Textdaten
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Autor: H. R.
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Titel: Im Winter an der Ostsee
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 666–668
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Im Winter an der Ostsee.


Will der Bewohner großer Städte ohne künstlich fabricirtes Ozon frei aufathmen und alle Schlacken, welche ihm innen und außen durch den langen Aufenthalt im Häusermeere anhaften mögen, von sich abfallen sehen, so ahme er mein Beispiel nach und werde, wenn auch nur auf kurze Zeit, am Strande der ewig beweglichen Thalatta, hier Ostsee genannt, ein neuer gesünderer Adam!

Schreiber dieses verlebte den Sommer 1875, der sich ja durch schönes Wetter besonders auszeichnete, ländlich, schändlich, aber harmlos und gesund in einer reinlichen Fischerhütte, hart am Wogenpralle gelegen, auf der romantisch schönen und sagenhaften Insel Rügen. Ein Kind, unser einziges, vergaß hier sehr bald die Nachwehen einer aufreibenden Krankheit, lernte seine Füße gebrauchen und blühte neu auf wie eine Rosenknospe. Diese wunderbare Wirkung der Luftveränderung auf den Körper des muntern Kleinen wollte ich nur ungern unterbrechen; die Abreise nach der großen Hauptstadt wurde immer weiter hinausgeschoben; der Herbst mit seinen Sommerfäden, seiner Durchsichtigkeit und wechselnden Farbenpracht im welkenden gelb und roth schimmernden Blätterschmucke der hohen Eichen und Buchen schlug tief seine Fesseln in unser empfängliches Gemüth, und als Boreas die ersten Eisnadeln und Schneeflocken uns in das Gesicht jagte, lachten wir ihn aus: „Du wirst uns nicht los.“ Wir winterten ein. –

Der Großstädter ist gewöhnlich der Ansicht, daß ein gebildeter und in seinen eigenen Schuhen stehender Mann ohne die Freuden und das Treiben der Stadt einen langen Winter hindurch auf dem Lande nicht leben könne, ohne zu verkommen und zu verbauern; das ist aber, wie ich aus eigener Erfahrung versichern kann und in nachfolgenden Skizzen beweisen möchte, keineswegs der Fall, man muß nur körperlich und geistig gesund sein und die Lust haben, etwas Neues und Lehrreiches, was im abgelegensten Erdenwinkel möglich ist, aufzufassen und kennen zu lernen, dann wird man nicht seine Zeit verloren haben.

Nun aber will ich, um endlich zur Sache zu kommen, ohne das Stillleben des Winters bei hellbrennender Lampe und wohlgeheiztem Ofen zu berühren, mit einem raschen Sprunge mitten hinein in den Fischfang der Küstenbewohner den Leser fallen lassen, ohne daß sich derselbe den Fuß naß zu machen brauchte.

Wenn der Winter mit alleinherrschender Schroffheit und unwiderstehlich in seine eisigen Rechte tritt, so geschieht solches häufig nach vorhergegangenen heftigen, tagelang andauernden Nordweststürmen, wenn der trotzdem auf der Insel lagernde dichte Nebel, hier „Dack“ genannt, sich nicht heben will, ganz plötzlich und unerwartet. Der Wind springt nach Südost um. Es wird „hohe Luft“, und in gewaltig langen, wallenden Riesenschleiern sehen wir die trägen Dunstmassen nach Norden abziehen. Nun lagert sich mit heiterer Ruhe und siegesgewiß der Eisgott breit und schwer auf Land und Wasser. Der noch eben vom Nebel halbbetäubte Strandmensch wacht ebenso schnell auf, wie die Veränderung des Wetters eintrat; die kleinen Boote werden eilig auf das Trockene gebracht und hier umgekehrt, während die größeren Küstenfahrzeuge, Schooner, Galeassen und Jachten, schleunigst einen sicheren Hafen aufsuchen, um dort, abgetakelt, den langen Winter faullenzend hinzuträumen. Erfahrungsmäßig ist der Einritt großer Kälte stets mit stiller Luft verknüpft, sodaß in wenigen Tagen, soweit das Auge reicht, der starre Frost einen Eispanzer um das bewegte Element gelegt hat, der so glatt und fest auf dem ruhelosen Wasser liegt, daß der Mensch im Stande ist, auf bequemere Weise und gefahrloser seinem Erwerbe nachzugehen als bei offener See.

