Im Banne der Musen
Im Banne der Musen.
Es war vor ungefähr fünf Jahren, als ich vom Hofmarschallsamt zu Z. den ehrenvollen Auftrag erhielt, ein in der fürstlichen Sommerresidenz Falkerode belegenes Haus stilgerecht zu renoviren und zum künftigen Wohnsitze der Prinzessin einzurichten, welche nach kaum zweijähriger Ehe und noch nicht vierundzwanzig Jahre alt, verwittwet an den väterlichen Hof zurückgekehrt war.
Die hohe Dame hatte einen äußerst regen Kunst- und Schönheitssinn, der sich namentlich der altdeutschen Kunst zuneigte, und dem entsprechend wünschte sie ihren Wittwensitz eingerichtet zu haben. Sie schrieb mir persönlich:
„Das schöne alte Haus zu Falkerode, welches ich durch Sie, geehrter Herr, restaurirt und für mich ausgebaut haben möchte, steht seit vielen Jahren unbewohnt. Es ist ein Bau aus der besten Zeit der Renaissance und war einst die Wohnung des fürstlichen Hofpredigers. Als die Residenz vor mehr als fünfzig Jahren nach Z. verlegt wurde, hat Seine Durchlaucht, mein Vater, das Haus schließen lassen.
Mir ist das alte Gebäu von jeher interessant gewesen, und ich bitte Sie, mir dasselbe zu einem gemüthlichen Heim zu gestalten. Sie werden Vieles schadhaft und vernachlässigt finden, wie es nicht anders sein kann; ich bitte Sie, erstatten Sie mir deshalb zunächst Bericht, in welchem Zustande Sie das Gebäude gefunden haben …“
An einem nebeligen Septembermorgen, nicht lange nach Empfang dieser Zeilen, keuchte denn mühsam eine Extrapost, deren einziger Insasse ich war, den steilen Weg hinan, der, immer durch den herrlichsten Hochwald, nach Falkerode führt. Die Kuppen der Harzberge waren von dichtem Nebel umhüllt, aber schon zeigte er jenen silbernen Glanz, der das Hervorbrechen der Sonne jeden Augenblick erwarten läßt. Noch war das Laub der Buchen üppig und frisch; nur zur Seite des Weges schauten, an den Herbst mahnend, purpurn die Ebereschen aus grüner Blätterfülle hervor. Ein wunderbares Düften, wie ich es niemals anderswo, als gerade im Harz, wahrgenommen, quoll mir aus dem Walde entgegen. Rings umher feierliche Stille, nur unterbrochen durch den Schall einer Axt, der tief aus dem Buchenschlage zu mir herüber klang.
Ich war die Nacht hindurch gefahren, in Folge dessen müde und – daß ich es gerade heraus sage! – auch nicht sonderlich erbaut von der Aussicht, ein halbes Jahr oder länger inmitten der Harzwälder in einer ehemaligen Residenz zu sitzen, die, nach Allem, was ich davon gehört, das langweiligste Nest sein mußte, das auf der Welt existirt. Ich hatte mich vor einigen Wochen verlobt, und begreiflicher Weise kam mir der Auftrag Ihrer Durchlaucht jetzt nicht gerade gelegen; meine kleine Braut hatte sogar herzhaft gescholten über „Prinzessinnen-Launen“ – es klang fast hochverrätherisch, und um ein Haar hätte ich jetzt in meiner Extrapost das Scheltwort meiner Braut ingrimmig wiederholt, wäre nicht im Hintergrunde, wenn auch vorerst nur in äußerst blassen Farben, ein altes spitzgiebeliges Haus aufgetaucht, mit massivem Sandstein-Frontispiz, mit Eckthürmchen und all dem köstlichen Schmuck der edelsten Renaissance, das wohl im Stande ist, den Baumeister zu reizen, wie ein edles Wild den Jäger oder ein seltenes Gemälde den Sammler. Wenn es nur nicht gar so weit von D., wenn wenigstens Bahnverbindung vorhanden gewesen wäre, daß ich über Sonntag manchmal bei meiner Braut hätte sein können, in der gemüthlichen Wohnstube der Schwiegermutter, aber so? Weihnacht vielleicht, und das war noch so entsetzlich lange hin.
In diese Betrachtung verloren, hatte ich nicht bemerkt, daß wir auf der Höhe des Berges angekommen waren, und wurde erst durch die schmetternden Töne des Posthornes aufgeschreckt: der Schwager blies ein Liebesliedchen, als hätte er meine Gedanken errathen.
„Lebt wohl, ihr Augen, ihr schönen blauen,
Die ich nicht mehr bewundern kann –“
flüsterte ich mit, aber dann brach ich ab und vermochte kaum einen Ausruf des Erstaunens zu unterdrücken. Der Nebel hatte sich vertheilt; wie umflattert von weißen Schleiern thürmten sich bewaldete Berge nahe vor mir empor, und von einer dieser Kuppen grüßte im Glanz der Herbstsonne das weiße stattliche Schloß zu mir herüber, mit seinen schlanken Thürmen sich prächtig abhebend von dem dunklen Hintergrunde des mit Tannen untermischten Buchenwaldes. Ein feiner Duft lag über dem schönen Bilde, das mir nun plötzlich alle Sinne gefangen nahm. Der Wagen rollte rasch bergab und bog dann, ein Wildgatter passirend, in den Schloßgarten ein, der sich, Hunderte von Morgen groß, in schattiger Einsamkeit vom Schloßberge zu Thale zieht, stille Teiche umschließend, laubreiche Wildnisse und köstliche Blumenparterres bildend, in denen der plätschernde Springbrunnen oder die Gestalt eines Gärtnerburschen das einzige Lebende waren, was meine Augen erblickten. Dann gelangten wir durch eine kunstreiche schmiedeeiserne Gartenpforte, vorüber an den fürstlichen Marställen, auf einen freien Platz; links neben uns wird er von dem Bergkegel, der das Schloß trägt, vor uns und zur rechten Seite aber von mannigfachen Wirthschaftsgebäuden umgrenzt, und gerade abwärts führt eine üppige Kastanienallee in das winzige Städtchen, welches inmitten seiner Obstgärten am Fuße des Berges liegt.
[806] „Sie wissen Bescheid hier?“ fragte ich den Schwager auf dem Bock; „ich will im ,Hirsch’ absteigen.“
Das gebräunte Gesicht unter dem Wachstuchhut sah mich verschmitzt lächelnd an.
„Bin ein Falkeroder Kind, Herr Baumeister; meine Alte ist fünfunddreißig Jahr botenweis gegangen nach Bernerode hinauf, auf alle die Dörfer und Mühlen – kenne Weg und Steg hier herum; übrigens giebt’s nur ein Gasthaus hier; der Herr hat keine Wahl; es liegt gleich um die Ecke des alten Hofpredigerhauses.“
Er wies mit der Peitsche auf ein hohes, finsteres Gebäude. – Also das mein Reiseziel!
Massig hob es sich empor mit seinem spitzgiebeligen Dache und den altersgrauen gewaltigen Mauern; den erblindeten Butzenscheiben der zahlreichen kleinen Fenster vermochte selbst die funkelnde Herbstsonne kein Blitzen abzuschmeicheln. Ein mächtiges Frontispiz mit dem Wappen des fürstlichen Hauses, dem springenden Hirsch, geschmückt, krönte das Ganze, und den decorativen Schmuck vollendeten schiefergedeckte Eckthürmchen nebst kunstvoll gearbeiteten Nischen von Sandstein; sie befanden sich zur Seite der mächtigen Eingangsthür, auf deren Rundbogen ich im raschen Vorbeifahren las:
Ich hatte nicht lange Ruhe in dem sauberen Gasthof, an dessen primitiver Table d’hôte, welche ich mit zwei Handlungsreisenden und einem Förster theilte, mich sogar die Krammetsvögel nicht zu fesseln vermochten. Ich schickte den Burschen in kurzer Jacke, der mir als Kellner vorgestellt worden, gleich nach Tische zum Schloßcastellan mit der Frage, wann er mich in das Hofpredigerhaus führen könne; denn mir war die Weisung geworden, mich an diesen zu wenden, auch habe er Befehl erhalten, mich zu geleiten.
Der Alte sei über Land zur Taufe eines Enkels, berichtete athemlos der Kellner; die Frau habe das Reißen und könne nicht wohl mitgehen, aber wenn der Herr bis vier Uhr warten wollte – um vier Uhr käme „die Dorchen“ aus der Stadt zurück und könne mir aufschließen.
Was blieb mir übrig? Ich mußte schon auf Dorchen warten, und die vier Stunden mußten auf irgend eine Weise todtgeschlagen werden. Ich schrieb einen längeren Brief an meine Braut, als ich aber nach dessen glücklicher Expedirung in den Postschalter ungeduldig nach der Uhr sah, war es eben fünf Minuten über halb Drei; ich ergriff daher Hut und Stock, um in den Straßen des Städtchens ein wenig zu flaniren.
Auf dem freien Platze unterhalb des Schlosses war es noch ebenso einsam, wie vorhin; nur einige beerensuchende Kinder zogen mit klappernden Pantoffeln in den Wald, und ein Jägerbursche, dem ein großer Hund auf den Fersen folgte, verschwand pfeifend in einem mit Hirschgeweihen decorirten Hause.
„Die Oberförsterei vermuthlich,“ sagte ich halblaut und ließ meinen Blick über die den Platz begrenzenden Gebäude schweifen. Welch wunderbare Zusammenstellung! An den alten Renaissancebau des Hofpredigeramtes lehnte sich ein zweistöckiges Gebäude, jedenfalls dem Rococo entstammend; es war, als suchte es, wie eine alternde Schöne, seine Hinfälligkeit unter blaßrothem Anstriche und weißen Stuckguirlanden zu verstecken; dann wieder die schmucke, in Schweizerstil erbaute Oberförsterei und Wildmeisterei, und hier – was war das?
Ich hatte dem alten Hause den Rücken zugewendet und sah hinüber nach einem Baue, der sich am Fuße des bewaldeten Kegels, welcher das Schloß trägt, aus üppigem Grün emporhob. Einem griechischen Tempel nachgebildet, trugen auf stufenförmigem Unterbaue sechs schlanke dorische Säulen das Architrav mit dem krönenden Giebelfelde, und von diesem leuchtete und funkelte in der Herbstessonne die goldene Inschrift zu mir herüber:
Anno D. 1670.“
„Dem Apoll und den Musen geweiht,“ sagte ich halblaut, „das Theater des kleinen Hofes.“
Unwillkürlich sah ich mich um; gegenüber lag das ehrwürdige Pastorhaus und schaute fast verächtlich mit halbblinden Augen sein leichtsinniges vis-à-vis an, das ihm so ostentativ vor der Nase lag – in wahrhaft antiker Schönheit.
„Eine merkwürdige Nachbarschaft,“ setzte ich mein Selbstgespräch fort, und schritt nun zu meinem eigentlichen Reiseziele hinüber. Alte ausgetretene Sandsteinstufen führten zu einer mächtigen eisenbeschlagenen Hausthür; drohende Lindwurmköpfe aus kunstvoller Bronze-Arbeit bildeten den Drücker und Klopfer, und auf dem Rundbogen las ich fast andächtig eine lateinische Inschrift aus dem Jahre 1605 – ich glaube, sie besagte: „Du, Gott, bist mein Heil. Was kann der Mensch mir schaden?“
Ich betrachtete noch eine Zeitlang das Haus und dachte schon jetzt mit herzlicher Freude daran, den alten schönen Bau zu renoviren. Grün und schattig lag hinter den eisernen Gitterthoren der Schloßgarten. Ich durchwanderte die prachtvollen Alleen, erstieg die Terrassen und bewunderte die rauschenden Springbrunnen und Cascaden. Auch hier kein Mensch – eine fast spukhafte Einsamkeit allenthalben! Ich promenirte um das ganze Schloß herum, stand auf der prächtigen aussichtsreichen Rotunde vor demselben; ich sah zu den geschlossenen langen Fensterreihen empor und ging über den einsamen Schloßhof. Ein starker Zugwind strich mir entgegen. Am Schilderhaus stand schläfrig ein Posten; aus der Wachtstube erscholl ein herzhaftes Gähnen.
Vielleicht weist mich Jemand hier hinaus, dachte ich und hoffte im Stillen, ein lebendes Wesen zu erblicken, das mich, wenn auch grob, doch wenigstens anspräche. Umsonst – ich hätte ruhig in das geöffnete Portal treten, durch alle Gemächer wandern können; mir wäre höchstens eine gespenstige weiße Dame begegnet.
Und plötzlich fand ich mich wirklich eingetreten und schritt die breite mattenbelegte Treppe empor. Eine Flügelthür gerade vor mir stand offen und ließ mir den Eingang in einen Saal frei, dessen Wände mit Portraits fast bedeckt waren. Man schien hier beim Aufräumen zu sein; denn es lagen Besen und Tücher am Boden, und an einigen Fenstern hatte man die Wetterrouleaux emporgezogen. Ich sah das nur flüchtig; denn mich fesselte zunächst dem Eingange das prächtig gemalte Bild einer Dame in der Tracht aus der Mitte des siebenzehnten Jahrhunderts: aus purpurrothem Sammet hob sich ein wunderbar weißer Hals, auf dem ein von braunem Gelocke umwallter feiner Kopf saß, anmuthig etwas zur Seite geneigt. Das schmale Gesicht hatte etwas unendlich Anziehendes durch ein Paar schwärmerische blaue Augen, die unter dunklen Brauen aufblickten; nur die feine, kurze Nase und ein fast zu voller rother Mund wollten kaum zu dem sinnenden Ausdruck der Augen passen, und dennoch war das Gesicht von bestrickendem Reize. „Louise Charlotte, Prinzessin zu Z.,“ las ich an der Verzierung des Rahmens. „Sie starb unvermählet im fünfundachtzigsten Jahre ihres Lebens,“ hatte man daneben notirt.
Ich wagte nicht, weiter in den Saal vorzudringen, sondern wandte mich nur noch einmal im Hinausgehen nach dem schönen Frauenkopfe um, dessen sinnender Blick mir zu folgen schien, und während ich die Treppe wieder hinunterschritt, grübelte ich nach, warum denn wohl diese reizende Prinzessin einsam geblieben? Meine Phantasie fühlte sich in dem spukhaft einsamen Schlosse zu allerlei Spielereien angeregt, combinirte mir wahrhafte Romane, in denen natürlich die schöne Louise Charlotte immer die unschuldig Leidende blieb.
Ungesehen gelangte ich über den Schloßhof, suchte eine der reizenden Lauben auf, hob keck die seidene Schnur, welche die Landesfarben trug – sie suchte mir vergeblich ein mahnendes „Verbotener Eingang!“ zuzurufen – und setzte mich auf eine der bequemen Bänke, entzückt von der herrlichen Berglandschaft, die im glühenden Scheine der späten Nachmittagssonne vor mir lag. Ich dachte mir dieses Schloß um zweihundert Jahre zurück, in die Zeit, da die Prinzessin gelebt und das kleine Schauspielhaus dort unten erbaut wurde. Ich erinnerte mich, daß die fürstliche Familie noch heute stolz darauf ist, die edle Kunst des Schauspiels mit am ehesten in Deutschland gepflegt zu haben. Im Geiste sah ich einen ehrwürdigen Hofprediger an das Fenster seines dort unten gelegenen Hauses treten; betrübt gewahrte er, wie das Volk zur Kurzweil und sündlichen Narrethei in den griechischen Tempel strömte – ich meinte seine Seufzer zu hören. Wer weiß, ob nicht die schöne Prinzessin das Komödienspiel protegirte? Schon wieder spann ich einen neuen Roman, der ganz verwegen darauf hinauslief, daß sie heimlich einen Komödianten liebte und, weil sie nicht die Seine werden durfte, unverheirathet blieb. Und bei der weiteren Ausschmückung dieses Capitels überkam mich die Müdigkeit – ich schlief ein, auf der fürstlichen Bank, in der verbotenen Laube.
Es schlug sechs Uhr vom Schloßthurme, als ich erwachte — [807] um vier Uhr hatte das unbekannte Dorchen meiner warten wollen. Schon senkte sich leichte Dämmerung über die Berge; es war windig geworden, und im Westen hatte sich schwarzes Gewölk gelagert, von der untergehenden Sonne mit blendendem Scheine umsäumt. Hastig eilte ich durch die verschlungenen Gänge den Schloßberg hinunter, vorüber an dem Theater, und stand bald tiefathmend vor der Pforte des alten Predigerhauses. Sie war nur angelehnt, ein mächtiger Schlüssel steckte von außen im Schlosse; also man wartete meiner.
Ein unangenehmes Rasseln begleitete das Oeffnen der schweren Thür, und vor mir that sich ein weiter Hausflur auf, in dessen Ecken schon farblos die Dämmerung lag. Ich schloß die Thür hinter mir und wartete auf das Dorchen – kein Laut im ganzen Hause!
„Ist denn hier Alles verhext und verzaubert?“ raisonnirte ich ärgerlich und riß die Thür mit der rasselnden Schelle heftig noch einmal auf, um sie gleich darauf geräuschvoll wieder zu schließen; es lärmte gewaltig und klang verdoppelt von den Wänden zurück, aber es rührte sich nichts.
Ich hatte Muße, mich hier vollständig zu orientiren: unter der Decke mächtiges dunkles Balkenwerk, hüben und drüben Thüren im Rundbogenstil, zu denen einige Stufen emporführten; geradeaus eine breite Treppe mit kunstreichem Eisengeländer und links und rechts von ihr ebenfalls zwei Bogenthüren, wahrscheinlich zu den Wirthschaftsräumen oder in den Garten führend. Die einst weiß getünchten Wände schmückten lebensgroße Oelbilder in schwarzen schmalen Holzrahmen, von Staub und Spinnengewebe überzogen und nachgedunkelt; ich konnte in dem einen Bilde, vor dem ich gerade stand, nur mit Mühe das Portrait eines geistlichen Herrn aus längst vergessenen Zeiten erkennen. Ich betrachtete sie einen Augenblick, das Warten darüber vergessend.
„Alte Schinken!“ sagte ich halblant, „deshalb wahrscheinlich hier verblieben.“
Und noch einmal aufhorchend, ob nicht endlich Jemand komme, wollte ich mich schon zum Gehen wenden, um nicht gar noch in die Bude eingeschlossen zu werden, als ein leiser schlürfender Tritt an mein Ohr tönte und gleich darauf eine kleine gebückte Frauengestalt die breite Treppe aus dem obern Gestock herunter kam: ein Mütterchen in altmodiger Kattunhaube; die Brille auf die Stirn geschoben, trug sie einen langen weißen Strickstrumpf in den knöchernen Händen, den sie nun gewandt unter den Arm schob, um mit zitternden Fingern ein Schlüsselbund loszunesteln, das ihr zur Seite hing. Sollte das Dorchen sein? Ich hatte sie mir eigentlich anders vorgestellt.
Nun, gleichviel – sie wollte wenigstens aufschließen. Ohne ein Wort zu sprechen, stieg sie wieder treppauf, und ich folgte ihr die ächzenden Stufen hinan, über einen gypsgegossenen Flur; vor einer altersbraunen eichenen Thür blieb sie stehen und öffnete. Ich trat in ein fast leeres Gemach, in dem nur ein grüner ungeheuerlicher Kachelofen zu bemerken war, daneben ein Tischchen, bedeckt mit mancherlei Papieren, und ein Stuhl.
„Das Haus ist schon lange unbewohnt?“ fragte ich meine schweigsame Begleiterin.
Ein stummes Kopfnicken war die Antwort, aber sie rückte dabei den Stuhl, wie um mich einzuladen, ich solle Platz nehmen.
„Was sind das für Papiere?“ forschte ich.
„Ein alter Plan des Hauses,“ erwiderte sie, „den Durchlaucht vor Jahren hat anfertigen lassen, als Sie einen Umbau vorhatten.“
„Ah so, jedenfalls angenehm, daß er schon vorhanden; es erspart mir Arbeit. – Das Haus ist völlig leer?“ erkundigte ich mich weiter, „kein Geräth und keine Möbel mehr?“
„Etwas altes Gerumpel, Herr, und was so noch in den Wandschränken steckt – sonst nichts!“
Sie räusperte sich und fuhr dann fort:
„Dorchen hat vorhin erst noch einen Wust alter Papiere gefunden, in dieser Stube, dort im Spind am Ofen; sie hat’s zusammengeklaubt und wieder hineingethan. Den Schrank haben wir auch so zufällig entdeckt; er war mit Tapeten überklebt und mag lange nicht offen gewesen sein; denn die Schriftstücke sind gelb geworden, und die Würmer treiben ihr Wesen damit; sie sind morsch zum Zerfallen.“
Ich hörte schweigend zu – die Stimme der Alten klang so monoton; es war beinah finster geworden, und die dumpfe Luft lag erstickend und schwer auf mir.
