In der Bildergalerie (Die Gartenlaube 1890/13)
[418] In der Bildergalerie. (Zu dem Bilde S. 392 und 393.) Sonntag Mittag um zwölf Uhr – die günstigste Zeit zum Besuch der berühmten Gemäldegalerie! Denn da sieht man doch „etwas“, während drei Stunden früher auch bei bester Beleuchtung durchaus „nichts“ zu sehen gewesen wäre. Das Umherwandeln freilich wird etwas mühsam, aber dafür entschädigen reichlich die vielen hübschen Toiletten und Uniformen, das bunte Durcheinander, in dem man sich so heimisch fühlt. Denn in der Bildergalerie wie anderwärts bleibt eben doch der „Mensch dem Menschen das Interessanteste“.
Das sehen wir gleich an der verständigen Mutter im Vordergrund, welche dieses spiegelblanke Parkett als die geeignetste Laufschule für ihre Kleine erkennt. Völlig hingenommen von ihrem Entzücken und gänzlich ungestört von den Bildern ringsum, beobachtet sie strahlend, wie geschickt das Töchterlein in seinem weißen Mäntelchen sich bereits auf dem gefährlichen Boden zu bewegen versteht. Ja, die Erziehung muß mitten in der Welt stattfinden, wenn etwas Rechtes draus werden soll!
Nicht weit davon, wie hoch interessant! … Dort steht Durchlaucht vor der Kopie, welche sie zu bestellen geruhten, das Gesicht beinahe auf Nasenlänge genähert – Durchlaucht sind etwas kurzsichtig – und hören mit geneigtem Ohr, was der Künstler unterthänigst zur Erklärung beizufügen hat. Hinter beiden, stramm aufgepflanzt, der Adjutant, der sich auch in Gedanken keine Kritik des Bildes erlaubt und unverwandt soviel davon beschaut, als ihm über die durchlauchtigste Schulter sichtbar wird.
Die große Staffelei im Mittelgrund verdeckt die weitere Aussicht, sonst möchte sich sein Blick doch einmal hinüber verirren, nach dem lieblichen blonden Weibchen, das dort am Arme des kunstgelehrten Gatten steht wie die Lilie neben einem wettergrauen Baumstrunk. Die Augen des Herrn Professors vertiefen sich in die Stelle des Katalogs, wo einem sonst schätzbaren Kollegen ein entschiedener Schnitzer begegnet ist; die ihren sind voll gewissenhafter Gläubigkeit auf ein Bild gerichtet, welches ihr vorher als sehr klassisch bezeichnet wurde. Arme Lilie! …
Viel besser zusammen passen Anschauungen und Lebensalter des dicken kleinbürgerlichen Ehepaars, das hier einmal seinen Sonntag nach Art der vornehmen Leute zubringen will.
„Jesses, Jesses, wie ma nur solchenes Zeug machen kann,“ spricht vernehmlich ihre Haltung, er aber entgegnet voll Hochachtung: „Ja schau, was mögen aber allein die Rahmen kost’n!“
Einen Blick tiefster Verachtung schleudert auf die beiden von seinem hohen Standpunkt herunter der Berufskopist, der durch Sammetrock und weichen Filzhut seine Zugehörigkeit zur Künstlergilde unwiderleglich darthut. Er arbeitet gerade an seiner zwanzigsten „heiligen Nacht“, und in manchen Augenblicken ist es ihm zweifelhaft, ob er oder Rubens das Bild eigentlich gemacht hat. Seine Fähigkeiten waren ja bedeutend, aber unglückliche Umstände haben ihre Entwicklung leider verhindert! …
Und wo ist denn nun, fragst du, lieber Leser, der Mensch, welcher in stillem Genuß und hoher Andacht diese geweihte Stätte durchwandelt und gestärkt daraus zum Alltagsleben zurückkehrt? Ist es der gute Philister in der Saalecke, der sein rundes Gesicht gewissenhaft nach den Weisungen des Katalogs emporrichtet, oder aber der alte Herr im Vordergrunde, auf dessen hoher Stirn Gedanken zu wohnen scheinen, der aufmerksam durch sein Glas ein bestimmtes Bild betrachtet? Wir wollen das Beste hoffen … aber da fällt unser Blick zuletzt noch in den Nebensaal und wir sehen, welch ein geringschätziges Gesicht der alte Aufseher auf alle die Herrschaften herein macht, indem er langsam seine Prise nimmt! Kommen am Ende die wirklichen Beschauer der Galerie doch vor zwölf Uhr?! … Br.