Allerdings ist seine Arbeit, zumal bei großer Kälte, nicht mühelos und erfordert Kraft und Geschicklichkeit. Die langen Flügelnetze, welche oft gegen neunhundert Reichsmark kosten, werden von den in den Stranddörfern gebildeten „Commünen“, wie sie sich undeutsch nennen, hervorgezogen und auf die Peekschlitten gelegt. Ein Peekschlitten ist bekanntlich ein solcher, welcher mittelst eines langen mit einem Haken versehenen Stabes (Peekstange oder Pike genannt) durch fortwährendes gleichmäßiges Stoßen des darauf Stehenden auf dem Eise fortbewegt wird. Wenn es noch ganz finster ist, treten die Mitglieder einer solchen Gemeinschaft am Strande an, und lustig gleitet die ganze, aus zwanzig bis dreißig Mann bestehende Schaar sausend und klirrend über die glatte Fläche dahin, um mit Tagesanbruch an der Fangstelle zu sein. In einer stillen, tief in das Land hineingehenden Bucht wird Halt gemacht, weil sich dorthin, in das seichte Wasser, gern der Plötz – denn ihm gilt heute die Jagd – begiebt, wahrscheinlich aus dem einfachen Grunde, um sich leichter in großer Menge vom Fischer fangen zu lassen. Eine andere Ursache hat mir wenigstens keiner dieser blonden ungehobelten Enakssöhne von dieser Massenversammlung der Familie „Plötz“, die sonst nur einzeln herumwimmelt, angeben können, also dürfen wir nichts Besseres thun, als glauben und – zusehn: fleißig sind alle Hände in Bewegung. Mit kräftigen Schlägen dringt die Axt in den Eispanzer; wie nach der Schnur werden, vierzig bis fünfzig Fuß von einander entfernt, in gerader Linie Löcher eingehauen, so daß in kurzer Zeit ein Rechteck oder Quadrat durch dieselben, je nach der Enge oder Weite der Bucht, entsteht, damit man regelrecht unter dem Eise fischen kann. Nach dieser rasch vollzogenen Arbeit beginnt in höchst drolliger Weise die Eröffnung dieses uns fremdartigen Schauspiels. Wie auf Commando fallen nämlich alle noch eben so fleißig arbeitenden Männer in den dunkelblauen Friesjacken, Südwester oder Pudelmütze auf dem harten Schädel, jeder vor seinem Loche platt auf den Bauch.

Die blutrothe Sonne taucht eben groß und majestätisch aus dem kalten Seebade auf; sie muß vor Allem ihr freundliches und mächtiges Licht scheinen lassen, damit das Wasser unter dem Eise klar und durchsichtig werde wie Krystall und damit das Auge des beutelustigen Raubthiers Mensch aus der Anzahl der an den Löchern vorüberhuschenden und blitzenden Fischlein den Schluß ziehen könne, ob es gerathen sei, die schwere Arbeit des Netzlegens vorzunehmen oder nicht. Ist ersteres der Fall, dann geht es mit großer Geschäftigkeit an’s Werk. Die Leinen, welche sich an den Enden der umfangreichen Garne befinden, werden mit kunstgerechtem Knoten an den langen Stangen, welche von einem Eisloche bis zum andern reichen, angeknüpft, und auf diese Art wird, von der Mitte anfangend nach rechts und links und zu gleicher Zeit, das ganze Netzsystem leise in’s Wasser getaucht, mittels der Stangen von einer Oeffnung zur anderen weitergeführt, bis die linke und rechte Flügelstange sich an einer bestimmten Oeffnung treffen, aus welcher der Aufzug geschieht.