„Ich kann das Haus heute Abend nicht mehr besichtigen,“ sagte ich dann.
„Ja, der Herr war nicht grad’ pünktlich; wer kann’s ändern,“ erwiderte die Alte mit einem gewissermaßen vorwurfsvollen Ton; „hat die Dorchen doch schon zwei volle Stunden vergebens hier gesessen! Da hat sie denn überall umher gestöbert; sie sagt, die Weil wär ihr nicht lang worden; sie hätt’ in den alten Papieren gelesen; indeß, sie mußt’ Abendbrod besorgen – da ist sie nun fort. Sie weiß besser Bescheid als ich; ich kann nichts dafür.“
Ich stand in Gedanken, ärgerlich, daß der Tag verloren. Der Prinzessin hatte ich versprochen, gleich über den ersten Eindruck zu berichten: ich hätte so schön einen Anschlag machen können während des langen Herbstabends; was sollte ich nun beginnen? Schlafen? Ich war so völlig munter geworden nach meinem Schlummer. Punsch trinken? Darnach war die Stimmung nicht. Irgend etwas mußte doch –
Da blitzte mir ein Gedanke durch den Kopf.
„Könnte ich wohl Licht, etwas Abendbrod und Feuerung hierher bekommen?“ fragte ich. „Ich möchte noch ein wenig arbeiten.“
Die Alte schwieg mürrisch.
„Werde Dorchen fragen,“ murmelte sie dann und schlürfte langsam aus der Thür.
Nach einer Weile klang das Rasseln der Schelle durch das stille Haus, und in dem spärlichen Dämmerlichte sah ich die Frau über den Platz schwanken; der Wind zerrte an ihren Kleidern, und die ersten Regentropfen schlugen klatschend an die Scheiben.
So stand ich lange und sah zu dem Schlosse hinüber und zu dem kleinen Theater. Es war mir seltsam zu Muthe in dem öden alten Hause, um das der Wind jetzt so merkwürdig heulte, in dem unheimlichen Zwielicht um mich her. Wie manches Stückchen Menschenleid und Menschenfreud’ mochten diese Räume gesehen haben, wie manch ein Kind mochte hier geboren, wie Mancher hinausgetragen worden sein, und Allen war wohl das gemeinsame Loos beschieden, jubelnd Glück und tiefer Jammer, Enttäuschung und immer wieder Enttäuschung! Wer das gleich so Alles wüßte – wenn die stummen Wände zu erzählen vermöchten!
Eine Stunde mochte vergangen sein – da rasselte die alte Schelle wieder; das klang viel frischer als vorhin; dann kam ein leichter Frauentritt die Stufen herauf und näherte sich meiner Thür; mit einem fröhlichen „Guten Abend!“ ward diese geöffnet, und ein junges Mädchen erschien auf der Schwelle, ein Windlicht in der Hand, dessen Schein voll ihr frisches Gesichtchen traf. Am Arm trug sie einen Henkelkorb, aus dem ein Flaschenhals verheißend hervorlugte.
Ohne sich mit langer Vorrede aufzuhalten, ging sie rasch an ein Gemüthlichmachen des Zimmers, zuerst an den Ofen, in dessen weitem Rachen bald prasselnd die Buchenscheite brannten; dann ward im Umsehen aus dem Nebenzimmer ein zweiter Tisch herbeigeholt, fingerdicker Staub abgewischt, ein blendend weißes Tuch aufgedeckt und gar appetitlich mit kalter Küche und Wein besetzt. Ein ungeheurer Ohrenstuhl mit defectem Ueberzug stand bald davor; die Läden wurden vor die Fenster geschlagen; die Lampe brannte, und so wohnlich es in einem leeren Zimmer nur je aussehen kann, war es hier geworden.
Als das hübsche Mädchen mit ihren Anordnungen fertig war, blieb sie stehen und sah mich lächelnd an:
„Wunderlich ist’s doch, Herr Baumeister,“ begann sie, „bei meinem Enkel, dem Hirschwirth, ist es so gemüthlich Abends in der Gaststube; er sticht heut echtes Bier an, und der Schloßteich ist gefischt: es giebt delicate Schleie und Karpfen; die sämmtlichen Beamten sind da, sogar der Herr Oberförster und der Rentmeister, und Sie setzen sich in das alte spukhafte Haus und wollen studiren, wie die Großmutter sagt?“
„Ich denke, Sie haben das heute auch gethan, Fräulein Dorchen? Sie haben ja wohl sogar einen Fund gemacht?“
Sie nickte.
„Freilich! Aber das ist nichts für Sie; das hat ein Frauenzimmer geschrieben; Christiane heißt sie, und hier im Hause wohnte sie – soviel habe ich herausgekriegt, und des Pastors Tochter ist sie gewesen. Da ist das Zeug.“
Sie öffnete mit Mühe einen schmalen Wandschrank; eine [808] Wolke von Staub zog ihr entgegen, und gelbes Wurmmehl stäubte auf ihr schwarzes Schürzchen. Sie legte einige ganz vergilbte, mit einem verblichenen Bande umwickelte Blätter vor mir hin.
„Vielleicht lesen Sie es doch, Herr Baumeister; wenn es hübsch ist, können Sie mir’s erzählen. – Gute Nacht! Die Hausthür bleibt offen; es ist nichts zu stehlen hier. Der Großvater kommt jeden Augenblick vom Taufen zurück,“ setzte sie hinzu, „da will ich daheim sein.“
Ich hörte sie die Treppe hinunter eilen und die Schelle rasseln; dann war ich allein. Ich aß zerstreut zu Abend; denn meine Augen hingen wie gebannt an den alten Blättern; ich zog den von Motten zerfressenen Lehnstuhl an den Ofen, holte das Tischchen mit den Papieren herbei und machte mich daran, mir die Pläne anzusehen, aber über sie hinweg griff ich doch mechanisch nach dem vergilbten Päckchen und begann zu lesen – ich vergaß alles Andere darüber.
Draußen rüttelte der Wind an den Läden, daß es ächzte und unheimlich durch das öde Haus scholl, mir aber war es gar bald nicht mehr öde zu Sinn; denn die, so einstmals hier gewohnt, wanderten wieder durch die Räume, in Leben und Wirklichkeit.
Und hier die einfache Geschichte, wie ich sie später abgeschrieben von den morschen zerfallenden Blättern, um sie meiner Braut auf den Weihnachtstisch zu legen, ein Stücklein Menschenleben aus längst vergangener Zeit:
quid mihi faxit homo?‘
Also stehet geschrieben über der Pfordten dieses Hauses, in welchem ich geboren und gelebet bis itzo, und das ich erst dann verlassen werde, so man mich hinausträgt, ein stilles Weib. Ich weiß, wann ich gestorben, wird ein Lächeln sein um meinen Mund; denn meine Sehnsucht ist sodann gestillet.
Ein schön und herrlich Sprüchlein das obige – ‚Du, Gott, bist mein Heil – was kann der Mensch mir schaden?‘ und dennoch ist lange Zeit verflossen, bis ich es verstehen lernte; denn bitter Leid ist mir widerfahren von den Menschen, so bitter und wehe, daß mein Herze selbst von Gott nichts zu wissen begehrete, dieweilen Er Solches zuließ.
Viel Trübsal und schwer Bedrängniß ward mir zu Theil, so mich jahrelang in dunklen Banden hielt, und als es heller um mich zu werden begunnte, und mein verdüstert Gemüth sich Dem wieder zuwendete, der jeglich Schicksal lenket, da erblickte ich in meinem Spiegelein ein verfallen Antlitz, und graue Haare auf meinem Haupte. Geht manch Einem so! Die Jugend ringet schier ungestüm und trotzig gegen hartes Loos, dann versagen mählig die Kräfte; Demuth und Milde kehren zurück, die so lang fern weileten, und zum Ende wissen wir dankbarlich die Hände zu falten und zu sprechen: ‚Du, Herr, bist mein Heil – was kann der Mensch mir schaden?‘
Darum vermag ich auch itzo ruhig das niederzuschreiben, was mir lange Zeit ein brennend Wehe schuf. Möchte wohl, daß Alle die es leseten, so ich in meines Herzens Leerheit und Bitterkeit wehegethan und so dennoch manch barmherzig und tröstend Wortlein hatten für das einsame herbe Weib, das fremd an ihnen vorüber zu schreiten pflegete. Möge es ihnen dereinsten reich vergolten werden, hienieden und dorten! Und so beginne ich denn in Gottesnamen:
Anno Domini 1699.
An die fünfzig Jahre sind es her, daß meine Wiege hier im selbigen Zimmer ist geschaukelt worden. An einem Sonntag war es, im August; – Sonntagskinder sollen gemeiniglich Glück haben. Und es hat nicht gefehlet, daß man mir dieses oft genug erzählet und geweissaget hat; Base Wieschen meinte sogar, ein Sonntagskind, das, wie ich, beim Glockenläuten geboren, wisse mehr Dinge, denn andere Menschen, könne sogar verstehen, was die Vögel reden, – die Prophezeiung ist aber nimmer wahr geworden; ah, es giebt wohl Ausnahmen in der Regel.
Von meiner ersten Jugend weiß ich wenig, nur daß es sehr still war in unserem Hause; denn der Hofprediger, mein Vater, war ein finsterer Mann, dessen ernsten Mund ich niemalen habe lachen gesehen, saß stets vertiefet über den Büchern in seinem Studirstüblein, wenn ihn nicht sein geistlich Amt zur Schulen oder Kirchen rief – entsinne mich gar wohl der vielen stillen Stunden in der großen Wohnstube linker Hand mit dem schweren Eichentisch zwischen den Fenstern, dem bunten Kachelofen, dem schmalen Faulbette und dem knisternden Sand auf dem gypsgegossenen Estrich. Allda saß in der tiefgewölbten Fensternische spinnend oder nähend mein Mütterlein und ich zu ihren Füßen, eine Tannennadel an einem Faden gebunden und ein bunt Läppchen in den Kinderhänden, eifrig ihr nachahmend, indessen Base Wieschen, ein alt Weiblein aus der Mutter Sippe, so in unserem Hause Unterkunft gefunden, gar anmuthige oder schauervolle Märlein erzählte.
Die Lippen der Alten verstummeten freilich geschwind, sobald der Vater in’s Gemach trat; der nannte sie ein abergläubisch Weib, das arge Sünde thue und schwerlich droben in Gnaden eingehen werde, bleibe sie bei ihrem Unglauben. Die Alte pflegte dann den Kopf zu senken, um ihn, sobald der Vielgestrenge zur Thür hinaus war, desto sieghafter zu erheben.
‚Und es ist dennoch wahr,‘ behauptete sie kühnlich, ‚es giebt einen wilden Jäger; es giebt Hexen und Unholde da droben in den Bergen, davon selbst hochgelehrte geistliche Herren nichts hinwegzuspotten vermögen, ob sie gleich mit Bann und Segen, mit Kreuz und Wort dawider schaffen, und wenn ich nur ein Lossickelcken[1] hätt, es könnt auch diesem Hause nicht schaden.‘
Zur Zeit der Sommervacanz, dann ward’s lustig in Haus und Garten, dann kamen eines Abends mit Sonnenuntergang zween schlanke jungfeine Gesellen dahergewandert, bestäubet und heiß, aber mit heller Freude auf dem Antlitz, und die Mutter stund auf der Treppe, und ihr sonst so ernstes Gesicht lachte ihnen entgegen. Aus der Küche duftete es gar lecker nach Safranküchlein in Oel geschmälzet, so das Leib- und Magenessen meiner Brüder war.
Hei! Gab es da eine Lust für mich, die ich sonst jeder Jugendfreude entbehrete! Wenn die Söhne dann vom gestrengen Herrn Vater scharf examiniret waren, wenn das Mutterauge sich satt an ihnen gesehen und die Gute sich nun emsig mühete, die zerrissenen Kleider zu flicken und neue hinzuzuschaffen, o, dann zogen wir hinaus in das schattige Gärtlein, hinaus in die grünen Buchenwälder, so weit, daß uns nirgend mehr ein Mensch begegnete, und nur noch dann und wann ein flüchtend Reh vor uns durch das Gestrüppe brach, oder hoch oben in den Lüften ein Raubvogel schrie. Brauchte auch nimmer bang zu sein vor weiten Wegen; wenn meine Füße müd, so nahmen mich die Brüder empor und hoben mich auf ihre in einander geschränkten Arme. ‚Englein tragen‘, also nannten wir es, und da saß ich dann zwischen ihnen, einen grünen Kranz auf den blonden Zöpfen, einen Strauß Waldblumen in der Hand, schier wie eine Prinzessin in der Sänfte, und hüben und drüben lachten mich die liebjungen Augen der Beiden an.
Ein Paar schmucke Gesellen fürwahr, schlank wie die Tannen und biegsam wie die Birken, die in unserem Walde zwischen den Buchen allerorten stehen! Beide brav, Beide herzlieb, aber Conradus blieb mir jederzeit der Beste, der Schönste und Bravste. War er gleich stiller und neckete nicht so viel, konnte er gleich nicht so herzfröhlich lachen, so hat doch allezeit ein Wörtlein aus seinem Munde mich froher gemacht, denn die zärtlichsten Kosenamen, mit denen Walther sein Schwesterlein schier zu überschütten pflegte.
Mein liebster Aufenthalt aber war der fürstliche Lustgarten. Stundenlang konnte ich da in irgend einem heimlichen Winkel liegen, und blinzelnd durch dichtes laubiges Geäst auf das Schloß hinschauen, das gleichwohl gar hochmüthig mit seinen stolzen Fensterreihen an mir vorüber zu blicken schien. All was dorten geschah und geschehen mußte, wie ich es in meiner kindlichen Phantasie ausmalete, beschäftigte mich lebhaft, und kam mein Vater vom Schlosse zurück, allwo er wöchentlich zweimalen aufwartete, so wich ich nicht aus seinem Stüblein, bis ich erlauschet, ob er Prinzessin Liselotte gesehen.
Prinzessin Liselotte! Wie oft hab’ ich von ihr geträumt, wie oft stundenlang hinter den Büschen des Schloßberges gehockt, nur um sie rasch vorüberfahren zu sehen. Dann preßte ich die Hände zusammen und hielt den Athem an vor Lust; Schöneres konnt’ es ja nimmer geben in meinen Augen, als das runde, rosige Antlitz unter dem braunen Gelock, so sich nach neuster Mode à la paysanne gar anmuthig um den feinen Kopf bauschte, als die glänzenden tiefblauen Augen und das allzeit fröhliche Lachen um den vollen kleinen Mund. Ei, sie stehet noch heut so deutlich vor mir in dem rothseidnen Schnebbenleibchen, das tief den weißen Hals sehen ließ und sich so gar eng um den schlanken Leib spannete; ich sehe noch das glitzernde [809] Spangenwerk und meine den sammten Schweif rauschen zu hören, hinter der schönen Prinzessin Liselotte.
Jedesmal wenn ihr Wagen an unserem Hause vorüber rollte, hob sich der seidene Vorhang ein wenig, und ihre Augen suchten unsere Fenster, und meine Mutter pflegte dann ehrerbietig aufzustehen und eine unterthänige reverence zu machen, so gewöhnlich mit einer gar lieblichen Bewegung des goldgestickten prinzlichen Lederhandschuhes erwidert wurde. O, Prinzessin Liselotte war unserem Hause allezeit zugethan, und sie war Pathin zu dem Conradus, und jedes Jahr verehrte sie ihm zehn blanke Mansfelder Thaler in sein Sparbüchslein, und von Serenissimo, dem Bruder der Prinzeß, hatte er eine Zusage für reiche Stipendien und das Versprechen, dereinsten nach des Vaters Emeritirung allhier Hofprediger zu werden.
[810] Gar oft sagte meine Mutter zu mir, wann die Karosse der Prinzessin mit dem Isabellengespann aus dem Schloßgarten durch die Gitterpforten rollte: ‚Geh vor die Hausthür, Christiane, faß Dein Röcklein und mach ein compliment! Prinzeß Liselotte kombt anitzt.‘ Und dann stand ich auf den Stufen der Treppe mit pochendem Kindesherzen und sah das schöne Frauenhaupt sich vorbeugen. Ich weiß nicht, wie es kam, aber es dünkte mich oftmals, es sei das Lachen von ihren Lippen gewichen, da sie unser Haus geschauet. –
Prinzessin Liselotte war unvermählet geblieben. ‚Sie schlägt alle Freier aus,‘ behauptete Base Wieschen. Base Wieschen wußte auch, sie sei hochmüthig und leichtsinnig. Das klang meinen Ohren nicht wohl, und ich begann zu weinen darum.
Die Sonntage meiner Kinderzeit, sie leuchten wie güldne Sternlein aus meiner Erinnerung. Wie feierlich war es schon beim Erwachen, wie schön erschien mir das Röckchen von grünwollnem Atlas, mit dem Base Wieschen mich schmückte! Im ganzen Hause duftete es gar lieblich nach frischen Tannenzweigen, die wir Tages zuvor aus dem Walde geholet, und die nun, klein zerpflücket, auf dem weißen Sande des Estrichs lagen. Kaum geredet wurde beim Morgensüpplein; das theilete der Vater heute nicht mit uns. Er pflegte beim ersten Anläuten langsam feierlich im schwarzen Talar aus seinem Studirstüblein zu treten und gemessenen Schrittes den Schloßberg hinanzuwandeln, denn dazumalen war noch der Gottesdienst in der Kapellen, innerhalb der fürstlichen Gemächer. Klangen zum drittenmale die Glocken, so folgten wir zur Kirche, auf meinem Gebetbüchlein aber fand ich jedesmal einen frischen Strauß, zumeist rother und gesprenkelter Nägelein, deren würziger Duft mir der liebste war unter den Blumen. Das hatte Conradus gethan. Und dann faßte ich seine Hand, so gingen wir zusammen, die Mutter mit Walther folgte.
Von des Vaters Predigten verstand ich nicht viel, von all seinen Reden ist mir nur eine erinnerlich geblieben, die, so er an dem Tage hielt, da Conradus und Walther confirmiret wurden. Alles andere flog wie leerer Schall an meinen Ohren vorüber, denn ich sah immer nur Eines in der Kirchen, und das war Prinzeß Liselotte. Gar oft beim sonntäglichen Abendbrode, wann der Vater uns über den Text seiner Predigt ausforschete, um zu sehen, ob das Samenkorn, so er gesäet, auf guten Boden gefallen, wußte ich nimmer Bescheid zu thun, und er zürnte dann:
‚Träumerin, woran denkst Du in unseres Gottes Hause?‘
Conradus aber erging es vielemale nicht anders, und das war schlimmer, da er doch dem geistlichen Stande bestimmet war. Und eines Sonntages geschah es, daß ein heftiger Auftritt uns Alle sehr erregete. Damals zählte Conradus sechszehn Jahre und gedachte im Herbst das Gymnasium zu absolviren, um darnach in Helmstedt seine studia theologica zu beginnen.
Es war nach der Abendmahlzeit und ein regnerisch Wetter hielt uns in der Stuben, nur Walther war in die Wildmeisterei geschlichen, den Fuchs an der Kette zu necken, mit den Hunden zu spielen und sich von den Jägerburschen sonderliche Abenteuer berichten zu lassen. In der Dämmerung hockte ich am Fenster und schauete nach dem Schlosse hinauf, wo ein Lichtlein nach dem andern aufflammete, Conradus aber lehnte mir gegenüber in der tiefen Wölbung und sah träumend hinaus, wo Regen und Wind selbander kämpften; die Mutter schaffte in der Gesindestube.
