Im Foyer eines Kunsttempels
Der Vorhang fällt, der zweite Act ist zu Ende von Moser’s munterem „Stiftungsfest“ und „tausend fleißige Hände regen sich“, den Dichtern und den Schauspielern durch immer erneutes Applaudiren Dank und Beifall für das eben gehabte Vergnügen auszusprechen. Vielleicht erscheint auch der schlafsüchtige Papa mit Kissen und Gießkanne in’s Besondere noch einmal auf der Bühne, um sich schmunzelnd vor dem gutgelaunten Publicum zu verbeugen – dann fällt der Vorhang auf’s Neue, es wird stiller im Hause, die Theaterzettel werden hervorgesucht, die Köpfe werden zusammengesteckt und man fragt sich, ob wohl jetzt die „größere“ Zwischenpause stattfinden werde. Der Zettel giebt leider darüber keine Auskunft mehr, wie er es doch früher gethan; schon längst ist jene Zwischenpause zu einer „längeren“ geworden, und so besinnt man sich denn nicht lange: wer das Sitzen und die überheiße Temperatur satt hat, erhebt sich und – voran die junge, geputzte, schöne Welt, die gerne sieht und zum Glücke sich noch lieber sehen läßt, strömt es in hellen Schaaren aus dem Zuschauerraum, die breiten Treppen hinauf, die breiten Treppen herunter, in das taghell erleuchtete, blumengeschmückte Foyer, den größten Schmuck und die prächtigste Zierde des Theaters.
Wir befinden uns in Leipzig, und wer jemals die berühmte Meßstadt besucht hat, weiß, wie sehr und mit welchem Stolz der wackere Leipziger auf „unser“ Foyer stolz ist, mit welchem Behagen er während der Zwischenacte in demselben auf- und abwandelt und mit welchem Wohl- und Selbstgefallen er selbst das ausschweifendste Lob in dieser Beziehung entgegennimmt. Uebrigens ist er, wie schon gesagt, dabei in seinem Rechte.
Die Sitte, sogenannte Foyers zu erbauen und sich in denselben zu ergehen, kam bekanntlich zuerst bei den Franzosen auf, die bei der leichten Erregbarkeit ihres Charakters am lebhaftesten den Drang in sich spüren mochten, über das eben Gehörte und Gesehene im Theater selbst noch ihre Meinung auszutauschen und sich im Gespräch sofort von den angenehmen oder nicht angenehmen Eindrücken wieder zu befreien, welche sie soeben von der Bühne herab empfangen hatten. Auf solche Weise und zu diesem Zwecke entstanden die Foyers, welche in natürlicher Folge den Damen dann auch noch dazu dienen mußten, bewundernden oder auch neidvollen Blicken ihre reichsten Toiletten, ihren kolossalsten Lockenaufbau und ihre glänzendsten Steine zu zeigen. Das parfümerfüllte, blumenduftige, lichtstrahlende Foyer ward rasch zum Tummelplatz der Parade und auf seinem spiegelglatten Parquet feierten Coquetterie, Schönheit, Esprit, hier im Scherz, dort im Ernst, bald ihre Triumphe ebenso reich, so voll und unbestritten, wie bisher im Ballsaal oder im Salon.
Das war zuerst in Paris, dann in London der Fall gewesen, bis es endlich zuletzt auch uns Deutschen in lobenswerther Weise einfiel, das Institut des Foyers mit seinem rauschenden Lärmen und seiner bunten Pracht auch nach Deutschland zu verpflanzen. Zwar bestanden hatte das „Foyer“ eigentlich auch in den Theatern diesseits des Rheins schon lange, aber verkümmert nur und armselig, des Namens schier unwürdig, welchen es trug, und meist nur aus einer herkömmlichen Conditorei bestehend, die ihre Ladenhüter von Zuckerwaaren hier loszuwerden hoffte, oder in einem Büffet, welches kaum eine Dame zu betreten wagte.
Das muß anders werden, sagte man sich in Deutschland, und hier wieder vor Allem in Leipzig, denn dies „ist ein klein Paris und bildet seine Leute.“
Die Gartenlaube hat schon im Jahr 1866 ihren Lesern davon berichtet, wie Leipzig mitten in den Stürmen und Schrecken des Krieges einen „Bürgertempel der Kunst“ errichtet und erbaut hat, der heute zu den schönsten und herrlichsten der überhaupt bestehenden gehört. Es ist damals auch des Breiteren davon erzählt worden, wie die Stadt das Alles nur aus ihren eigenen Mitteln geschaffen, und daran war der Wunsch geknüpft, daß es vergönnt sein möge, den Lesern der Gartenlaube später auch einmal eine Beschreibung und Darstellung des inneren, des decorativen Theils des Theaters zu geben. Dieser Wunsch findet heute seine Erfüllung und zwar von seiner schönsten Seite, durch die Abbildung des Foyers, wie sie der talentvolle Mitarbeiter des Blattes, Herr Sundblad, gefertigt hat.
