In der Gletscherspalte
Am 23. September vorigen Jahres, Nachmittags halb vier Uhr, fuhr ich von Innsbruck mit der Brennerbahn nach Patsch, der ersten bergaufwärts gelegenen Station, von wo man ins Stubaythal kommt. Mein Plan war, über das Hochjoch nach Meran zu gehen und so zugleich den Oetzthalern einen Besuch abzustatten; um aber zu ihnen zu gelangen, wählte ich einen Weg, der auf der Landkarte sehr kurz aussieht und für den Freund des Gebirges vor der ermüdenden Thalwanderung den Vorzug besitzt, daß er ihn ebenfalls über den Scheitel eines großen Gebirgstockes hinüberführt, über die Stubayer Alpen. Der Paß heißt „das Bildstöckel“, seine Endpunkte sind im Stubay Ranalt, im Oetzthale Sölden.
Während ich von dem einsam an der Felswand gelegenen Stationshause hinunterstieg zur brausenden Sill, holte ich einen Herrn ein, der denselben Weg verfolgte, und wir gingen eine Strecke zusammen. Er war Professor in Innsbruck und wußte in der Gegend Bescheid.
„Wenn Sie über das Bildstöckel gehen wollen,“ sagte er, „so rathe ich Ihnen, den Anderl Pfurtscheller aus Ranalt zum Führer zu nehmen. Er ist zwar noch jung, aber tüchtig und gewandt. Ranalt können Sie, als guter Fußgänger, heute noch erreichen.“
Ich folgte dem wohlgemeinten Rathe und ahnte dabei freilich nicht, welche mühselige und beschwerliche Wanderung mir auf den unbekannten Wegen durch Nacht und Finsterniß noch bevorstehe. Zwar durch das weite dorfübersäete Stubaythal war es noch angenehm zu wandern; dann aber brach das Dunkel herein und es galt, mit unsäglicher Anstrengung fast für jeden Schritt den Pfad über Berg und Thal, durch Wälder und Wiesen, über Felsen und Steingeröll, ja selbst durch Wasser und Wellen hindurch zu suchen. Und dazu, nachdem ich einmal Neustift passirt hatte, keine menschliche Seele, die mir einen Fingerzeig in dieser Wildniß hätte geben können. Aber der Himmel meinte es gut mit mir. Spät in der Nacht, wenn auch ermüdet und halb verhungert, kam ich nach Ranalt und zu dem so heiß ersehnten Wirthshaus.
Nach einigem Suchen hatte ich das Glück, den richtigen Eingang zu finden und durch Klopfen und Rufen den Vater Pfurtscheller zu erwecken. Er ließ mich über die niedrige Gallerie ins Haus treten und räumte alsdann den Schauplatz dem Dienstmädchen. Bald saß ich unten im Gastzimmer bei einem Schoppen Wein, vor mir lag Amthor’s Alpenfreund, den ich mit andern Schätzen auf dem Bücherbrett gefunden hatte. Daneben sah ich mit Vergnügen dem Mädchen zu, welches hin und wieder ging und mir den Tisch deckte; und im Stillen stellte ich mir die Frage, wie solch eine liebliche Erscheinung in diese Wildniß käme. Sie trug das volle schwarze Haar in Flechten um den Kopf gewunden und hatte große, sanfte Augen wie die Madonnen Murillo’s. Und ihr Name war: Philomene. Als sie die Reste der Mahlzeit fortgeräumt hatte, fragte ich nach Anderl.
„Der schläft schon,“ antwortete sie, „aber ich will ihn gleich rufen. Er liegt oben im Heu.“
Bald stand der Gesuchte vor mir, und als ich ihn sah, da sagte ich mir, daß mein Rathgeber mir gut gerathen hätte: es war ein junger Athlet, kräftig und gewandt in seiner Haltung, voll Entschlossenheit im Ausdruck, wie von der Natur zu kühnen und großen Thaten erschaffen. In der Hauptsache waren wir schon einig, nämlich, daß er mich über das Bildstöckel nach Sölden führen sollte; aber Vormittag, meinte er, könne er mich noch nicht begleiten, da habe er einen Gang in die Nähe zu thun. „Bleiben Sie morgen bei uns,“ sagte er, „es wird Sie nicht gereuen. Sie steigen auf die Pfandleralpe, da giebt es eine schöne Aussicht. Nach Mittag bin ich zurück, dann gehen wir noch zwei Stunden bis zur Mutternberger Alp und bleiben dort die Nacht. So kommen wir am Morgen früh mit frischen Kräften an den Gletscher.“
Sein Vorschlag ward angenommen; das Nest, in dem ich saß, war behaglich; auch dem Wetter konnte, damit es sich vollends klärte, eine Tagesfrist nicht schaden. – Philomene zeigte mir mein Zimmer, es war ganz von rohem Holz, aber sauber und nett, und als die Uhr elf schlug, lag das ganze Haus wieder in tiefem Schlaf und ich selbst auch. Am folgenden Morgen durfte ich ausschlafen und that es. Dann trank ich in Ruhe meinen Kaffee, bestellte bei Philomene ein solennes Mittagsmahl, um mich für die zu erwartenden Strapazen zu stärken, und stieg auf die Pfandleralp, die denn auch wirklich hielt, was Anderl von ihr versprochen hatte. Philomene’s Mittagsessen nachher däuchte mir mit seiner Suppe, den Backhändlen und dem Kaiserschmarren königlich, und so konnte ich denn freudigen Muthes zuschauen, als gegen Abend Anderl erschien und den Fouragesack zurecht machte; zwei Flaschen Wein kamen hinein, ein Fläschchen Kirschwasser, Brod, Speck, das Seil, außerdem mein Tornister mit Allem, was er enthielt; und nun sagten wir Lebewohl und gingen in den Abend hinein immer durch den Lärchenwald fort. Nach einer Weile rückten die Berge von beiden Seiten nahe zusammen und bildeten eine Enge, durch die wir den Fluß entlang aufwärts gingen. Auf den Höhen lagen dunkle Nebel, in denen der Sturm wühlte. Eine Minute lang ward in der tiefen Dämmerung ein weißes Firnfeld im Gebiet des Lisenzer Ferners sichtbar, dann senkte sich eine Wolke darüber. Nun wurde es finstere Nacht, wir schritten tüchtig zu und mußten auf den Weg achten, der voller spitzen Steine war.