,Wie denkest Du, Conrade,’ fragte dann auf einmal des Vaters Stimme dicht neben uns, daß wir erschrocken emporfuhren; ‚wie denkest Du über die Auslegung des Vaterunser, wie ich sie heute vorgebracht in meinem Sermönlein? Es stehet geschrieben: Führe uns nicht in Versuchung! Unser Herr Christus hat siegreich bestanden, aber kann es dem schwachen Menschen als eine so große Sünde angerechnet werden, so er nicht standhaft ist, wiewohl er doch verlocket und verblendet wird von höllischer Macht?‘
Sein jung blaß Gesicht färbte sich dunkelroth, er schwieg.
‚Ich wage nicht, Entscheid zu thun,‘ antwortete er dann.
‚Weil Du zu faul bist zum Nachdenken!‘ brauste jäh der Vater auf, ‚sonsten würdest Du sagen müssen „mit unserer Kraft allein vermögen wir solches nicht, so uns Gott nicht gnädig hilft.“‘ Der Vater hatt' absonderlich heftig gesprochen. ‚Du solltest Dein Augenmerk mehr auf diese Materiam richten,‘ fuhr er fort. ‚Woran denkest Du, welch’ thörichte Sachen treibest Du? Ist es schicklich für einen angehenden Studiosum theologiae, Verse zu machen, die an Farbe und Gluth jene übertreffen, so Du im Ovidio liesest?‘
Und er hielt zorniglich ein Blättlein Papier dem Sohne vor die Augen, der aber war mit einem Satze vom Fenstertritt herunter, und lag auf den Knieen vor dem Vater.
‚Ich bitte Euch,‘ rief er schier außer sich, ‚lasset mich ein ander Studium erwählen, so paßlicher ist für mich!‘
Der ernste Mann antwortete nicht, es war ein unheimlich Schweigen in dem Gemach; nur der Regen schlug an die Fenster und der Wind rüttelte die Läden.
‚Geh' hinaus, Christiane,‘ gebot der Vater, da ging ich und setzete mich in der Küche auf die Herdbank und faltete die Hände; denn ich ahnete, daß sich dort innen das Glück oder Unglück eines Menschenlebens entschied.
Die Base saß und schlief, und ein Heimchen zirpete am Herde, dann schritt die Mutter leisen Fußes über den knisternden Sand des Flurs; eine Stubenthür knarrete, und jetzt ward es ganz stille, lange – lange. Und nun gingen wankende Schritte die Stiegen hinan – das war Conradus. Ich stund auf, ihm zu folgen, da hörete ich der Mutter flüsternde Stimme:
‚Conrade! Conrade! Laß mich noch reden mit Dir, mein herzliebes Kind! Haben wir nicht allzeit als treue Eltern gesorget für Dich?‘
Er aber stürmete hinauf, und die Mutter eilte ihm nach, eine Thür schloß sich oben, und bangen Herzens schlich ich in mein Kämmerlein, das ich mit Base Wieschen theilete, und dorten lag ich und kunnt nimmer schlafen.
Die Alte ruhete längst im Schlummer, als ich Tritte vernahm auf dem Vorplatze, ich warf mein roth Röcklein über und schlich hinaus, da sah ich Conradus in dem falben Dämmerlichte, das der Mond trotz der Regenwolken spendete, auf der obersten Treppenstufe sitzen, er hielt die Hände vor dem Antlitz. Ich lief zu ihm und schlug die Arme um seinen Hals, ‚Conrade, warum weinest Du?‘ Da hob er sein Gesicht, es sah schier aus wie das eines Todten. Ich hockte neben ihn und liebkosete ihn, und dabei tastete ich von ohngefähr auf etwas – was war das? sein Reisetäschlein, wohlgepackt und verwahrt, und sein Wanderstecken lag daneben.
‚Was willst Du thun, Conrade?‘ fragte ich erschrocken.
‚Ich weiß es nicht, Christiane, der Kopf ist mir gar so heiß – am liebsten ginge ich fort und käme niemalen wieder, am allerliebsten aber möcht' ich sterben –'
‚Aber hast Du denn die Mutter nicht lieb?‘ forschete ich in großer Herzensangst. Da fuhr er empor wie von Schlangenbissen gestochen, und dann senkete er den Kopf gegen die Säule der Stiege und begunnte bitterlich zu weinen.
So saßen wir stumm neben einander, und endlich küssete er mich auf den Mund und sagte: ‚Geh schlafen, Christel, Du verstehest nicht, weshalb ich weine.‘ Und er nahm mich auf den Arm, damit meine nackten Füße den kalten Gyps nicht berührten, und ich küssete ihn wieder und schlang die Arme um ihn und nennete ihn meinen lieben, herzlieben Bruder und fragte, ob er jetzund schlafen gehen werde und bei uns bleiben? Da vernahm ich ein ‚Ja!‘ aber es klang schier verzagend und leise.“
[821] „Am andern Tage war es, als sei niemalen so Sonderbares geschehen. Conradus küßte demüthig den Eltern die Hand, da er zum Morgenimbiß kam; er war ruhig, obgleich er blaß aussah, und bläuliche Ringel lagen um seine Augen. Still ging der Tag herum, so der letzte war in dieser Vacanz, und früh am andern Morgen mit dem ersten Hahnenschrei wanderten die Brüder noch einmal selbander zur Schulen nach Halberstadt – das letzte Mal; denn zu kommendem October wollte Conradus die Hochschule zu Helmstädt beziehen, Walther aber sollte als Lehrling in unseres durchlauchtigsten Herrn Oberförsterei hieselbsten eintreten. Und so schieden sie, Walther voller Lachen, Conradus ernst und schweigend wie immer.
Weiß nicht wie es kam, daß meines ältesten Bruders Bild mir seit obgemeldeter Nacht nicht mehr aus der Seele wich; immer stand sein blaß Gesicht vor meinen Augen, und wie er so bitterlich geweinet. Zuweilen drängte es mich, die Mutter zu fragen, was für ein Herzeleid ihn damals gedrücket, aber ich schwieg aus Scheu, denn für naseweis Fragen hat sie nimmer gut Bescheid gehabt, und was ich wissen sollt‘, erzählte sie mir wohl freiwillig.
Und so vergingen zwo Jahre, ohne daß Sonderliches passirte. Unterweilen kam Conradus anmarschiret, und immer dünkte er mich blasser und stiller denn sonsten und dennoch mannhafter und stattlicher jedesmal. Ich konnt‘ mich nimmer satt an ihm sehen, und wenn er vor dem Vater stund und ihm berichtete von den neuesten Streitfragen, so die hochgelehrten Herren zu Helmstädt mit einander disputireten, mit leiser Stimme redend, kalt und schier gleichgültig, dann erbarmte er mich, und ich wußte dennoch nicht, warum? Dem Vater aber gefiel sein still Wesen und sein ruhig Gebahren.
‚Es wird ihm würdig anstehen, so er also auf die Kanzel tritt,‘ hörete ich ihn sagen zu meiner Mutter. Base Wieschen aber bemerkte, als der Vater gegangen:
,Dem läßt’s wie Eis,
Wo es kocht siedeheiß.‘
Am fünften Mai folgenden Jahres – den Tag zuvor hatten siebenzehn Kerzlein auf meinem Geburtstagsweck gebrennet – geschah das Unglück, daß meinen Vater ein böser Zufall traf, der ihm für kurze Zeit die Sprache raubte und seine linke Seite also lähmete, daß er nicht mehr gehen konnt noch die Arme bewegen. Es war groß Trauern in unserem Hause; Walther kam nicht herbei, und wir saßen an der Bettstatt und weineten: denn wir dachten nicht anders, als er müsse von hinnen, der gute Vater. Base Wieschen aber hatte ihre Fläschlein und Büchslein mit kräftigen Kräuteressenzen und flüchtigem Salzgeist gar hurtig bei der Hand, und als der fürstliche Herr Leibmedicus in das Krankengemach trat, hatte der Vater die Augen allbereits wieder aufgeschlagen, und sie suchten meine Mutter und dann das Bild des Gekreuzigten, so ihm zur Seiten hing.
Der Herr Medicus aber getröstete uns und sagte, ein Aderlaß würd’ ihm bald Linderung schaffen. Wir entferneten uns, und als nach einer Weile Doctor Grundmannus in die Wohnstube kam, sprach er zu meiner Mutter also:
,Hofpredigerin, sterben wird er nicht, aber das Amt kann er nimmer verwalten, denn er wird gelähmet bleiben sein Lebtag.‘
Solches machte uns große Betrübniß: denn der Vater war annoch jung und kräftig, kaum sechsundfünfzig Jahre alt, und hätte gern noch der Kirche gedienet.
Nachmittags aber schon kam ein Handschreiben Serenissimi, des Inhaltes, daß ihm ein Stellvertreter sollte gehalten werden, bis Conradus ausstudiret habe, damit er sich nicht ängstige um seine Gemeinde. Und Prinzeß Liselotte schickte täglich Hochderselben Läufer, fragen zu lassen nach des Vaters Ergehen, und auf dem Tischlein am Bette standen ohn’ Unterlaß die leckersten Dinge von der fürstlichen Tafel. Nicht viel Tage später war es, daß Conradus an mich schrieb, ich solle mich vernehmen lassen über des Vaters Krankheit. Es war das erste Brieflein, so ich von ihm erhielt, und ich las es ungezählte Male, und ob es mir schier unverständlich, hätt ich doch weinen können.
‚Es jammert mich um den Vater,‘ hieß es darinnen, ,denn es muß schwer sein mit gelähmten Gliedmaßen darnieder zu liegen, da man doch hinaus möchte in die frische Maienluft, wiewohl es nicht härter sein mag, als wenn die Seele festgehalten wird, die sich doch frei aufzuschwingen begehret, der drückenden Fesseln ledig, so ihr – –. Doch das wirst Du nimmer verstehen, herzliebes Schwesterlein, und es ist besser, diese Sehnsucht bleibet Dir fremde.‘
Es war Abend, als ich solches las in meinem Kämmerlein, das auf den Garten siehet, saß am offnen Fenster und es berührete mich seltsam, also daß ich den Kopf in die Hand stützte und hinaus starrete in die flüsternden Lindenzweige, durch die das Abendroth verglühete.
Was machte ihm sein Herze schwer, da es doch jung war und fröhlich sein durfte? Warum hatte er dazumalen gebeten, Anderes erwählen zu dürfen, denn Gottes Wort zu verkündigen? Ist’s nicht ein hoch und heilig Amt, und ist’s nicht friedlich und schön in unserer Heimath, in dem festen Hause und dem stillen [822] Gärtlein dahinter? Hatten wir ihn nicht Alle gar so lieb, und bracht’s ihm nicht Ehr’ und Ansehen, da man ihn, so jung noch, geküret zu des Vaters Amt? Was mag es sein? Was mag es sein? wiederholete ich die Frage laut, just als Base Wieschen schier geräuschlos über die Schwelle trat.
Das alte Weiblein setzete sich in den hochlehnigen Stuhl, den ich verlassen, ich aber schwang mich auf die breite Fensterbank und schlug die Arme in einander. Sie gab sich ein Ansehen, als habe sie meine Frage nicht gehöret, und ich sagte auch nichts mehr.
,Du bist nun siebenzehn Jahr alt,‘ begann sie nach langem Schweigen, ‚alt genung, um das Ding zu wissen; haben Andere doch schon Mann und Kind in Deinem Alter. Aber versprechen mußt Du mir, es Niemanden nicht zu verrathen, noch zu thun als wissest Du, was ich Dir itzt erzählen will; sonsten kann sich gar Schlimmes ereignen. Willst Du das geloben, so sag zwomal „Wahrhaftiglich!“ und reich mir die Hand zum Verspruch!‘
‚Wahrhaftiglich!‘ sagte ich zwomal.
,Hörest Du, da singt eine Nachtigall,‘ wisperte die Alte, ‚wie das süße schallt! In meiner Jugend, ei, da klang’s süßer noch und schöner – kennst Du das Lied von der Nachtigall – sag’ an! – kennst Du’s?
Es stund eine Lind’ in der Maiennacht.
Die Luft ward weich und trübe;
Die Beiden haben geküßt und gelacht;
Die Nachtigall sang von Liebe.
Sie haben sich ewiger Treu’ geweiht;
Sie sprachen von bangem Sehnen,
Doch trug ein falsches Herz die Maid –
Die Nachtigall sang von Thränen.
O Minne falsch, o Minne traut;
Sie koseten unter der Linde.
Die Nachtigall sang bang und laut
Ein Lied von Schuld und Sünde.
Er ist nicht Dein Bruder, Kind,‘ raunete sie und bog sich vor. ‚Ei, was thust Du so erschreckt? Bist noch niemalen darauf gekommen?‘
Und dann faßte sie meine Hände; denn ich war von der Fensterbank geglitten und stund bebend vor ihr, und schier mit Gewalt drückete sie mich auf das Bänklein zu ihren Füßen.
‚Brauchst Dich nimmer zu entsetzen; der Conradus ist ein ehrlicher Gesell, was kann er davor, daß seine Mutter ein ehrvergessen untreu Weib war? Ist ein lang Capitel, das sich melden ließe über Geschichten, so anfangen mit Jugend und Schönheit, mit Rosen und Nachtigallen und aufhören mit viel Reue und groß Herzeleid. – Dem Conradus sein Vater ist lange todt – Gott hab ihn selig! seine Mutter aber, lieb Mägdelein, seine Mutter, die lebet in Glanz und Pracht und allen Ehren; lachen thut sie annoch immer so fröhlich, wie dazumalen, und schön ist sie blieben bis auf diesen Tag: nur mannigmal wird ihr’s wohl um’s Herze zucken, wenn sie sein jung blaß Antlitz geschauet hat. Darum ist er so traurig, der Conradus: es kreiset Blut in seinen Adern, rascher denn Euer; es empöret sich gegen das Joch, darein er gezwungen, gegen das karge Loos, das seiner wartet. Er möchte hinaus in das bunte, frische Leben, und die, so ihn geboren, sie leidet das nimmer; er soll Deines Vaters Nachfolger werden; er soll seine Augen nicht dahinauf wenden, allwo seine Mutter stehet. – Da hast Du nun seinen Kummer. Gott geb’, daß es eine gute Endschaft nehme! Ein Blumenstock in zu enger Scherben zersprenget den Topf, verwelket und gehet ein; ist ein gefährlich Spiel, so man treibet mit dem armen Burschen.‘
,Um Gott, Base,‘ drängete ich, ‚wer ist seine Mutter – wer?‘
Das Blut saß mir heiß im Kopfe, und das Herz klopfte mir schier ungestüm.
‚Red’ leise!‘ flüsterte die Alte. ‚Bist Du unvernünftig, Christiane? Hab’ gemeinet, Du seist ein verständig Mägdlein. Wer sie ist? Daß ich es sagen dürft’ – aber Dein Vater thät mich steinigen und aus dem Hause weisen, käm’ ihr Name über meine Lippen. Wart’ – will Dir etwas zeigen; errathest’s vielleicht.‘
Und sie erhob sich eilfertig und ging an das Ende des Gemaches; dort stund aber eine Truhe, wunderlich bemalet mit rothen Tulipanen und Rosen. Die schloß sie auf und hockte davor nieder, und im festen purpurnen Abendschein nahm sie ein Bündelchen heraus, und als sie es aufknüpfete, waren kleine Sächlein darinnen, wunderfein und spitzenduftig, aber arg vergilbt. Die Base aber steckte mir ein Tuch in die Hand, so mit Brabanter Spitzen umsäumet und zierlich ausgenähet war; in der Ecken stund ein Wappen mit goldenen Fäden gesticket, und da ich es näher besah, erkennete ich den springenden Hirsch, so das Wappenthier unseres fürstlichen Hauses.
‚Darinnen lag er den Tag, da man ihn Deinen Eltern gebracht. Ein gar feines Windelchen nicht wahr? Sie mochten’s – ihm in der Eile umgethan haben. Hab das Ding wohl aufgehoben, und nimmer ohne Absicht – kannst es glauben, Christel; zeig’s ihm auch noch einmal, später, später dann, wenn er hinaus ist über seine heiße Jugendsehnsucht, wenn’s ihm einsten nutzen kann. Aber sag’s Deinem Vater nimmer nicht, Kind – beileibe nicht!‘
Ich hielt noch immer das feine Sacktuch in der Hand und starrete auf das goldgestickte Wappen, und allgemach entwirreten sich die sonderbar verschnörkelten Buchstaben, so darunter stunden, vor meinen Augen. L. C. Louise Charlotte, ging es mir erschreckend hell durch den Kopf, und ,Liselotte!‘ schrie ich auf, daß es gar gellend durch die Kammer hallete.
Die alte Frau aber riß mir das Tüchlein aus den Händen und warf es hastiglich in die Truhe. ,Hast Du Tollkraut getrunken?‘ flüsterte sie; ‚soll die Mutter kommen oder der Vater fragen, was Du also zu schreien habest? Geh her, setz Dich an’s Fenster!‘
Und sie zog mich empor und drückete mich kräftiglich in den Lehnstuhl und nahm ihr duftig Riechfläschlein aus der Tasche und ließ mich den flüchtigen Geist einathmen; denn ich vermocht des Bebens schier nicht Herr zu werden.
‚Ei, wer wird gar so zimperlich thun!‘ schalt sie. ‚Aendert’s was an der Sach’, daß seine Mutter ein fürnehm Weib? Es bleibet beim Alten, und ist er Dir kein Bruder anmehro, kann er Dir halt was Anderes werden, so noch lieber und schöner ist. War schon längst mein Plänlein, das ich geheget. Du bist ein fein hübsch Dirnlein worden, Christel; Deine Zöpfe leuchten prächtiglich wie Gold, und eine Haut hast Du wie Kirschenbluhst, und verständig und ernst bist Du auch. Hab Acht, Lammelein! Und wann es kommt, dann denk’ an mich, wann ich etwa nicht mehr leben sollt – weißt Du, Christel, auf Eurem Hochzeitstag!‘
Und sie streichelte mich gar zärtlich und wollt’ mir zureden, und ich that ruhig, damit sie gehen sollt. Und sie ging nach einem Weilchen. Dann schob ich den Riegel für und verbarg mein glühend Gesicht in die Kissen des Lehnsessels und weinete, wie wohl kaum je in meinem Leben, daß mir schier der Athem stockte. Stunden waren vergangen; als ich aber den Kopf wieder hob, da war es Nacht worden, dunkle, warme Maiennacht; schwül wehete sie in’s Fensterlein, und die Nachtigall, die sang lauter noch in der Linde. Das klang mir viel anders denn zuvor – viel anders! Und nun auf einmal kunnt’ ich Conradus verstehen, mich selbsten aber verstund ich nicht mehr.
Es war ein Träumen über mich kommen, das mich lähmete in meinem sonst frischen Thun und mir manch hart Scheltwort eintrug von der Mutter. Sie fragte auch den medicum; der sprach, ich sei zu einsam unter viel älteren Leuten; ich solle mir halt eine Gespielin suchen und lachen und derb fröhlich sein, wie es meiner Jugend wohl geziemete. Mochte aber von keiner nicht wissen und saß am liebsten ganz allein unter der Linde im Garten. und hörete die Nachtigall singen und dacht’ an Prinzeß Liselotte und dacht’ an Conradus und dacht’ an alle Dinge und doch schier an nichts. Und als die Nachtigall dann verstummet war und auf ihrem Nestlein saß in dem Gestrüpp der Hollunderbüsche, da dacht’ ich immer noch an ihr süß Singen und an das Lied, das Lied von Schuld und Sünde.
Im Julimond, da kam eines Morgens ein arm Weib in das Haus und bracht ein Brieflein; das war aber von meines Vaters einzig Geschwister, die in Harzgerode an einen Förster verheirathet gewesen. Sie schrieb, es gehe mit ihr zum Sterben, und heischte von dem Bruder, daß er sich ihres einzigen Töchterleins solle erbarmen. Die Frau, so die Kunde brachte, meldete aber auch schon den Tod von meines Vaters Schwester und daß das Mägdlein verzweifelt über der Verstorbenen liege und Niemand da sei, sie zu getrösten. Da wurden die Pferde flugs angespannt, [823] und nun setzte sich Base Wieschen rasch in das Wäglein und fuhr hinauf nach Harzgerode; denn der Vater lag noch immer auf seinem Schmerzenslager und die Mutter begehrete ihn nicht zu verlassen.
