelle der Rausch vorbei. Das hat sich die Frau gemerkt und das nächste Mal brauchte es kein Zureden. Aber der Schreiner bekam so einen Respect vor seiner braven Frau, daß er sich vor dem Wirthshause hütete. Hernach ging’s prächtig. Aber vor lauter Schwätzen über den Feldmann hätte ich die Ricke schier vergessen. Ja, wo war ich denn stehen geblieben?“

„Wo die Ricke wieder in die Stadt gegangen war,“ sagte der Martin.

„Richtig, da. Sie kam erst nach zwei Tagen wieder, und ich habe mein Lebtag nicht so etwas gesehen, als wie das Mädchen aussah. Sie hatte schier keinen Bissen gegessen, nur immer getrunken, so war sie in die Rasche (Rage) über das Spiel gekommen. Es war, als wollte der liebe Gott uns Allen miteinander ein Exempel an ihr geben. Sie hatte erst im Lotto, wie das erste Mal, hernach aber auch an der Bank gespielt und wieder viel gewonnen. Das Mal war’s nicht nur, daß man sich über sie aufhielt, weil sie sich so frech aufführte, es kam auch richtig noch Neid [436] dazu und sie wurde immer toller, je mehr sie gewann und den Neid sah. Der liebe Gott weiß, wie’s kam, ich redete in eins fort in mich hinein, daß so eine Frau Unglück in’s Haus brächte, aber ich hatte sie zu gern gehabt und dachte, ich müßte sterben und verderben, wenn ich sie aufgäbe. Viele von den ordentlichen Leuten gaben mir gar Schuld, ich könnte auch nur nicht von ihr lassen, weil der Geldteufel mich besäß’, aber das war nicht wahr; es war die Liebe zu ihr der Teufel, der mich nicht loslassen wollte. Um die Zeit diente die Anne schon ein halbes Jahr bei meinen Eltern; sie ist aus der Wetterau – gelt Alte?“

„Ja, Veit, und ich bin froh darüber.“

„Du hast recht, Alte,“ und dem Veit wurden die blinden Augen wieder roth. Der Martin sah seine Mutter an, wie wenn er sprechen wollte, daß es Keine gäbe mehr, so wie sie, und der Pfarrer sagte:

„Wohl dem, dem Gott ein brav Weib bescheert.“

„Ich hatte,“ sagte der Valt, „sie noch schier nicht angesehen und es war doch Keine im Dorfe, welche schöner gewesen wäre, als sie. Die Leute sagten, so eine Magd wäre noch keine ins Dorf gekommen, und meine Eltern hielten sie wie ihr Kind. Meine Mutter sagte, jedwede Frau könne Gott danken, wenn sie so eine Tochter hätte.“

Die Anne wischte sich die Augen mit der Schürze und sagte: „Dein Vater und Deine Mutter haben auch nur Elternstell’ bei mir vertreten.“

Wie sie’s gesagt hatte, ging sie sachte zur Thür’ hinaus in die Küche. Die Andern waren eine ganze Weile mäuschenstill, dann sagte der Valt: „Glauben Sie’s, Herr Pfarr? Wenn ich sie einmal hart anlaß’, manchmal wird man doch auch wild, da steht sie vor mir und spricht kein Wort; sie wartet’s ab, bis ich Alles und Jedes herausgepoltert hab’; ich krieg’ kein hart Wörtle zu hören. Wenn sie aber gelobt wird, da ist sie zur Thür’ draußen wie Pulver.“

Der Pfarrer sagte: „Ich glaub’s, Valt, denn ich weiß es.“

Der Valt erzählte weiter: „Die Anne war immer gut mit mir, so lang’ sie bei meinen Eltern diente. Sie sah mir an den Augen ab, was ich brauchte, ich hatte es aber schier nicht bemerkt. Auf einmal, das merkte ich aber, sah sie mich nimmer an. Meinen „Guten Tag!“ bekam ich wieder, aber gerade nur so viel, als ich haben mußte. Sie that grad’ was sie mußte für mich und ich dachte, was wohl der tollen Hoppel für ein Haas über den Weg gelaufen wäre. Im Dorf war, seit die Ricke so glücklich gespielt hatte, kein Haltens mehr. Die Burschen, namentlich der Wehner, und auch ein paar Mädchen, auch ältere Leute liefen hin, wo nur was gespielt wurde, und der Jud’ Fleischmann kam nimmer anders, wie mit Loosen in der Tasche, ins Dorf. Da wurde der Pfarr Feldmann hierher versetzt. Gleich an einem der ersten Sonntage sprach er über den Geldteufel und sagte so ein paar Wörtle auf der Kanzel, daß die Heubacher anfingen, die Köpf’ zusammenzustecken. Den Ordentlichen war’s recht, die Liederlichen schimpften oder lachten und es ging zum Spiel nach wie vor. Damals lag mancher Acker unbestellt in Heubach.