Eine kleine Stunde später erreichten wir die Alp, einen Complex von Hütten, Ställen und Heuschobern, und traten bei den Sennen ein. Man muß selbst einmal bei dem gastlichen Völkchen Einkehr gefunden haben, um zu wissen, wie gemüthlich sich’s nach ermüdender Tageswanderung beim hellen Feuer sitzt. Draußen im Finstern rauscht der Bach und geht der Wind, hin und wieder tönt eine Schelle; hier innen kreist der Tabaksbeutel und der Kienspahn, der die Pfeife in Brand erhält. Man nimmt an der Unterhaltung Theil, soweit die Sprache, in der sie geführt wird, dies gestattet, oder sieht in die Gluth und hängt seinen Gedanken nach.
Das Gespräch drehte sich um die bevorstehende Thalfahrt und um die heurige Gemsjagd. Einer der Sennen war heute am Sonntag bis Vulpmes hinuntergegangen und hat einen ganzen Sack voll Neuigkeiten mitgebracht; so bleiben denn auch die Tagesfragen der hohen Politik in diesem Kreise nicht unerörtert. Dabei werden Geschichten mit herangezogen von großen Gemsjägern und Wilderern, von Schmugglern und kühnen Bergsteigern.
Die Uhr ist halb acht, die Sennen waren zum Milchen gegangen und kehren mit halbgefüllten Kübeln aus dem Stall zurück – bei der kargen Weide wird der Milchertrag zusehends geringer. Der Milcher schickt sich an, das Abendessen zu bereiten. Ueber des Feuers Gluth werden Butter und Mehl unter beständigem Umrühren in eiserner Pfanne gepaart; widerwillig treten die Elemente zusammen. Wenn es recht qualmt und zischt, gießt er frische Milch darüber, die den Aufruhr besänftigt; zum Schluß brockt er dann noch Brod hinein – und das Gericht ist fertig. Nun holt jeder der Sennen seinen Löffel hervor; über der Thür, im Holz, über der Feuerung, am Fenster, hinter dem Wasserfaß – überall giebt es die schönsten Verstecke, wo man ihn aufbewahren kann, und nun findet im Nebenstübchen beim Scheine eines Lämpchens die einfache Mahlzeit statt, vorher eine lange Andacht, hinterher ein kurzes Gebet.
Nachdem die Sennen versorgt sind, kommen die Gäste an die Reihe, eine Holzschüssel voll warmer Milch für Jeden macht gesunden Schlaf und giebt für morgen Kräfte.
Noch einmal schließt sich der Kreis um’s Feuer, und der Kienspahn entzündet wiederum die Pfeifen. Aber das Gespräch will nicht mehr fließen und bald kommt in Betracht, daß man morgen zeitig aufbrechen müsse und vorher verpflichtet sei, auszuschlafen. Einer nimmt ein Licht und geht voran, draußen ist es sehr dunkel und windstill, so daß die Flamme ruhig brennt. Am Stall führt eine schmale Stiege zum Heuboden empor, Einer nach dem Andern steigt hinan. Vorne schlafen die Sennen, die Gäste wühlen sich hinten ihr Lager zurecht; Jeder erhält eine wollene Decke. Das Heu ist alt und geruchlos, entwickelt aber, sowie man daran rührt, einen dicken Staub. Die Decke dient als Unterlage, das Plaid zum Zudecken; auf die Füße kommt noch ein Bund Heu, um den Kopf ein Taschentuch – und das schönste Lager ist fertig. Dann wird das Licht gelöscht und die Nachtruhe beginnt. Unter uns im Stalle stand eine Kuh und einige Ziegen, die Glocke [62] der Kuh begleitete mit tactmäßigem Klingen das Geschäft des Wiederkäuens, dabei schlief sich’s leicht und sicher ein. Plötzlich aber mußte eine Ziege sich mit dem Hinterfuß am Ohre kratzen, so daß ihre Schelle laut rasselte.