Ich aber mußt’ oben in dem Zimmer ein Bette herrichten, und die Mutter befahl, da es ein großes Gemach und ein Alkoven daneben, ich sollte mit der jungen Muhme dorten wohnen. Weigerte mich aber, mein Kämmerlein zu lassen, vor dessen Fenster die Linden rauscheten, und wollt’ nicht die Aussicht haben nach dem Schloß – nie und nimmermehr! Und weil ich darum zu weinen begunnete, that die Mutter nach meinem Willen, und Base Wieschen’s Bettstatt ward nunmehro mit in das große Gemach getragen; das war mir gerade recht.
Gegen Abend selbigen Tages aber ging ich in den Garten mit meinem Nähgeräth und setzete mich in die Buchenlaube. Niemand war dorten denn ein harthörig Weib; das gätete Unkraut in den jungen Mohrrüben und Zwiebeln weit dort hinten; ich legte meine Nähterei in den Schooß und vergaß über vielem schweren Sinnen gar die schwarze Florhaube zu fertigen, so meine Mutter auf dem morgenden Kirchgange tragen wollt, zu Ehren der verblichenen Schwägerin.
Es war ein warmer Tag gewesen; die Mücken tanzeten vor der Laube und am Himmel stund schon blaß der halbe Mond. Vom Wald her aber ging ein frischer Hauch von harzigen Tannen, und jenseits der Hecke sang eine Frauenstimme ein altes Liedlein in eintöniger Melodei.
Die Dämmerung stieg leise hernieder, und endlich ward es ganz still umher. Da hörete ich deutlich durch das Schweigen des Abends meinen Namen ,Christel! Christel!‘ nicht gar laut, aber auch nicht gar leise, gleich wie von Conradus’ Stimme, daß ich jach emporschreckte und meinte, es narre mich ein Spuk. Ein Schauer fuhr mir durch die Glieder, als melde sich ein Unglück an. Ich horchte ängstlich auf mit allen Sinnen, und da kam es noch einmal an mein Ohr: ‚Christel, Christel, Schwesterlein, mach’ die Pforten auf!‘ Ich eilte aus der Laube, und da stand er leibhaftig vor dem Thürlein, so nach der Landstraße hinaus führet, und sein Gesicht sah so weiß aus, gleich wie das eines Todten.
‚Ich kann nicht hinüberspringen, wie sonsten,‘ sprach er, und nun gewahrte ich erst das weiße Tuch, so um seine Stirn geschlungen, und ich hakete eilig die Pforte auf und zog ihn entsetzt in den Garten herein:
,Conrade, was hast Du gethan? Wo kommst Du her?‘
Er aber war so schwach, daß er kaum zu stehen vermochte und sich gar fest auf mich stützete, als ich ihn in die Laube führte. Da er sich nun ein Weilchen erholet, verlangte er Wein, aber ich solle im Hause nimmer sagen, daß er hier sei, bis er mir fein heimlich Alles werde erzählet haben. Kam auch ungesehen mit dem Becher wieder zu ihm, und da er nun getrunken – ach, da ward er glühend heiß im Antlitze, und es schüttelte ihn wie im Fieber, daß ich bat:
,Conrade, komm’ und lege Dich nieder! Du bist krank.‘ Er sei in einem Zweikampfe verwundet, berichtete er stockend, und als könne er sich schier nicht besinnen, legte er zu öftern die Hand an die Stirn, und Sehnsucht, die habe er auch gehabt, und krank fühle er sich, so krank, als müsse er gar sterben. Aber der Vater, der Vater solle es nimmer erfahren; darum wolle er hier geduldiglich warten, bis es ganz finster sei. Da setzte ich mich zu ihm in großer Herzensangst, und legte meine Hände auf seine Stirn; die glühte wie grimmig Feuer, und sein Haupt sank schwer auf meine Schulter. Und so saßen wir, bis hier und da schon ein Sternlein aufblitzete und der Mutter Stimme mahnend durch den stillen Garten scholl:
,Christiane, was träumest Du schon wieder!‘
‚Komm!‘ sagte ich zu ihm, und leise stöhnend erhob er sich und wankte dem Hause zu. Kamen auch unbemerkt die Stiegen hinauf, und weil kein Lager für ihn bereitet, führete ich ihn in mein eigen Kämmerlein, und dorten sank er auf das Bette, und seine Glieder flogen wie im heftigen Froste. Dann kündete ich eilends der Mutter, daß er gekommen sei; die ward blaß bis in die Lippen und gebot, ich solle beim Vater bleiben. Und sie hastete hinauf, und dieweil ich unten am Krankenbette saß und mit dem Vater redete, waren meine Gedanken oben bei Conradus, meinem herzlieben Bruder, den ich mir dennoch nicht mehr als Bruder zu denken vermochte.
Dann aber hörte ich leise die Hausthür klinken, und als ich spähend an das Fenster trat, sah ich unsere Jungemagd; die lief eilends über den Platz nach der Wohnung des fürstlichen Arztes, und balde kam sie mit ihm zurück in unser Haus. Mein Vater aber fragte ärgerlich, was das für ein Gelaufe sei am Samstag Abend, und ob sich das für ein geistlich Haus gezieme? Ich solle allsogleich nachsehen, was es bedeute?
Ich ging flugs hinaus und kam athemlos zur Treppe hinauf. Da hörte ich, wie der Medicus sprach:
,Oberpredigerin, es stehet schlimm mit ihm, aber saget Eurem Manne nimmer Etwas! Er muß behütet sein vor jeglicher Irritation.‘
Meine Mutter begunnte zu jammern; die Base sei nicht daheim; wer ihn nur pflegen solle; sie könne doch anitzt nicht fort von dem Vater?
Da trat ich leise hinzu; ich würde es thun, sagte ich, und ging stracks in die Kammer und setzte mich allda an sein Bett. Er lag mit schier fieberglühenden Wangen; die blauen Augen leuchteten in irrem Glanze, und sein viel lieber Mund redete immerfort. Bald haderte er mit Einem und schalt ihn arg; dann wieder schrie er jach auf:
‚Meine Mutter, Mutter! Ich will sie nicht; laßt mir meine alte Mutter! Es ist ja nimmer wahr, daß dem so ist.‘ Und gleich darauf hub er zu singen an:
Zu Helmstädt beim Bieren,
Da thät ich studiren!
Bibe, bibe, bibe, bibe,
Tu quis satis, bibe, bibe,
Tum Lyæus imperat!
Io! Io!
Entsetzt starrte ich auf ihn hernieder.
‚Conrade,‘ flüsterte ich, ‚herzlieber Bruder!‘
Da ward er stille einen Augenblick.
,Christel, Christel, mein blondes Schwesterlein, hübsch bist Du geworden und fein – Ach, wenn Du wüßtest, wie es mir ergangen, wie sie mich gehöhnet und mir wehe gethan, die Menschen da draußen! Was kann ich davor, daß meine Mutter –‘ Er lachte bitter auf. ‚Aber siehst Du, Bube, es ist Dir schlimm bekommen, schlimmer denn mir. – Eins, zwei, drei – los!‘ Und wild saß er auf im Bette, ach, nur sein schmerzend Haupt machte, daß er oftmalen stöhnend wieder zurücksank.
Was Menschenhilfe nur vermochte, geschah nunmehr; der Medicus kehrte noch zwomal wieder in selbiger Nacht und wies mich an, wie ich die kühlenden Tücher auf sein Haupt zu legen hätt’, wie den säuerlichen Trank zu reichen, und gegen Morgen ward er mählich stiller und fand Schlummer. Da sank auch mein armer Kopf gegen des Stuhles Lehne, und ich schlief ein, schreckte aber empor im ersten Morgengrauen; denn es war todtenhaft Schweigen im Gemach, also daß ich kaum den Athem des Kranken hörte; wie ich mich aber über ihn beugte, da stöhnete er leise, als läg’ er in großen Schmerzen.
,Conrade,‘ forschte ich, ‚Du leidest schwer?‘
‚Es brennet,‘ klagte er, ‚es brennet mir im Kopf gleichwie höllisch Feuer – aber ungleich schlimmer im Herzen.‘
Und da er die Augen hob, sahe ich, daß er bei Besinnung, und kniete nieder an der Bettstatt.
,Conrade, viel lieber Bruder,‘ bat ich, ‚was macht Dir das Herz all so schwer?‘
Und er schlang den Arm inniglich um meinen Nacken und zog mein Antlitz gegen seines.
,Christiane,‘ flüsterte er, ‚wir haben uns immer herzlich geliebet; hilf mir jetzt, daß ich nicht untergehe; hilf mir, daß ich nicht verkomme in meines Herzens Undankbarkeit und Unrast! Bleib bei mir, Christel! Du bist gut und fromm, und ich weiß nimmer, wie es werden soll mit mir.‘
,Gut wird es werden, Conrade, gut!‘ getröstete ich, ‚Du wirst gesunden, und wirst hinfüro hier bei uns wohnen in Frieden und Liebe, wie in alter glückseliger Zeit, da wir Kinder waren. – Verzage nicht, Conrade, gedenke aber des Sprüchleins, so über unseres Hauses Pfordten stehet, das Du mir einst selbsten verdeutschet: „Du Herr bist mein Heil, was können die Menschen mir thun ?“‘
,Meinst Du?‘ höhnete er.
,Conrade!‘ rief ich, ‚Gott vergeb’ Dir Dein sündig Sprechen!‘
[824] Er zog den Arm zurück, und bog das Haupt von mir hinweg, also daß er an die Wand schaute:
‚Ich merke wohl, Niemand vermag’s zu begreifen, auch Du nicht – wie solltest Du auch?‘ sagte er bitter. Und er antwortete ferner nicht, soviel ich ihn bat; und weigerte Speis und Trank, aber sein Athem ging schneller, und als es Abend ward, da tobete er schon wieder in heißen Fieberreden. Der Arzt aber verkündete, er werde noch heftiger rasen in deliriis, auch gäbe er wenig Hoffnung, so das Fieber nicht balde anstehe.
Da war groß Leid in unserem Hause, und Base Wieschen, die bei Dunkelwerden mit der jungen Muhme zurückgekehret, rang die Hände stetiglich in einander und jammerte, er werde sterben; denn das Leichhuhn habe so schaurig gerufen, da sie durch den Schloßgarten gefahren. Und nun meinte sie, der Vater aber müsse es wissen; sie sagte ihm alles und berichtete dann, er liege ganz still und spreche kein Wort. Mir war dumpf und trauervoll zu Sinne, aber dessen ungeachtet war eine stumme Herzbefriedigung über mich gekommen, und da man mich fort schicken wollt’ von seinem Lager, auf daß ich mich ruhen möchte, da weigerte ich mich heftiglich – es war mir, als gehöre ich zu ihm in alle Ewigkeit und dürfe niemalen von ihm lassen.
Die Krankheit nahm stetig zu; die Base saß mit treuer Sorgniß an dem Siechbette, und mein Herz dacht’ an Prinzeß Liselotte, und dacht’, ob sie nicht ein Bangen spüren möge um diesen, der so hart litt. Dort oben aber war Niemand daheim, der hierher denken mocht; nur vom Thurm flatterte das roth-weiße Banner, ein stumm Jubelzeichen; denn Serenissimus hatt’ endlich dem Drängen des Landes nachgegeben und eine Braut erwählet, und Prinzeß Liselotte hatt’ ihn begleitet auf seiner Brautfahrt, und viel prächtige Festlichkeiten und Kurzweil hielten die Herrschaften am Hofe der zukünftigen Gemahlin zurücke, hochwelche eines französischen Herzogs Tochter war und gar nahe verwandt mit dem Königshause.
Und in dem finsteren Krankenstüblein, da lag Einer, der doch – ich wagete nicht, es auszudenken und warf nur einen scheuen Blick auf das fieberglühende Antlitz in den Kissen. Und eben fuhr er wiederum empor; schier aufrecht saß er und streckte die Hand aus, als stünde dorten Jemand an dem Fußende seines Lagers, und mit lauter Stimme, sodaß es mir gleich wie Funken in die Seele flog, rief er:
‚Ich schwöre es Dir bei meiner Wunde Brennen, bei Allem so mir auf Erden heilig, bei meiner Mutter Ehre – –‘
Dann verzerrte sich sein begeistert Antlitz, und mit schneidender Stimme schrie er:
‚Ich habe keine Mutter. Was begehrest Du? Fort! Ich will mich rächen. O, mein vergiftet Dasein! Wär ich todt!‘
Ich faßte nach seiner Hand, Base Wieschen aber starrete entsetzt auf den nun erschöpft Daliegenden.
,Der Väter Sünden –‘ raunte sie und trocknete ihm die feuchte Stirn und horchte auf sein hastig Flüstern, das sich wieder steigerte zum wahnwitzigen Schreien, also daß es grauenhaft durch das stille Gemach scholl. Die Base öffnete ein Fenster, auf daß die kühle Luft beruhigend in den schwülen Raum dringe; der letzte Abendschein brach vergoldend herein und mit ihm zog eine Frauenstimme durch das Fensterlein, tief und stark und voll süßen Wohllautes, daß ich schier verwundert aufhorchte.
Da sagte die Base, das sei des Vaters junges Schwesterkind; das trage wohl wenig Herzeleid um die todte Mutter. Und sie bog sich fürsichtiglich zum Fenster hinaus und rief halblaut:
‚Hedwige, laß ab mit dem Singen, dem Conradus dient es nimmer.‘
Da scholl die Stimme trutziglich wieder herauf:
‚Ei Base, grad umgekehrt! Mein Mutterlein ward ruhiger, je mehr ich sang,‘ und gleich hub sie wieder die alte Volksweis’ vom jungen Reitersmann an, der keine Heimath hat:
‚In’s Städtlein zieht wieder Reiter und Roß,
Mit Jubel begrüßt man den muthigen Troß;
Viel Kränzlein die flocht man zum Siegeslohn.
Ei, schenket kein Mägdlein mir einen davon?
Mein Vater ist todt, meine Mutter mir fremd,
Mein Mädel hat Andern sich zugewendt. –
Ach besser, geblieben im blutigen Feld,
Als so allein auf mich selbsten gestellt!
Falber, was schaust du so traurig mich an?
Uns Beide will Niemand zum Festschmause han;
Du brav alter Klepper, arg mager und krumm,
Und ich selber zerfetzet – mich wundert’s nicht drum.
Was schiert uns das Volk denn? Falber, was macht’s?
Reiten wir weiter! Niemand beklagt’s.
Giebt auf der Welt noch viel blutigen Streit
Und manch grünen Hügel auf blumiger Haid;
Ranken wohl lustig wild Röslein um’s Grab;
Vöglein singt Lieder vom Zweige herab. –
Wir Beide, Falber, wir schlafen selban,
Ein Roß und sein einsamer Reitersmann.‘
Da ward er stracks ruhiger, der Conradus, als legten sich die viel süßen Töne gleichwie beschwichtigend auf seine gar heiße Stirn. Aber als sie geendet, begunnete er aufs Neue zu fabeln, und schier heftiger denn zuvor.
,Laß sie doch weiter singen, Base!‘ heischte ich. Aber es kam mir schwer an darum zu bitten; was hätt ich gegeben, so ich hätt singen können in dieser Stunde, – so süße und tief, wie sie. Ich kennte meine Muhme nicht, maßen mein Vater nicht sonderlich mit seiner Schwester harmonirete; ihr Mann soll ein gar wilder Christ gewesen sein, der allerlei Zauberkunst verstanden, niemalen sein Ziel gefehlet und vielen Wildschützen das Lebenslicht ausgeblasen. Ob solches wahr, vermag ich nicht zu sagen: mein Vater hatt’ geringe Liebe zu ihm, weil stetiglich irgend ein vermessener Fluch aus seinem Munde ging, und da er ihm einstmals solches heftig verwiesen, war das Band zerrissen zwischen den Schwägern, und niemalen schickte die Frau Försterin wieder ein feist Reh oder einen Frischling in unsere Küchen; bis zu ihrem Todesstündlein hatt’ sie des Bruders vergessen. Die Base erhob sich auf mein Begehr, und schauete in den Garten hinunter.
‚Hedwige, Hedwige!‘ rief sie halblaut, aber es blieb stumm. ,Sie ist tiefer in den Garten gegangen,‘ sagte sie, ‚willst sie nicht suchen, Christel? Ich bin müd, und mein Rücken schmerzet mich arg. Du hast junge Füße; ich setze mich derweilen an Deinen Platz.‘
Ich stieg hinunter und durchsuchte die dunklen Gänge, fund aber nicht, die ich suchte; wollte schon zurückkehren, vermeinend, sie sei in’s Haus gegangen; da erblickte ich sie nahebei; sie saß in der Linde vor meinem Fensterlein; sie hatt’ sich von der steinernen Bank auf den untersten Ast geschwungen; dorten hockte sie und starrete in das Grün der Blätter, und auf ihrem braunen Haar spielete das Abendgold und warf schimmernde Lichter darein. Die Arme hielt sie gar nachlässig in einander geschlungen, und vom Fuß war ihr ein Schuh entglitten, der lag an der Erde, schmal und klein, wie der eines Kindes.
‚Hedwige!‘ rief ich leise; da sah sie hernieder, und als sie mich gewahrete, glitt sie von dem luftigen Sitz, und stund nun vor mir. Ein wunderbar fein Gebilde, zierlich wie das Reh in unseren Wäldern und rehgleich die großen, scheuen lichtbraunen Augensterne unter den langen Wimpern. Um den Mund hatt’ sich ein eigen finsterer Zug gelegt, der von Einsamkeit und stummem Selbstgenügen redete. Die feinen Nasenflügel aber bebten, als wie zuweilen bei Conradus, und die Base hatt’ mir gesagt, das sei ein Zeichen von schier ungestümer Leidenschaft und tiefem Empfinden.
Ich bot ihr die Hand: ‚Gott zum Gruße, Hedwige! Du kommst zu trauriger Stund’ in unser Haus; laß es Dich nicht verdrießen, wenn ich nicht so oft bei Dir kann weilen, als die Gastlichkeit heischet. Es wird wohl Alles anders. So ich Dich aber bitten darf, singe noch ein Liedlein, oder mehr; denn unserem Conradus thuet es wohl.‘
Sie hatt’ die Augen gesenket, und ohne diese Strahlen erschien das Gesicht fast unschön. War aber gleich bereit mir zu folgen und stieg hinter mir die Treppe empor, so leise, daß ich zwomalen mich umsah, vermeinend, sie sei nicht mehr hinter mir. Und so schritt sie auch an Conradus Bette und beugete sich über ihn, und dann setzte sie sich an meinen Platz und fing an leise zu singen; und Conradus lag ruhig, und Base Wieschen schlief allgemach ein im Lehnstuhl am Fenster. Hatt’ mich auf die Truhe gesetzet, so das Tuch von Prinzeß Liselotte barg, und starrete mit brennenden Augen in die Dämmerung und lauschete auf den Sang. Ein finster böses Wesen war über mich kommen, daß es mich dünkte, als müßt’ ich das Mädchen dorten hinwegstoßen von dem [826] Bette und hinausweisen aus dem Hause, auf daß sie nimmer wiederkehre.
Und sie sang weiter, so ruhig und so leise, so süß und so traurig; von des Jägers Liebchen sang sie, das im Wald begraben liegt, vom Ritter Ewald und seiner Lina, die vor viel großem Gram gestorben, da er hinweg zog. Mitunter aber klang ein heller Ton hindurch, gleich wie Sonnengold durch dunkle Tannen bricht, doch immer ward es wieder traurig und trüb. Ich kannt sie alle, die Liedlein; man sang sie hierorts allenthalben, doch trieben sie mir heut brennend heiß die Thränen in die Augen.
So lag er wochenlang, der Conradus; unterweilen bei Besinnung, meistens in dumpfem Sinniren; Hedwige aber weilete an seinem Bette, beruhigend mit dem bloßen Klang ihrer Stimme, geduldig und unermüdlich, schier regungslos mitunter. Und draußen zog mählich der Herbst über die Wälder, und droben auf dem Schlosse war viel buntes Leben eingekehret; Hundeblaff und Jagdruf scholl bis in unser stilles Haus; Prinzeß Liselotte aber wiegte sich holdseliger denn jemalen auf ihrem hellbraun Pferdlein, wenn sie zu Walde zog, und die fremden Cavaliere ritten ihr zur Seiten in rothem Jagdhabit.
