Textdaten
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Autor: E. B.
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Titel: Im Schatten der Albanerberge
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 714–718
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Papst Pius IX. und seine Politik
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[714]
Im Schatten der Albanerberge.


Wiederum sind einmal die Blicke der gesammten Welt auf Rom gerichtet, wiederum scheint sein Schooß Krieg und Frieden Europas zu bergen. Wie der Knoten, der sich dort geschürzt, sich entwirren wird, weiß Keiner. Nur Eins ist gewiß: mag die Bewegung, die jetzt von außen und innen an der päpstlichen Macht rüttelt, das Glück der Waffen für sich haben oder nicht, mag es ein Gewaltact des römischen Volks selbst oder das Werk diplomatischer Uebereinkunft sein, mag es entschieden werden durch die Feder oder das Schwert, das Papstkönigthum wird fallen und sein Ende wird weder das gewaltsame Zurückhalten des ungestümen Garibaldi, noch die französische Politik, am wenigsten, trotz ihrer momentanen Vortheile, jene Abenteurerlegion hemmen, welche der Erhaltung des morschen Priesterstaats ihr phantastisches Ritterthum geweiht hat. Daß es so kommen wird über kurz oder lang, liegt nicht in der politischen Constellation allein; das Papstthum ist oft in gefährlicherer Lage gewesen, und der Nachfolger Petri war ernster bedroht, aber niemals stand es der Welt so matt und ausgelebt gegenüber, wie heute. Es hat manchen Kampf gestritten auf Leben und Tod, es hat seine erbitterten Feinde gehabt in Kirche und Staat, unter Fürsten und Völkern, allein es hat ihnen gegenüber sich doch als Macht bewährt, ja intellectuell und moralisch als die überwiegende, aber jetzt hat es nichts als seine Proteste, die bald klagend, bald anklagend nur seine Schwäche bezeugen. Es versteht die Welt nicht mehr, weil es sie nicht mehr verstehen will, und in dem unversöhnbaren Widerspruch, in den es gegen den Gesammtbestand des gegenwärtigen Lebens sich gestellt, hat es sich selbst seine Lebensadern zerschnitten. Es steht in der Gegenwart als eine Rarität aus vergangenen Jahrhunderten, vertrocknet und kraftlos, nur gestützt durch unhaltbare Traditionen früherer Zeiten und durch eine reactionäre Fürstenpolitik, die in ihm eine moralische Gewähr ihres eigenen Bestehens sieht.

Niemand wird diesen Fall beklagen, die ausgenommen, die selber fallen, sammt ihren Freunden und Genossen; das römische Volk wird vielleicht nur an Rache denken für das, was die päpstliche Herrschaft ihm bis jetzt gekostet; dennoch fordert eine Gestalt unser tiefstes Mitleiden heraus, und das ist die Gestalt des greisen Papstes selbst, Pius des Neunten. An ihm, der besser und edler ist als die meisten seiner Vorgänger, wird, wie die Geschichte es öfter zeigt, das Gericht vollzogen für die Schuld manches Vorgängers und für die traurige Politik, deren Träger er leider geworden ist; aber bei allen seinen Fehlern und Schwächen, allen Mißständen, die unter seiner Herrschaft entstanden und fortbestanden, ist er mehr zu beklagen, als zu verurtheilen.

Pius der Neunte ist eine tragische Gestalt im vollen Sinne des Worts. Kaum ein Papst ist mit so freudigem Herzen von den Römern begrüßt worden, kaum einer hat ihnen ein so wohlwollendes Herz entgegengebracht. Das Regiment seines Vorgängers, Gregor’s des Sechszehnten, hatte schwer auf den Römern gelegen, die Staatsschuld allein war unter ihm auf das Doppelte gestiegen. Seine Protection hatte den Jesuiten wieder den ganzen Jugendunterricht in die Hände gelegt. Die revolutionären Bewegungen von Bologna und Rimini hatte er auf’s Grausamste, mit Gefängniß, Exil und Hinrichtungen, büßen lassen, sechstausend politische Gefangene schmachteten in den Kerkern. In dieses Elend trat nun Pius der Neunte wie ein rettender Befreier, äußerlich und innerlich des Vorgängers völliges Gegenbild.