Anderl, der sich schon in sanften Träumen wiegen mochte, wurde durch das Getöse unsanft gestört und erhob flehend seine Stimme:
„Kaaschpar – Kaaschpar – die Goas schelleret underzu.“
Kaspar erwiderte ihm ein paar tröstliche Worte, und unsere Nachtruhe wurde nicht weiter unterbrochen.
Am frühen Morgen weckte mich Anderl und machte mit einem Streichholz Licht, wir standen auf und verließen den Heuboden. In der Hütte saß schon der Milcher am Feuer und wärmte für uns die Milch. Nachdem das Frühstück verzehrt und die Zeche in Ordnung gebracht war, gingen wir fort, dem Morgen entgegen.
Der Himmel über uns war klar, die Nacht schwand; beim Morgengrauen stiegen wir durch Wachholder- und Alpenrosengebüsch an der Thalwand empor, über der uns schneeige Gipfel winkten. Am Himmel und um uns her herrschte Dämmerung, das Thal blieb in Dunkelheit liegen.
Nachdem wir die erste Bergstufe erstiegen, machten wir auf einer großen Gneißplatte eine Minute Rast; ringsumher standen einzelne verwetterte Arven, die letzten Waldbäume inmitten einer Vegetation von Knieholz und Sträuchern. Weiter empor ging es über eine hügelige Grasfläche, das Gras war braun und starr von Frost; hinter uns wogte schon der Nebel über unsere Steinplatte. Ein eisiger Wind blies uns entgegen und drückte den Nebel zu Thal, vor uns lag der Gletscher, ein weißes Gebirge auf dem Gebirge. Er trat in zwei Armen zu beiden Seiten eines Felsstockes hervor, der sich wie ein Keil in die Eismasse hineindrängte.
Hinter einem Granitwürfel, so groß wie ein Haus, machten wir wiederum Rast und nahmen, vor dem Winde geschützt, Speise und Trank zu uns. Die ersten Strahlen der Sonne drangen über den Berg und beschienen uns matt und winterlich. Dann ging es wieder vorwärts, wir stiegen an dem Felsstock empor, aus dessen Spalten mir Anderl mit dem Stock prächtige Speikpflanzen losmachte, und betraten den Gletscher zur Rechten. Das Gehen auf der glatten Eisfläche war anfangs mühsam und beschwerlich, wegen der starken Neigung des Gletschers, man mußte auf die Steine zu treten suchen, die im Eise steckten; bald aber wurde die Neigung geringer, die Fläche ebener, und der Tritt sicherer. Zudem stellte sich eine Rinde von jungem Schnee ein, der hart gefroren war und das Ausgleiten verhinderte. Das war eine sehr zweideutige Zugabe zu unserer Partie; vorläufig war seine Masse nur gering, aber je weiter wir kamen, desto mehr nahm sie zu und verdeckte die Spalten.
Wir gingen wie mitten im Winter, rings umher die weite weiße Fläche, umgeben von todten Felsen. Im Thale, das wir verlassen hatten, lag eine feste Wolkenschicht, darüber zogen in langen Reihen die Gipfel des Hochgebirges gegen die Duxer Alpen hin, die in der Ferne bräunlich angehaucht erschienen; der Himmel war zwar rein, aber die Sonne hatte keine Kraft, man konnte hineinsehen, ohne geblendet zu werden. Auf den Schneegipfeln zu unserer Rechten erhob sich eine kleine weiße Wolke, die lang emporwuchs und dünner werdend verschwand. Dort trieb der Wirbelwind sein Spiel mit dem lockern Schnee. Im Glarner Lande habe ich dies Phänomen zuerst gesehen, damals sagte man mir, es bedeute gutes Wetter, Anderl aber meinte bedenklich, hier zu Lande verhieße es das Gegentheil.
Das Schauspiel wiederholte sich öfter; vor uns auf der freien Fläche stieg die Erscheinung empor und wandelte im Halbkreis um uns herum, ein anderes Mal waren wir plötzlich mitten darin, es war ein Sausen und Tosen, daß wir eine Minute lang unser Wort nicht verstehen konnten. So ging es stundenlang eintönig fort; wir mochten etwa die Mitte des Gletschers erreicht haben. Die zerklüfteten Regionen des Eises, die sich anfangs nur in der Ferne gezeigt hatten, erschienen näher gerückt, sie umfingen uns von rechts und links, wir waren selbst schon im Anfang derselben.