Ob sie unser still Häuslein mit ihren blauen Augen angesehen, mit den Augen, die so lebenslustig unter dem federgeschmückten Hütlein hervorblickten, ob sie ahnete, er sei krank und siech – ich weiß es nicht; denn ich wendete mich ab vom Fenster, so sie vorbeizogen, und ging zu Conradus in das stille Stüblein, allwo nimmer ein Ton von außen hineinklang. Dem Vater aber mußt ich jetzt viel Gesellschaft leisten: denn er verfassete ein Hochzeitscarmen für Serenissimum, und da ihm schwer ward zu schreiben, so saß ich manch Stündlein an seinem Krankenstuhl, und er dictirete mir die Worte.
Das waren harte Stunden; blieb doch mein Herze oben bei unserem Kranken, und zuweilen, wenn der Vater eifrig die Verssilben zählete, legte ich die Feder hin und sprang jählings vom Tische empor. Dann schalt der Vater:
,Was sorgst Du Dich doch? Ist nicht Hedwige bei ihm, und gehen nicht die Base und die Mutter ab und zu, ihm das Trünklein zu reichen?‘
Und ich senkte den Kopf, und bitterheiße Scham stieg in mir auf, und dennoch vermocht’ ich mich einer brennenden Angst nicht zu erwehren.
Allgemach aber ward es besser mit Conradus, und die Mutter richtete ihm ein ander Gemach her, so größer war und paßlicher, und der Knecht trug ihn hinüber; denn gehen konnt er nicht ob großer Schwäche. Von Helmstädt war auch ein Kistlein angekommen mit vielen Büchern, die mußt ich auspacken und sie alle auf das Tischlein am Bette legen, und da flog das erste Lächeln wieder um seine Lippen, als er solche erblickte.
Hedwige und ich aber konnten nimmer vertraut werden; sie war gar scheu und von lässigem Wesen, hatte weder Lust zum Spinnen, noch zur Wirthschaft in Küche und Keller, und unterweilen, wenn an warmen Herbstestagen die Sonne goldig auf dem gelb- und purpurrothen Laube der Wälder ruhete, war sie stundenlang verschwunden, kam erst gen Abend heim, und in den dunklen Haaren hing verrätherisch ein gelb Blättlein oder etwas Moos; dann hatt’ sie im Walde gelegen und geträumet.
Wann wir aber an langen regnerischen Octoberabenden in des Conradus Stübchen saßen, die Lampe allda noch nicht brannte und nur das Buchenholz im Ofen einen flackernden Schein in das Gemach warf, dann konnte sie gar wunders viel erzählen von alten, längst verklungenen Geschichten; aus der Zeit des großen Krieges, wie Tilly dazumal durch den Harz gezogen, wie er oben in den Bergen gehauset und wie sich der Förster in Harzgerade sonderbarlich gerettet, indem er mit verhexter Büchse blindlings aus dem Fenster schoß, und daß er dann jedesmal ’nen Feind niedergestrecket. Es seien aber auch Freikugeln gewesen, so niemalen fehlen, und da müsse man beim Kugelgießen fein in der Stille ein Spänlein nehmen von einer Eiche, in die der Blitz geschlagen, und es hinzuthuen zu dem feurigen Brei; um Mitternacht müßten die Kugeln gegossen sein in einer der zwölf Nächte zwischen Christnacht und dem Drei-Königstag.
Sie sagte das Alles so lebendig; sie vermocht die Stimme schier so plötzlich zu ändern, daß man gar meinete, den Schrei eines geängsteten Weibes zu hören, das Röcheln Eines, so die Freikugel getroffen, oder das trostlose Weinen des Mägdeleins, von dem der Liebste Abschied nimmt, um in den Kampf zu ziehen. Dazwischen wob sie unterweilen ein Liedlein ein, traurig, wie sie es liebte, und wie’s nicht anders passen mocht für den jungen Mund unter den scheuen Augen, und dazu bewegte sie gar anmuthig die Hände beim Erzählen. Conradus aber hörte nicht minder andächtig zu wie ich, und als einmal Walther, der kommen war, nach des Bruders Ergehen zu forschen, laut lachte über Freikugeln und dergleichen Fabeleien, da fuhr er heftig auf:
‚So laß sie doch erzählen, Walther, und freue Dich, so Du keine Freikugeln brauchest und ohne solche treffen magst!‘
Vater und Mutter waren wenig erbauet von der neuen Hausgenossin, und der Vater klagete, sie habe den Kopf voll von Romanticis und Allotriis, und nimmer werde eine ehrsame Hausfrau aus ihr werden. Aber es kümmerte sie nicht viel, so man sie tadelte; sie stund geduldig da, mit gesenkter Stirn, darum die krausen, braunen Haare in leichten Wellen schatteten, und hörte die längste Strafrede gleichgültig an.
Zu Ende Octobers war es, da Conradus zum ersten Male wieder durch das Gemach schritt.
‚Ei, was bauet man dorten?‘ fragte er, am Fenster stehen bleibend, und wies auf ein Gemäuer, das, fremdartig anzuschauen, genüber in die Höhe stieg, allwo der Kegel des Schloßberges sich zu höhen beginnet.
‚Was gebet Ihr mir, Conrade, so ich es Euch verrathe?‘ fragte Hedwige scherzhaft.
Er wendete sich lächelnd um.
‚Was begehret Ihr denn, Hedwige?‘ neckte er.
‚Möcht wissen, was es für ein Büchlein ist, drinnen Ihr gar so eifrig leset. Merke, es ist kein geistlich gelahrtes Werk: denn dazu harmoniren die Bilder nimmer, so darinnen.‘ Und sie wies auf ein Buch, das er aufgeschlagen in den Händen hielt.
Er erröthete jach.
‚Also Zug um Zug,‘ scherzte er, ‚was bauet man drüben?‘
‚Was lieset man hier?‘ lachte sie.
Und so ward ein kurzweilig Spielen zwischen ihnen, da keines zuerst sein Geheimniß kund thun wollt. Dann gab er nach.
‚Eines griechischen Dichters Comoediae,‘ sagte er. Da begann sie zu lachen, daß es silbern von den Wänden zurückscholl und die Base im Vorbeigehen die Thür öffnete, zu sehen, was da vorging.
‚Schauet, Conrade, wie es sich wundersam trifft!‘ fuhr Hedwige fort. ‚Dort bauen sie ein Haus, darinnen des griechischen Dichters Comoediae aufgeführet werden sollen.‘
Conradus lachte nicht mit; er wendete sich wieder zum Fenster und schauete auf das Getriebe der Bauleute, wie sie eben einen Marmorblock von dem Wagen schaffeten, der ihn von Rübeland geholet.
Es war still geworden im Gemach; auch Hedwige schwieg.
‚Wer verrieth Euch Solches, Hedwige?‘ forschte Conradus endlich.
‚Die Silberschließerin des Fürsten,‘ erwiderte sie, und ihr Zünglein ging wie ein Mühlrad. ‚Kann Euch das ganze Märlein herbeten, wie sie es mir erzählet, da ich auf ein Stündlein bei ihr weilte gestern Abend. Sehet, unseres Fürsten künftig Gemahl kommt aus Frankreich von einem lustigen Hofe. Dorten spielet man gar oft Comoediam, und die junge Prinzessin soll keine Kurzweil höher stellen als dieses. Nun bauet der Fürst ihr zur Verehrung jenes Haus, soll auch schon eine Bande Comoedianten geworben haben, so darinnen agiren werden für vieles Geld. Die Alte sagte, er habe seine Kammerjunker sogar nach Dresden gesendet, dieweil alldort die feinsten acteurs ausgebildet würden: einen Baumeister habe er auch daher verschrieben. Wisset, der Churfürst von Sachsen hat vor etlichen Jahren ein Comoedien-Haus errichtet, und nach solchem Muster bauet man nunmehro dieses: habt Acht, es wird prächtiglich werden!‘
‚Habet Ihr noch kein Comoedien-Spiel gesehen?‘ fragte Conradus nach einer Weile, ‚auch Du nicht, Christel? Wisset auch nicht, wie man spricht und redet in solchem? – Gefällt es Euch, so kommt herauf heut Abend, ich will Euch vorlesen.‘
‚Wird es dem Vater recht sein?‘ gegenredete ich.
Er sah mich an; es war, als ob Etwas wie Zorn in seinen Augen blitzete.
‚Wenn Dir bange ist, Christel, nun so laß es,‘ sagte er dann ruhig, und kehrete mir den Rücken.
[827] ‚Vergieb mir, Conrade,‘ bat ich, ‚ich komme.‘
Und ich kam. – Hedwige war schon vor mir oben; die Base hatt’ rothbäckige Aepfel in die Röhre gelegt, die Oellampe angezündet und den Docht fein säuberlich geputzet; so saßen wir Drei um das Tischlein am Ofen, traulich und warm; draußen aber fegte ein kalter Herbstwind die Blätter von den Bäumen.
Von einem Engländer, Namens Shakespeare, sei die Komodie ersonnen, begann Conradus; ein wundersam Liebesgedicht, so kein schöneres erfunden werden könne, ‚Romeo und Julietta‘, verdeutschet vom Durchlauchtigsten Herrn Landgrafen Georg dem Dritten von Hessen-Darmstadt, zubenannt: der Gelehrte.“
[837] „Conradus aber legte nunmehro das Büchlein auf seine Kniee und erzählete mit leuchtenden Augen, wie arg verfeindet die Sippe der Capuletti und Montague gewesen, und wie Romeo und Julietta sich ganz von ohngefähr bei einer Lustbarkeit gefunben und allsogleich in Liebe für einander entbrannt waren; was der vielliebe Genesende las, das wogete klangvoll und gleichwie Musik durch das Gemach, als schwebeten die Worte schier auf Flügeln.
Noch niemalen hatten mich Menschenworte also durchschauert; wie unter eines Zaubers Bann horchte ich auf und wagete kaum Athem zu schöpfen, und dennoch spürete ich wohl, daß mir das Blut heiß in die Wangen stieg, und ich senkete die Augen. War nicht tausendmal schöner als all das, welches Conradus las, das Wort der Heiligen Schrift, so meine Mutter in die Bibel geschrieben, allwelche ihr erstes Präsent war an den Vater: ,Wo Du hingehest, da will ich auch hingehen; wo du bleibest, da bleibe ich auch; Dein Volk ist mein Volk und Dein Gott ist mein Gott!’
War das nicht herrlicher in seiner Einfachheit denn Julietta’s Liebesworte? Dahinein vermocht ich mich zu denken, nimmermehr aber in solchen Ueberschwang, bei dem mir so lebendig das Liedlein von der Nachtigall vor der Seele stund, das Liedlein von Schuld und Sünde.
Ich folgete nicht mehr des theueren Jünglings Worten und verlor mich schier in tiefes Sinnen. Erst da er verstummte, schreckte ich jach empor und sah Hedwiges blasses Angesicht, aus dem die großen Augen gar geisterhaft zu ihm hinüber schaueten; da sah ich seine Blicke den ihren begegnen, als sei es ein stumm Fragen und Antworten.
,Verstehet Ihr, wie schön es gesaget und gesetzet?’ fragte Conradus endlich.
Hedwige aber sprang auf, ein glühend Roth färbete ihre Wangen, und mit der Hand fuhr sie zum Herzen. Als wollte sie sprechen, stund sie einen Augenblick regungslos da; dann setzete sie sich wieder.
,Und Du, Christel?’ forschte er, und sein begeistert Antlitz wendete sich mir zu. ,Hat es Deinen Beifall, lieb Schwesterlein?’
Ich weiß nimmer, warum ich so abwehrend die Hände ausstreckete und herbe sagte:
,Mit nichten, Conrade, es bedrücket mich und schaffet mir Pein.’
,Nun, so gehe!’ rief er, trutziglich emporspringend, ,lies den Catechismum mit der Base und studire Dein Kochbüchlein!’ Das mag Dir besser taugen.’
Da sah ich, daß er sehr zurnig war, ich wollt’ meine Arme um seinen Hals schlingen, aber er wehrete mir und fing an im [838] Gemache gar heftig auf und abzugehen, gleichwie der Hirsch, den sie im Zwinger des Schloßgartens gefangen halten. Hedwige aber war still hinaus gegangen.
Dann plötzlich blieb er stehen:
‚Es ist Zeit, daß ich mit dem Vater spreche, Christel,‘ hub er an, ‚ich kann nimmer mehr lange hier weilen; das enge Haus drücket mich gleichwie ein Gefängniß, und die Wände wollen mich schier zerquetschen, ich muß nunmehro hinaus, zur Arbeit, wenn ich nicht –‘
‚Conrade!‘ bat ich erschreckt, ‚Du bist heut zum ersten Mal von dem Bette aufgestanden, und Deine Wunde ist annoch kaum verheilet –‘
‚Es wird nicht besser allhier,‘ erwiderte er; ‚wollt nur, es wäre überstanden; denn der Vater lässet mich nicht ziehen ohn‘ ein scharf Examen, dieweil ich auf die Mensur gegangen. Und was ich ihm zu melden habe, würd’ ihn arg betrüben. Wäre schon das Allerbeste, ich ging ohn’„Ade!“, Christel.‘
Da stund mir mit einem Mal die Nacht wiederum vor Augen, wo er heimlich fortgewollt, und wo mein brünstig Bitten ihn erweichet, also daß er geblieben. Dazumalen war ich noch schier ein Kind, und ich bat den Bruder – ach, heut war er es nicht mehr; ein heiß Schamgefühl hielt mich zurücke, daß ich nicht die Arme noch einmal um seinen Nacken warf. Als er aber wiederum anhub:
‚Es muß sein, Christel, es muß ja sein!‘ und er wieder vor mir stund und meine Hände erfaßte, sagte ich nur:
‚Du magst billig wissen, was Dir tauget, Conrade.‘
‚Christel!‘ rief er und zog mich an sich, ‚Du meinest, ich sei undankbar und schlecht, aber ich suche doch meine Pflichten zu üben; – Du vermagst nicht zu erfassen, welch’ ein Kämpfen in meiner Brust ist!‘
Ich schwieg; denn Solches zu hören, that mir wehe.
‚Woher solltest Du es wissen?‘ fuhr er fort. ‚Wenn Du nur eine Ahnung hättest von dem, so ich gelitten seit Jahren, seit dazumal, Christel, als mir der Vater sagte, daß ich hinfüro ein Fremdling sei zwischen Euch, ein Fremdling, der nicht Vater kennet noch Mutter – ach, wenn Du es ahntest, Du würdest Dich erbarmen. Verrath mich itzo nicht! – Ich ziehe morgen davon, vielleicht auch heut noch; kann nicht reden mit dem Vater, sintemal es nimmer gut gehet –‘
‚Und wohin willst Du, Conrade?‘
Er lachte gar bitter auf.
‚Wohin? Ei nun, gen Helmstädt, hinter meine Bücher; – nur fort, hinaus! Mein Examen will ich machen allda, wie ich dem Vater gelobet. Und dann –‘
‚Und dann?‘ wiederholete ich, ‚und dann, Conrade?‘
Er schwieg.
‚Frage nicht, Christel,‘ sagte er endlich.
Mir aber war es, als gerinne all mein warmes Blut zu Eis.
‚Conrade!‘ schrie ich auf, ‚Du kommst nicht wieder, so Du gegangen sein wirst!‘ Und da waren sie schier hinweg, mein Stolz und meine Scham. ‚Conrade,‘ bat ich flehend und faßte ihn bei der Schulter, ‚sag, daß Du wieder heim kommst! Sag, daß Du nicht auf ewiglich die verlassen willst, so Dich lieb gehabt haben gleichwie ihr eigen Kind! Gelten wir Dir nichts mehr? Kannst Du jede Erinnerung verwischen an das Haus, so Dein Vaterhaus gewesen, jede Erinnerung an die friedvolle, glückliche Zeit, so Du mit uns verlebet?‘
Er trat hastiglich einen Schritt zurück, aber antwortete nicht. Es ward ein banges, langes Schweigen zwischen uns, und ich meinete die Schläge meines eigenen Herzens zu hören, Todtenstill war es im Hause; nur die Lampe knisterte ganz leis allhier im Gemach, und dann scholl draußen ein leichter Frauentritt, eine Hand tastete fein behutsam über das Getäfel der Stubenthür, gleichwie suchend nach dem Griff der Thür, Conradus aber fuhr jach herum, und sein blaß Gesicht färbete sich purpurn.
‚Ich komme, Christel, ich kehre wieder heim dereinst,‘ flüsterte er.
Da flog es in mir empor wie jauchzend Freuen, und meine Hände faßten ungestüm nach den seinen; als ich mich aber umwandte, stund Hedwige unter der Thür, daß es ließ, als wäre die plumpe Wölbung eigens zum Rahmen geschaffen für ihr anmuthig Bild.
‚Ich komme!‘ sagte Conradus abermals, ‚wie vermochtest Du daran zu zweifeln?‘
Nun wußte ich, daß er dermaleinst kommen würde, und dennoch – mir war das Freuen schier vergangen.
War gar früh am andern Morgen, als ich erwachte, und da ich an das Fensterlein trat und in den Garten schauete, gewahrete ich auf dem weißbereiften Laub, so herbstlich die Wege deckte, Tritte, fein und schmal, aber es waren nicht die Tritte eines Frauenfußes. Da sprang ich jählings in meine Kleider und pochte an Conradus Thür – nichts rührete sich darinnen, und als ich in das Gemach trat, in dem annoch das Morgengrauen lag, da fand ich es leer, und nur einen Brief an den Vater schauete ich auf dem Tischlein am Bette liegen; lag auch noch ein Zettel dabei, aber mir waren die Augen gar trüb worden von heißen Thränen. Als ich endlich dennoch zu lesen vermocht, was da geschrieben stund auf dem Zettel, da war es ein Gruß an mich und ein Dank für die Pflege, so ich ihm gethan, darunter aber stund, dreimalen unterstrichen:
‚Auf Wiedersehen, hab’ keine Bange! Dein treuer Bruder Conradus.‘
Der Vater schalt, da er Conradus Flucht vernahm, aber ich merkte doch, daß er ihm nicht zürnete. ‚Es ist einem jungen Manne wohl zu verzeihen, so er aus Eifer und Lernbegier eine schuldige convenance verletzet,‘ sagte er, da die Mutter jammerte. ‚Möge dem Jünglinge auch nicht paßlich gewesen sein, noch eine Auskunft über seine Rauferei geben zu müssen,‘ meinte er sodann, sei besser, er gehe so; ein flüchtig Lächeln verschönte des Vaters ernst Gesicht bei der Erinnerung an die eigne Jugend, auch er, sagte er, habe einmal auf der Mensur gestanden und sei darob hart angelassen worden von seinem Vater, und also habe er auch mit Conradus thun müssen, wären sie noch auf diesen Punkt mitsammen zu reden gekommen.
So war denn Alles gut. In Bälde schrieb auch Conradus, er sei zwar gar matt, aber doch gesund in seinem Musenorte angelangt und habe begonnen, emsiglich das nachzuholen, was er des Siechthums halber versäumet. Wünsche uns Allen ein gar frohes Weihnachtsfest, wie auch er es fröhlich zu verleben hoffe, da er von einem Freunde aus fürnehmer Familie von sächsischem Adel invitiret worden, nach Dresden zu kommen, um die Weihnachtsvacanz dorten zu verleben; er freue sich um so mehr darob, als man ihm in Aussicht gestellet habe, das Komödienspiel bei Hofe mit anzusehen, allwo einige Singspiele, sowie auch deutsche und engelländische Komödien agiret werden sollten.
Wir waren sämbtlich im Gemache meines Vaters versammelt, als er dies Brieflein empfing; Hedwige stund am Fenster und sah hinüber, wo man bei den letzten spärlichen Sonnenblicken noch rüstiglich an dem Komödienhause arbeitete, die Mutter aber, Base Wieschen und ich hatten uns um den Vater geschaaret und verlangeten zu wissen, wie es dem Conrado ergehe.
Das ward eine böse Stunde. Der Vater hieß Alle hinaus gehen bis auf mich; er wolle mir allsogleich eine epistola dictiren, sagte er, an den ungerathenen Sohn; nunmehro mußte ich mich setzen, und des Schreibens gewärtig, hielt ich geduldiglich die Feder in der zitternden Hand, hatte dennoch lange zu warten, ehe er begunnete zu dictiren. Seine linke Hand lag schwer zur Faust geballet auf der Platte des Tischleins, und auf seinem Gesichte stund bös eine Falte zwischen den dichten Brauen.
