In einem chinesischen Theater

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Titel: In einem chinesischen Theater
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aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 183
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[183] In einem chinesischen Theater. Wir haben bereits früher behauptet, die Chinesen seien eine sachgebildete und die älteste Cultur-Nation. Daß sie deshalb auch Theater haben, versteht sich von selbst. Das Theaterwesen blüht dort in einer Breite und Volksthümlichkeit, wovon wir hier mit unsern stehenden Stadt- und Hoftheatern keine Ahnung haben. Theatergesellschaften von Profession und Liebhaber durchziehen das Land, stecken einige Pfähle in die Erde, nageln Bretter dran, behängen sie kostbar mit grell- und hellgefärbten Zeugen, und das Theater im Freien, mit stets freiem Entrée für die Armen, ist fertig. Ein französischer Marine-Officier, der ein solches Theater bei Canton besuchte, schildert es in folgender Weise.

„An dem Ende einer Straße bemerken wir einen ungeheuren Hof mit Pfählen und Brettern und dichtgedrängten Volksmassen, begrenzt von dem weiten Hafen und den Schiffen Cantons im Hintergrunde, hinter der Bühne. Wir sahen gleich, daß es nicht möglich sei, durch das dichtgedrängte Parterre (den Hof) einzudringen. Mein Begleiter war des Chinesischen so mächtig, daß er die Bewohner eines anliegenden Hauses überredete, uns für eine Kleinigkeit einzulassen. Von diesem Hause erreichten wir eine der Logenreihen, die in schwankenden Brettern an eingerammten Pfählen hingen, einige Bänke und einen hübschen Ueberblick.

„Das Theater war so eingerichtet. Eine länglich runde Einzäunung, umgeben von Logen und diese mit Gallerien bedeckt, nahm die zahlenden Zuschauer auf. Die Bühne, eine Reihe von Brettern, auf Stangen gebunden, so daß darunter noch freier Raum in den Hafen hinunter blieb, war mit hellgefärbtem Tuche bedeckt. Sie füllte einen Winke! des viereckigen Platzes und dehnte sich an der einen Seite bis nach dem Wasser aus. Hinten bildete ein Bretterverschlag von einem Hause zum andern den Abschluß. Nur ein einziges Thor in dem Bretterverschlage diente dem umsonst zugelaufenen Parterre-Publicum als Ein- und Ausgang. Als wir unsere Sitze erreicht hatten, war gerade Pause, die von einem Jongleur und seltsam rauschender Musik ausgefüllt ward. Ersterer kletterte eine Leiter so hinauf, daß er sich wie ein Strick zwischen den Sprossen hindurchflocht. Er sprang rückwärts über Stühle, kratzte sich mit den Zehen hinter den Ohren oder küßte seine Fußsohlen unten im Stehen u. s. w. Dies hatte nicht viel Reiz für mich. Deshalb erwiderte ich die ungeheuere Aufmerksamkeit, die uns einzigen Europäern unter den gelben, schlitzäugigen Tausenden geschenkt ward, durch emsiges Studium dieser Scene vor der Bühne. Als Franzose bemerkte ich natürlich unter diesen gravitätischen, zahllosen chinesischen Häuptern, mit konischen Hüten oder Lederkappen bedeckt, einige wunderschöne Exemplare des weiblichen Geschlechts mit glänzend aufgethürmtem Haarputz, Blumen und goldenen Nadeln, die gar reizend gegen den schwarzen Glanz ihrer Flechten und Touren abstachen. Vornehme Damen besuchen keine öffentlichen Plätze, aber diese erschienen mir, wenn nicht vornehm und kostbar, doch sehr nett und sorgfältig gekleidet. Ihre Füßchen waren die kleinsten von der Welt, aber nicht verschnürt und verkrüppelt, wie bei den vornehmen Damen. Dabei glänzten ihre kleinen, an beiden Seiten der Nase gleichsam herunterhängenden Schlitzaugen so schelmisch, daß ich in Gefahr kam, mich in alle zu verlieben. Besonders anziehend erschienen mir drei junge Mädchen in der einen Ecke. Deren Beschützer oder Liebhaber schienen dies zu merken und zeigten daher nicht undeutliche Besorgniß, daß wir uns ihnen nähern würden. Sie selbst schienen Gefallen an unserer Aufmerksamkeit zu finden und knusperten ihre Früchte und Zuckersachen, die ihnen die Beschützer von umherwandelnden Hökern erstanden, mit ganz anmuthiger Koketterie. So knusperten auch viele ehrwürdige Männer. Andere rauchten aus ihren kleinen Metallpfeifen mit ganz kleinen Köpfchen, in welchen nur drei ordentliche Züge Tabak Platz finden, so daß der dabei stehende Bediente immer wieder zu stopfen und anzubrennen hat.