[715] Da kam das Jahr 1848; wie für so manchen Fürsten war es auch für ihn verhängnißvoll. Auch in Rom brach die Revolution aus und in einer düstern Novembernacht führte der Wagen eines fremden Gesandten den Mann als Flüchtling nach Gaeta, der vor anderthalb Jahren wie ein Gott von dem Römervolke begrüßt worden war. Das war der Wendepunkt in des Papstes Leben, wir können sagen, der Wendepunkt des Papstthums selbst.

Die geträumte Vereinigung der kirchlichen Fürstengewalt mit der Freiheit war vorbei, und mißtrauisch betrachteten sich beide von nun an als Todfeinde. Der Papst wurde in Rom für abgesetzt erklärt, die Republik proclamirt, die siegestrunken des Papstes Proteste und Bannstrahlen verlachte. Aber die Sache wendete sich, die italienische Armee erlag bei Novara der gereiften Schlachtenerfahrung Radetzky’s, und als der flüchtige Papst ein wirksameres Mittel, als die papiernen Bannbullen, versuchte und die Intervention der katholischen Mächte anrief, da sandte bekanntlich die unter des jetzigen Kaisers Napoleon des Dritten Präsidentschaft stehende französische Republik ihre Soldaten, um die römische Republik zu vernichten. Noch einmal kam der Heldengeist der Scipionen und Gracchen über die Römer, die unter Garibaldi’s Führung wider die fremde Uebermacht sich wehrten. Ueber ein Vierteljahr bedurfte es, ehe die ewige Stadt erobert wurde, und nur die Erwägung, daß es doch nur für kurze Zeit die Einnahme aufschieben würde, bewog Garibaldi, zu capituliren, statt, wozu er und die Vertheidiger ursprünglich entschlossen waren, einen Theil der Stadt in die Luft zu sprengen.

Unter den Auspicien dieses traurigen Sieges kehrte Pius der Neunte, nachdem er ein Amnestiedecret unterzeichnet, sehr unähnlich dem bei seinem Regierungsantritt erlassenen, nach Rom zurück, von französischen Truppen geschützt, im Grunde ein französischer Gefangener. Kein Römer bewillkommnete ihn, aber eine andere Körperschaft fand ihn jetzt in der rechten Verfassung für ihre Zwecke, und in ihre geöffneten Arme sank er – die Gesellschaft der Jesuiten. Die Jesuiten brauchen gebrochene Willen und gebrochene Gewissen, diese charakterisiren in erster Reihe die geschicktesten Werkzeuge ihrer geheimen Machinationen. Ein gebrochener Mann war der Papst nach seiner Rückkehr, bankerott an jenen Idealen, die den wahren Kern seiner im Grunde edeln Gesinnung bildeten, zerfallen mit seinen reinsten und schönsten Bestrebungen, getäuscht in seinen lebendigsten Hoffnungen, er hatte seine segensreiche Vergangenheit selbst begraben. Das ist der tiefe, unvertilgbare Schmerz seiner Seele. Nicht sowohl die Kränkungen, die man ihm zugefügt, sondern was er dadurch geworden, machte ihn zu einer tragischen Gestalt und zum unglücklichen Werkzeug der unheilvollsten Bestrebungen.

Seit seiner Rückkehr ist in seiner ganzen Denk- und Handlungsweise der jesuitische Einfluß unverkennbar. Jener Grundgedanke des Ordens, dem päpstlichen Stuhl wieder zu seiner mittelalterlichen Allgewalt zu verhelfen, wurde der seinige. Es schien, als wollte er die Erniedrigung wieder tilgen, die seine Würde erfahren, er holte den ganzen Apparat wieder hervor, mit dem die großen Hierarchen des Mittelalters ihre überirdische Macht vor der Welt festgestellt und documentirt. Freilich, Eines fehlte: der Papst hatte sich um Jahrhunderte verrechnet, die Welt war anders geworden, und jene Acte, durch die er sie wieder unter sein Joch zwingen wollte, gingen entweder spurlos vorüber oder erregten, wenn nicht Widerspruch, so nur Lächeln und Kopfschütteln; höchstens ernteten sie den beifälligen Zuruf bigotter Romantiker und jener urtheilslosen Vergangenheitsschwärmer, die das Alte nur verehren, weil es eben alt ist. Nur die Jesuiten wußten daraus Capital zu machen, um die katholische Kirche in ihren wichtigsten Positionen, Schule, Presse, Ehe und, nicht zu vergessen, das Geld der Gläubigen auf allen Wegen in ihre Gewalt zu bringen. Ihr Einfluß war es, der den Papst zu jenen Seligsprechungen veranlaßte, die eine Anzahl von Gliedern ihres Ordens den Heiligen zugesellte. Sie vermochten ihn, das verunglückte Dogma von der unbefleckten Empfängniß der Maria auszusprechen, das nicht durch die Beistimmung der Kirche, sondern dadurch, daß es trotz des Widerspruchs der besonneneren Katholiken vom Papste festgestellt wurde, charakteristisch den Papst auf’s Neue als den Unfehlbaren kennzeichnen sollte. Ihre Hand leitete den Abschluß jener Concordate mit verschiedenen deutschen Staaten, die an Oesterreich ihre verderbliche Wirkung zeigten; ihre Grundsätze bewirkten Gewaltthaten der Art, wie den Raub des Judenknaben Mortara, und ihre Anschauungen tönen in jener berüchtigten Encyklika der jüngsten Vergangenheit wieder, welche die ganze moderne Weltentwickelung mit einem stumpfsinnigen Fluche belegte.