Andres blieb stehen und holte das Seil aus dem Sack hervor. Das eine Ende band er mir um die Brust und schlang den Knoten drei- und vierfach, nahe dem andern Ende band er sich daran. Mir, der ich noch nie am Seil gegangen war, erweckte es ein unheimliches Gefühl, mich eines Theiles meiner Selbstständigkeit beraubt zu sehen, und gebunden den Tritten eines Andern zu folgen. Das Seil war sehr lang; um nicht darauf zu treten, nahm ich es in Schlingen in der linken Hand zusammen, während die Rechte den Alpstock führte.
„Gehen Sie nicht zu nahe hinter mir,“ sagte er, „halten Sie sich in einiger Entfernung.“
Wir stiegen und sprangen über Klüfte, er prüfte zweifelhafte Stellen mit dem Stock, bevor er sie betrat, so kamen wir langsam auf gewundenem Wege vorwärts.
Ich sah immer vor mich auf den Weg und folgte genau seinen Tritten. Da plötzlich – ein dumpfer Schall – ich sah auf – Andres halben Leibes im Schnee – er griff mit den Händen vor sich – jetzt war er versunken.
Nun faßte es mich; der Strick schnitt in meine Hand – es riß mich vornüber – ich fuhr über den Schnee der dunkeln Oeffnung entgegen, wie ein willenloser Gegenstand. Ich sträubte mich, der Schnee furchte sich, meine Hände bluteten. Ich fühlte keinen Schreck und keinen Schmerz, hatte auch keine Gedanken, aber in dem Augenblick schossen mir tausend Bilder durch das Gehirn, ich sah die offene Kluft vor mir und die weiße Schneefläche, und vor allem Andern war die eine Vorstellung lebendig in meiner Seele: ob ich wohl zum letzten Mal die Sonne sähe?
Es war nur ein Augenblick, ich lag, meine Kniee hatten einen Halt, es hatte mich nicht hinuntergerissen. Aber wie lange noch? Noch zog der Strick; wenn der Halt wich? – Sollte ich das Seil durchschneiden? Wie das Messer nehmen? Aber er – nein, das ging nicht an. Ich lag ja, die Kniee hatten sich in den Schnee eingedrückt. Ob er lebte?
Mit beiden Händen ergriff ich das Seil und zog, was ich konnte; einen Versunkenen herauszuziehen, ihn nach Kräften hoch zu halten, dachte ich. Das Seil schnitt in den Schnee, ohne meinem Zuge zu folgen.
Aus der Tiefe drang ein dumpfer Laut herauf, er lebt! Die Stimme klang schwach und undeutlich; er rief mir zu, ich hörte etwas wie „Ziehen“, und zog. In dem Augenblick ging ein Wirbelwind über mich hin, der seine Worte verschlang.
Ich rief wieder und fragte: „Was sagen Sie?“
Ich mußte mehrmals fragen, endlich verstand ich: „Lassen Sie nach!“
Ich fragte: „Stehen Sie?“
„Ich stehe, lassen Sie nach!“
Ich ließ das Seil nach, es wurde allmählich schlaff.
„Geben Sie Acht, daß Sie nicht hineinfallen, kommen Sie nicht zu nahe an die Kluft heran!“
Es war die Stimme eines lebendig Begrabenen. Er rief die Worte einzeln, sie klangen gedämpft und hohl.
Er fragte: „Haben Sie einen festen Halt?“
Ich antwortete, daß ich augenblicklich gesichert wäre, um nicht hineinzufallen, während dessen bohrte ich den Alpstock fester in den Schnee.
Unser Gespräch ging nicht so glatt, wie ich es schreibe; jeder Satz mußte zwei, dreimal wiederholt werden, ehe der Andere ihn verstand. Der Wind und die tiefe Kluft verschlangen vom Schall der Worte das Meiste.
„Können Sie verstehen, was ich sage?“ rief er.
„Sprechen Sie langsam, dann verstehe ich.“
„So hören Sie. Die Kluft ist hier zu breit, hier kann ich nicht herauf, weiter oben wird sie enger. Dort müssen Sie ein Loch durch den Schnee schlagen. Warten Sie, ich binde das Seil los. Haben Sie verstanden?“
„Ich habe verstanden.“
„Jetzt ziehen Sie das Seil herauf.“
Ich kniete und zog – es kam leer herauf – es wollte kein Ende nehmen, es war das Maß der Tiefe, in der er lag. Endlich war es oben, es klebte Blut daran.
„Das Seil ist oben!“ rief ich.
„Jetzt gehen Sie – eins – zwei – drei – vier – fünf Klaftern aufwärts an der Kluft, dort schlagen Sie das Loch.“
„Verstanden! In welcher Richtung soll ich gehen? Doch nach dem Berge zu?“
Die Spalte schien mir eine von den querverlaufenden zu sein; doch kreuzten sie sich hier so vielfach, daß ich mir durch Fragen erst Gewißheit verschaffen mußte, um nicht selbst in Gefahr zu gerathen.
