In der wilden Gerlos im Zillerthale

Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: In der wilden Gerlos im Zillerthale
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 16, S. 276
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[265]

In der wilden Gerlos im Zillerthale.
Nach einer Skizze von Rob. Zander, auf Holz gezeichnet von Richard Püttner.

[276] In der wilden Gerlos im Zillerthale. (Mit Abbildung S. 265.) Unter allen Eisenbahnstationen der Nordtyroler Bahn, auf der Route zwischen Kufstein und Innsbruck, hat der Ort Jenbach eine beneidenswerth schöne Lage. Auf halbem Wege der gedachten Strecke im reizenden Innthale findet der Tourist, mag er in die rechts- oder linksseitige Thalwand eindringen, an der Bergbahn hingegossen, landschaftliche Perlen, denen nicht leicht Gleiches zur Seite zu stellen ist. Zwei Stunden im Gebirge droben, nach Baierns Grenze zu, thront im wildromantischen Felsenkessel der unvergleichliche Achensee, während die gegenüberliegende Thalwand den Eingang zu dem trautesten Bergwinkel Tyrols, dem Zillerthal, umschließt. Vom Achensee herab hatte mich der Weg nach Jenbach zurückgeführt. Die heiße Mittagssonne dunstete auf den gegenüberliegenden Bergschroffen, während ich Kühlung im Schatten der von wilden Weinreben umrankten Veranda suchte. Ausgesprochen seltene Formen und Farben boten die Bergstürze an den drüben befindlichen Gehängen dem Auge dar; so plastisch gehoben von der dunkeln Einrahmung der üppig wuchernden Reben, daß man versucht sein könnte, in diesem Eingang zum Zillerthale eine glänzende Theaterdecoration zu sehen. Solchem Zauber von Sonnenschein und Naturbildung vermochte ich nicht zu widerstehen. Ich betrat das Thal, eine Urtype der Idylle, in seinem dem Inn zugekehrten Theile. Hier könnte man wohl glauben, die Scheitel der Berge und Felsen, welche man mit seinem Auge erreicht, zeigen die volle Höhe des Gebirges an. Oben aber, auf diesen riesigen Gestellen, breiten sich Hochebenen mit Wiesen, Gärten, schönen Dörfern und Weilern aus, rinnen Bäche und Quellen, und darüber, weit hinauf, ragen schimmernde Eishörner und Spitzen, um welche sich blumenreiche Alpentriften, sonnige Matten, tiefdunkle Wälder herumziehen. Das ist das Zillerthal. Hier hängen von den Bergen Thäler an Thäler nieder, ein ununterbrochenes Auen- und Triftennetz von der Eisregion bis zur farbigen Thalebene des Inn hinunter.

Das obere Zillerthal, welches in mehr als einem Dutzend solcher Zweigthäler verläuft, die sämmtlich ihren Anfang auf dem Hauptkamme der norischen Alpen finden, zeigt durchgehend den jähen, unwirthlich rauhen, aber auch malerisch großartigen Charakter einer wilden Hochgebirgs-und zerrissenen Gletscherwelt. Zehn- bis elftausend Fuß hoch aufgethürmte Eisspitzen schließen den ohnedies engen Horizont des Quellengebietes in steilen Linien ab. Unter diesen Thälern dürften die malerisch bedeutendsten das im Westen gelegene „Duxer“- und das östlichste, das „wilde Gerlosthal“ sein. Bei diesem concentriren sich mehr als eine Quadratmeile Fläche von Gletschern des Reichen-, wilden Gerlos- und Weikarlspitz, der Zillerplatten und andere und senden in jähen Fällen ihre überreichen Gewässer dem Hauptfluß des Thales, der Ziller, zu. Die Gewände der schroffen Gerlosschlucht sind mit Felsblöcken im dichten Waldesschmuck übersäet; rauhe eisgekrönte Felsenkare bilden den südöstlichen Hintergrund. Hier befindet sich auch der Aufstieg zu den Platten, jenem renommirten und den Touristen wohlbekannten Gebirgspasse, der hinüber in das Pinzgau zu den mächtigsten deutschen Wasserfällen der Krimler Ache führt. Unsere Abbildung zeigt einen jener malerischen Uebergänge, in denen die Menschenhand der Ungunst der Natur ein bescheidenes Plätzchen streitig gemacht und für Passagezwecke erobert hat. Der religiös-bigotte Sinn der Bewohner Tyrols hat es immer instinctiv verstanden, den von der Natur bevorzugten Stellen durch Aufstellung von Betcapellen oder Heiligenbildern einen romantischen Beigeschmack zu geben, und so finden wir denn auch hier neben dem alten baufälligen Brückengange über die tosende wilde Gerlos die unvermeidliche Betstation. Sie ist in der Form eines Golgathas für jene Gemüther hergerichtet, denen die Erhabenheit der Natur an sich nicht ausreichenden Trost gewährt.