„Der Feldmann hatte Haar’ auf den Zähnen; er ging zu den Leuten und vermahnte, aber nur sachte; es half auch nichts. Da kam eine Predigt von der Kanzel herunter, die hätte Keiner zur Ruthe hinter den Spiegel gesteckt, die will ich mein Lebtag nicht vergessen. Es kam Fäuste dick und „wenn der Rath und das Vermahnen nichts hälfe, so würden andere Maßregeln ergriffen werden.“ So ging’s fort. Ich saß in der Kirche und mochte die Augen nicht aufschlagen, denn wenn ich auch noch keine Karte und kein Loos angesehen hatte, „meine Ricke“ die spielte fort und fort. Die ordentlichen Leute dankten’s dem Pfarr, aber die Schlimmen, was die thaten, habt Ihr wohl gehört, Herr Pfarr?“

„Ja, ja, Valt, ich hab’s damals gehört, aber es ist lang’ her und von Euch hör’ ich’s gern noch einmal; seh mir die Geschichte gern noch einmal im Ganzen an; ist eine Geschichte recht zur Mahnung.“

„Nun ja, Herr Pfarr, aber es wird mir heut’ noch sauer. – Die ganze Woche hindurch rannten alle die Spieler mehr über Land wie zuvor. „Meine Ricke“ und der Wehner, ihr Vetter, hatten immer was zusammen zu zispern und ein anderer Bursche, der schon einmal im Zuchthaus gesessen, hatte Zusammenkunft mit noch ein paar Strolchen, die in Heubach dienten. Es schwätzte sich so unter der Hand weiter, sie wollten dem Pfarr in der nächsten Kirche was anhängen. Die Einen glaubten’s, die Andern nicht. Da kam der Sonntag und mochte man’s geglaubt haben oder nicht, die Kirche war so voll, wie sich’s kein Mensch erinnern konnte. Der Pfarr hatte auch von dem Gerede gehört, das erfuhr man zu seiner Zeit. Die Lieder waren gesungen, daß Gebet und die Epistel verlesen, der Pfarr bestieg die Kanzel. Er hatte aber erst ein paar Worte gesprochen, so fing auf dem Chor eine Unruh’ an; man hörte leises Reden und Hin- und Herdrängen. Endlich, der Pfarr hielt im Reden inne, hörte man von oben herunter Lachen und – daß Karten gemischt, aufgeschlagen, – daß gespielt wurde. Man hörte: „Schellen-Ober, Gras-Unter, Herz-Daus“ – kurz es wurde droben, es wurde in der Kirche Karte gespielt. Es war eine Stille, man hätte eine Fliege können singen hören, und nichts Anderes hörte man durch die ganze weite Kirche, als von da oben den verruchten Spott. Das muß ich sagen, so was hatten doch nur Wenige für möglich gehalten, und daß die Meisten zum Tod erschrocken und bleich waren. Der Pfarr sah aus, wie wenn er schon im Sarg gelegen hätte. Eine Weile faltete er seine Hände und sah in die Höhe, wie wenn er den lieben Gott selber um Rath fragen wollte in seiner Noth. Aber auf einmal richtete er sich hoch auf und sagte weiter nichts, aber es schallte durch die Kirche wie eine Posaune: „Feldjäger, führt die verruchten Kirchenschänder hinaus.“ Und wie wenn sie aus der Erde gewachsen wären, traten aus der Sacristei und zu den Kirchenthüren Soldaten herein. Der Chor wurde gleich besetzt, die frechen Spieler am Kragen genommen und fortgeführt. Der Pfarr verließ die Kirche und wir gingen ihm Alle nach. Die Ricke war nicht in der Kirche gewesen, aber sie hatte um die Sache gewußt und wie sie auf einmal aus ihrem Fenster sah, daß Soldaten nach der Kirche zu gingen, rannte sie über den Gottesacker, weil das näher war, in die Kirche, um die Spieler zu warnen; aber es war schon ein Feldjäger hinter der Chorthüre versteckt und der erwischte sie. Sie wurde auch mit eingesteckt, zwar wieder frei gelassen, weil kein Beweis gegen sie aufgebracht werden konnte, aber es wußten’s Alle und ich mußte es endlich auch glauben, daß sie um den Scandal gewußt hatte.

„In Heubach war’s immer gebräuchlich gewesen, daß um sechs Uhr Abends geläutet wurde; es hieß „das Gebetläuten“, aber kein einziger Heubacher dachte an Beten dabei, und die Ricke hatte einmal zu mir gesagt, unsere Magd wäre eine rechte Kopfhängern und dächte, sie könnte nicht selig werden, wenn sie nicht Abends betete. Ich hatte noch nie was davon gemerkt und auch nicht wieder daran gedacht. Wie ich aber am Abend von dem bösen Sonntag heim kam, es war seit lang zum ersten Mal, denn um sechs Uhr war ich sonst immer bei der Ricke, fing das Läuten gerade an und ich hörte vor der Stubenthüre, die nur angelehnt war, die Stimme von der Anne, die drinnen betete. Den Spruch hat sie mir nun seit sechsunddreißig Jahren jeden Abend gebet’t, damals hörte ich ihn aber zum ersten Mal. In ihrem Dorf in der Wetterau wurde er in jedem Haus jeden Abend gebet’t.

