Textdaten
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Autor: Woldemar Kaden
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Titel: Im Herzen Calabriens
Landschaftliche Studie
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 79-82
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Cosenza und das Busentothal.

Im Herzen Calabriens.

Landschaftliche Studie von Woldemar Kaden.0 Mit Illustrationen von Paul Müller.


Die schöne grüne Basilicata mit ihren Eichenwäldern, rauschenden Bächen, freundlichen Ortschaften inmitten grünender Felder lag bereits hinter mir; einige Stunden noch und ich befand mich auf calabrischem Gebiete. Die mondhelle warme Sommernacht lud zur Fortsetzung der Reise ein.

Schweigsam ritten wir durch eine baumlose Wüstenei von Hügeln, Bergen, Schluchten und Thälern, dann über breite Hochebenen hin, die sich unter dem unbestimmten Lichte des Mondes in’s Unendliche zu dehnen schienen. Aus weiter Ferne, bald aus dem Thal, bald von der Höhe schimmerten einzelne Lichter, glänzte ein Hirtenfeuer; ganz in silbernen Duft gehüllt, von zarten Nebelwölkchen umflogen, stieg vor uns in stiller Majestät der gewaltige Monte Pollino empor, das Haupt der ersten Gruppe des calabrischen Apennins, gekrönt von einem Kranz hellleuchtender Sterne.

Keiner lebenden Person waren wir bisher begegnet, da, mitten in der Einsamkeit, stießen wir auf einen Trupp von etwa zehn Männern; sie hatten am Wegrande gesessen und standen bei unserer Annäherung auf. Räuber? ... Das helle Licht des süditalischen Mondes glänzte auf den Aexten, die sie im Gürtel, und auf den Läufen der Flinten, die sie über den Schultern trugen, und ließ ihre Gesichtszüge auf’s Deutlichste erkennen: braune, verwetterte, bartumbuschte Gesichter mit pechschwarzen Augen; den verwilderten Haarwald krönte, ich sah ihn hier zum ersten Mal, der bekannte famose Spitzhut, der Brigantenhut, wie wir ihn aus „Fra Diavolo“ kennen. Schwarze Sammetbänder, die über die schmale Krämpe in einem dicken Wust auf die linke Schulter herabfallen, zieren in hundert Windungen seinen kecken Kegel. Räuber? Nein, es waren friedliche gutmüthige Holzhacker, die aus Calabrien zur Arbeit herüberkamen. Sie boten uns freundlich eine felicissima und santa notte, bettelten schüchtern um eine Cigarre und setzten ihren Weg fort.

Aber die Säulen, die rechts und links am Weg stehen, um deren Bedeutung ich meinen Gefährten fragte, trugen durch lange Jahrzehnte Capitäle aus Räuberköpfen zur Abschreckung und unzählige Schädel sollen an ihrem Fuße eingescharrt liegen. Unsere nächtliche Unterhaltung drehte sich nun um den Brigantaggio, wie es sich gehört beim Eintritt in Calabrien, seine alte eigentliche Heimath, und der dämmernde Morgen ließ das Gruseln nicht gar zu arg werden. Bald auch wurde es lebendiger auf der Straße. Wir geriethen in eine Heerde von Büffeln hinein, deren Hirten die Ungebändigten mit dicken Keulen in Ordnung hielten. Es waren echte verwilderte Räubergestalten, und Trotz und Kühnheit sprachen aus ihren Zügen.

So wilde Gesichter diese Männer zeigten, ein um so freundlicheres zeigte uns die Landschaft, eine Campagna, wie sie reicher und heerlicher nicht gedacht werden kann.