So nur ist es möglich, unter dem Eise mit Netzen zu fischen und, wie es hier der Fall war, in einem Zuge mehr als dreißig Centner Plötze aus dem Wasser zu holen. An diesem denkwürdigen Tage wurden in drei Zügen gegen hundert Balgen à fünfzig Kilo geerntet, und wurde nach alter deutscher Sitte in der nächsten Strandkneipe nicht nur die Waare so rasch als möglich für den Marktpreis, der zwischen neun und fünfzehn Reichsmark pro fünfzig Kilo schwankt, verhandelt, sondern noch schneller in flüssiges Feuer, Grog oder Schwedenpunsch, verwandelt. Jedes Communemitglied hatte an genanntem Tage einen Verdienst von sechszig Reichsmark und die gegründete Hoffnung auf mehr. In dem sonst so stillen Häuschen ging es lustig zu. Es duftete nicht nach Patschouli und Rosenpomade, aber nach Thran und Fusel. Die Gesänge, welche den rauhen Kehlen entströmten, waren mehr Schelmen- als Minnelieder; die Geschichten, welche erzählt wurden, gehörten auch nicht alle in den „Kinderfreund“ hinein, und trotz alledem war es doch interessant, diesem Treiben beizuwohnen und sich eine kurze Zeit mit diesem nordischen Gebrüll und Gebahren zu identificiren, dessen schließlich auftretende Bestialität, wenn der Brummschädel mit Gasen erfüllt und die Beine das Bestreben zeigen, stets um die Ecke gehen zu wollen, dem Nüchternen immer lästig fällt. Darum hieß es auch bei mir sehr bald: „genug des grausamen Spiels“, denn ich hatte mäßig mitgehalten, mich erwärmt und konnte mich nach Hause drücken.

Eine zweite Art, dem stummen und wohlschmeckenden Wasserbewohner unter dem Eise zu Leibe zu gehen, besteht in dem erbarmungslosen Stechen des Aals. Um solches zu ermöglichen, wird an dem fünfundzwanzig bis dreißig Fuß langen Schafte von Kiefernholz das aus vier bis sechs sehr scharf angefeilten und [667] mit Widerhaken versehenen Spitzen bestehende Stecheisen befestigt und der Eisschlitten, welcher wie ein Schlittschuh mit zollhohen dünnen und scharfen Schienen besohlt ist, bestiegen. Auf der äußersten hinteren Kante desselben stehend, fährt der kräftige und gewandte Aalpeeker, wie aus der Pistole geschossen, mit wahrhaft rasender Geschwindigkeit, auf der glatten Eisfläche dahin. Mit beiden Armen, unablässig und schnell auf- und niederfahrend, stößt er die bewegende Kraft und das Steuer seines Schlittens, die scharf eingreifende Pike, zwischen seinen Beinen nach hinten und nach der Seite und kann dadurch eine kaum glaubliche Geschwindigkeit erzielen, da er drei- bis viertausend Schritt in acht bis zehn Minuten zu durchmessen im Stande ist.

Unser Aalstecher ist nun in seinem sausenden Tempo auf der Wahlstatt angelangt; die Axt hat ein Loch in das Eis gehauen, und vorsichtig ohne vieles Geräusch wird der Speer in die Tiefe hinabgelassen. Hier, auf dem körnigen Sande, auf der grünen Decke von Seetang und zwischen den Steinen des Bodens liegen die glatten Aale oft in großer Anzahl dicht beisammen „so wohlig auf dem Grund“ und sind „keines Ueberfalls gewärtig“; da fährt einem die scharfe Spitze in den Leib und er wird emporgehoben, trotz aller schlangenartig sich windenden, heftig schnellenden Bewegungen seines muskulösen Körpers. Ja oftmals winden und wickeln sich zwei und mehr Leidensgenossen um Eisen und Stange des räuberischen Erdensohnes, wenn sie allzudicht bei einander gelegen. Dieses Aufpeeken ist aber nicht immer so leicht und erfolgreich, wie man vielleicht glaubt, da der Aal, obgleich in lethargischen Zustande, doch bei der leisesten Berührung erwacht und mit instinctiver Beweglichkeit, den Feind ahnend, sich seitwärts fortschnellt. Zu meinem Leidwesen habe ich oft, ehe ich Uebung und Kenntnisse hatte, meinen Speer, den ich erfolgreich, wie ich glaubte, in den glatten Körper gestoßen, leer heraufgezogen. Hat man dagegen erst einige Geschicklichkeit erlangt und besitzt man eine gewisse Spürkraft, so fühlt man, wenn die Spitzen den Boden berühren, sofort das weiche Fleisch und stößt dann nicht mehr so leicht in den Sand. Ein fleißiger und geschickter Mann ist im Stande zehn und zwanzig Pfund Aale an einen Tage aufzuheben, wofür er vier bis acht Reichsmark an Ort und Stelle erhält.