Mit der kirchlichen ging die weltliche Politik Hand in Hand. Cavour’s patriotische Staatskunst und Garibaldi’s wagende Kühnheit machten Italien aus einem traurigen Conglomerat von geknechteten Fürstenthümern mit Einem Schlage zu einem Reich, und eine Kette blitzschneller Eroberungen kostete auch dem Papste ein Stück seines Gebietes. Rom wiederzuerobern und als Herz in den neugeschaffenen Staatskörper zu setzen, wurde das nationale Programm, durch die Septemberconvention von 1864 von Frankreich theilweise anerkannt, Rom oder der Tod ward die Losung, die, in Aspromonte von der italienischen Regierung gezwungen zum Schweigen gebracht, machtvoll in unsern Tagen wiederklingt. Das preußisch-italienische Bündniß hat Venetien schon der italienischen Nation zurückgegeben, Alles weissagt dem nationalen Gedanken die Zukunft, und was hat der Papst gethan? Von Antonelli’s tyrannischer Energie beherrscht, von Mérode’s jesuitischer Ränkesucht geleitet, hat er sich nur auf ein eigensinniges non possumus den versöhnlichsten und entgegenkommendsten Vorschlägen gegenüber, sich den neuen Verhältnissen zu fügen, gesteift, und nur mit Verdammungen und Klagen um sich geworfen. Den entthronten Franz von Neapel hat er in seinem ruchlosen Treiben gewähren lassen, durch Räuber- und Mörderbanden das neapolitanische Gebiet zu verheeren und Hunderte von harmlosen Landleuten der Grausamkeit und Habgier der verworfensten Strolche zu opfern; den Gräuelthaten der polnischen Hängegensd’armen hat er die Märtyrerkrone aufgesetzt, und währenddem seufzen seine armen Unterthanen unter dem Erpressungs- und Aussaugesystem habgieriger Beamten; das ärgerlichste Leben üppiger Würdenträger der Kirche wird geduldet, Unsummen für Decorationen und Illuminationen an hohen Festtagen werden ausgegeben, die alle öffentlichen Cassen trotz der zufließenden Peterspfennige erschöpfen und die Schulden immer unbezahlbarer machen; das herrlichste Land liegt öde, unbebaut, eine Wiege giftiger Fieber, das reichstbegabte Volk hat für seine Kinder wohl Anstalten, um Spitzen für die Priester klöppeln zu lernen, aber keine Schulen, um es zu ordentlichem Lesen und Schreiben zu bringen.

So steht es um Rom – das ist das Ende der Hoffnungen, die es dereinst auf seinen Papst setzte, und darum wahrscheinlich das Ende des Papstthums selbst, und doch steht, wie gesagt, an der Spitze dieses verfaulten Staates kein rücksichtsloser Tyrann, kein hinterlistiger Intriguant, sondern ein Mann von Wohlwollen, Güte und Liebenswürdigkeit, nach wie vor, und eigenthümlich ist es, so sehr das Papstthum als solches gehaßt wird, so tödtliche Feinde der höhere Klerus hat, der Papst selbst, rein als Mensch, hat immer seine Freunde noch auch im Volke, und das begreift man selbst als rechtschaffener Protestant. Selten wird ihn Jemand sehen und sprechen hören, ohne von dem Zauber seiner Erscheinung ergriffen zu werden.