‚Also!‘ sagte er dann und hub zu dictiren an.
‚Indem ich Dir dieses schreiben lasse, Conrade, ist mein Herze schwer betrübet, dieweil ich Dich auf Wegen gewahre, so Dich weitab führen von dem Ziele, welches Du allein zu verfolgen die Pflicht hast. Ich verbiete Dir hiermit, kraft der Gewalt, so mir über Dich gegeben, Deine Augen auf so leichtfertig Thun zu richten, wie das Komödienspiel es ist; es bringet schier Schaden jeglicher Menschenseele und ist eine Versuchung des Teufels. Ich sage Dir: Die, so sich itzo daran freuen, werden es dereinsten herzlich zu bereuen haben. Dir aber als einem studioso theologiae steht es doppelt schlecht zu Gesichte, Deine Augen auf Solches zu richten, und wär’ es Dir besser, sie würden blinde. als daß sie diese Narrethei mit anschauen. Ich hoffe vielmehr, wenn Du dermaleinst allhiero im Priesterrocke auf der Kanzel stehest, Du werdest alsdann es noch unserem hochfürstlichen Herrn geziemend vorstellen, daß auch Er solch unchristlich Treiben einzuführen gesonnen ist, und sollest ihm sagen 1. Cor. 7, 31.: Denn [839] das Wesen dieser Welt vergehet – lasse ab hiervon! Wie denn hier wieder Eva spuket, da, so ich gehöret, sein zukünftig Gemahl ihn hierzu animiret, um es anderen leichtsinnigen Höfen nachzuthun.
Habe Dir anitzo gesagt, was ich begehre, und verlange, daß Du darnach handelst als gehorsamer Sohn Deines allezeit getreuen Vaters.
Falkerode, M. Decembris 1669.
fürstl. Hofprediger.’
Hätte gar gern noch ein freundlich Wörtlein hinzugefüget, aber wußte nicht es zu beginnen; sintemal der Vater noch einmal den Brief durchlas. Aber als er ihn mir dann zu falten gab und das Sigulum darauf zu thun, schrieb ich eilig noch darunter:
,Viel tausend Grüße! Betrübe Dich nicht, Conrade!‘
Die Base aber winkete mir, als ich nachher in die Wohnstube gehen wollt’, nach der Küche, allwo sie am Tische stund und Pfefferküchlein auf Weihnacht rührte.
‚Was sagte ich Dir, Christel?‘ flüsterte sie gar heimlich, und ließ die Kelle im Teige stecken, ‚der Vogel singet, wie ihm der Schnabel gewachsen, und wenn man ihm schier alle Tage ein ander Liedlein pfeifet, er bleibet dennoch bei seiner Weise.‘
‚Ich wollt’, er wär’ erst ganz daheim,‘ seufzete ich.
Die Alte aber schauete mich listig an aus ihren hellen Augen.
‚Glaub’s, glaub’s, Töchterlein!‘ neckete sie, ‚oder meinst Du, die Base sei blind? Blaß siehst Du aus wie ein Wachs, und lachen kannst Du auch nicht mehr, hast auch Herzschlagen und schläfst nicht gut – ist es nicht so? Weiß mir das Alles gar wohl zu deuten; will Dir ein Tränklein richten von rothem Frankenwein, eisernen Nägelein und Hollunderlaub, am Pfingstsonntage vor Sonnenaufgang gepflücket; davon trinkst Du jeglichen Tag ein Gläslein voll, das soll wohl helfen.‘
,O Base, was denkest Du!‘ schalt ich, und fühlte dennoch, wie mir jäh das Blut in die Wangen stieg. Eilends ging ich hinein in die Stuben der Mutter und nahm mein Spinnrädlein. Der Mutter Hände ruheten gefaltet im Schooß, und um ihre lieb treuen Augen zogen sich rothe Ränder wie vom Weinen; Hedwige aber saß am Fenster; ihr feiner Kopf hub sich scharf ab gegen den hellen Grund, und sie sang gar leise beim Spinnen, wie es ihre Art so war; das klang, als habe sie stillheimliche Sehnsucht nach Frühling und Maienluft, nach etwas Vielsüßem, unsagbar Holdem, also daß es mir heiß in das Herze zog und mein Fuß stockte auf dem Trittbrette. Ich meinete die Nachtigall zu hören und sah das junge Laub an der Linden und ein blaß Antlitz mit zwo glänzend blauen Augen, und die Worte klangen mir in die Ohren:
,Bleib bei mir, Christel, daß ich nicht verkomme in meines Herzens Zerfahrenheit und Unrast! Wir haben uns ja immer so herzlich geliebet.‘
‚So viele Blättlein im Walde wehn,
So viele Sternlein am Himmel stehn,
So viele Blümlein im kühlen Grund,
So oft denk ich Dein zu jeder Stund –‘
sang Hedwige. – Ei, war es denn nicht also?
Dann fuhr sie empor.
,Was sinnet Ihr, Mädchen? Schlafet ein am hellen Tage?‘ schalt die Mutter freundlich. Da ich aber Hedwige ansah, war ihr bleich Gesicht purpurn erglühet; wir schaueten einander in die Augen und sie fragte:
,Warum bist Du so roth, Christiane?‘
‚Und Du?‘ gab ich zurücke, um Etwas zu sagen. ‚Hast wohl gar einen Schatz dort oben gelassen in den Bergen?‘
Da hub sie stolz den Kopf aufrecht:
‚Hätt manch einen Tölpel haben können, so von weiter nichts wußte, denn von Jagen und Hunden, – war nicht nach meinem gusto.‘
Die Mutter aber verwies ihr solch Reden und warnte: ‚Wer zu hoch hinaus wolle, stoße gemeiniglich an die Decke.‘
Da schwieg Hedwige und spann weiter, aber auf ihrem jungen Gesichte lag Trutz und Stolz, und sie antwortete nicht, so oft ich zu ihr sprach. Draußen aber tanzeten lustig die Schneeflocken vor den Fenstern, und fern war annoch Frühling und Glück.
War ein gar strenger Winter, der vorüberzog; schier eingeschneit steckten wir hier oben in den Bergen, und manch ein stiller Abend ging dahin, an dem kaum ein Wörtlein geredet wurde; nur die Spinnräder liefen leise, und von draußen war das Rütteln des Sturmes an den kräftiglich schützenden Fensterläden vernehmlich. Es hatte heuer gar viel der Noth gegeben an allen Enden: Schneebruch in den Wäldern; das Wild war verhungert und in den Häusern der Menschen viel bös Gebreste, Krankheit und Jammer.
Als aber die ersten Veilchen blüheten im April, führte Serenissimus sein jung schönes Weib heim. Die Hochzeit war zu Dijon gefeiret worden im fernen Frankenland; nun wartete der Neuvermählten auch allhier noch eine Reihe von Lustbarkeiten, zu denen man gar viele fürstliche Herrschaften invitiret hatte. Wußte solches Alles von der Hedwige, die schier wie hingebannet war zu der alten Hexe, der Silberbeschließerin; hatte ihr Logement im Schloß droben und wußt alleweil Bescheid über jeglich Ding, so dorten passirete. Ihre Luchsaugen spüreten überall umher, und die Hofbediensteten waren ihr nicht sonderlich gewogen, sintemal und alldieweil ihre spitzen Ohren mehr höreten, denn erlaubt war.
Da der feierliche Einzug geschah, stunden Hedwige und ich auf der Treppen vor unseres Hauses Thür. Auf dem großen Platz aber drängete und schob sich schier das ganze Ländchen; viel prächtige Ehrenpforten aus grünem Gezweig waren errichtet; auch jeglich Haus hatte sich geschmücket, und jeglich Fensterlein starrte von neugierigen Gesichtern. Vom Schloß wehete das Wappenbanner des jungen Paares, und da sich der Zug nahete, krachten die Stücke, daß es gar feierlich donnernd von den Bergen wiederhallte. Die Soldaten im stattlichen Aufzuge bildeten Spalier, die fürstlichen Diener aber in prächtiglich verposamireten Libereien, Etliche zu Fuß, Andere zu Pferde, marschierten voran; kamen sodann die Adjutanten; darnach der Hofmeister, so in einem ganz über und über mit Gold chamarirten Rocke war, auf reich geziertem Rosse; endlich aber die mit vier Pferden bespanneten Hofcaretten, in denen die Ehrenfräulein saßen, anzuschauen wie die Tulpen, so Base Wieschen in ihrem Kammerlein aus den kostbaren holländischen Zwiebeln zu ziehen wußte. Viele Cavaliers ritten in großer Pracht daneben, also daß wir meineten, die Frühlingssonne habe noch niemalen solch ein farbenreich Bild geschauet.
Holdselig nach allen Seiten grüßend, lehnte ein schlank bräunlich Weib neben unserem Fürsten in den goldstoffenen Kissen des Prunkwagens; gar fröhlich blitzten ihre dunklen Augen, wetteifernd mit dem Edelgestein, so verschwenderisch ihr silberstucken Gewand schmückte. Ich meinete, itzo müsse sie auch unseres Hauses Fenster streifen, allwo mein Vater sich in vollem Schmuck seines Amtes postiret, den er unter viel Schmerzen heute angelegt. Schon flog ihrer Augen Leuchten herüber – da wendete sie rasch das Haupt, und ihre Blicke folgten einem Fingerzeig des hohen Gemahls nach dem Comoedien-Hause, an dessen Giebelfelde die stolze Inschrift funkelt: ‚Apollini et Musis‘, und männiglich konnte nunmehro sehen, wie das junge Weib itzt die schlanken Händlein zusammenschlug in hellen Freuden.
Da ich nach meinem Vater schauen wollt, war er vom Fenster zurückgetreten, und als ich in sein Gemach eilete, da saß er finster in dem Siechenstuhl und antwortete mir nicht, so viel ich auch frug. So wandte ich denn den Fuß zurücke und ging trübsälig, gerade rechtzeitig, um annoch den Wagen zu erblicken, in dem Prinzeß Liselotte saß; nun mischete in den Hochruf des Volkes sich Musik und der Knall der Geschütze, und Hedwige stund an dem eisernen Geländer und schauete mit zitternder Lust dem Zuge nach, so sich den Schloßberg hinauf wand. Schier wie trunken blickten ihre Augen aus dem blassen Antlitz, als begehrete sie sich hinab zu schwingen, hinein in solch verlockend fremde Herrlichkeit.
Wunderhold und lieblich war sie anzusehen unter dem frischfeinen Veilchenkranz, mit dem sie sich heut früh vor dem Spiegelein behutsam geschmücket und lang beschauet hatt’, und manch ein Blick flog hinauf zu ihr von den fremden Cavaliers, so den Zug beschlossen.
Und da es die Mutter gewahrete, rief sie, wir sollten allsogleich hinein kommen und in den Garten gehen; es zieme sich nicht für ehrbare Jungfern also am Pranger zu stehen, da es doch nichts mehr zu schauen gäbe. Hedwige schrak auf, als erwache sie jach aus tiefen Träumen, folgte mir aber ohn’ Widerrede in das Gärtlein. Allda war es still, so still! Die Sträucher schimmerten im ersten Grün des Lenzes, nur undeutlich scholl unterweilen ein Laut des Jubels zu uns herüber.
[840] Hedwige flog vor mir den Weg hinunter, so zur Laube führet; ihr schwarz Gewand wehete um die zartfeine Gestalt. Ich folgte ihr langsam und blieb hie und da vor einem Beetlein stehen, auch vor dem, das Conradus einsten zugehöret; das hatte ich seither immer gewartet, und in diesem Jahr hatt’ ich seinen Namen darauf gesäet mit Kressen, und freute mich nun, daß die grüne Saat zu sprießen begunnete, und deutlich in zarter Schrift der Name ,Conradus‘ prangete. Zupfte auch noch rasch ein Unkraut hinweg; da ich aber in die Laube trat, fund ich Hedwige; die hatt’ den Kopf in den Händen geborgen; der Veilchenkranz lag am Boden, und sie weinte laut und gar bitterlich.
,Was fehlet Dir, Hedwige?‘ fragte ich erschreckt.
Sie aber hub das Gesicht, und die Thränen hingen ihr an den dunklen Wimpern.
,O Christiane,‘ gab sie zurücke, ‚es sehnt sich mein Herze.‘
‚Wonach, Hedwige?‘
Da stund sie auf und reckte die Arme empor, als wollt sie hinauffliegen in den klaren blauen Himmel, hinweg aus dem engen stillen Gärtlein – in unbekannte Fernen.
‚Wonach – ich weiß es schier selbst nicht,‘ sagte sie dann, und ihre Blicke verfolgten einen Weihen, der rasch und königlich in die Lüfte stieg, also daß er nach wenigen Minuten kaum noch wie ein Pünktelein im Aether schwam.
Hedwige war von Stund’ an wie verwandelt. Oft stund sie nachdenklich am Fenster und spähete nach Allem was geschah. Gab auch gar viel zu schauen auf den Straßen; denn ungleich prächtiger war itzo die Hofhaltung, als sonsten; viel fremde Herrschaften kamen und gingen, so großen Dienertroß mit sich führeten, und solcher trieb sich meistentheils umher auf dem Platz vor unserem Hause; auch ward Abends unter den Linden vor des Castellans Logament mehr Jubel laut, denn oben in des Schlosses Prunksälen, mit Dirnen, Tanz und Bier, also daß es bis in die Nächte hinein tobete, wie am ersten Maien auf dem Blocksberg.
Auch das Völklein der Komödienspieler war einlogieret in unsrer Nachbarschaft; allerhand fremd Gesindel, und manch Mädchen fernher aus Italia, schwarz von Aug’ und Haaren und von bräunlicher Gesichtsfarbe. Die wandelten fleißig vorüber an unserem Haus, und unterweilen flog wohl das kecke Funkeln eines Auges herauf nach unserem Fenster, so Hedwige darinnen lehnte; dann lächelte sie gar holdselig und beugte sich vor, also daß ich mich schämte und nimmermehr am Fensterlein schaffen mocht. Verbot auch bald die Mutter, daß sie nicht mehr hinaussehen durfte, noch mit Nähzeug oder Spinnrad alldort sitzen, und Base Wieschen hielt streng Obacht darob.
Da aber eines Tages Serenissimus den Vater sowie uns huldvoll invitirete, ein französisch Schauspiel mit anzusehen, betitult: ,Der scheinheilige Mann Tartuffe‘, von einem Msr. Molière, gerieth mein Vater in argen Zorn und verstund sich nur mit Mühe und auf der Mutter sanftes Zureden, geziemend zu danken für Serenissimi Gnade; er ließ Serenissimo unterthänigst vermelden: es sei nicht paßlich für seinen geistlichen Stand, derlei Kurzweil mit anzuschauen; er ziehe mit gnädigster permission vor, zu Hause zu bleiben nebst seiner Familie. War auch tagelang noch arg böse und setzte das Fenster seines Gemaches zu, so ihm das verhaßte Gebäude zeigte.
Ich fragte nimmer viel nach solchen Aergernissen, zählete ich doch jeglichen Tag und jegliche Stunde, da Conradus wiederkehren mußt; auch war ein gnädig Handschreiben von Serenissimo gekommen, daß Conradus als am ersten Pfingstsonntage seine Probepredigt halten solle in der Hofkirche. Prinzeß Liselotte hatt’ ihrem ‚Pathenkind‘ einen Amtsanzug verehret aus köstlichem Brabanter Tuch und die Halskrause vom feinsten Linnen. Solches hing vor Staub wohl geschützet in seinem Stüblein, und alltäglich ging ich hinauf und öffnete die Fenster, nahm den Staub von den Geräthen und hantierete dort umher; dann ward mein Herz ach! so voll heimlichen Glückes Erwartung, und oftmalen blieb ich verträumet darinnen sitzen, sah den Sonnenstrahlen zu, die längs der Wand hinglitten, und malte mir aus, wie sich dorten über die Schreiblade bald ein dunkellockig Männerhaupt beugen werde in ernstem Studio; ich meinete allbereits sein klangvoll Sprechen zu hören: ‚so ist denn noch Alles gut worden, mein vielliebes Schwesterlein.‘
Dann aber hielt ich inne.
‚Nicht Schwester! nicht Schwester!‘ rief es in mir, und ich sprang empor. ‚Nein süßer noch, zu tausendmalen süßer!‘ und ich dankete Gott inbrünstiglich, daß Conradus nicht mein Bruder; ich faltete die Hände zum Segen für die hohe Dame, so ihm das Leben gegeben, die einsam geblieben, ob sie gleich ein Recht auf Liebe hatte, auf heilige Kindesliebe – arme Liselotte! Ich konnt ihr nun und nimmermehr zürnen – um seinetwegen!
Und er kam. Ei, fraget mich nicht, wie es war, da ich ihn wiedersah – ihn, an den ich allstund gedacht in scheuer Sehnsucht. Weiß nur noch, daß ich, da er erwartet wurde, mir ein Sträußlein Vergißmeinnicht an mein braun Gewand heftete und ein blau Band in den Zopf flocht – weiß nur noch, daß die Base lachend mich angesehen, und daß ich Abends im Garten auf- und abschritt und endlich, mir selbsten unbewußt, das Pförtlein öffnete und am Waldesrande entlang wanderte, da er kommen mußt.
Am Himmel stund purpurn das Abendroth, und weit hinaus lag über das Land ein duftiger Hauch; fein leise athmete der Wind mir entgegen und machte die junggrünen Blätter sich flüsternd bewegen. Unter der Buche am Wegesrand that ich mich setzen und schauete aus nach ihm, den ich so inniglich lieb hatte, über mir aber flogen die Vögelein zu Neste, und vom Schloßthurm verhallten itzo gerade die letzten Klänge des Geläutes; kein Laut, ringsum kein Ton, denn einzig das Zirpen der Grillen – heiliger Abendfriede allenthalben!
Da bog eine hochschlanke Gestalt um die Waldecke; das leichte Ränzlein über dem Rücken, den Wanderstab in der Hand, also schritt er einher, fürnehm und sicher, wie je Einer gegangen.
,Conrade!‘ wollt ich ihm entgegenrufen, und vermocht’ es doch nimmer; rasch eilte ich auf ihn zu; dann ward mein Schritt allgemach langsamer, und endlich blieb ich stehen; ein seltsam Bangen war über mich kommen. Er aber hatt’ mich auch erkannt, und nun faßten zwo Hände die meinen, und eine Stimme sprach, wie ich sie gehöret im Wachen und im Träumen immerdar: ‚Gott grüß’ Dich, Christiane!‘
Ich wagte nimmer zu ihm aufzusehen, und da schlang er den Arm um mich und sagte scherzend:
,Ei, bist mir entgegenkommen, und hast kein Wörtlein für mich?‘
Da schauete ich ihn an, und es waren die blauen ernsten Augen wieder, und das liebe Gesicht; aber blaß war es, gar so blaß – und seine Linien erzähleten von Arbeit viel und viel Leid.
‚Du bist noch immer nicht gesund, Conrade,‘ sagte ich, ‚aber itzo ruhest Du aus bei uns – möge es Dir wohlgefallen!‘
Er drückte mir herzinniglich die Hand.
,So helfe Gott dazu!‘
Und wir gingen mitander, und unterweilen schauete ich ihn an, wie er so still neben mir schritt; und ich meinete, die Welt sei noch niemalen so schön gewesen denn heute im erbleichenden Abendroth.
Er war wieder kommen; was schuf mir annoch weiter Noth?“
[853] „Und es war eine Zeit, schier so süß wie der Lenz da draußen. Von meines Vaters Stirn verzog sich allgemach die Sorgenfalte, und ein weicher Schimmer legte sich darauf, so er von Conradus sprach, meine Mutter aber folgete ihm mit glänzenden Augen; ihre Blicke, die wanderten wohl von ihm zu mir, und ein fast schalkhaft Lächeln zitterte ihr um den ernsten Mund.
Droben saß Conradus ob seinen Büchern; eine Predigt that er ersinnen auf Pfingsten, ließ sich gar selten sehen und hatt' sein Stüblein nach dem Garten hinaus verleget, auf daß er ungestöret könne studiren. Zuweilen, wenn ich den Gartenweg hinaufschritt, stund er am Fenster und blickte in gar tiefen Gedanken in das grüne schwankende Geäst der Linden, oft auch hörete ich ihn auf- und abwandeln dort oben, schier ruhelos, stundenlang.