Aber nur kurze Zeit dauerte diese grüne Pracht; sie verschwand hinter uns und verging wie eine Fata Morgana: die Küste that sich auf. So erreichten wir Oria, einst Sybaris genannt. Ja, Sybaris! Dieser Boden hier trug einst die mächtige Stadt, welche 100,000 Streiter ausrüstete, welche vier Nachbarvölker unterworfen hatte und von fünfundzwanzig tributaren Städten umgeben war. Alle Bedingungen für eine Welthauptstadt des Alterthums, hier waren sie erfüllt: mehrere Quadratmeilen fruchtbarster Ebene, im Norden der Apennin, im Süden die reichbewaldete, dem Schiffsbau dienende Sila, im Westen das schöne Plateau von Thurii, im Osten das an’s Mutterland anknüpfende Jonische Meer ....

Und heute? Die Ebene vor uns ist ein fieberathmendes Sumpfland, vollständig unbewohnt, nur Büffeln, Wölfen, Füchsen, Enten und anderem Wassergevögel zur Heimath dienend, höchstens von Jägern und verwilderten Hirten durchschweift.

Straße in Cosenza.

Im Alterthume ernährte dieser Boden eine Million Menschen und Sybaris bedeutet Ueberfluß. Wer kennt nicht die Schilderungen jener üppigen Feste, die hier abgehalten wurden, da der Sybarit Smyndirides mit tausend Dienern, vielen Fischern, Vogelstellern und Köchen nach Sikyon reiste und Alles in Wohlgeruch schwamm?

Mit Sybaris ging das auf den calabrischen Küsten angesiedelte Großgriechenland unter, der zarte und verzärtelte Grieche vermochte den Völkerstürmen nicht zu trotzen, dazu bedurfte es zäherer Naturen, brauchte es Menschen, die aus dem festen Holze der Berge geschnitzt waren. Der Grieche verschwand, die Ureinwohner des Landes, die Bruttier blieben, sie sind die Bewohner des heutigen Calabriens.

Wir stehen an den Ufern des Crati, der hier zwischen der Punta del Triente und dem Cap Roseto in’s Jonische Meer tritt. Er kommt weit her, aus dem Herzen Calabriens, vom Silawalde herab an Cosenza vorüber und bildet das verrufene Val di Crati, das Cratithal, das wir durchwandern, um nach der Hauptstadt des Landes, Cosenza, zu gelangen.

Der Crati ist heute ein recht freudeloser Fluß, und das Thal, das er durchschleicht, ist traurig und öde. Ein dichter Schilfwald, in welchem der Büffel wohnt, füllt es in der Mitte, träge läuft der Fluß an diesem dahin. Sein Wasser wird immer trüber, je mehr es der Mündung naht, und ist so dick, daß immer eine runzelige, metallisch gefärbte Haut, die sich in dicken Falten zusammenschiebt, darauf schwimmt. Immer mehr in die Breite geht er, fast jedes Jahr wechselt er sein Bett, und an der Mündung [80] ist er so schwach, daß er das Meer kaum erreichen kann. Ein Ort des Todes ist dieses Mündungsland: Blumen, Bäume, Vögel und alle Thiere fliehen es, dem Menschen haucht es Tod in seiner Malaria.

Bei Tarsia, dem wohl elendesten Dorfe Italiens, tritt man in das Val di Crati ein, das gänzlich unbewohnt ist. Kein einziger Ort hat gewagt, von der Höhe auf die Thalsohle herabzusteigen, eine Erscheinung, der man durch ganz Calabrien begegnet. Und die Orte auf den Bergen sind, was wir im Deutschen mit dem Namen „Nester“ bezeichnen: ungeordnete, liederlich zusammengewürfelte Häusergruppen.

Was die einzelnen Häuser jener Ortschaften betrifft, so sind sie fast alle ohne irgend einen architektonischen Reiz, sind plumpe, meist fensterlose Steinklumpen. Eine Mistpfütze steht vor dem Eingange, eine andere hinter dem Ausgange. In dem einzigen Zimmer oder Raume sehen wir rechts den abgetriebenen Esel, der gedankenvoll an seinem Heu nagt, links einen feuerlosen Feuerherd ohne Kessel, in dessen Aschehaufen eine dürre Katze freudelos zusammengekauert liegt. Nach vorn ein Fensterloch ohne Kreuz und Scheiben, auf dessen Sims ein paar ungewaschene Töpfe und Schüsseln stehen, höchstens ein blühender Nelkenstrauß als Zier dabei. Im Hintergrunde das mistduftende Familienstrohlager, unter diesem ein Trog, am Troge ein Schwein in Gesellschaft von ein paar Hähnen, Hennen und Hühnchen.