Ich habe den Papst öfter gesehen, immer hat er diese mächtige Anziehungskraft auf mich geübt, und Vielen ist es so ergangen. So erinnere ich mich einer großen Audienz, die er am Ostersonnabend den zum Osterfest nach Rom gekommenen Priestern und Fremden gab und zu der gegen Anmeldung und ein anständiges Trinkgeld an den die Erlaubniß überbringenden Boten Jeder Zutritt erhielt, welcher die Mühe nicht scheute, sich in Gesellschaftsanzug zu werfen. Eine ganze Galerie des Vatican war mit Menschen angefüllt, meist Priester, unvermeidliche Engländer mit ihren noch unvermeidlicheren Ladies, dann auch Römer mit Frauen und Kindern, meist in Trauer. Die päpstlichen Palofronieri theilten die Anwesenden in zwei Reihen, durch die der Papst ganz weißgekleidet ging. Er sprach zu Jedem einige Worte, die der Anwesende knieend anhörte und die sich meist auf Gegenstände wie Rosenkränze und Heiligenbilder bezogen, für welche der Segen des Papstes erbeten wurde; zum Schluß bestieg er eine Estrade und hielt eine Ansprache auf Französisch. Nach einigen allgemeinen Betrachtungen kam er auch auf das Unglück zu sprechen, von dem das Land schon so lange heimgesucht, das den Müttern ihre Söhne, den Kindern ihre Väter, den Frauen ihre Männer gekostet hätte und das er freilich anderswo suchte, als worin es wirklich zu suchen war. Der Inhalt war nicht bedeutend, die Form die der pathetischen Phrase, aber unvergeßlich ist mir die Art, wie er sprach. Es lag eine Kraft und Milde, eine Fülle und Weichheit in den auf- und absteigenden Modulationen seiner Rede, die bis in’s [716] Innerste drang, und dazu das mächtige braune Auge in dem freundlich wehmüthigen Gesicht, welches so beredt mitsprach und in aufsteigender Rührung sich umflorte – es war jeder Zoll ein König und zugleich ein Priester. Will man das Papstthum ideal personificiren, man findet kein besseres Bild. Die Wirkung seiner Rede war denn auch die hinreißendste und packendste, die ich gesehen. Lautlos folgten die auf den Knieen gelagerten eleganten Officiere und bescheiden gedrückte Priestergestalten, seidenrauschende Fürstinnen und arme Frauen vom Lande, weißhaarige Greise und kleine Kinder seiner Rede; als die kirchliche Noth und das vaterländische Unglück erwähnt wurde, zog sich ein leises Schluchzen durch die Versammlung, Priester weinten wie im Krampf und auf ihren abgehärmten Gesichtern lag ein so verzückter Fanatismus, eine so leidenschaftliche Inbrunst. Sie sahen vielleicht den Papst zum ersten Male, ihren Oberherrn, ihren irdischen Gott, und warm und heftig mußte das Gefühl sein, das sie voll Verehrung zu seinen Füßen niederzog. Die armen Gesellen mochten auch an den Folgen der Politik zu tragen haben, zu deren Trabanten sie gemacht wurden, ohne gefragt zu werden, ob sie wollten oder nicht.

Aber noch ergreifender war der Anblick jener schwarzgekleideten römischen Familien, die bei den Worten des Papstes in Thränen ausbrachen; vielleicht daß im Aufstande ein theuerer Verwandter erschlagen, vielleicht daß er im Kerker schmachtete, in der Verbannung sich nach ihnen sehnte, tiefe Wunden schien die Rede zu berühren, und der gewaltsame Schmerz zeigte mehr als Worte, was jene Kämpfe dem Volke schon gekostet. Als der Papst mit gehobener Stimme den Segen ertheilt und sich entfernte, löste sich der Kreis der Knieenden in wilder Hast auf und folgte ihm; man wollte noch einen Segen für sich selbst. Eltern brachten ihm ihre Kinder, wer eine segnende Berührung erlangt, wem es nur gelungen war, ein Stück des päpstlichen Gewandes zu fassen, der segnete damit, als wenn in seine Hand ein heilsames Fluidum übergegangen, seine ganze Familie durch. Es war ein Moment, in dem die verblaßte Herrlichkeit des Papstthums wieder aufzuleben schien, in ihrer seelenbeherrschenden Gewalt. Was nur der geschichtlichen Erinnerung angehörte, gewann auf Minuten wieder Fleisch und Blut. Der päpstliche Greis war das Götterbild, vor dem die abergläubische Andacht in den Staub stürzte, wie der Buddhist vor seinem Dalai Lama.