Das Bild spricht für sich und zeigt unwiderleglich, wie Klein-Paris sich Groß-Paris – wenigstens in diesen Dingen der Kunst – nicht umsonst zum Vorbild und Muster genommen hat. In weitem Bogen führt das prächtig ausgeschmückte Foyer um den ganzen Zuschauerraum, dessen Balconlogen mit dem Mittelbalcon hier ausmünden, im Sommer mit hohen breiten Blattpflanzen verschwenderisch ausgeschmückt, auf den grünen Wandflächen, zwischen weißen, goldverzierten Pfeilern, hohe Spiegel, welche die Flammen der Kronleuchter blitzend wieder zurückstrahlen, darunter rothsammtene Divans und oben zwischen den Karyatiden der Pfeiler von Engeln getragene Medaillons, welche in Lebensgröße die Portraits berühmter Männer und Frauen zeigen, die entweder an dem Theater zu Leipzig selbst beschäftigt waren, oder zu diesem in irgend einer Beziehung standen. So die alte Neuberin, die einst im Bosengarten, da, wo sich heute die Nürnbergerstraße hinzieht, zur Regeneration des deutschen Theaters den ersten muthigen Anstoß gab, dann Lortzing, Marschner, Mendelssohn, Hiller, Capellmeister Schneider, die Dichter Gottsched, Felix Weiße und Kind neben den Schauspielern Rott, Stein und den beiden Genast, Mann und Frau. Sie Alle haben in den Mauern der Stadt Leipzig gewirkt, sie Alle haben mehr oder minder ihren Theil zur Blüthe der Kunst beigetragen, und sie Alle verdienen es, daß ihr Bild hier prange, umwunden von den Kränzen dankbarer und pietätvoller Erinnerung.
So schön es aber ist, den Hingegangenen ein dankendes Andenken zu bewahren, so wenig soll die Gegenwart vergessen werden und die Pflicht, derselben Genüge zu thun, so weit es nur in des Einzelnen Kräften steht. Zwei oder drei Tafeln, welche in breiten Goldrahmen die Wände schmücken, die sich zwischen den Eingangsthüren des Mittelbalcons hinziehen, legen für den Opfersinn der Leipziger Bürgerschaft auch hier ein glänzendes Zeugniß ab – die Tafeln zählen in stattlicher Reihe die „Wohlthäter der Theaterpensionsanstalt zu Leipzig“ auf – und hier, wo es sich darum handelt, den Künstlern, welche ihr Leben lang nur Anderen zu Gefallen und zur Erheiterung, zur Anregung und Erhebung gewirkt haben, ein sorgenfreies Alter zu bereiten, dürfte kaum eines der vielen reichen Leipziger Häuser als „Wohlthäter“ unvertreten sein. Gegenüber diesen Tafeln ruht auf einem Marmorsockel die Portraitbüste des Erbauers des Theaters, des nun auch verstorbenen Oberbaurath Langhans, von Blumen und Sträuchern umgeben, hinter welchen im Sommer die drei Flügelthüren des Balcons geöffnet sind, der selbst wieder im reichsten Schmucke durch Gärtnerhand prangt.
Von dem Balcon aus hat man einen schönen Blick hinauf
[161][162] zum klaren, sommerlichen Sternenhimmel und auf den weiten, stillen Augustusplatz bis hinüber zu einem andern Kunsttempel, dem Museum, das sich mit seinen großen, schönen Formen hell aus dem Dunkel der Nacht hebt.
Durch die Flügelthüren des Balcons aber weht die kühlende Nachtluft herein in das menschenerfüllte, glanzdurchwogte Foyer. Namentlich an Operntagen rauscht es und drängt es sich hier in bunter Menge, Kopf an Kopf, sich langsam vorwärts schiebend, sich neckend, sich zurufend, lachend, scherzend, da und dort sich wohl auch zu verstohlenem Geflüster zusammenneigend. So drängt es und schwirrt es hin, in reichen Toiletten, in bunter Pracht, bis die Klingel zum Beginn des nächsten Actes ertönt und sich der eben noch übervolle Saal wieder wie mit Einem Schlage leert.
Unser Zeichner hat von dem Leben und Treiben im Foyer des Leipziger Theaters ein Bild geliefert, das fast alle Berühmtheiten Leipzigs in bester Weise auf einen Punkt zusammendrängt. Die Leipziger Leser der Gartenlaube werden leicht die ihnen bekannten Gestalten herauserkennen; unseren auswärtigen Lesern aber, von denen gewiß Viele schon unsere Stadt besucht haben, müssen wir es überlassen, aus den verschiedenen Gruppen des Bildes Roderich Benedix, dessen Name überall gefeiert ist, wo eine deutsche Bühne je ihre Bretter aufgeschlagen hat, Fritz Hofmann, den unsere Leser aus seinen vortrefflichen Beiträgen kennen, die beiden Kritiker auf dem Gebiete des Dramas, Gottschall und Buchholz, dann die auf dem Gebiete der Musik, Bernsdorf und O. Paul, endlich den aristokratischen Herrn von Strantz, den Capellmeister Mühldorfer, den Componisten August Horn, die so beliebten als tüchtigen Mitglieder unserer Oper, Herrn Groß und die beiden Damen Mahlknecht und Borrée, sowie unsere muntere Liebhaberin, Fräulein Zipser, herauszufinden. Auch das Oberhaupt der Stadt sammt dem Theaterinspector werden sie bei genauerem Nachforschen vertreten sehen und sich freuen, vielleicht bei einem späteren Besuche in Leipzig allen diesen berühmten und angesehenen Herrschaften in Wirklichkeit wieder einmal auf dem Foyer zu begegnen.