Eines Tages aber kam er herunter, da er mich erblickte.
,Du siehst bleich aus, Conrade, studirst schier allzu viel.‘
Er aber schüttelte das Haupt.
[854] ‚Nimmer genung!‘ antwortete er, und, gleich wie unter schwerer Last erseufzend, setzte er fragend hinzu: ‚Sag’ an, bin ich nicht zu jung, Christiane, zu solch ernstem Beruf?‘
,Nein, nein, Conrade; thut es doch nimmer die Jugend, sondern blos die Fähigkeit, so dem Amte vorzustehen vermag, und dieses weißt Du und kennest Du gar wohl.‘
‚Also meinet der Vater auch,‘ antwortete er, ‚und mir banget dennoch.‘
Da lachte ich ihm hell in’s jungschöne Antlitz, aber still heimlich sorgte ich mich doch um ihn, dieweil er oftmalen gereizt und zornig war, wo ihm doch ein Leide nimmer geschehen war. So ging er Hedwigen schier unfreundlich aus dem Wege und achtete ihrer nicht mehr, denn der grauen Katze, so auf der Treppen an ihm vorüber strich; sie war ihm deß nicht böse, schauete ihm höchstens nach mit sonderbarlichem Lächeln. Am Himmelfahrtstage aber, da wir unter der Linden im Garten saßen und Hedwige zu unserer Arbeit ein fein Liedlein sang, da warf er unwirsch sein Fensterlein zu, also daß ein Glas klirrend in Stücke ging; nur Hedwige that, als habe sie nichts bemerket, und sang weiter, nicht lauter, noch leiser, und dennoch meinete ich, es klinge weicher annoch und berückender, denn zuvor.
,Deines Singens sei nun genung, Hedwige!‘ bat ich; ‚denn wisse, es störet den Conradus.‘
Da lachte sie trutziglich; das scholl silberhell und süße, und oben wurde hastiglich ein Stuhl gerückt; nun kamen Schritte auf der Stiegen herunter, und Conradus ging nicht gar weit von uns vorüber, ohn’ aufzusehen, hastiglich, als könne er nimmer früh genung aus unserer Nähe kommen; dann klang die Gartenpforte, und es ward gar stille.
‚Es ist nimmer recht,‘ sagte ich, ‚Du alterirst ihn in seiner Arbeit, Hedwige. Wie doch soll er Etwas schaffen, so die Herzen der Hörer packet und zu Gott führet, wenn Du solch weltlich Narrethei hier unten treibest!‘
Sie aber antwortete nicht, sondern stund auf und ging in den Garten hinein, und da nach einer Weile die Mutter ihrer begehrete, war sie nirgendwo zu finden.
In der Dämmerung aber kam Conradus zurücke, und ich hörte, wie er stracks in meines Vaters Stube trat. Dorten blieb er lange, und die Abendsuppe, so die Base unter der Linden aufgetragen, die ward kalt und mußte wieder hinweg genommen werden. Da es aber mehr und mehr dunkelte, beschied mich die Mutter in des Vaters Gemach. Es war annoch kein Licht angezündet; nur der Mond blinkte als schmale Sichel durch das Fensterlein und zeigte mir des Vaters bleich Antlitz, so in den Kissen des Krankenstuhles ruhete.
,Christiane!‘ rief er, und seine Stimme klang milder, denn ich sie jemalen gehört, ‚komme näher! Ich habe Dir Etliches zu vermelden.‘
Und ich that, wie er mich geheißen, und wartete; aber es war, als fände er nimmer die richtigen Worte.
‚Ich meine den Conradus, Kind,‘ hub er endlich an, ‚ich denke, Du habest ihn allzeit herzlich geliebet, gleichwie einen Bruder?‘
‚Ja, Vater,‘ sagte ich stockend.
‚Nun aber ist es an der Zeit, Dir kund zu thun, daß er so wenig zu unserer Sippe gehöret, wie der Fremdling, der da an des Hauses Thür vorüber gehet – – Er ist nimmer mein Sohn, wie er nimmer Dein leiblicher Bruder ist –‘
Er schwieg, und seine klugen Augen, die sahen durch die Dämmerung gar bedeutsam herüber zu mir. Dieweil ich nun nicht antwortete, fragte er wiederum:
,Wußtest Du Solches, Christiane?‘
‚Ja,‘ erwiderte ich gar bang und gepreßt.
‚So ist Dir auch kund worden, wer seine Eltern sind?‘
Ich senkete stumm das Haupt, unsicher, wie ich ihm sollte Antwort thun.
‚Woher möchte Dir auch solche Kunde kommen,‘ fuhr er fort, ‚da es ein fein difficil Geheimniß ist? Thuet auch hoffentlich keinen Schaden Deiner Gesinnung zu ihm. Ist ein treuer Gesell, der Conradus, wohl würdig eines guten Weibes. – Weiß nimmer, ob es wahr, was da die Mutter mir verstohlen hat zugetragen, daß Ihr Euch mit andern Augen anschauet, denn mit Bruder- und Schwesteraugen?‘
,Vater!‘ rief ich.
Er aber faßte meine Hand und zog mich näher, und ich knieete vor ihm in gar großer Herzensverwirrung.
,War von je ein traumhaft zerfahrener Knabe der Conradus,‘ fuhr er fort, ‚aber anitzo ist er ein ernster Mann worden, der binnen Kurzem sein Amt zu Gottes Ehre wird wohl verwalten. Hat mir vorhin gestanden, daß sein Herze sich zu Dir neige, und gemeinet, Du taugest wohl vor andern Jungfrauen zur jungen Pastorsfrau. Will sich Bescheid von Dir erholen am Pfingsttage nach seiner Predigt; Du aber mögest Dir reiflich überlegen, ob Du bei ihm ausharren willt für und für in Noth und Fährlichkeiten bis zu des Lebens Ende. Was saget Dein Herze dazu, Christiane? Willt Du in Lieb’ und Treue sein Ehegemahl sein?‘
Mir war es, als habe der Himmel sich jach hernieder gelassen in das finstere Gemach und ein überirdisch Glänzen blende meine Augen.
,Ja, Vater, ja zu tausendmalen!‘ stammelte ich.
‚Und ist Dir sein dunkel Herkommen kein Stein des Anstoßes, vielliebe Tochter?‘
,Nein, o nein! Nur lieber will ich ihn drob halten – für Alles, so ihm fehlet, will ich ihm noch mehr der Liebe geben.‘
‚So werde ich es ihm vermelden, Du aber gehe stracks hinauf in Dein Stüblein und besprich Dich mit dem, der unseres Herzens Gedanken erforschet!‘
Da wankte ich hinaus aus dem Gemach und stieg hastiglich treppauf, und in meinem stillen Kämmerlein, da sank ich auf die Kniee vor dem Bette nieder, barg den Kopf in die Kissen und wußte schier nimmer, was beginnen in meines Glückes Ueberschwang. Schwer dünkete es mich, allein zu tragen die gar so süße Seligkeit, und Conradus weilete doch ganz nahe bei mir in seinem Stübchen; thät er denn nimmer ahnen, daß ich mich nach ihm sehnete? Unstät strich ich das Haar zurücke, so mir über die Stirn gefallen, und öffnete das Fensterlein; kühle Nachtluft aber wehete mich an; tiefschweigend und dunkel lag der Garten; nur aus Conradus’ Fenster fiel ein gar heller Schein auf die Blätter des Buschwerkes, darinnen aber wanderte schier ruhelos ein Schatten auf und ab. Ob er an mich dachte und an die Antwort, so ich geben würde? Ach, mußte er denn nicht allbereits wissen, daß sie nicht anders lauten konnte als ‚Ja‘ und ‚Ja‘ in alle Ewigkeit?
Da hub leise eine Nachtigall an zu schlagen in der Linden, süß und schwermüthiglich klang es; ich aber bog mich weit hinaus; ‚Conrade! Conrade!‘ kam es leise über die Lippen mein, und erschrocken bis in’s Herze hinein hielt ich inne. Aber Niemand antwortete; nur die Nachtigall, die sang fürder und fürder, und ich mußte weinen und wußte schier nimmer warum. –
Langsam vergingen die Tage, und ich frug mich oftmalen, wie der traute Mann nur vermöge an mir vorüberzugehen ohn’ einen Blick, da er mich doch liebete? Sei gelehrter Herren Art, tröstete die Base, da ich ihn auf der Stiegen getroffen mit blasserem Antlitz denn sonsten, und also tief in Gedanken, daß er mich nimmer bemerkte, ob mein Gewand ihn gleich streifete. Sei gelehrter Herren Art, daß sie nicht sonderlich Acht haben auf das, so um sie vorgehet. ,Wirst Dich darein finden müssen, Lammelein,‘ sagte die Alte, ‚ihn nimmer zu stören und fein duldsam zu warten, bis daß es ihn gelüstet, mit Dir zu reden. Ein anderer Mann hat alleweg Zeit zu necken und zu kosen, ist aber nicht paßlich für einen geistlichen Herrn – war Dein Vater doch auch nimmer anders. Hab’s all mein Lebtag gesagt, ist kein leicht Ding eines gelehrten Herrn Weib zu sein.‘
‚Ja,‘ dachte ich derweil bei mir, ‚wird schon recht sein, was die Base da redet‘; denn ob ich mich auch sehnete, sein lieb Antlitz zu schauen, Conradus saß fürder wie hingebannet über seinen Büchern, also daß ich mich schier darob wunderte, wie die Ausarbeitung eines Sermons mocht so gar lange Zeit erfordern. Unterweilen hörete ich ihn laut sprechen; allgewaltig klang zu solchen Stunden seine tiefe Stimme und gar wohllautend, just wie geschaffen für eines Predigers Vortrag, allso daß ich oftmalen auf der Treppe horchte, konnte ich gleich die Worte nimmer verstehen. Und heimlich saß ich und nähete mir ein blau Gewand; das hatte ein rothbraun Sammetstreiflein am Rande, und da die Mutter mich dabei ertappte, da geschah es, daß sie mir zwo silberne Spangen brachte; die waren mit Kettlein an einander gefüget, auf daß das Mieder über der Brust sich fein züchtiglich schlösse. Und lächelnd sagte sie: ‚Die prangeten auf meinem Hochzeitskleide.‘
Hedwige aber, die war still und gar blaß worden seit [855] jenem Nachmittage, da sie unter der Linden gesungen. So oft sie jedoch Conradus sahe, da war es allsogleich, als erbleiche ihr Antlitz noch mehr denn sonsten, und als blitzeten die braunen Augen ihn finster an. Zuweilen dünkete es mich, ihre Blicke ruheten groß und gar böse auf mir, also daß mir sehr bange ward um’s Herze, gleichsam als drückete mich ein Alp.
‚Weiß nimmer, was ihr fehlet,‘ sagte die Base, ‚meine mit unter, sie sei krank worden im Kopfe: so närrisch Zeug schwätzet sie im Schlafe.‘
Schier stundenlang konnt sie am Fenster lehnen und müßiglich dem Treiben auf dem Schloßplatze zuschauen oder die sehnsuchtbrennenden Augen ohn Unterlaß auf das Komödienhaus richten.
Eines Abends aber, da ich hastiglich die Thür ihres Kämmerleins öffnete, o, da stund sie, verwunderlich anzusehen, vor ihrem Spiegelein, wandte sich stracks und streckte mir herrisch den Arm entgegen, daß ich verschüchtert die Thür weit offen ließ und auf der Schwelle verharrete. Hatte sich ein weiß Laken, gleichsam als sei es ein faltig Gewand, sorgfältiglich umgehangen und ein fein Nesseltuch wie einen Schleier am Hinterkopfe aufgestecket, und so stund sie da, und die Sonnenstrahlen spieleten um ihr braun Haar und den feinen Arm, und jach einen Schritt zu mir thuend, begunnete sie schier feierlich zu reden:
,Was willt Du allhier? Ist in Deiner Rede doch nichts mir erfreulich, noch wird es mir je zur Freude sein, und auch meine Rede ist gar anders, denn solche, so Dir wohlgefällt.‘
‚Hedwige!‘ schrie ich entsetzt, ‚Du redest im Fieber.‘ Und ich faßte ihre Hand. Sie aber machte sich kräftiglich los und stieß mich zurücke.
‚So geh’ doch!‘ sprach sie bitter, ‚sage es, so Du willt, dem Vater – ist mir recht, so er mich hinaus weiset; dann bin ich frei wie ein Vögelein und brauch’ mich nimmer eingemauert zu härmen in diesem Hause, so schlimmer ist denn ein Kloster.‘
‚Sei nicht undankbar!‘ rief ich gekränkt, ‚was begehrest Du für Freiheit? Was wehret man Dir allhier?‘
‚So ich es Dir sagte, ach Du würdest es dennoch nimmer verstehen,‘ gegenredete sie, und ein spöttisch Lächeln flog um ihren Mund. ‚Hast Du ein Ahnen, daß es auch Höheres giebt im Menschenleben, denn ein engkleines Glück? Kannst Du es fassen, daß auch ein Frauenherze sich nach Anderem kann sehnen, als nach eitel Spinnrad, Kochtopf und Kinderstüblein? O gehe doch! Wie kannst Du Solches wissen? Zeiget doch Dein sanft Antlitz allzeit ein zufrieden Lächeln, daß man schier neidisch werden möcht’, wenn es sich lohnete um den faden Mehlbrei, so Deines Lebens geistige Nahrung ausmachet.‘
Da ward ich stumm und vermocht nimmermehr zu antworten; als ich mich aber ganz rathlos wandte, stund Conradus in der Thür und schauete an mir vorüber auf das schönschlanke Weib in der fremdartigen Gewandung, um das die Sonnenstrahlen just einen güldenen Schleier woben.
‚Conrade,‘ fragte ich bang, ‚was ist worden mit ihr? Sie redet irr’; sprich Du doch ein Wörtlein zu ihr! –‘
Da wanderte sein Blick langsam von ihr zu mir, von mir zu ihr, und seine lieben Augen die starreten mich an aus dem bleichen Antlitze, als schaueten sie ängstiglich in leere Luft, so kalt und so todt.
,Conrade!‘ wollt ich rufen; denn das Herze that mir jählings wehe, aber das Wort erstarb auf meinen Lippen, und er wendete sich wieder zu Hedwige.
,Was sagtest Du alleweile, als die Schwester zu Dir trat?‘ fragte er sie sanft, ‚und wo hörtest Du Solches?‘
Sie war purpurn erglühet, aber als fühle sie tiefinnen, daß ihr nimmer ein strenger Richter gegenüberstünde, trat sie trutziglich einen Schritt näher zu ihm heran, faßte seine Hand und zog ihn an’s offene Fenster.
‚Dorten!‘ rief sie und deutete auf das Komödienhaus, ‚und so es eine Sünde war, möge mir Gott verzeihen – ich kann es nimmer glauben, daß so Edles und Schönes verdammlich sei.‘
Er aber erwiderte kein Wörtlein, blickte nur gleich wie träumend nach dem weißen Hause hinüber.
,Wen sahest Du alldort die Antigone spielen?‘ fragte er dann. Da kam wieder Leben in das Mägdelein, und wie schier verzückt hub sie die gefalteten Hände empor.
,Wen? rief sie. ‚Ei, Conrade, das rathet Ihr nimmer! Aber schön war sie – meiner Treu! – erhaben schön und hoheitsvoll, wie sie so daher trat in ihrer weißen Gewandung, viel herben Schmerz und gar große Trauer in dem Angesicht. Ihr wißt, der Hof spielete gestern zur höchsteignen Belustigung, und die alte Silberschließerin, welcher ich mannigmal ein einsam Stündlein vertreiben helfe, die hat mich fein heimlich mit hineingenommen in den Kunsttempel; vom dunkelsten Winkel aus habe ich sie geschauet, Prinzessin Liselotte, als Antigone –‘
‚Prinzessin Liselotte?‘ fragte er, und das Herze klopfte mir hoch bis zum Zerspringen.
‚Ja, Conrade! O, wäret Ihr dabei gewesen!‘ Und lieblich bittend setzte sie hinzu: ‚Zürnet Ihr mir darob? Saget auch Ihr, daß das Agiren in der Komödie ein sündhaft Ding sei?‘
Da wandte er sich jählings um: sein blaß Gesicht war nunmehro plötzlich entfachet zu eitel Feuer und Flammen; stracks verließ er das Gemach, ohn’ mich anzuschauen – Hedwige aber riß sich den Narrentand vom Kopfe, warf ihn zur Erde und hub also bitterlich zu weinen an, daß ich meinete, sie wolle schier verzagen. In mir war eine Stimme laut worden, so da predigte: Christel, Christel, mußt eilig zum Vater gehen und ihm sagen all das, so Du geschauet hast.
Als ich aber fürbaß schritt, stund Conradus vor der Thür an der Treppen.
,Christiane,‘ fragte er, ‚willt Du zu dem Vater gehen?‘
Das war nun das erste Wörtlein, so er an mich richtete seit jenem Tage, da er um mich geworben.
‚Ja!‘ erwiderte ich, ‚denn Hedwige ist mir ein Aergerniß, dieweil sie meines Vaters Gebot also mißachtet. Ach, ob sie gleich in unserem Hause wohnet, so hat sie doch allbereits Schaden genommen an ihrer Seele.‘
Er sagte nichts, sah mich nur an – ich weiß nimmer was Alles in seinen Augen spielte: Mitleid, Vorwurf und Bitten, stummes trauriges Bitten.
‚So gehe denn!‘ sprach er endlich und war alsogleich in sein Studirstüblein verschwunden, daß es mich dünkete, er sei zürnend von mir gangen. Da ich aber bei meinem Vater eintrat, schalt dieser:
,Wo bleibest Du gar so lange? Hast Du denn ganz vergessen, daß ich Dir das Ordinations-Sermönlein wollt dictiren für Conradus Verordnung?‘
Ich setzte mich flugs zum Schreiben, und da ich sahe, er wär ungeduldig, hütete ich mich fein, ihn zu erzürnen und verschwieg all das, so ich gehöret, und schrieb, wie er dictirete. Er aber hub also an:
,Jeremias, 1. Cap. Vers 6 und 7. Ach Herr, Herr, ich taug nicht zu predigen; denn ich bin zu jung. Da sprach der Herr zu ihm, sage nicht: Ich bin zu jung, sondern Du solt gehen, wohin ich Dich sende, und predigen, was ich Dich heiße.‘
Und dann schrieb ich weiter, wie es der Vater fein auslegete, daß Conradus durch sonderbare Schickung Gottes, jung an Jahren zu hoher Ehre berufen, wie er solle streben nach einem unbefleckten Wandel und unsträflicher Arbeit; denn Klugheit sei das rechte graue Haar und gottselig Leben das rechte Alter. Und also schloß es:
,Gegenwärtiger Conradus, genannt Ehrentraut, tritt itzo an seines alten Pflegevaters, des Hofpredigers Sebastianus Ehrentraut Stelle, da er ordentlicher Weis’ zu Helmstädt Gottes Wort und reine Kirchenlehre wohl studiret und gefasset hat, auch versprochen und gelobet, nicht allein bei solcher Lehre beständig zu verharren, sondern auch sein Ambt mit gebührender Treu und Fleiß zu verrichten, und wird itzo auf vorgehendes Examen apostolischer Weis’ ordiniret.‘
Ich mußte nunmehro laut vorlesen, was ich geschrieben, und da just meines Vaters Stellvertreter kam, ein alter Mann, gar ruhig und milde, hörete er zu, da ich las, und sagte alsdann:
‚Also wolle die Jungfer noch hinzuschreiben: „So möge Gott seinen reichen Segen geben, auf daß er möge treten in seines alten lieben Vaters Fußstapfen und gleichen Nutzen schaffen in seiner Kirche!“‘
Und da ich es geschrieben, gebot mein Vater:
‚Nun gehe und trage es Conradus hinauf, auf daß er es lese, und frage ihn, ob er zufrieden mit der Rede, so gehalten werden soll bei seiner Ordination; er möge mir selbsten Bescheid geben.‘
Beklommen trat ich in des liebwerthen Jünglings Gemach; er hatte mein Pochen wohl nimmer vernommen, saß er doch vor dem [856] Schreibpult über einer Menge Bücher und Schriften, schrieb aber nimmer; sein dunkellockig Haar, das war schier in die Stirn gefallen vor eitel Feuer des Lesens. Ich trat leise zu ihm hinan, und wie ich ihm über die Schulter schaute, da fielen meine Augen auf ein Büchlein, so auf der geöffneten Bibel lag; ich las: ,Antigone, ein griechisch Schauspiel; verdeutschet von – –‘ Den Namen vermocht ich nimmer zu entziffern, sintemal ich heftiglich erschrak. Ich legete still den Verordnungssermon auf das Tischlein und hub mich leise hinweg: Conradus aber rührte sich nicht, und da ich die Thür fürsichtiglich schloß, da saß er annoch immer und starrete auf das Büchlein.