Merkwürdig war es, daß auch für den unbetheiligten protestantischen Fremden dieser Rausch der Andacht etwas Packendes hatte. Lag es theilweise in der Gewalt der Vergangenheit, die sich an die Gestalt des Papstes knüpft, in der sympathischen Wirkung jeder großen und leidenschaftlichen Empfindung, welche sich von Einem dem Andern mittheilt, zuletzt war es doch der Reiz der imposanten Persönlichkeit, der mich auch nie mächtiger und unmittelbarer gefaßt hat, als Pius dem Neunten gegenüber. Und diese Würde des persönlichen Erscheinens schwindet auch nicht in jenen glänzenden Kirchenceremonieen, in denen er wie ein wächsernes Heiligenbild, in juwelengeschmückte Gewänder gehüllt, umhergetragen, auf seinen Thron gesetzt, aus- und angezogen wird. Wird es auch mehr Schauspiel, um die Sinne zu überwältigen und in staunende Andacht aufzulösen, nach dem päpstlichen Kirchenbegriff das Einzige, was dem Laien in der Kirche zukommt, wird auch nur der mit der mystischen Symbolik der katholischen Liturgie Vertraute etwas von gottesdienstlichem Zusammenhang in diesen heiligen Handlungen entdecken können – auf dem Gesicht des Papstes ruht das Auge immer gern und theilnehmend. Mag er auch den Segen ertheilen, die eine Hand zum Segen erhoben, in der andern die Tabaksdose, oder gar jenem heiligen Betrug sich fügen, bei der großen Procession um den Petersplatz am Peters- und Paulstag, die anderthalb Stunden währt, auf einem Schemelchen sitzend, sich umhertragen zu lassen, während künstliche Füße, die unter den weiten Gewändern hinten sichtbar sind, ihn als Knieenden erscheinen lassen sollen: man verzeiht dieses praktische Auskunftsmittel dem alten Manne, der eben in diesem Punkte Sclave ist und dem beschwerlichen Hokuspokus sich fügen muß. Sein Antlitz spiegelt bei alledem doch die fromme ernste Regung wieder, die in seiner Seele vorgeht.

Und wenn er auf dem Höhepunkte seiner priesterlichen Würde steht und am Osterfest von dem Hauptbalcon der Peterskirche den großen Segen ertheilt, der ungeheure Platz vor ihm mit Soldaten und Volk vollgedrängt, wenn die Kanonenschüsse von der Engelsburg schweigen, das weitdröhnende Glockengeläute verstummt, ja selbst die Fontainen plötzlich versiechen und über die knieende lautlose Menge voll und ehern seine Stimme bis zum äußersten Winkel vernehmlich dringt, das segnende Wort der Stadt und der Welt verkündend: dann fragen wir nicht, ob er das Recht hat, hier als Gottes Stellvertreter zu fungiren, dann lassen auch wir von diesem königlichen Greise uns mitsegnen und finden wenigstens, daß kein Mund und keine Stimme geeigneter ist, diese Verkündigung zu bringen, als die seine.

Des Papstes Umgebung weiß, welcher Zauber in seinem Auftreten liegt, und versteht denselben klug zu benutzen. Jene Rundreisen in der Umgebung Roms, sie werden auch aus politischer Rücksicht unternommen und sollen die Herzen immer auf’s Neue an ihren Herrscher ketten und bei ihm erhalten, und wie der Italiener empfänglich ist für Alles, was ihm schön und sinnlich anmuthend entgegentritt, so gelingen diese Unternehmungen auch, und in den kleinen Ortschaften hat Pius der Neunte wahrere und aufrichtigere Freunde, als in Rom und unter seiner herrschsüchtigen Umgebung. Aber er selbst geht nicht nur auf’s Land, um sich zu zeigen und für sein Regiment Propaganda zu machen, er geht dorthin, um eben dem gesündesten Gefühle der Menschenbrust zu gehorchen, sich in der Natur zu erholen und zu erfreuen, es ist vielleicht die einzige gesunde Regung und die einzige reine Freude, die ihm geblieben und gelassen, und eben weil es ihm hier gestattet ist, frei von dem drückenden Kirchenceremoniell, Mensch unter Menschen zu sein, bricht seine gute Menschennatur hier ungehindert hervor und findet wie überall ihre Schätzung und Verehrung.