[63] „Nach dem Berge zu,“ rief er. „Hüten Sie sich, daß Sie nicht hineinfallen!“
Ich ging ungefähr so weit, wie er gesagt hatte, stieß den Stock durch den Schnee – es war alter Winterschnee, über eine Elle dick – und kam auf hartes Eis. Ich rückte einen Schritt vor und stieß durch – abermals Eis; das dritte Mal fand ich den Hohlraum der Kluft und ließ den Stock auf- und abwärts spielen.
„Können Sie den Stock sehen? Ist es hier recht?“
„Ja, da ist es ganz recht, da stoßen Sie durch,“ rief es durch den Schnee.
Es war die Arbeit eines Steinschlägers, ein Loch war gemacht, ein zweites entstand daneben; nun wurden durch seitliche Bewegungen des Stockes beide zu einem verbunden. Der Schnee war furchtbar hart, die Arbeit ging mühsam vorwärts. Nun hatte ich durch vier verbundene Oeffnungen einen kurzen Spalt hergestellt. Einen Fuß davon entfernt entstand ein paralleler. Beide wurden verbunden, ein ganzer Klumpen Schnee fiel hinunter, eine Oeffnung war da, die ich mehr und mehr erweiterte. Jetzt hörte ich seine Stimme wieder, sie klang deutlicher; er mußte fast senkrecht unter der neuen Oeffnung stehen.
„Ist die Oeffnung weit genug? Ich werde zuerst den Sack anbinden.“
„Ja, sie ist weit genug.“
„Dann lassen Sie das Seil hernieder.“
Ich hatte mich losgebunden, um freier arbeiten zu können. Jetzt legte ich das Seil mit einem Schifferknoten um den Stock, den ich bis auf das Eis in den Schnee getrieben hatte und ließ das freie Ende hinunter.
Nach einer Weile rief er: „Ich habe das Seil!“ und dann wieder nach einer Weile: „Jetzt ziehen Sie den Packen herauf!“
„Halt, Andreas, trinken Sie zuerst Wein!“
„Nein,“ kam die Antwort zurück, „hier unten trinke ich keinen Tropfen! Ziehen Sie!“
Ich zog, der Packen rückte langsam in die Höhe; ich hätte aber nie gedacht, daß ein Gegenstand ein solches Gewicht haben kann. Das Seil schnitt am Rande der Oeffnung tief in den Schnee. Endlich erschien der grüne Sack an derselben; aber hindurch ging er nicht, weil er sich an der Schneekante sperrte.
„Ich muß noch einmal nachlassen, der Schnee hindert noch.“
„So lassen Sie nach!“
Er kam nicht bis unten, sondern blieb in halber Höhe stecken.
„Er sitzt gut,“ rief Andres. Ich faßte Seil und Stock mit beiden Händen und erweiterte.
Wiederum brachte ich ihn bis an den Rand, vergeblich; die träge Masse fand an dem kleinsten Körnchen Schnee ein Hinderniß. Er mußte noch einmal hinunter; erst das dritte Mal kam er heraus, nachdem ich die Kante des Eises ganz frei gelegt hatte.
Da lag er oben. Mir war’s nicht anders, als wäre schon ein halbes Menschenleben dem Eise entrissen.
„Ich habe ihn oben!“ rief ich.
„Jetzt trinken Sie einmal Wein und stärken sich!“ rief Andres.
Er hatte Recht. Als ich daran dachte, was noch zu thun bliebe, war mir’s, als wollten mich die Kräfte verlassen. Der Wein stärkte mich wunderbar. Als ich getrunken hatte, rief Andres von Neuem:
„Die Kluft ist hier noch zu breit; hier kann ich nicht herauf. Gehen Sie noch zwei Klafter aufwärts und schlagen ein neues Loch!“
Ich that, wie er gesagt. Ich suchte die Spalte weiter oberhalb auf – sie beschrieb in ihrem Verlaufe einen Bogen – und stieß durch den Schnee.
„Sehen Sie den Stock?“
„Da ist es recht.“
Und ich arbeitete von Neuem darauf los, diesmal schon mit Erfahrung, so daß, wie ich glaube, in kürzerer Zeit als das erste Mal eine Oeffnung entstand. Ich ging gleich in schräger Richtung hinein, so daß der Rand des Eises freigelegt wurde.
Er fing an zu rufen: „Ist die Oeffnung noch nicht fertig, noch nicht weit genug?“
Er mußte von Neuem den Ort gewechselt haben und wiederum unterhalb der neuentstandenen Oeffnung stehen. Die Stimme klang näher, aber dringend und ängstlich. Meiner Ansicht war sie weit genug, um einen Menschen von gewöhnlichen Proportionen durchschlüpfen zu lassen. Bei seiner Schulterbreite konnten freilich ein paar Zoll mehr in der Weite nichts schaden; aber er befand sich in der höchsten Noth. Vielleicht merkte er, daß seine Kräfte schwanden, oder die Kälte überwältigte ihn.