„Es war ein Astloch in unserer Thür, – gucken Sie, Herr Pfarr, es ist noch drin; wenn’s kalt wird, stopf’ ich’s mit Werg zu, zugemacht darf’s aber nicht werden, und ich konnte es nicht lassen, ich mußte hinein sehn. Die Hände hatte ich gefaltet, ich wußte nicht wie’s zugegangen war. Die Anne stand drin vor meinen Eltern; die waren von der Bank aufgestanden; mein Vater hatte seine Pelzkappe und meine Mutter ein Stück Brod in der Hand, das sie gerade hatte essen wollen, drüber falteten sie ihre Hände. Die Anne hatte nichts in den Händen, aber sie drückte sie so fest zusammen und sah drauf nieder, daß man hätte denken sollen, sie habe einen Schatz drin zu hüten. Sie können mir’s glauben, Herr Pfarr, sie hatte auch einen drin; denn sie hatte ihr eigenes Herz hinein gelegt und brachte es unserem Herrn Gott zum Opfer dar. Derweil sie so stand, sprach sie:

„Bleib bei uns, Herr Jesu Christ,
„Weil es nun Abend worden ist.
„Dein göttlich Wort, das helle Licht,
„Laß ja bei uns verlöschen nicht.
„Verleih uns, Herr, Beständigkeit
„In guter und in böser Zeit!“

[449] „Ich weiß nicht, wie’s zugegangen ist, aber wie sie aufgehört hatte, schon lang’, lief mir das Wasser immer noch die Backen herunter, daß meine Hände und meine Kappe pudel-patsch-naß waren. Das ist gut, wenn einem in der innerlichen Brunnenstube einmal das Wasser bis an den Hals steigt. Nichts macht den Menschen so rein, als so eine Wäsche mit Salzwasser. Ich meine damit aber nicht die Sorte, die wie die Muscheln immer im Salzwasser liegen; die werden nur fett oder hart davon, aber nicht gesund. Mir war der Anne ihr Salzwasser gesund. Ich konnte mich nicht von der Stelle rühren und vergaß Alles um mich her. Nur an eins mußte ich denken, und das waren in meinen Gedanken die Ricke und die Anne neben einander; die Eine, wie sie half den Tempel Gottes schänden, die Andere, wie sie in einer elenden Bauernstube den Tempel Gottes aufbaute. Ich stand und stand, da war die Stubenthür schon eine ganze Weile aufgegangen, ehe ich’s merkte; meine Eltern standen vor mir und hinter ihnen die Anne. Mein Vater hatte schon lang’ gesagt, er könnte die Ricke nimmer ersehn, aber ich hatte immer noch nicht von ihr lassen können, wenn ich mir’s auch sagen mußte, daß sie in Grund und Boden hinein nichts taugte.“

„Habt Ihr denn aber,“ fragte der Pfarrer, „nicht schon früher gemerkt, daß nichts an ihr war?“

„Ach, Herr Pfarr, merkt denn Einer so was, wenn er sein Herz und sein Bißle Vernunft nur in seine verliebten Augen gelegt hat? Die Ricke war eine Blitzhexe und wenn nicht endlich der Spielsatan verrathen hätte, was hinter der schönen Fratze steckte, so wär’ ich in’s Unglück hinein gerennt. Es geht Manchem nicht anders. Ich ging aber von da an nimmer zu ihr und Abends, wenn das Gebet läutete, rannte ich heim. Die ersten Male traute ich mich nicht in die Stube zu treten, ich blieb davor stehen; aber endlich ging ich dazu und zuletzt war mir’s, als könnte ich keine Ruh’ finden, wenn ich nicht den Spruch gehört hatte.

„Wie’s die Ricke merkte, daß ich im Ernst von ihr blieb, machte sie sich noch mehr mit dem Wehner zu schaffen und der war froh. Er dachte, ich wäre ein rechter Narr, daß ich das Glückskind aufgab, und griff mit allen Händen zu. Sie waren bald einig; ich war ihr schon lang nimmer recht, weil ich nicht in ihr Horn blies. Sie hat ein paar Jahre darauf den Wehner genommen, und sie sind nach Waldeck gezogen, dort hatte er sein Gütle. Sie hatten noch lang Glück im Spiel; aber mit Eins schlug’s um; wie sie erst gewonnen hatten, so verloren sie nun. Je mehr sie aber verloren, je toller spielten sie. So geht’s immer, man denkt, man müßte, was verloren ist, wieder gewinnen. Wie die Alten hier kurz nach einander starben, war schon das hiesige Hab und Gut zum Guckuck. So ging’s auch bald in Waldeck. So trieben allerhand anrüchiges Gewerbe – und heute – hat sich nun der Wehner davon gemacht.“

„Haben denn die Kirchenschänder ihre Strafe bekommen?“ fragte der Pfarrer.

