In der Sommerfrische (Die Gartenlaube 1883)

Textdaten
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Titel: In der Sommerfrische
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aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 400–402
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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In der Sommerfrische.

Der Tag ist bereits erschienen, an dem die Sonne in das Zeichen des Krebses getreten ist und den Anfang des Sommers verkündet hat.

Das wohlbekannte reactionäre Wahrzeichen in dem himmlischen Thierkreise scheint zu dieser Zeit auch auf die Menschheit zu wirken und ruft alljährlich eine kleine rückschrittliche Bewegung im Leben der Völker hervor. Die Cultur des neunzehnten Jahrhunderts ist unter Anderem auch dadurch besonders charakteristisch, daß sie die großen Städte ungeahnt schnell wachsen läßt und das platte Land entvölkert. Nur im Beginn des Sommers wird ihr Lauf geändert, auf wenige Wochen entvölkern sich die Städte, eine Völkerwanderung in entgegengesetzter Richtung greift um sich, aus der Gassen bedrückender Enge fliehen Tausende in Gottes freie Natur. Doch diesem Siege des Krebszeichens werden keine Thränen nachgeweint, jubelnd vielmehr begrüßt ihn die Menschheit, denn das ist wahrlich eine „gesunde Reaction“, deren Zeugen wir werden.

Und welche Ziele hat sich dieser buntgemischte Menschenschwarm gesteckt?

Die vornehmsten unter diesen Reiselustigen sind ohne Zweifel die Touristen von Fach. Sie führen sich manchmal sogar als „Weltbummler“ auf, und ihr Reisedrang ist erst dann befriedigt, wenn sie rund um die Erde gesegelt und gefahren sind. Doch mit ihnen können wir uns hier nicht befassen, ihnen genügt nicht ein Sommer zur Ausführung ihrer Pläne. Die übrigen Touristen suchen mit Vorliebe das Hochgebirge auf, die Alpen und die Karpathen sind das Ziel ihrer Wünsche, wo sie auf den höchsten Gipfeln ihre Fahnen aufpflanzen. Die Zahl dieser Herren ist größer, als man gewöhnlich denkt; belehrt uns doch die Statistik, daß allein die deutschen Touristenvereine über 40,000 Mitglieder zählen.

Einem anderen Ziele streben diejenigen entgegen, die aus gesundheitlichen oder Mode-Rücksichten die zahlreichen Orte aufsuchen, an welchen aus den Spalten und Klüften der Erde heilende [401] Quellen springen oder an denen die brandende See ihre Wogen bricht. Das sind die Badereisenden aus Noth und Lust, und ihre Zahl ist noch gewaltiger. Mustern wir nur flüchtig die Curlisten der verschiedensten Bäder unseres Vaterlandes, die Summe der Curgäste wird sich wohl auf Hunderttausende belaufen.

In der Sommerfrische.
Nach dem Oelgemälde von H. Heim.

Aber weit größer ist noch die Schaar Derjenigen, die einfach der Stadt den Rücken kehren, um lediglich in frischer Waldluft Erholung von den Strapazen der Arbeit zu suchen. Das sind Sommerfrischler, über welche uns keine Statistik vorliegt, die aber, wie Jeder es aus eigener Erfahrung weiß, sich in dem Zeitalter [402] der billigen Eisenbahnfahrten vermehren wie Sand am Meere und Sterne am Himmel.

Der Tourist pflegt mit einem ganzen Apparate an Hülfsmitteln zu reisen, er führt den Rucksack, den Eispickel, die Schneekamaschen u. dergl. mit sich; der Badereisende gelangt unter ärztliche Obhut und muß nach strengen Vorschriften seine Lebensweise regeln; nur der Sommerfrischler rückt ohne bestimmte Ordre in’s Feld. Er ist an keine Rücksichten gebunden und freut sich seiner Freiheit.

Und doch sollte gerade er nicht vergessen, daß auch das Leben in der Sommerfrische so eingerichtet werden muß, daß er auch wirklich den Zweck der Reise erreicht, den Körper von Neuem stärkt und die etwas getrübte Geistesfrische wiedererlangt. Die Sache ist an und für sich so einfach, daß die Meisten den richtigen Weg instinctmäßig finden. Wer aber öfters Sommerfrischen besucht hat, der weiß auch, daß es leider gar viele Ausnahmen von dieser Regel giebt, und an diese ohne ihr Wissen Fehlenden mögen unsere Worte gerichtet sein.

Da sehen wir zunächst Familien, die gleich bei der Wahl des Ortes schwere Fehler begehen. Die Reise wird namentlich wegen der Frau und der Kinder unternommen. „Wohin wenden wir uns?“ wird im Familienrathe gefragt. „Doch nicht in ein kleines Gebirgsnest,“ lautet die gedrückte Antwort. „Dort fehlt es an allem Comfort, dort wird das Essen auch nicht gut sein.“ „Aber in ein Bad brauchen wir nicht zu reisen,“ erhebt sich von anderer Seite der Einwand. „Die Bäder sind theuer, und wir können unsern Zweck mit billigeren Mitteln erreichen.“ – „Ja, an ein renommirtes, großes Bad denke ich auch nicht,“ entgegnet die lebenslustige Hauspartei. „Es giebt aber so viel Orte, die gerade ein Mittelding zwischen einem Bade und einer Sommerfrische bilden, wo auch die Gegend schön ist und alle Bequemlichkeiten der großen Stadt nicht fehlen. Ein solcher Ort wäre für uns wie geschaffen.“

Und diese Partei siegt. Man fährt in irgend einen Ort, der womöglich das Rendez-vous der fashionablen Welt bildet, der nicht durch seine Bade-Anstalten, sondern lediglich durch den mehr oder weniger großen Comfort seiner Einrichtungen berühmt ist. Die lebenslustige Partei des Hauses amüsirt sich und sieht nicht die Schattenseiten eines derartigen Aufenthaltes. Man sollte denken, daß für die Kinder vor allem ein ungebundenes freies Austummeln in Wald und Flur nöthig wäre. In dem gewählten Orte geht aber dies nicht gut an. Es schickt sich nicht, daß die Kinder frei umherlaufen, Hans darf nicht etwa einmal mit zerrissener Hose heimkehren, und Gretchen muß hübsch manierlich und gemessen spazieren gehen, das verlangt man von einem Mädchen. Nur den allerkleinsten Familienmitgliedern, die noch im Sande spielen, bleibt ihr Vergnügen unbenommen, sonst ist dieser Sommeraufenthalt für Mama und die anderen Kinder weiter nichts, als eine forcirte Toiletten-Parade.