„Jetzt ist’s gut!“ rief ich und stieß noch eine Schneekante herunter. Das Seil wurde wie vorhin um den Stock gelegt und hinabgelassen.
„So kann ich das Seil nicht fassen,“ rief er, „Sie müssen es mir zuwerfen.“
Ich legte mich flach auf den Schnee und warf das zusammengenommene Seil hinunter in die Kluft, dahin, von wo seine Stimme kam. Er faßte es glücklich und eine Minute später rief er:
„Jetzt ziehen Sie mit allen Kräften!“
Ich hatte mir mit den Absätzen Tritte in den Schnee geschlagen, um nicht auszugleiten, wickelte mir das Seil um die Hände und zog, indem ich mich nach hinten überlegte.
Das war kein lebloser Gegenstand mehr, der unten hing, sondern ein Mann; das merkte ich, indem ich zog. Ruckweise ging es aufwärts, bald so schwer, daß ich glaubte, das Seil müsse reißen, dann wieder leichter; ich merkte, er half. Dabei stöhnte er, wie nur ein Mensch in der höchsten Noth stöhnen kann, und rief immerfort:
„Ziehen Sie mit aller Kraft, ziehen Sie, was Sie können!“
Ich zog; Zoll für Zoll wickelte sich das Seil mir um die Hände, bis sie mit einem unförmlichen Knäuel umsponnen waren. Dann rief ich: „Halt!“ schöpfte einen Augenblick Athem, wickelte ab und zog von Neuem.
So prompt ging es nicht immer. Wenn ich „Halt!“ rief, antwortete er mit erneuertem „Ziehen!“, und ich zog, bis ich an dem Schlaffwerden des Seils merkte, daß er für den Augenblick einen sichern Halt hatte.
Wie lange es so fort ging, kann ich nicht sagen. Immer wieder hing er zwischen Tod und Leben; sein Stöhnen klang lauter, seine Stimme vernehmlicher. Das Seil bestand eine gute Probe; es trug eine schwere Last, glitt über die rauhe Kante des Eises und brach nicht. Ich rührte mich nicht aus der Stelle. Die Möglichkeit, daß jeder Augenblick alle bisherigen Anstrengungen zu nichte machen könne, ließ mich jeden Gedanken an einen günstigen Erfolg von mir abwehren. Das Bewußtsein, zu thun, was ich vermochte, hielt meine Kraft aufrecht.
Jetzt tauchte eine braune Hand aus der Oeffnung empor, jetzt sein Hut und sein Gesicht, mit den Schultern steckte er im Schnee, ich zog – es ging nicht weiter.
„Ich kann nicht heraus,“ schrie er mit erstickter Stimme, „die Oeffnung ist zu enge!“
„Fassen Sie einen Augenblick festen Fuß, Andres, ich erweitere die Oeffnung.“
„Ziehen Sie, ziehen Sie – jetzt lassen Sie nach – helfen Sie mir nur die Hand herausbringen!“
Ich faßte seine rechte Hand, sie war neben der Schulter eingekeilt, und zog – vergeblich; er steckte fest, wie in einem Ringe von Eisen.
„Warten Sie einen Augenblick, ich mache Ihnen Luft.“
Er hatte sich festgestemmt, ich stieß neben der Schulter und der Hand den Schnee locker, der Arme kriegte ein kaltes Schneebad in den offenen Aermel und in den Nacken.
„So nicht,“ rief er, „fassen Sie das Seil und lassen nach!“
Ich stieß den Stock neben mich auf’s Gerathewohl in den Schnee – die Secunden waren zu kostbar – und ließ das Seil ein wenig nach. Er suchte und fand einen Stützpunkt und kauerte sich seitlich unter die Schneedecke. Wiederum faßte ich Stock und Strick zugleich und arbeitete, hier noch eine Schneekante wegzustoßen, und da noch eine. Dann noch ein letzter, langer Zug am Seil – und Anderl lag auf dem Schnee, er war gerettet. – Ich selbst lag auf dem Rücken. Ich streckte ihm die Hand entgegen, er faßte sie und war noch ein lebendiger Mensch. Er lachte und weinte zugleich, wir waren Beide mit unserer Kraft zu Ende.
So lagen wir eine Weile zusammen im Schnee; wir bedurften einer gewissen Zeit, um uns bewußt zu werden, daß die Gefahr nun wirklich überstanden sei, und hatten einander viel zu fragen und zu erzählen. Für’s Erste bemerkte ich, daß ihm der Alpstock fehlte.
[64] „Der ist mir entglitten, als ich den Packen anband,“ sagte er.