„Ja wohl, haben sie das, nur der Wehner wischte durch; es ging wie immer, die Kleinen hängt man und die Großen läßt man laufen. Nun, es ist ihm doch zu Haus und Hof gekommen, wir haben’s ja gehört. Er log sich damals heraus; die Andern kamen auf zwei Jahre in’s Zuchthaus.“

„Nun, Valt, müßt Ihr mir aber auch noch erzählen, wie Ihr endlich mit der Anne zusammen gekommen seid.“

„Ja, Herr Pfarr, das soll ein Wort sein, aber heut nicht, ich bin müd’; die alten Zeiten haben mich ordentlich wirbelig im Kopf gemacht; aber morgen erzähl ich’s Ihnen, und der Martin soll die Kätter dazu holen; weil sie doch in’s Haus kommt, so soll sie auch wissen, wie’s die Alte vor ihr gemacht hat.“

Es wurde so fest gemacht, und der Pfarrer ging heim. Wie er am Sonntag Abend wieder kam, war die Kätter da. Sie und der Martin hatten sich gern, aber ihr Vater wollte nicht eher leiden, daß sie ihn nähme, bis er sein sechsundzwanzigstes Jahr hinter sich hätte, weil da sein Vater und auch sein Großvater schon blind geworden waren. Der Martin hatte aber sein Lebtag nichts an den Augen gehabt, und es war eigentlich närrisch vom Claus, denn sonst hatte er nichts gegen ihn. Die Kätter hatte den Martin so gern, daß sie keinen andern genommen hätte; er war erst fünfundzwanzig, sie erst zwanzig Jahre alt, da konnten sie dem Vater seinen Willen thun.

Wie die Valt’s am Sonntag zu Nacht gegessen, sagte der Veit zur Anne:

„Nu, Mutter, nun fang’ ich an, über Dich zu schimpfen, willst Du nicht wieder die Thür hinter Dir lassen?“

„Ich werd’ mich hüten,“ sagte die Frau und lachte, „ich mein’s zu gut mit mir.“

„Nun, Herr Pfarr, so will ich’s Ihnen erzählen: Ehr ich mich’s versah, ich weiß selber nicht, wenn’s zuerst angefangen hat, war ich närrisch in meine Alte da verschossen, und ich war der ordentlichste Bursche im Dorfe geworden, denn – ich blieb immer daheim. Bei ihr ging’s nicht so hurtig, es sah wenigstens so aus. Aber wie ich sie einmal Abends in den Stall hatte gehen sehen, um die Küh’ zu melken, ging ich ihr nach. Der eine Eimer war [450] schon voll, und ich wollte ihr den andern helfen zurecht setzen, da war mir’s doch, als wär’s bei ihr auch nicht richtig; sie that so scheu, und als traue sie sich selber nicht recht. Ich weiß nicht, wie’s zuging, sie hatte aber einen Schmatz auf dem Backen, daß es nur so ein Spaß war. Die Anne war so erschrocken, daß sie den ganzen Eimer voll Milch hinwarf, und sah so weiß aus, wie die Milch, die herum lief. Mir war’s auch nicht einerlei, wie die Milchstraße durch den Stall ging, die bald so breit aussah, wie die am Himmel oben, und wir standen alle Beide da und wußten nicht, was anfangen. Es sah Eins so einfältig aus wie’s Andere; da fuhr auf einmal eine Hand zwischen uns durch, und nahm den Eimer auf. Es war meine Mutter; sie lachte und sagte:

„Justament wie die Ochsen immer am Berg stehn, so steht Ihr auch da.“ Und wie wir immer noch nicht wußten, was sagen:

„Geh zum Vater, Veit, für die Anne kannst Du zehn Eimer in den Stall laufen lassen, so hat er nichts dagegen.“

„Nun hättet Ihr aber einmal sehen sollen, wie die Anne mir um den Hals flog.“

„Ho ho, Alter, so toll war’s doch noch nicht; aber freilich, so recht wie’s kam, weiß ich auch nicht, nur daß wir einander am Hals hingen, mitten in der Milchsuppe drin, ja, das ist wahr!“

„Ja, das ist wahr, und wir gingen mit der Mutter zum Vater und der war so lustig, als hätt’ ihn ein Haas geleckt. Da, ich sah der Anne gerade so recht in die Augen, ich glaub’, ich wollte ihr wieder einen Schmatz geben, aber auf die andere Backe, und sagte: „eine Schönere wie Dich gibt’s halt doch auf Gottes Erdboden nicht“ — da, ja da schloß mir unser lieber Vater im Himmel die Augen zu. Seitdem habe ich auch nichts, keinen Funken Licht, keinen Tropfen Wasser, nichts, gar nichts mehr gesehen.