Die dritte und Haupterwerbsquelle des nordischen Fischers ist aber unstreitig der Fang des Härings, da dieser dem Menschen fast unentbehrlich gewordene Magentrost stets in größeren Massen auftritt und also auch im Großen gefangen werden kann. Die Frage, ob der Schöpfer das Salz für den Häring oder den Letzteren für Ersteres geschaffen, ist schon oft von naiven Kindsköpfen aufgestellt worden, und neulich hat sogar eine Binnenländer und Beamter in einer kleinen Stadt mich allen Ernstes gefragt, woher es doch komme, daß gerade der Häring schon fertig gesalzen aus dem Meere gezogen würde, während die anderen Seebewohner noch, um genießbar zu werden, einen Zusatz der unentbehrlichen Beize bedürften. Da dem guten Manne so geringe Gaben attischen Salzes in Hirn und Blut übergegangen und ich seinen blöden, bureaukratischen Augen den Ernst und Kinderglauben ansah, so erklärte ich ihm in mildester Form seinen Irrthum und freute mich über sein ungekünsteltes Erstaunen. Der Mann hatte übrigens studirt und Examina gemacht, darf also getrost seine Unkenntniß der Naturgeschichte den krumm- und geradenasigen sogenannten großen Römern und Griechen und deren Interpreten in’s Conto zur Belastung schreiben.

Um aber wieder auf besagten Salzfisch zurückzukommen, den man füglich im Vereine mit der Kartoffel in der Schale den Trost der Armuth, zugleich aber auch den Wiederhersteller des Gleichgewichts nennen muß, das dem Magen des Schlemmers verloren gegangen, so werden wir wieder, wie immer, bekennen müssen, welche große Weisheit und Voraussicht die Schöpfung bei der Massenproduction des Härings entwickelt hat, und wollen wir darum den Wanderburschen vom hohen Norden, der in silberglänzenden mit grünem Rücken versehenem Gewande zu uns herniedersteigt, etwas näher betrachten.

[668] An den norwegischen Küsten wie an denen Großbritanniens, Hollands und Deutschlands erscheint er beinahe zu derselben Zeit in langen Zügen, nimmt jedoch in der Ostsee an Gewicht und innerem Werthe wesentlich ab, sodaß man mit Recht glauben darf, der höhere Salzgehalt und die nährende Kraft des Nordseewassers sage demselben mehr zu, als die geringeren Eigenschaften des von Ebbe und Fluth nicht berührten Wassers des baltischen Beckens.

Bei den Lofoden und in den Meeren des Nordlands wird er von seinen riesigen Treibern und zweifelhaften Schutzmännern, den Walen, in die Buchten gedrängt und festgehalten, während hier in der Ostsee der Seehund die Rolle des Zujägers übernommen. Mit dem eben Gesagten soll aber nicht ausgesprochen werden, daß der Mensch den obengenannten Seethieren die Möglichkeit des Fanges verdanke, denn jedenfalls treibt ein Naturbedürfniß, das mit dem Ablegen des Rogens verknüpft ist, fast alle Fische zu den weitesten Excursionen. Wir wollen dabei an den Salm, Stör und Wels erinnern, die sogar ihr Salzwasser verlassen, um in den Binnengewässern zu laichen. Schon im Monat März, wenn die Strahlen der Sonne die Eisdecke mürbe gemacht, liegt der Häring an unseren Küsten, aber noch weit ab vom Lande; sind aber die Eisgürtel geborsten und mit günstigem Winde abgetrieben, dann beginnt die Zeit des Frühjahrsfanges, der zuerst mit den sogenannten „großen Garnen“ und später mit den „Reusen“ ausgeführt wird. In den ersten Wochen hat ein „Wall“ (vierundachtzig Stück Häringe) noch einen recht ansehnlichen Werth, der sich auf circa drei Mark beziffert; dann geht der „grüne Häring“ auf den schnellen Verkehrsstraßen in die Hände der Kaufleute direct über und paradirt auf den Märkten großer, weit ab vom Wasser gelegener Städte als „Strömling“. Später sinkt der Werth für vierundachtzig Stück oft auf wenige Pfennige herab.