„War die Spalte sehr tief?“
„Ich selbst war ungefähr fünfzehn Klaftern tief unten, doch von dem Orte, wo ich stand, ging sie noch sehr tief hinunter und bog dann seitwärts unter das Eis. Wer da hinunterfiel, der war unrettbar verloren.“
„Wie fanden Sie denn einen Halt?“
„Im Sturze sah ich eine vorspringende Schneekante und warf mich darauf, sie brach unter mir. Da warf ich mich auf eine andere, die hielt. So stand ich und stützte mich mit dem Stock an die gegenüberliegende Wand; die Kluft war an der Stelle über eine Klafter breit. Während Sie oben arbeiteten, stieß ich mir mit dem Messer Stufen in die Wand und kam so vorwärts, bis ich unter der neuen Oeffnung stand. Zur letzten Oeffnung ging es beschwerlicher, weil mir der Alpstock fehlte.“
„War es unten hell?“
„Es war weder hell noch dunkel, das Licht fiel durch die Oeffnung herein, unten war Alles blau, die Schneedecke selbst sah grau aus. Als Sie die beiden Oeffnungen machten, wurde es heller.“
„Wie machten Sie es denn, daß Sie beim Hinaufklimmen einen Halt fanden? Ich spürte es, indem ich zog. Hat Ihnen das Seil viel genützt?“
„Ohne das Seil wäre ich nie herausgekommen. Die Kluft war an der Stelle so schmal, daß ich den Rücken anstemmen konnte, und dann waren am Eise Kanten und Vorsprünge, wie sie das herabfließende Wasser leckt. Sie waren aber viel zu hoch übereinander, als daß ich von einem zum andern ohne den Zug des Seiles hätte gelangen können, und dabei so scharf wie Messer.“
Daß Dem so war, davon gaben seine Hände Zeugniß; auch sein linkes Ohr war blutig geschunden, und die Kopfhaut der linken Schläfe blutete an zwei Stellen, doch hatte er sich die letzteren Beschädigungen schon beim Falle zugezogen.
„Warum warteten Sie nicht ab, bis ich die Oeffnung fertig hatte? War es unten sehr kalt?“
„Von unten schien die Oeffnung weit genug zu sein für Drei. Von der Kälte habe ich nichts gefühlt, bis Sie mir den Schnee in den Aermel und in den Nacken schütteten, das war furchtbar kalt.“
Und während er noch sprach, fing er an, sich zu schütteln wie im Fieber, und sagte zähneklappernd: „Hu, wie entsetzlich kalt!“
Er sprang auf und trat hin und her, trank von dem Weine, aber bald sagte er: „Lassen Sie uns gehen, hier werde ich nicht wieder warm.“
„Ja, Andres, wir wollen umkehren.“
„Nein,“ sagte er sehr entschieden, „umkehren thu’ ich nicht. Wir haben ja den größten Theil des Gletschers hinter uns. – Aber Sie müssen mir schon Ihren Stock leihen, beim Vorangehen brauche ich ihn nöthiger.“
Ich gab ihm den Stock, er lud das Gepäck wieder auf und weiter ging es, über die verhängnißvolle Kluft hinweg. Ich habe keinen Blick in ihre Tiefe hinuntergeworfen, es war genug, der furchtbaren Gefahr entronnen zu sein. Noch waren wir in derselben Region, wo sie uns ereilt; und wer gab uns Gewißheit, daß nicht noch weiterhin das Verderben auf uns lauerte?!
Andres prüfte jeden Tritt, wir kamen langsam vorwärts. Für mich war das Gehen auf dem Schnee ohne Stock unangenehm genug, ich trat genau in seine Spuren. Einmal blieb er stehen und sagte: „Ich weiß gar nicht, wie mir ist, ich habe keinen sichern Tritt, in jedem Augenblick ist mir’s, als wiche der Boden unter mir und ich versänke.“
Noch über die letzte, die Bergkluft sprangen wir und hatten dann einen steilen Schneeabhang zu ersteigen, der recht glatt war. Andres mußte mir Stufen treten, so kamen wir glücklich hinan. Oben lag schon Steingerölle, wir erreichten den mit Trümmern bedeckten Felsenhang und waren nach zwanzig Minuten auf der Jochhöhe. Da stand das Bildstöckel, ein kleiner Holzpfeiler mit einem Crucifix. Es ist zum Gedächtniß eines Stubayers errichtet, den der Gletscher verschlungen hat. Andres zog den Hut und verrichtete ein stilles Gebet.
Vor uns lagen die Oetzthaler Alpen in wilder Pracht ausgebreitet, rückwärts schweifte der Blick über die Stubayer, Duxer und Zillerthaler Alpen bis zu den Bergen des Venediger und Glockner. Wir hielten uns indeß nicht lange bei ihrer Betrachtung auf, ein eisiger Wind trieb uns, weiter zu gehen. Vor uns lag noch ein Gletscher, der sich vom Joch gegen Südwesten senkt, kürzer, aber rauher als der eben überschrittene. Da wir schon genug auf Eis gegangen waren, so ließen wir ihn vorderhand links liegen und klommen in dem Felsgestein zu seiner Rechten gegen das Winacher Thal hin abwärts.
Der Weg war rauh und beschwerlich, und doch dünkte er uns leicht und sicher, angesichts der überstandenen Gefahr; der Schwindel blieb mir fern.