„Ich dachte im ersten Augenblick und hernach noch manche Stunde und manchen Tag, ich müßte verzweifeln, aber wenn so Zeiten kamen, da nahm mich allemal meine Anne bei der Hand, und wenn es doch noch nicht ganz vorüber wollte gehen, da holte sie mir den Feldmann, und der hatte allemal den ganzen Sack voll Trost bei sich. Besonders half es aber immer, wenn er damit kam, daß unser Herr Gott mir das Unglück gerade geschickt habe in dem Augenblick, wo er mir das größte Glück schenkte, damit ich mich an dem Einen für das Andere aufrichten könne.

„Ja, ja, Herr Pfarr, Sie wissen’s ja auch schon lange, bei all der schweren Last, die’s mit sich bringt, wenn man Jahr aus und ein im Dunkeln geht, bin ich doch ein glücklicher Mann, und meine Anne, wenn auch viel auf ihr liegt, was ein Anderer ihr hätte können tragen helfen, gäbe mich armen Krüppel doch um keinen Andern her. Drum sag’ ich’s auch immer, wie der Mensch trägt, das macht’s aus, nicht was er trägt.“

Die Kätter saß zwischen der Mutter und dem Martin; sie hatte von Jedem eine Hand genommen, und das Wasser lief ihr die Backen herunter stromweis, da machte auf einmal der Martin seine Hand von ihr los, und hielt sie vor das Licht; dann fuhr er damit an die Augen und sagte:

„Brennt das Licht? Hat Eins das Licht ausgelöscht?“

Die Mutter stand auf, bog sich über ihn und sah ihm fest in die Augen. Er sah sie wohl an, aber es war, als wüßte er nichts davon und sagte, aber die Stimme stockte ihm:

„Mutter, brennt das Licht?“

Da fuhr aus dem Munde der Mutter ein geller Schrei heraus; sie schlug ihre Arme um den Sohn und rief:

„Ja, es brennt, es brennt lichterloh!“

Der Martin legte die Hände in einander, und wo er saß, blieb er sitzen; kein Wort kam über seine Zunge; gerade so machte es der Veit. Die Kätter wußte im ersten Augenblick nicht, wie ihr geschah, aber sie wurde es bald inne, denn die ganze Last von der Anne lag mit einem Mal auf ihr. Die Anne hatte Alles standhaft getragen, was ihr der liebe Gott auferlegte, aber das kam zu unverhofft und traf den weichsten Fleck. Wie’s ihr so mit einem Mal gewiß war, daß ihr Veit nicht allein, daß auch ihr Martin, den sie unter dem Herzen getragen, dunkel durch das Leben gehen sollte, da brach’s mit ihr zusammen, sie fiel der Kätter wie todt in den Arm. Sie kam freilich wieder zu sich und mußte es auch hinnehmen, still hinnehmen, wie’s aus Gottes Hand kam, aber es war doch recht schwer zu tragen.

Der Pfarrer war der erste, der gleich Rath schaffte, wie der erste Schreck vorüber. Nachdem die Anne wieder bei sich war, schickte er noch am Abend einen Boten in die Stadt und ließ den Arzt kommen. Es wurden, um ja nichts zu versäumen, allerlei Mittel angewandt, Blutegel gesetzt und Pflaster gelegt, aber der Doctor gab wenig Hoffnung. Er sagte, es hätten schon als Kind die Mittel angewendet werden müssen, jetzt wäre das Uebel schon ausgebildet; es hülfe Alles nichts, der Martin wäre und bliebe blind.

Der Vater von der Kätter that sich was darauf zu gut, daß er so klug gewesen war; er war ja klüger gewesen, wie alle die Andern. Man glaubt nicht, was manche Menschen einfältig werden können, wenn sie denken, sie wären klüger, wie Andere. Er meinte, es könnte ja nun keine Rede mehr vom Heirathen zwischen dem Martin und der Kätter sein. Die Valt’s sahen es auch so an, das heißt, ein Jedes still für sich, denn davon zu sprechen, hatte Keins den Muth. Der Martin meinte aber in seinem Herzen, das Blindsein wäre nicht sein größtes Unglück. Die Kätter kam aber nun alle Tage, wenn sie nur los kommen konnte, zu Valt’s; sie half der Anne den Zweien die Zeit vertreiben und ging ihr an die Hand, als dächte sie, nun gehörte sie erst recht zu ihnen. Der Pfarrer kam auch noch öfter wie sonst.

Es hilft dem Menschen nichts, wenn es einmal ausgesprochen ist, so viel und mehr nicht ist Glück auf dein Theil gemessen, so muß er sich hinein finden, er darf nicht mehr verlangen; der Gehorsam muß ihn lehren, sich hinein ergeben; die Gewohnheit hilft ihm dazu. So ging’s bei Valt’s und es dauerte nicht gar lange, so vergingen ihnen die Tage schier wie sonst. Der Martin fing auch an, Mancherlei blind zu thun, was er sonst sehend gethan hatte; besonders schnitzte er Alles, was in’s Haus gebraucht wurde. Die Anne, der Pfarrer oder die Kätter lasen den Beiden viel vor. Es mußte gehen – und es ging.