„Das Theater-Publicum interessirte uns sehr, besonders aber das Parterre. Man denke sich einige Tausend gelbe Chinesen, größentheils nackend bis an die Taille, (um die Kleider nicht zu zerscheuern) ihre langen, schwarzen Zöpfe um den Hals gewickelt, um sie im Gedränge zu schonen, ein dichtes Meer geschorner Köpfe mit dem schwarzen Zopfflecken, sich drängend und quetschend und wogend – ein einziger ungeheuerer Block von Menschen, alle von derselben Farbe und Form und Physiognomie, wie ein durch Multiplicationsgläser unendlich vermehrter und wiederholter Kopf, jetzt ruhig, jetzt aufkreischend in Gelächter oder Entrüstung, jetzt still stehend, dann wogend und schiebend wie ein lebendiges Ungeheuer, vorwärts, rückwärts, wieder vorwärts, so daß die ganz vorn am Bühnengerüste Festgeklammerten losgequetscht und in das Wasser hinunter geschoben werden oder unter der Bühne stehen bleiben und vergebens versuchen mußten, durch die Bretter über sich zu sehen! Ach und diese unzähligen Massen von Plattnasen und lachenden Schlitzaugen, die bei jedem besonderen Vorfalle oder merkwürdigen Ereignisse auf der Bühne auf uns gerichtet waren, zu sehen, was wir dazu für Gesichter machen würden!

„Und was machte das Spiel für’n Eindruck auf uns? Nicht der Rede werth, denn ich verstand wenig oder gar nichts davon, so daß ich mich nur an die Mienen der Mimen und deren Kostüme halten konnte. Diese waren mir allerdings seltsam genug. Nachdem der Jongleur den Zwischenact ausgefüllt hatte, schritten drei kostbar gekleidete Personen in langen Roben und schrecklich buntgestreiften Gesichtern hervor. Der eine trägt zwei Federn in Hörnerform auf dem Hute. Er setzt sich an einen Tisch, während sich die Bühne mit Staatsministern, Gelehrten, Mandarinen. Richtern u. s. w. füllt, die sich in zwei Reihen aufstellen. Die reichen, kostbaren, mit Gold und Silber besternten Roben, die schweren Flügel an Kopfbedeckungen, diese Flaggen und Wimpeln, die um die meisten Personen herumflattern, und besonders die schwarzen, weißen, rothen und gelben Streifen in den Gesichtern erinnerten mich an alte chinesische Gemälde. Ich erfuhr dann auch, daß diese Costüme und Gesichtsmalereien ganz getreue Copie uralter chinesischer Trachten und Sitten des Hofes seien. Die streifige Schmiere in den Gesichtern verrieth je nach Fülle und Reihenfolge der Farben die verschiedenen Hof- und Beamtenwürden, so daß man es tatsächlich Jedem an der Nase ansehen konnte, ob er wirklicher oder unwirklicher Geheimerath und dergleichen war.

„Die an dem Tische sitzende Majestät schien eine Untersuchung über einen seiner Beamten zu führen und ihn dann anzuklagen. Der Angeklagte, schwarz gekleidet, also ein Gelehrter, verließ sofort seinen Platz, warf sich vor der Majestät auf den Boden und murmelte und heulte steinerweichend, aber nicht um seinen Kopf, den er heulend wiederholt gegen die Bretter stieß. Der Kaiser und Richter aber blieb gegen diese ernstlichen Versuche des Gelehrten, sich den Kopf zu zerbrechen, ein ganzer Richter und unbeugsam. Feierlich und steinern fällte er seinen Strafspruch, zu welchem die Umstehenden wiederholt einen scharfen, kurzen Schrei des Uebereinstimmens ausstießen. Nachdem das Urtheil gefällt war, stürzte sich kreischend und jammernd ein Weib (von einem Jungen gespielt, da Frauen, wie ich hörte, die Bühne nicht betreten) herein und dem Kaiser zu Füßen, aber vergebens sucht sie, ehe der Act endet, die harten Richter zu erweichen. Jedenfalls ist’s ihr in den folgenden gelungen. Ich wartete diese nicht ab, da mich die Pflicht auf mein Schiff zurückrief.

„Das Stück gefiel dem Publicum über die Maßen. Der Beifall war häufig, stürmisch und allgemein und überkreischte sehr oft die dazwischen einfallende gräßlichste aller Musiken auf metallenen Trommeln, Tam-Tams, Gongs und wie die schrecklichen Ohrmarterinstrumente sonst heißen.

„Was aber meine sonst nicht eben schwachen Nerven am meisten angriff, war die Mimik der teufelisch bemalten Schauspieler. Zu ihren kreischenden,