In Castel Gandolfo im Albanergebirge ist sein Sommeraufenthalt. Es giebt vielleicht keinen schöneren. Die Gegend ist mild und mehr freundlich als groß, die Berge sind in sanften Linien gezogen, kleine Ortschaften hängen keck und malerisch in der Höhe, und in der Tiefe blicken die wunderbaren Kraterseen von Albano und Nemi uns still und heimlich an. Wundervolle Alleen von knotig verästelten, Jahrhunderte alten Bäumen verbinden die Städte Albano und Castel Gandolfo, und über Ariccia, Genzano, Nemi geht es hinauf zum Monte Cavo, auf dem der schöne Jupitertempel, aus weißem und gelbem Marmor erbaut, weithin ragte, bis im Jahre 1783 der Cardinal von York, der letzte der Stuarts, eine seiner Ahnen würdige That beging und in barbarischem Fanatismus ihn niederriß, um an seine Stelle und aus seinen Steinen die geschmacklose Dreieinigkeitskirche mit Kloster zu bauen. Ueberall öffnet sich der Blick auf die weite ernste Campagna, ihr öder verbrannter Boden flirrt im Sonnenlichte in tausend Farben, die Trümmer der alten Wasserleitung ziehen sich mit ihren Bogen durch dies schweigsame Ruinenfeld nach Rom, dessen Hunderte von Kuppeln und Palästen in feierlicher Ruhe emporragen, gewaltig beherrscht von den Denkmalen der zwei Machtperioden der Stadt, dem Colosseum und der Peterskirche. Am äußersten Westende blitzt das Meer in silbernen Streifen auf.

Hier begegnet man unter der Masse von Fremden, die ihre Villeggiatura am liebsten in dieser Gegend nehmen, an schönen Abenden Pius dem Neunten lustwandelnd, nur von Einigen seiner nächsten Umgebung begleitet, während zwei Nobelgardisten ihm voranschreiten, um, wo es nöthig, die gehörig ehrfurchtsvolle Stellung der Vorübergehenden anzuordnen. Sie thun es höflich und liebenswürdig; sieht man es doch diesen adeligen jugendlichen Gestalten, in ihrer geschmackvollen Uniform und mit dem schöngeformten Römerhelm auf dem Haupte, gleich an, daß sie nicht gewöhnliche Gensd’armen sind, sondern zu den edelsten Familien Roms gehören, welche diese Leibwache des Papstes als Ehrendienst übernommen. Ihre Aufforderungen sind kaum nöthig, das Volk kniet von selbst schon nieder in althergebrachter Gewohnheit und wird von andachtbeflissenen Fremden fast noch übertroffen. Mit wohlwollendem, väterlichem Lächeln geht der Greis vorüber, den blutrothen Hut auf’s weiße Haar gedrückt. Ob dieser rothe Hut, unter dem schon so mancher blutige Gedanke in finstern, fanatischen Häuptern aufgährte, auf diesem Papsteshaupte die Weissagung ist eines blutigen Geschicks, das über Pius schwebt? Gott möge es verhüten, er hätte es wahrlich nicht verdient; sich selbst und alle seine Werke zu überleben ist hart genug. Der vielleicht letzte Papst mag, wie die Dinge auch gehen, ruhig sterben und keine Gewaltthat möge dem müden alten Manne das vielleicht ihm selbst erwünschte Märtyrerthum bereiten. Wenn die Zeit gekommen sein wird, da es keine Päpste im alten Sinne mehr giebt, und

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Abendspaziergang Pius des Neunten.
Nach der Natur gezeichnet von A. Diethe.

[718] von dem Capitole aus dann ein kräftiger, die Zeit und ihre Forderungen begreifender Herrscher das beruhigte Italien regiert, da wird die Welt Pius den Neunten würdigen und, mag die Folgezeit ihn heilig sprechen oder nicht, doch auf seinem Grabe den Kranz der Anerkennung niederlegen, der seiner verkehrten Regierung versagt bleiben mußte, welchen aber der Mensch im vollen Maße verdient.

Mitte October 1867.
E. B.