An einem Sonntag Nachmittag, es war im Herbst, saß der Pfarrer in seiner Stube und las; da klopfte es leis an die Stubenthüre und auf sein „Herein!“ trat die Kätter ein. Sie hatte die Augen verschwollen, man sah’s, vom Weinen.

„Nun, Kätter, was bringst Du?“ sagte der Pfarrer so recht besonders freundlich, denn er hatte sie gern, und sah’s gleich, daß sie was drückte.

„Ach, Herr Pfarr,“ sagte das Mädchen, und es schoß wieder ein dicker Strom ihr aus den Augen, „ich kann, ach, ich kann nicht vom Martin lassen.“

Ueber das Gesicht des Pfarres flog es, wie wenn ein Sonnenstrahl darüber hingegangen wäre, und er sagte:

„Kannst nicht, Kätter, kannst wirklich nicht? Nun sieh, das freut mich herzlich, Kätter, denn jetzt thust Du dem Martin bei Weitem mehr Noth, als wie er gesund war; das freut mich, Kätter. Aber was sagt denn Dein Vater dazu?“

„Ach, das ist’s ja eben, der Vater will’s nicht haben, er spricht ich sollte keine Pflegerin sein und“ –

„Und es wäre genug an Blinden durch drei Geschlechter, nicht war, das spricht er?“ sagte der Pfarrer.

„Ja, das spricht er,“ nickte die Kätter leicht vor sich hin.

„Der Vater hat wohl recht, daß er so denkt, aber Du, Kätter, hast auch recht. Es muß ein Jedes von dem Fleck aus sehen, wo der liebe Gott ihn hingestellt hat. Geh’ Du jetzt nach wie vor zu Valt’s; ich will mit dem Vater sprechen.“

Die Kätter ging leichter vom Pfarrer heimwärts. Der Pfarrer aber hielt Wort und that sein Möglichstes beim Vater. Er hatte seine Hoffnung darauf gestellt, daß wenigstens, wenn der Martin einmal selbst Söhne hätte, sie vor dem Unglück ihrer Väter bewahrt bleiben könnten, weil der Arzt gesagt hatte, es hätte in der Jugend dagegen können gethan werden. Der alte Claus blieb aber fest und die Kätter ging herum, daß sie alle Leute dauerte. Aber sie hatte immer mit dem Pfarrer zu thun und der schrieb jetzt alle paar Tage nach Berlin. Kein Mensch wußte, was er nur dort zu thun hatte. Er war nun zwanzig Jahre im Dorf und hatte sein Lebtag nicht nach Berlin geschrieben. Aber man erfuhr’s bald.

Es war in der Mitte December Nachmittags. Alles war schon hart gefroren und es lag viel Schnee, da kam ein Schlitten zum Dorf herein gefahren. Ein freundlicher Herr, er mochte in den Vierzigen sein, mit einem Bedienten neben sich, saß darin. Sie waren in Pelze eingewickelt. Der Kutscher fragte nach dem Pfarrhaus und hielt davor an. Auf dem Dorfe machte so etwas Aufsehen und darum standen zugleich mit dem Schlitten auch schon mehrere Leute da und hörten’s mit an, wie der Herr Pfarrer, der gleich aus seiner Thüre stürzte, den Fremden mit „Herr Geheimer Rath“ betitulirte, und daß er eine rechte Freude hatte; denn sein [451] Gesicht lachte nur so vor purer, heller Freude. Der Kutscher mußte ausspannen und der Fremde mit dem Bedienten kehrte im Pfarrhof ein. Die Magd erzählte hinterher, sie hätte schon früh die Gaststube und die Kammer darneben herrichten müssen; der fremde Rath war also erwartet gewesen.

Bis er sich von der Kälte erholt und auch etwas Warmes zu sich genommen hatte, war’s dunkel geworden und die Kätter klopfte an die Stubenthüre. Sie sah leichenblaß aus, wie der Pfarrer zu dem fremden Rath sagte:

„Das ist die Katharine Clausin.“

Der Fremde nahm sie bei der Hand, sah ihr freundlich, aber ernst in die Augen und sagte:

„Unter Gottes Beistand wollen wir das Beste hoffen.“

Da stürzte ein Thränenstrom, den sie mit Gewalt zurück gehalten hatte, es war aber kein Haltens mehr, ihr aus den Augen und sie schluchzte und zitterte, daß ihr lang kein Wort über die Lippen ging. Die zwei Männer sahen sich auch nur stumm an. Nach einer Weile sagte der Pfarrer:

„Es ist nun die Zeit, wo ich jeden Abend zu Valt’s gehe; nimm Dich zusammen, Kätter, daß Du heut’ nicht auszubleiben brauchst. Es darf dort nicht geweint werden, nicht einmal die Stimme darf zittern, denn der Medicinalrath will dem Martin seine Augen heut’ schon beobachten und weder er noch der Alte darf es merken.“

Die Kätter wischte hurtig ihre Augen ab und nachdem sie eine Weile mit sich gekämpft hatte, trat sie vor die Beiden hin und sagte:

„An mir, da sei Gott vor, soll Keins was merken.“

Alle drei gingen zusammen fort, aber das Mädchen ließ die Andern doch eine große Weile voraus.