Von dem Gletscher, der tief unter uns, von zahllosen Spalten zerrissen, sich zu Thal senkte, erzählte mir Anderl, daß in ihm vor mehreren Jahren ein Geistlicher aus England den Tod gefunden hätte, indem er gegen den Rath des Führers über die trügerische Schneedecke die Abfahrt mit dem Alpstock versuchte. Er brach durch, fiel in eine Spalte und wurde als Leiche wieder herausgezogen.
Wir verließen unsern Felsstock – weiterhin ging er in so jähen Wänden zu Thal, daß ein Hinabklimmen an ihnen unmöglich oder doch äußerst gefährlich schien – und betraten wiederum auf eine kurze Strecke das Eis des Gletschers; nachdem wir dieses passirt, traten uns zwischen den Schollen des Gesteins wiederum die ersten Spuren der Vegetation entgegen, kleine purpurrothe Sternchen auf grauem Moose, die, trotzdem der Boden gefroren war, lustig blühten. Aus der Tiefe winkten uns schon die ersten Repräsentanten des Baumwuchses, verwetterte Lärchen und Arven.
Dann lagerten wir uns auf grüner Matte neben einem Bache und packten die Vorräthe aus. Zuerst kam eine ganze Menge Schnee aus dem Sack, dann die Flaschen – trotz des Sturzes hatte keine einen Sprung bekommen, nur die blaue Schneebrille war in seiner Hosentasche zerbrochen. Wir aßen und tranken angesichts der großartigsten Natur und der überstandenen Gefahr. Dann wurde die Pfeife in Brand gesetzt und im Sonnenschein ein halbes Stündchen geruht. Andres schlief sogar. Aber die Zeit verging und trieb uns zum Aufbruch. Unterhalb unserer Wiese fing ein betretener Steg an, der uns ohne Mühe hinab zu Menschen führte. An einer Stelle war er beengt durch einen alten Bergsturz; große Felsblöcke, wild übereinander geworfen, bildeten von der Höhe zum Thal ein Labyrinth von Höhlungen. Hier blieb Andres plötzlich stehen, als besänne er sich auf Etwas, dann kroch er zwischen die Felsen hinein. Kopfschüttelnd kam er wieder heraus.
„Hier war’s doch,“ sagte er, „hier habe ich vor einem Jahre einen Alpstock versteckt, und nun ist er fort, es muß ihn ein Anderer gefunden haben.“
Wir gingen weiter, aber noch waren es keine zwanzig Schritte, als er von Neuem in einer Höhlung verschwand, und im nächsten Augenblick erhob er ein Triumphgeschrei: „Hier ist er!“ und brachte den Zwillingsbruder des im Gletscher Verlorenen an’s Tageslicht. Eine Stunde später saßen wir im Wirthshause zu Sölden; in der Küche wurde für uns gebraten und gekocht, wir aber tranken für’s Erste einen Grog.
Ein Knecht des Hauses trat herein und begrüßte den Andres als Bekannten.
„Wo bist Du gewesen?“ fragte er ihn, „Du hast ja Blut am Kragen!“
„Ich habe Unglück gehabt, ich bin in den Ferner gefallen.“
„War es tief?“
„Ungefähr fünfzehn Klafter.“
Der Mann stand still und sah eine Weile starr vor sich auf den Boden.
„Der hat auch einmal drunten gelegen,“ sagte Andres.
Am 5. October saß ich in Venedig an der Riva dei Schiavoni, im Kreise liebenswürdiger Reisefreunde, und stärkte mich nach einem am Lido genommenen Seebade durch einen Caffe nero, als mir eine Wiener Zeitung in die Hände kam, in der ich las:
„(Ein Führer in Gefahr.) Wie bedenklich es ist, wenn Touristen Fernerwege, auf denen ein Einbrechen zu befürchten ist, mit nur einem Führer machen, zeigt ein Vorfall etc.“
Ich kannte den Vorfall, es war des Anderl und meine Geschichte.
„Sehen Sie, meine Herren, so kommt man in die Blätter.“
Sie fragten und ich erzählte; als Wahrzeichen dienten mir [65] meine geschundenen Finger, deren Wunden erst, seitdem ich sie in der Adria badete, eine kräftige Neigung zur Heilung zeigten.
„Das sollten Sie veröffentlichen,“ sagte der Ingenieur aus München.
Und hier, lieber Herr Keil, haben Sie meinen wahrheitsgetreuen Bericht. Auf dem Papier sieht Alles so breit aus, was in der Wirklichkeit unmeßbar kurze Zeit dauerte. Von dem Moment des Einbruchs bis zu Andres’ Rettung verging etwas über eine Stunde, das weiß ich, weil ich zufällig kurz zuvor nach der Uhr gesehen. Sollte ich aus der Erinnerung angeben, wie viel Zeit verflossen sei, während er im Eise lag, ich wüßte nicht zu sagen, ob eine Minute, oder die halbe Ewigkeit.