In jenem armseligen Strohbett über dem Schweintrog und Hühnerkorb wird der Calabrese der arbeitenden Classe, also des Landvolkes geboren, dort liegt er neben Vater und Mutter, bis der zweite Nachfolger das Licht der Welt erblickt, der ihn an den äußersten Rand zu Füßen drängt. Der dritte kommt und – er fällt nun aus dem Bett auf die harte Banklade am Herde. Jetzt steht er vielleicht im sechsten Jahre und ihm wird ein Amt: mit hochgeschwungenem Knittel trabt er hinter dem Esel, den Schafen oder Schweinen her, schneidet sich Pfeifen und schläft in der Sommernacht nicht mehr im Hause, sondern im leichten Strohzelt des Esels oder der Schafe. Mit neun Jahren giebt ihm der Vater die Hacke in die Hand, den Korb auf den Rücken: er muß hinaus auf’s Feld und Geld verdienen. Von der Schule ist natürlich keine Rede. So wird er ein armes, immer halbhungeriges Lastthier, denn der Lohn ist äußerst gering. Sein Sehnen ist jetzt eine Flinte und – ein Bett, was gleichbedeutend mit einer Heirath ist, denn das ärmste Mädchen, das weiß er genau, muß ihm wenigstens ein Bett zubringen. Und nun übt sich der arme Teufel im Singen von Liebesliedern, die Stimme ist rauh, aber die Lust ist groß und der Text ist von einer Zartheit und Innigkeit, wie sie unseren Kunstpoeten längst abhanden gekommen ist. Ich kann mir unmöglich versagen, eines dieser Lieder hier wiederzugeben; ich habe es in der Stadt Cosenza aufgeschrieben, wo es von einem Bauernburschen aus den Casali gesungen wurde.

Mündung des Busento in den Crati unterhalb des Hügels von
San Francesco da Paola (Alarich’s Begräbnißstätte).

„Der Mond ist bleich und bräunlich, Lieb, bist du,
Er trägt das Silber und du trägst das Gold.
Der Mond nimmt ab, du nimmst an Schönheit zu,
Er wird verfinstert, du bist immer hold.
Der Mond ist kalt, du bleibst die Gluthenquelle,
Sein Licht verschwindet, deins glänzt ewig helle.
So schön er ist, du übertriffst ihn noch,
Und süßer klingt dein holder Name doch.“

Wenn man diese robusten braunen, ungekämmten Burschen sieht, so wundert man sich, da sie doch nicht schreiben und lesen können, woher sie diese reichen poesievollen Verse nehmen; würden wir sie fragen, wir bekämen keine Antwort, oder die gleiche, die uns die wilden Waldvögel geben würden, sollten wir sie um den Quell ihrer Lieder befragen. – –

Die Höhen, die das Cratithal zur Rechten und Linken begleiteten, waren bebaut, es war die Zeit der Ernte, aber wie wenige Arme dienten ihr und wie mißmuthig ging das Alles von statten! In den Niederungen wurde hier und da gedroschen, aber in ganz prähistorischer Weise: Maulthiere, Esel, Pferde wurden über das am Boden ausgebreitete Getreide getrieben, einige zogen schwere Steine oder Blöcke über dasselbe hin, eine halbe Arbeit. Erst gegen den Abschluß des Thales nahm die Landschaft ein freundlicheres Gesicht an, die Höhen belebten sich durch Tausende von Häusergruppen und Häuschen, welche die Hänge der Berge buchstäblich bedeckten, sodaß es aussah, als ob ungezählte Schafheerden im Grün weideten – das sind die berühmten Cosentiner Casali, die einen dichten Kranz um ihre alte Mutter Cosenza bilden.