Valt’s waren gewaltig stolz darauf, wie der Herr Pfarrer ihnen sagte, sie sollten seinen Gast auch kennen lernen, darum käme er zu ihnen, wie jeden Abend. Der Herr Geheime Rath Welker sei ein alter Freund von ihm und auf einer Reise habe er ihn besucht.

Es wurde an dem Abend viel gesprochen und erzählt. Die beiden Herren machten einen Spaß nach dem andern. Dem Valt lachte das ganze Gesicht. „Gerade so hatte er’s gern.“ Die Kätter war unvermerkt auch gekommen und sprach zuerst heimlich mit der Anne in der Ofenecke. Zwischen durch, aber der Valt und sein Sohn konnten es nicht merken, trat der Fremde so nah an den Martin, als es ging, und sah ihm in die Augen. An seinem Gesicht war aber nichts zu sehen, was er drin gefunden. Einmal sah er auch in die vom Vater, aber nur einen Augenblick; er warf dem Pfarrer einen raschen Blick zu und schüttelte mit dem Kopfe und einer Hand, als wollte sagen: „Da ist kein Gedanke mehr daran.“

Nach ein paar Augenblicken ging es über das Gesicht von der Mutter wie ein Freudenstrahl. Die Anne war klug von Haus aus; aber alle Klugheit ist nichts dagegen, wenn die Mutterliebe den Blick schärft. „Wie der Fremde in die Augen vom Martin sah, da schüttelte er nicht mit Kopf und Hand“ — und die Anne war voll Hoffnung. Daß es für den Veit längst keine mehr gab, wußte sie ja lang.

Sie lag auch, nachdem Alle auseinander und zur Ruh’ gegangen waren, in ihrem Bett. Der Valt schlief schon lang neben ihr, aber sie fand keine Ruh! Sie setzte sich aufrecht und betete; sie legte sich und weinte und wieder betete sie, daß der Herr ihr gnädig sein möge. Endlich, wie immer keine Ruh’ über sie kommen wollte, stand sie auf, zog sich an und schlich die Bodentreppe hinauf. Dort schlief der Martin. Die Thür von seiner Kammer war nur angelehnt und sie ging hinein. Dort horchte sie nach dem ihres Sohnes hin. Da hoben sich die Athemzüge so leicht und gleich aus der Brust, daß sie wohl hörte, er schlief. Aber sie konnte es doch nicht lassen, sie ging bis dicht an das Bett heran, legte ihre beiden Hände darauf und sagte leise vor sich hin:

„Bleib’ bei uns. Herr Jesu Christ,
„Weil es nun Abend worden ist;
„In dieser letzten betrübten Zeit,
Verleih’ uns, Herr, Beständigkeit.

Nun war’s ihr leichter; sie ging aus der Kammer und so leise wie herauf, die Treppe wieder hinab, in ihr Bett zurück. Da krähte der Hahn im Stall und es schlug vier Uhr. Sie dankte Gott dafür, denn sie hatte gedacht, die Nacht nähme kein Ende. Vor Freude darüber merkte sie’s nicht, wie der Schlaf über sie kam, und wurde früh um sieben Uhr tüchtig ausgelacht, denn es war noch nicht da gewesen, daß es die „Mutter“ verschlafen hatte.

Es war noch nicht acht Uhr, da kam die Kätter und der Martin ging mit ihr in’s Pfarrhaus. Dem Alten sagten sie nichts davon; aber sie waren noch keine Stunde fort, so traten sie schon wieder bei den Eltern in die Stube. Die Anne sah’s im Augenblick, daß sie Gutes erfahren hatten. Hinter ihnen trat auch der Pfarrer herein. Ihm schimmerten Thränen in den Augen, aber die Anne wußte, daß es Freudenthränen waren, wie er ihr die Hand entgegen hielt. Er wollte sich sogleich neben den Valt setzen und ihm erzählen, welch’ ein Glück ihnen Allen verheißen sei, da wendete er sich selbst zu ihm, reichte ihm die Hände entgegen und sagte:

„Herr Pfarr, Sie brauchen mir nichts zu sagen, ich weiß, was Sie mir bringen; es ist der Sonnenschein für meinen Martin.“