Schließlich kommt die Familie müde und abgespannt von der Reise wieder, und nun heißt es: „Gott sei Dank, daß wir wieder da sind! Wie schön ist es doch daheim!“

Ja, warum hat der verehrliche Familienrath nicht einen anderen Beschluß gefaßt? Warum zog man nicht in eine Sommerfrische, in welcher Familien ihren Wohnsitz aufgeschlagen haben, welche auf den „Staat“ wenig achten und nur vernünftiger Weise ihren Kindern und ihrer Gesundheit leben? Hans hätte mehr gesehen und wäre kräftiger bei guter gesunder Hausmannskost geworden, Gretchen hätte wohl ein blühenderes Gesichtchen heimgebracht, und Mutter und Vater hätten im Schooße der Familie die wahre, einzige Erholung gefunden, welcher sie bedürfen.

Wir haben im Leben hundert Mal diesen Fehler begehen sehen, und sind da nicht die Worte berechtigt:

Junge Mütter, die ihr in der Gesellschaft noch glänzen wollt, spart die Toilette für den Winter in der Stadt auf, dort im Theater, auf den Bällen und in Concerten bringt der Mode Opfer. Wenn ihr aber die Stadt verlassen habt, um in freier Natur Erfrischung und Neubelebung zu suchen, so werfet alles Gekünstelte und Gemachte von euch ab und lebt naturgemäß und ungebunden. Ihr gebt etwas auf den Schein. So bedenkt, daß keine Anmuth reizender erscheint als die, welche uns das freie natürliche Leben verleiht.

Hat man wirklich die echte und rechte Sommerfrische gewählt, so ergiebt sich der naturgemäße Lebenswandel von selbst. Trotzdem aber wollen wir an dieser Stelle einige Rathschläge für den Sommerfrischler im Gebirge ertheilen, die wir dem anerkennenswerthen Büchlein „Handbuch des alpinen Sport“ von Julius Meurer entlehnen:

Der Sommerfrischler soll früh aufstehen und sieben Uhr als die späteste Stunde der Reveille annehmen, so schnell als möglich soll er hinaus in’s Freie eilen, denn die würzige balsamische Luft des frühen Morgens ist das köstlichste Heilmittel für einen geschwächten, gestörten Organismus, und für zerrüttete und irritirte Nerven giebt es schwerlich ein stärkenderes, kräftigenderes Mittel als solche frische freie Morgenluft im Hochgebirge. Befindet man sich an einem See, so soll man für den Morgenspaziergang die Nähe des Sees meiden und aufwärts, womöglich etwas abseit des Sees, mehr der Höhe zueilen, um über jene feuchte Dunst- und Nebelschicht, die sich Morgens stets über jeden See ausbreitet, zu kommen. Nach einem Spaziergange von ein bis zwei Stunden, je nach der Individualität, kehre man nach Haus zurück – ein frugales zweites Frühstück wird jetzt schon ganz willkommen sein. Gegen elf Uhr unternehme man eine kleine Promenade und zwar entgegen dem Morgenspaziergange, der stets in lebhaftem energischem Schritte ausgeführt werden sollte, gehe man gegen Mittag ganz con amore, sozusagen bummelnd, am besten im Walde auf und ab. Die Sonne steht jetzt im Zenith und die harzige Atmosphäre der Nadelwälder kommt alsdann am besten zur Geltung, und auch diese ist ja von so vorzüglichem Einflusse auf den Organismus; ohne echauffirt zu sein, wird man somit zwischen 12 und 1 Uhr zum Speisen gehen und gewiß eines guten Appetits nicht ermangeln.

Nach dem Speisen halte man getrost die beliebte Siesta, am besten im schattigen Waldesdunkel, nach Belieben aber auch im Zimmer. Um 3 Uhr aber möge man wieder zu einem tüchtigen Spaziergange bereit sein.

Hat man nun Nachmittags einen mehrstündigen tüchtigen Spaziergang gemacht, dann verbringe man den Abend nach Belieben; ist man frühzeitig aufgestanden und hat man sich durch die verschiedenen Spaziergänge jene wohlthätige körperliche Ermüdung geholt, so wird man ohnehin das Lager nicht allzu spät aufsuchen, und der Schlaf wird dann auch nicht auf sich warten lassen.

Correspondenz, Romane lesen und dergleichen wichtige oder unwichtige Dinge verschiebe man getrost auf die Regentage, die ja leider niemals ausbleiben. Die schönen sonnigen Tage aber nütze man in oben angedeuteter Weise aus, und ein so verbrachter Aufenthalt von drei, vier, fünf oder mehr Wochen in hoher Gebirgsluft wird ganz bestimmt nicht allein von den wohlthätigsten Folgen begleitet sein, sondern auch noch herrlichen und reichlichen Genuß bieten.

Daß er möglichst vielen unserer Leser zu Theil werde, das wünschen wir ihnen von Herzen am heurigen Sonnenwendtage.