Immer lebendiger wurde die Straße durch Gruppen von heimwärtsziehenden Bauern in bunten malerischen Costümen, durch Schaf- und Rinderheerden; freundlichere Häuser von gastlichem Aussehen, hier und da ein wohlgepflegtes Gärtchen unter Bäumen kündeten die Nähe der Stadt, ein holperiges Pflaster beginnt.

Wir sind in Cosenza, der Kreishauptstadt, einem Orte von etwa 25,000 Einwohnern. Kreishauptstadt – das will zunächst nicht viel sagen, und wer, nachdem er auf seiner Wanderung durch Apulien, Basilicata und Calabrien mancherlei Ungemach ausgestanden, meint, jetzt der städtischen Herrlichkeit im Schooße zu sitzen, der wird arg enttäuscht werden: er sieht eine Stadt wie andere mehr, das heißt wie andere italienische Städte der südlichen Provinzen.

Auch in Cosenza sind die Häuser voll architektonischer Unmöglichkeiten gebaut und die Straßen wie in absichtlicher Unzugänglichkeit angelegt und so eng, daß sie kaum ein Wagen befahren kann. Doch herrschte überall ein reges Leben und die zahlreichen Handwerker arbeiteten fleißig vor ihren Werkstätten, das Leben aber war das einer Landstadt, und die Leute trugen fast alle die bäuerliche Kleidung. Leider kann man fast keinen Schritt thun, ohne auf zahlreiche Spuren der Erdbeben zu stoßen, von denen Cosenza ohne Unterlaß heimgesucht wird. Ich will nur an die entsetzlichen Erdbeben von 1783 und 1854, durch welche Calabrien in eine Wüstenei verwandelt ward, und an das vom 4. October 1870 erinnern, wo man in dieser Provinz allein 1600 total zerstörte [81] Häuser zählte. Dabei muß es Einen Wunder nehmen, daß die Häuser so unendlich hoch gebaut sind, doch hat das seinen guten Grund in einer andern Landplage Cosenzas: der Malaria, der Fieberluft. Viele Hunderte von Leuten liefen herum, denen nur zu deutlich das Fieber auf dem Nacken saß. Ein schmerzlich düsterer Anblick ist es, diese Menschen zu sehen: sie haben eine lehmgelbe Haut, einen durch Anschwellungen der Milz und der Leber aufgetriebenen Leib, bleiche Schleimhäute, wässeriges Blut, Beine und Füße dick geschwollen.

Frauentypen aus Calabrien.

Calabresische Landleute.