Ist der Tagesbogen, welchen die Sonne beschreibt, höher und länger geworden, dann sieht man den nie ruhenden Erwerbstrieb des Menschen in voller Arbeit. Nach einem von Alters her gebräuchlichen und durch örtliche Verhältnisse bedingten Verfahren werden in bestimmten, ziemlich nahen Entfernungen von einander viele Hunderte von Stangen in den Meeresboden getrieben, die eben erwähnten „Reusen“ (sackförmig zugespitzte Netze) an denselben befestigt, sodaß für den arglosen Schwimmer ein mehrere hundert Fuß breites Hinderniß entsteht, das täglich viele Tausende in sich aufnehmen kann, bis ihm der Mensch seine Last wieder abnimmt. Solch einen Reusenfang sich anzusehen, sollte der Binnenbewohner, wenn er an die Küste gelangt, niemals unterlassen. Hat er Trieb zur Belehrung, so wird er das travestirte Sprüchwort: „Morgenstunde hat Schlaf im Munde“ einmal wenigstens zu überwinden suchen, denn er muß sehr früh aufstehen und sich warm kleiden, wenn er an einem klaren und kalten Morgen seine Kenntnisse bereichern will, um später in der Großstadtkneipe sich damit groß zu thun, daß er oft beim Häringsfange zugegen gewesen, er muß aber auch, nach dem jedenfalls mangelhaften Genusse des Frühtrunks, seetüchtig genug sein, um eine frische Landbrise mit erregtem Wasser aushalten zu können. Hast du, mein Freund, dies überwunden und gelangst du im trefflich geführten Kutter in die Nähe der Reusen, welche schon weithin erkennbar sind, so wird dir zuerst auffallen, daß innerhalb der Pfähle, windabwärts, das Wasser nur eine Kräuselung zeigt, während leichte schaumgekrönte Wellen dein Boot umgeben. Beim Anblicke deiner Begleiter und ihrem Freudenrufe wirst du dann sofort erkennen, daß dieses „krause Wasser“ ein Zeichen von der reichlichen Füllung der Reusen ist.

Alle Hände sind aber auch sofort in voller Thätigkeit, um den von der eben aufgehenden Morgensonne goldig angehauchten Silberschatz zu heben. Von allen Seiten eilen die großen und kleinen Fahrzeuge der Interessenten und Händler herbei, und während die nur wenig zappelnden Häringe, an die Luft gebracht, sofort bewegungslos werden und sterben und sich wie Bäche flüssigen Metalls aus den langen Reusen in den Raum des größten Transportbootes ergießen, wird von den Menschen gefeilscht, gezählt, gejubelt und vor Allem dem „Gotteswort vom Lande“, dem „reinen Korn“, wie hier der vierunddreißig Procent haltende Kartoffelfusel genannt wird, sehr energisch zugesprochen, da ein tüchtiger Fischer nie allein von außen naß werden muß, sondern von Rechtswegen so lange trinken soll, bis er auch von innen nasse Füße bekommt.

Vom Klügsten in der Commune wird endlich der Abschluß mit den Händlern gemacht oder die Bestimmung getroffen, auf welchen Markt des Festlandes dieselbe gebracht werden sollen, um einen höheren als den gebotenen Preis zu erzielen. Unser Nordlandsfischer ist gewöhnlich ein guter Rechner; er traut dem Händler niemals und sagt es diesem mit naivster Offenheit in’s Gesicht. So vergeht eine Stunde nach der anderen. Der Wind springt zu einer frischen Brise um, und schneller, als man gedacht, erreicht man wieder den Strand.

Nun wäre auch ich mit der Darlegung meiner Beobachtungen zu Ende und könnte doch noch so viel von der weiteren Behandlung und Verwerthung des Härings berichten; wenn ich aber das eben Niedergeschriebene übersehe, so bin ich aufgebracht darüber, daß meine Worte so wenig im Stande sein werden, dem Leser die Gefühle zu schildern und den Genuß, der mich immer beseligte, wenn ich am schönen, frischen Morgen mit Peter, Matte, Magnus oder Michel hinaus in die See spritzen konnte; darum möchte ich dir, mein geduldiger Leser, nur zum Schlusse zurufen: Richte mich und dich nicht nach meinen Worten, sondern in diesem besonderen Falle nach meinen Werken, oder, da ich einmal als Bibelhusar herumreite: „Gehe hin und thue desgleichen!
H. N.