Der Pfarrer und die drei Anderen sahen sich betroffen an und fanden nicht gleich Worte, da sagte der Valt und lächelte dazu, wie er’s manchmal that, wenn er einen Spaß machte, aber die Augen waren ihm roth dabei:

„Ja, ja, ich seh's schon eine ganze Weile mit an, was Ihr so klug gefabricirt habt. Weiß selber nicht, wie’s zuging, daß ich mir aus wie so viel winzig kleinen Sandkörnchen, die Ihr da oder dort habt fallen lassen, endlich in meinen Gedanken einen Tempel hab’ aufbauen können, in dem ich Gott für die Hoffnung danke, die er mir geschenkt hat. Aber nun weiß ich’s, nun ist’s gewiß, mein Martin wird wieder gesund.“

Er schluckte die Thränen hinab, die sich doch weiter heraufgedrängt hatten, als er sie sonst kommen ließ, wieder trat das Lächeln auf seine Lippen und mit dem Kopfe freundlich nickend sagte er:

„Ja, ja, könnt mir’s glauben, bin noch lang nicht so dumm, wie ich aussehe, werde auch so bald noch nicht dümmer; wenn ich auch mein Lebtag nichts mehr sehe.“

Halb mit Weinen und halb mit Lachen, wie’s der Alte selbst gethan, kam die Freude und Verwunderung der Anderen zu Tage. Der Pfarrer erzählte nun, daß der Arzt aus Berlin den Martin im Frühjahr operiren könne und gesagt habe, Mancher könne seiner gesunden Augen nicht so sicher sein, wie der Martin, daß er die seinigen wieder bekäme. Noch einmal blitzte im Gesicht vom Valt das närrische Lächeln auf und er sagte:

„Kätter, komm einmal zu mir.“ Und wie sie vor ihm stand, faßte er sie fest an der Hand: „Weißt Du’s nicht, Kätter, wie viel wohl so eine Reis’ von Berlin nach Heubach kostet?“

Das Mädchen wurde feuerroth und der Alte lachte, daß er sich schüttelte. Da trat der Pfarrer herzu und sagte:

„Valt, Ihr wißt wohl Alles?“

„Ja, Herr Pfarr, ich weiß Alles, aber der Martin weiß es nicht und dem muß ich’s sagen, daß das Mädchen ihre Granatschnur und ihren Henkelducaten und ihre Sparbüchs dran gewend’t hat, damit der Doctor aus Berlin herkäme.“

Der Martin streckte die eine Hand nach der Kätter aus, die andere hielt er vor seine Augen, da rief ihn der Alte zu sich:

„Reich mir Deine Hand, Martin, ich leg’ Dir was hinein, das sollst Du der Kätter schenken.“ Er that es und fühlte, die Andern sahen aber darin eine Granatschnur und einen Henkelducaten. Es waren der Kätter ihre. Der Alte aber klapperte mit einer blechernen Büchse und sagte:

„Davon kaufen wir eine Kuh, wenn Ihr beisammen seid. Der Martin muß sie aber selbst aussuchen.“

Wenn das Glück einkehrt, oder zwei Leute, die sich gern haben, zusammen kommen, gewöhnlich ist das einerlei, so hört das Erzählen auf. Bei Valt’s kehrte das Glück ein, mit ihm der Dank gegen Gott, der jedem Glück erst den Kranz aufsetzt. Der Geheime Rath Welker hatte selbst den alten Claus aufgesucht und er versprach, wenn der Martin curirt würde, wolle er nichts gegen die Heirath haben. Und der Martin wurde curirt.

Im April brachte ihn der Pfarrer Butzer nach Berlin und im Mai holte er ihn wieder ab. Sie kamen alle zwei auf dem Herrn Pfarrer seinem einspännigen „Wägele“ in Heubach an einem prächtigen Nachmittag angefahren. Die Sonne schien, die Vögel sangen, die Bäume standen in voller Blüthe und aus jedem Fenster, wo sie vorbeifuhren, lachte ihnen ein freundliches Gesicht entgegen, das aussah wie Willkomm!

[452] Vor dem Haus der Eltern auf der Bank saß der alte Valt, die Sonne schien auf seinen glänzenden Scheitel, denn er hielt seine Kappe zwischen seinen bebenden Händen. Daneben standen die Anne und die Kätter. Der Frühling der Freunde lag strahlend auf Aller Angesicht. Das Glück zog bei ihnen ein.

Wie der Martin an der Hand von seiner Mutter in die Stube eintreten wollte, sah er über dem Astloch in der Thüre mit blauen und rothen Buchstaben einen Spruch eingegraben; derweil er ihn sah, that er seine Kappe ab und faltete die Hände:

Bleib bei uns, Herr Jesu Christ,
Ob’s Abend, ob es Morgen ist.
Dein göttlich Wort, das helle Licht,
Laß ja bei uns verlöschen nicht.
In guter und in böser Zeit,
Verleih’ uns, Herr, Beständigkeit.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Hirnententzündung
  2. Vorlage: hahen