Ursache des Fiebers ist die Lage der Stadt, sind die Flüsse, die sie durchlaufen. Da ist zunächst der Crati. Gesund und frisch, ein schönes Gebirgskind, kommt er von der hohen Sila herab, von dem Berge Macchia Sacra, dem Heiligen Hain, nimmt unterwegs eine Menge Flüßchen und Bäche auf, erreicht aber Cosenza schon trägen Laufes. – Ich mußte lächeln, als man mir sagte, daß ihm die Alten die Eigenschaft beimaßen, die Haare gelb zu färben, denn das könnte, wenn ich das abscheulich semmelblonde, in seinem geröllreichen Bette in trüben Pfützen stagnirende Wasser sah, füglich noch heute geschehen; doch behauptet das Volk, daß er auch Goldsand führe. Der andere Fluß, uns von der Schule her, wo wir das Platensche Gedicht „Nächtlich am Busento lispeln bei Cosenza dumpfe Lieder“ auswendig lernten, bekannt, ist der historische Busento (nicht zu verwechseln mit dem in den Golf von Taranto mündenden Basento). Dieser hat seine Quellen auf dem Berge Santa Lucerna und auf dem Monte Cocuzzo, läuft ebenfalls gegen Cosenza, umgeht den Monte Pancrazio und vereinigt sich in dem Stadtviertel der „Rivocati“ unterhalb des Hügels von San Francesco da Paola mit dem Crati. Hier ist der Ort, der den Geschichtsforscher interessirt, denn hier wurde Alarich, der jugendlich-schöne Gothenkönig, mit all seinen Schätzen begraben, hier hatte man die Sclaven, die am Werke thätig gewesen, ermordet. Cosenza hatte bei Annäherung der kriegerischen Schaaren beschlossen, sich bis auf den letzten Tropfen Blut zu vertheidigen. Mauern und Thore waren befestigt, die Straßen verbarricadirt, die Häuser mit Brennstoff gefüllt worden. Gegen 3000 Bewaffnete waren in der Stadt und Umgegend zusammengeströmt. Alarich aber hatte Eile, nach Sicilien zu kommen, ließ sein Heer um die Hügel herummarschiren, sodaß Cosenza anfangs verschont blieb, fiel aber bei Cosenza dem Fieber zum Opfer. Heute, als ich auf der Brücke stand und auf das trockene Flußbett hinabsah, mußte ich lächeln, wenn ich mir Platen’s hochpoetische Worte ins Gedächtniß rief: „Wälze sie, Busentowelle, wälze sie von Meer zu Meere!“ Armer Alarich, dein Grab ist arg prosaisch!

Reicher und schöner als die Stadt Cosenza ist ihre Umgebung, ist sodann ihre Geschichte. In diese Umgebung zu schauen ist ein herzerfreuender Anblick: quellende grüne Fruchtbarkeit, reges Menschenleben auf allen Höhen. In dem Umkreise von drei, vier Stunden liegen gegen vierzig Städte und Dörfer, und dicht an die Stadt heran drängen sich, alle Höhen bedeckend, die nahe an hundert „Casali“, kleine freundliche, ackerbautreibende Dörfchen, von einem den echten alten Bruttiern entstammenden kräftig-gesunden Menschenschlage bewohnt. Ihre Entstehung verdanken sie der Noth, die Leute gingen aus der Stadt hinauf, da unten nicht mehr gut zu wohnen war. Zu Anfang des zehnten Jahrhunderts nämlich herrschten in Cosenza die Saracenen. Sie schalteten nach Gutdünken, vertheilten das bebaute Land unter ihre Soldaten und Veteranen und zwangen die Cosentiner, das Buschland zu cultiviren und außerdem Baumwolle, Papyrus, Maulbeerbäume und Manna-Eschen auzupflanzen. Die Kirchen wurden in Festungen verwandelt, ein großer Theil der Stadt niedergebrannt, ein großer Theil der Einwohner auch nach Afrika geführt. Wer sich flüchten konnte, ging aufs Gebirg, oder siedelte sich auf den Hängen der umliegenden Höhen an. Diese Einfälle der Saracenen wiederholten sich von Zeit zu Zeit und so blieben schließlich von 120,000 Einwohnern nur 6- oder 7000, welche die Stadt wohl oder übel wieder herstellten. Nicht mehr auf sieben Hügeln lag Cosenza (der Stolz der Cosentiner, die ihre Stadt gern mit Rom vergleichen), sondern drängte sich in wenig Sträßchen auf dem Monte Pancrazio zusammen. Den saracenischen Verwüstungen folgte das schreckliche Erdbeben von 1184, die kaum wieder zum Leben erwachte Stadt wurde ein Trümmerhaufen, unter dem die Hälfte der Einwohner erschlagen lag. Auch der alte Dom St. Pancrazio stürzte zusammen und begrub den Erzbischof mit vielen die Messe celebrirenden Priestern.

Dom in Cosenza.

1185 wurde der erste Stein zu dem neuen Dome gelegt an dem Orte, wo wir ihn heute noch sehen, und zur Weihe dieses neuen Domes, 30. Januar 1222, wurde der deutsche Kaiser Friedrich II. feierlichst eingeladen. Er kam, eingeholt von sämmtlichen Baronen des Val di Crati, das Cratithal herauf und wurde vom Volke mit unendlichem Jubel empfangen. Damals bestätigte der Kaiser alle alten Privilegien der Kirche. Dennoch war ihm Cosenza später durchaus feindlich gesinnt, und als sein aufrührerischer Sohn im Jahre 1242 nahe bei Cosenza in dem Silaflusse Saruto ertrank, [82] setzten die Cosentiner seinen Leichnam wie den eines Heiligen in dem Dome bei, und Manfred’s, des Sohnes Friedrich’s, Gebeine ließ der Erzbischof von Cosenza bei Benevento ausgraben und am Lixisflusse in alle Winde zerstreuen. Dennoch hatte die Sache der Hohenstaufen in Cosenza viele Anhänger, und der Papst zählte in Zukunft hier nur wenige Freunde. Seit 1340 wohnten auf den calabrischen Bergen, in Cosenza selbst und in den nahen Casali nicht wenige Waldenser, die hier Sicherheit und Frieden gesucht hatten. Diese gewannen nach Luther’s Auftreten in Deutschland ganz bedeutend an Macht und Ansehen, und der Lutherischen Lehre neigten sich viele der angesehensten Cosentiner Familien zu. So schickten denn die Waldenser Cosenzas Sendboten nach Genf zu Calvin, um „gewisseren Grund der neuen Lehre“ zu erfahren, und baten gleichzeitig um Lehrer. Diese kamen, mit ihnen aber auch der römische Schrecken. Ein entsetzliches Morden begann. Es genügt, zu erwähnen, daß der neue Glaube gründlich ausgerottet wurde, aber gleichzeitig füllten sich die Wälder mit Heimathlosen, die, da ihnen nichts Anderes übrig blieb, zum Räuberhandwerke griffen, und seit jener Zeit hat der Brigantaggio, der hauptsächlich einer ungebändigten Liebe zur Freiheit entsprang, nie mehr aufgehört und bildete bis vor zehn Jahren eine wahre Geißel des unglücklichen Landes.

Die Geschichte Cosenzas, welche starke Bände füllt, ist eine der interessantesten der Welt; ich habe hier nur unwesentliche Andeutungen machen können, doch zieht sich durch dieselbe als hellleuchtender Hauptgedanke die wärmste Vaterlandsliebe, die glühendste Liebe zur Freiheit, sie wirkte bestimmend auf das Handeln des Volkes, das trotz allen unsäglichen Elends, das ihm Menschen und Natur bereiteten, sich doch nicht zu Boden werfen ließ, sondern kräftig und entschlossen in die Zukunft sieht und eine schöne Zukunft mit Recht erhofft.

Als ich am Abende durch die Straßen der Stadt nach dem Hause des Gastfreundes zurückkehrte, erfreute ich mich der unzähligen reizenden Bilder des Friedens allüberall: heitere schwarzäugige Kindergesichter zwischen rothblühenden Nelken und buschigem Basilicum über die Treppenbrüstungen gelehnt, Gruppen von Maulthieren, Pferden und Eseln, von braunen kecken Burschen und stämmigen Männern, oft in das landesübliche Schaffell gekleidet, umstanden, spindeldrehende Frauen oder Mädchen, die mit großen Krügen von der Fontane kamen, eine Zigeunerbande malerisch hingelagert auf die breiten Treppenstufen der geschwärzten Taverna; die Schwalben flogen fröhlich zwitschernd um die Giebel der Häuser – nichts erinnerte mehr an die Ströme Blutes, die hier durch die Jahrhunderte geflossen waren.

Die Sonne sank hinter dem Schloßhügel hinab und tiefes Roth legte sich auf die ragenden Gipfel der majestätischen Sila. Abendroth! Mag es dem armen Lande einen schönen Tag verheißen!