Ging Alles gleichwohl seinen ruhigen Gang im Hause weiter, dieweil ich nicht den Muth hatt, Hedwige anzuklagen ob ihres Ungehorsams, noch Unruhe stiften mocht in meiner Eltern Herzen. Konnte aber nicht hindern, daß mir gar traurig zu Muthe ward und ich das heilige Pfingstfest herbeiwünschte, meinend, so ich erst Conradus verlobte Braut, müsse Alles anders werden; glaubte ich doch, er ängstige sich mehr denn nöthig ob seiner ersten Predigt und des ernsten Berufes, so seiner warte.
Da aber die letzte Woche vor Pfingsten anhub, zog ein groß Wirthschaften ein und Rumoren in unserem Hause, und der Base Schlüsselbund klirrete ungleich lauter denn zuvor. Alles war blinksauber im Hause, und Gänge und Treppen halleten wieder von eitel fröhlichem Thun; Speisekammer und Keller waren wohl gefüllet, wie sonsten nur zur heiligen Weihnachtszeit, und immer noch mehr schaffte die Mutter herzu, sintemal viel Besuch zu erwarten stund von unserer Sippe.
Manch Etwas, das ich erlebet, ist undeutlich worden und verstaubet in meiner Seele, dieses Eine aber stehet noch anitzt vor mir in vieltrauriger Deutlichkeit, also daß auch nicht das Kleinste fehlet in meinem Gedächtnisse von jener Stunde, so mich elend gemacht für gar lange Zeit. Wie oft träume ich noch itzo den schweren Traum, wie oft nehmen die Tage, so vergangen sind, mich also in ihren Bann, daß ich sie wieder durchlebe mit dem nämlichen Weh wie dazumal. Dann wird es schier lebendig um mich in dem einsamen Gemach; dann tickt die Uhr, die alte, wieder laut und gar vernehmlich durch die Stille; dann rauschet es in der Linden wie eh’, und es klingen die Worte in meinen Ohren, die Worte, so mir das Herze gebrochen, und die Pfingstglocken, welche den bittersten Tag meines Lebens begrüßeten. Es packet mich das alte Herzeleid, und es jagt mich unstät hinaus aus dem Stüblein, hinunter in den Garten und fort, fort, nur fort – auf den Waldweg hinaus; gar lange dauert es, eh ich ruhig heimzukehren vermag in die Einsamkeit des altlieben Hauses.
Zween Tage vor Pfingsten, da schon die Maienbäume an der Hausthür und im Flur prangten und ihren lieblichen Duft verspendeten, da saß ich mit der Hedwige im Garten; wir wanden Kränze, so die Kanzel schmücken sollten, allwo Conradus zum ersten Male stehen würde im Kleide des Herrn. Hedwigens Hände zitterten, wenn immer sie Röslein und blühend Geisblatt in das grüne Laub banden; sie war gar hastiglich dabei, und endlich fragte sie:
‚Dünket es Dich nicht schwer, Christiane, einem Menschen zu vergeben, so er Dir bitter Leid zugefüget?‘
Sie sah mich so seltsam an, und ihre Brust hob sich schwer unter dem Leibchen von braunem Kartteck. Da ich sie aber verwundert anschauete, wandte sie scheu ihre Augen von mir ab und wühlte unter den Blumen und nahm dennoch nicht eine herfür.
‚Ich weiß es nimmer, Hedwige,‘ erwiderte ich, ‚denn bis annoch hat Niemand mir kein Leid zugefüget; aber so es geschähe, ich würde mich allzeit mühen, seiner in Milde zu gedenken.‘
Sie schwieg, und hub wieder an zu suchen unter dem Laube. Ich meinte, ihre Augen seien schier feucht worden, und rückete dichter zu ihr hinan.
‚Warum thust Du solch Fragen, Hedwige, und was macht Dich gar so traurig?‘ forschete ich, und ein tief Mitleid um sie überkam mich, dieweil sie ein arm verlassen Kind war, zu tausendmalen ärmer denn ich, die ich Eltern und Vaterhaus hatte und einem vielsüßen Glücke entgegenschritt. Und ich legte die Arme um ihren Hals: ‚Hedwige, mögest Du doch glücklich sein dereinst, gleichwie ich es zu werden gedenke in Bälde, mögest Dich allzeit erinnern, daß Du ein treu Herze an mir habest, so Du jemals solltest in Aengsten sein – an mir und an Conradus.‘
Da sprang sie empor, und ihre Hand stieß mich zurücke, also daß es mich schier schmerzte.
,Laß mich!‘ rief sie.
Ihre Lippen aber bebten, und dennoch verstummte sie. Nunmehro hub sie wieder hastig an, Blumen zu den Kränzen zu lesen, und band sie doch ungleich und riß sie wieder auseinander, und endlich warf sie das Gewind auf die Steinbank, da sie gesessen, und eilte aus der Lauben.
Wußte mir nicht zu deuten, was all das war; hatte noch kein leis Ahnen, daß ihr Gewissen allbereits kämpfte mit der allgewaltigsten Leidenschaft, so ein Menschenherze zu packen vermag und so man nur besieget, um selber daran zu verbluten; hatte kein Ahnen, daß der Dolch nunmehro gezücket, mir den Todesstoß zu geben, und daß nur noch ein feig Zittern, sich mit übergroßer Schuld zu beladen, sie solch Fragen thun ließ. Vollendete allein das Kränzeweben, bis daß mein fertig Werk anmuthig vor mir lag in seiner vollen Farbenpracht, und die Base es lobete, da sie just durch den Garten schritt.
Und so brach der heilige Abend an vor Pfingsten, und gar stille und feierlich ward es in Haus und Garten; der Nachtwind flüsterte leise in den Bäumen; sonst regte sich nichts umher. – Zur Abendsuppen fehlete Conradus. Ward wenig gesprochen, und ich rührte die Speise nimmer an; auch Hedwige vermocht nicht zu essen und sah sehr krank aus, also daß die Base ihr ein Tränklein zusagte für die Nacht. Schier geräuschlos ward die Mahlzeit beendet, und danach ging Jedes still für sich hinaus.
In des Vaters Stuben spielete noch leis der Abendschein, und ließ des alten Mannes ernst Gesicht rosiglich erglühen.
‚So werd ich denn morgen meines Lebens Wunsch erfüllet sehen,‘ sprach er, da ich ihn zur ‚gute Nacht‘ geküßt, ‚hat Gott es nicht allzeit gnädig mit uns gefüget?‘ – Und da ich hinaus ging, mahnete er: ‚Seid fein still, auf daß Conradus nimmer gestöret werde heut Abend!‘
So ging ich hinauf in mein still Kämmerlein, und nahm das Gewand fürsichtlich aus der Truhe, das ich morgen zu tragen gedachte, und räumte Alles herfür in herzklopfender Seligkeit; schnitt auch von dem Myrtestöcklein ein paar Zweige und eins vom Rosmarin, auf daß ich es zierlich auf das Gesangbuch legen thät. Und da Alles festlich bereitet war, löschete ich das Licht und setzte mich an das offne Fensterlein und hub an zu träumen von des morgenden Tages Glück.
War ein schwüler, dunkler Abend, ein Abend des Junymonds; erstickend dünkte es mich in dem engen Raum – oder war es nur mein eigen Blut, so heiß zum Herzen stieß? Durch das Lindengeäst zuckte ferner Wetterschein, und betäubend zog das Duften des Hollunders in mein einsam Gemach.
Weiß nimmer, wie es kam, daß ich eingeschlummert, und nun in jähem Schrecken emporfuhr. Meinete, ich habe schwer geträumet; denn also konnt es doch nimmer Wahrheit sein. War mir, als habe es mein Ohr getroffen wie flüsternd Liebeswort. Ha, und was vernahm ich itzo? Träumte ich denn annoch? Deutlich, deutlich, daß mein Herze sich wild emporbäumete in Weh und Zorn, scholl es jetzo herauf zu mir:
‚Hedwige! Hedwige, ich kann nimmer anders. Soll Gott mir gnädig sein in ewiger Barmherzigkeit, – ist nimmer so große Sünde, als da ich sein Haus entweihe mit falschem Eid.‘
Dann tiefes Schweigen – und wieder sein Sprechen, so süße. daß es mich durchschauerte in Wonne und Schmerz und mich dennoch zorniglich die Hände ballen ließ und mich rüttelte in schier ohnmächtigem Grimm.
‚Was ist alles Leid, was ist Fremde und Verachtung anitzt noch, Hedwige? Ein Herze, so mich verstehet, – gilt es nicht mehr denn Alles?‘
Und ich hörte ein unterdrückt Jauchzen von Hedwige’s Lippen: wie ein Jubelruf scholl es – und dann hub ein Flüstern an, ein Raunen, so ich nicht verstund, und nun hallten Schritte auf der Stiegen, und die Thür ging. Schwer sank mein Haupt auf die Fensterbank, und die Hände mein fasseten in einander, und ich wußte nimmer, ob es Wachen gewesen, ob Traum? Nur ein kurz Weilchen – wie Schuppen fiel es von meinen Augen; war ich denn blind bis itzo? Er hatt mich nimmer geliebet, halt nur gegriffen nach mir wie Einer in Wassersnoth nach dem Strohhalm greifet, der daher schwimmet; meinete seiner Leidenschaft Herr zu werden, so er an Amt und Weib gebunden, und noch in letzter Stunde [858] übermannete es ihn also, daß er unterlag. – Was mußte nunmehro kommen?
In Wirrniß und Angst schoß Solches durch mein arm Hirn, bis daß ich mich aufraffte und wankend durch das Gemach schritt. Was ich gewollt, ich weiß es nimmer – ich stund auf dem Flur. Wohl dacht’ ich, zu ihm zu gehen, ihm zu sagen, daß sein Glücke höher sei für mich, denn mein eigen, daß ich ihn seines Wortes ledig spräche, daß ich Hedwige segnen wollt, so er sie lieber habe, denn mich. Da ich aber das Thürschloß berührte, sank meine Hand zurücke und hatt nimmer die Kraft, sich wiederum zu heben, und wie im Fieberfrost hockte ich mich nieder auf die Schwelle seiner Thür und starrete in das Dunkel; – wie lange, weiß ich nimmer.
Nichts rührete sich im Hause: nur die alte Dielenuhr, die schwenkte ihren Pendel emsiglich, unbekümmert darob, was ihr Gang bringe, ob süße Lust, ab finstere Schmerzensstunden. Und mählich lichtete sich das Dunkel, und der erste Morgenschein graute durch das Fensterlein über der Stiegen. Da taumelte ich plötzlich empor – mir war, als rege es sich sacht, ganz sachte in Conradus Gemach; dicht an die Wand drückte ich mich; denn itzo öffnete sich seine Thür, und wahrhaftiglich! nun trat er über die Schwelle herfür. Nah an mir vorüber that er gehn nach der Treppen, und dort blieb er stehen und stützte sich auf des Geländers Knauf. In der Dämmerniß aber sah ich sein blaß Gesicht und erkannte Ränzlein und Wanderstab, und langsam und schwer, gleichwie ein übermüder Mann, that er nun den ersten Schritt hinab, und müde und schwer hallten die Tritte sein vom Hausflur herauf; itzo hielt er den Fuß an; dann ging er wiederum fürder; leise klinkte die Gartenthür, und nun nun ward Alles gar still, grauenhaft still allum.
,Conrade! Conrade!‘ wollt ich rufen und vermocht es nimmer. So mag der Bann auf Einem liegen, der da scheintodt zur Gruft getragen wird, fühlend, wie der Tag um ihn schwinde, aber schier ohnmächtig, kund zu thun, daß er annoch lebe. ‚Conrade, Conrade!‘ schrie ich endlich auf, also daß ich mich entsetzete vor dem Klang meiner Stimme, und stürzte in den Garten nunter und eilete die feuchten Wege entlang zur Gartenpforten; die stund halb offen, als habe Jemand in Eil und Hast sie zu schließen vergessen. Einsam lag nun der Weg vor mir, so um die Waldecke führet; in dem grauen Morgenlicht aber gewahreten meine Augen ein weiß Spitzentüchlein; das hing thaufeucht und schwer am Hagedorn neben der Pfordten, und ich kannte das Tüchlein gar wohl, sintemal Hedwige es um den Hals getragen am Tage zuvor.
‚Mitsammen – mit ihr!‘ stammelte ich; es war, als sollten auf’s Neu meine Sinne vergehen, und ich faßte mit meinen zwo Händen in des Strauches Gezweig, nimmer achtend der Dornen, so mich verwundeten: mit todten Augen starrete ich in die Ferne hinaus; das Gefühl erschreckender Leere stieg mählich in mir empor, kalt und gar unheimlich; hinter mir lag meiner Jugend Garten, darinnen die Rosen geblühet bis itzo – vor mir in grauen Dämmernissen gähnete ein endlos weites Nichts –
Und derweilen ward es hell und heller; Purpurgluth lagerte sich im Osten, und eine Lerche, die stieg jubilirend in den Aether empor.
So stund ich, bis die Base mich aufrüttelte und ihr alt treu Antlitz mich entsetzet anschauete.
‚Daß Gott, daß Gott erbarm, Christiane!‘ stammelte ihr Mund schier zitternd. Und da ich aufsah, lag der Garten allum im güldenen Morgenlicht: die Vöglein sungen in den Bäumen, und vom Schloßthurm huben die Glocken zu läuten an –.
‚Pfingsten?‘ fragte ich.
Das alte Weiblein aber ergriff herzinniglich meine Hand.
‚Träumest Du annoch Christel? Weißt Du gar nimmer, was geschehen? Dein Liebster, der ist fort, und mitsammen mit ihm die saubere Dirn, und in der Stuben, da kämpfet Dein Vater alleweil den letzten Kampf. – Besinne Dich, Mädel, und komm, so Du ihn noch lebend willt sehen!‘
Da ich noch immer stund und es nimmer zu fassen vermocht, da zog sie mich schier gewaltsam durch den Garten; denn schon kamen fein festlich geputzte Leut‘ an dem Zaun vorbei, und sie schob mich fürsichtiglich über die Schwelle, da heute früh sein Fuß gegangen, und zerrete mich in des Vaters Gemach, und alldort lag mein Mütterlein vor dem Stuhle, darinnen er ruhete; sein Gesicht war weiß, gleichwie die Tücher, so man ihm unter das Haupt geschoben, und seine Hand hielt ein offen Brieflein krampfhaft zusammengeknittert. – Seitwärts aber harreten mit schier betrübten Mienen des Vaters Stellvertreter im Amtsornate und der Küster mit den heiligen Gefäßen, und der Medicus hielt des Kranken Hand und zählete ängstiglich seine Pulsschläge. Es war ein grauenhaft Schweigen im Gemach.
Da der Vater mich aber gewahrete, hub er an:
‚Mein armes Kindelein, Dir geschah am wehesten.‘
Und wieder ward es gar still. Dann rasselte die Schelle an der Hausthür, und der Sterbende richtete sich mühsamlich empor:
‚Er kommt anitzt – er kommt reuig zurücke! Schaffet Platz für ihn!‘
Da sich aber ungestüm die Thür aufthat, war es Walther, welcher sich weinend neben mich warf und des Vaters Knie umfaßte – und wiederum nach einer Weile, da schlug unseres Vaters Herze nicht mehr.
Draußen aber läuteten die Glocken zum drittenmale, und gar mächtiglich strömete das Volk zur Kirchen, um den Conradus alldort zu hören. Da stund die Base fein leise auf von ihrem Sesselein im Sterbezimmer und ging und verhängete die Fenster und that den Nachtriegel vorschieben an der Hauspfordten, dahinein Schande und Unehre geschlüpfet waren und mit ihnen im gar schweren Geleit der Tod. Und als der Vater war aufgebahret, saß ich in meinem Kämmerlein, davor sich die Linde wieget im Sonnenlicht; beten wollt’ ich – beten. Aber so oft ich auch anhub zu sprechen, stetiglich kam mir das Liedlein auf die Lippen, das Liedlein von Schuld und Sünde: ‚Es stund eine Lind in der Maiennacht –‘
Lange Jahre sind nunmehro dahin geflossen, als wie ein schwerer Traum. Ich war ganz still worden, that allzeit meine Schuldigkeit mit Spinnen und Nähen am Siechbette der Mutter – denn die war krank blieben seit jenem Tag der Schreckniß.
In des Vaters Stuben aber wohnete sein Nachfolger. Der war unbeweibt und duldete gern die Mutter und mich sammt der Base im viellieben Hause meiner Kindheit, also daß wir nimmer hinauszuziehen brauchten in das Wittwenhaus, so klein und unfreundlich unten im Städtlein liegt und annoch von einer hoch betagten Pastorswittib bewohnet ward. War mir Alles schier gleichgültig worden, und wann ein frischer Morgen anbrach und ich erwachte, so lag es gar schwer auf meiner Seelen gleichwie ein Alp: ‚Schon wieder ein Tag!‘ Und Abends freuete ich mich, daß er abermals vorübergegangen.
Walther hatte längsten Weib und Kind und stund als Förster droben in Wolferode; war ein tüchtiger Mann worden, der noch immer mit alter Liebe an uns hing. Nur so er des armen Conradus gedachte, da konnt er’s nimmer lassen, gar zorniglich zu reden und arg dareinzufahren. Dann aber, so sein Zorn verrauchet war, sah er mich an schier wehmüthiglich; ich aber, ich ging fein still hinaus; denn solch Reden that mir wehe.
Conradus! Es war bis annoch kein Tag vergangen, so ich nicht an ihn gedacht. Hatt nimmer Kunde erhalten von ihm und wußt nicht, wohin ihn das Schicksal verschlagen – die Welt ist gar weit und groß. Wollt aber auch keine Botschaft von ihm; thät nur sein Andenken pflegen tief, tief im Herzen als wie das eines Todten, um den zu trauern man nimmer kann aufhören; meinete auch bisweilen, er wäre allbereits todt – und traun! süß und versöhnend war solch Gedanke. –
Stellete ich mir aber für, daß er noch lebe und neben ihr lebe, neben Hedwige, o, dann fraß ein dumpfer Schmerz an meinem Herzen, und heißroth stieg der Zorn und die Eifersucht in mir empor, und in eitel Qual und vielarger Scham rang sich das Geständniß los von meiner Seelen, daß es viel süßer sei, mit ihm in bitter Elend und groß Schanden all Tage zu leben, denn fern von ihm zu sein, ob auch in sicherer Geborgenheit. Dann malete ich mir aus, wie er sie inniglich in seinen Armen wiege und mit ihr fein zärtlich kose, und wie sie ihm die Lieder vorsang, die nämlichen Lieder, so ihn bethöret – wie er für sie sorgete und mit ihr theilete, sei es auch nur ein Stücklein Brod, in Elend und Jammer demüthiglich erbettelt.
Ich war ein herbfinster Weib worden. Konnt es denn anders sein? Blühen denn Rosen in einem Garten, so ein Hagelschlag getroffen?
Im Schlosse war Alles wie eh’. Nach wie vor trieb man [859] alldort viel weltlich Lust und Kurzweil, und noch itzo fuhr Prinzessin Liselotte mit dem holdseligen Lächeln an unserer Pforten vorbei, als seien die Jahre schier spurlos an ihrer stolzen Schönheit vorbeigangen; aber sie blickte nicht mehr herüber – was focht es sie an, wo er weilete, der einstens dieses Hauses Schutz genossen?
Da ich dreißig Jahr worden, stund ich wohl eines Herbstabends im Garten und schauete gar nachdenklich über den Zaun in das weitweite Land hinaus. Es tobte ein arger Wind: der jagte dustere Wolken am Himmel einher, feiner Regen aber sprühete mir in’s Angesicht und legte sich schier feucht auf mein Haar, in das sich allbereits manch Silberfädlein wob. Und da also der Sturm an meinen Kleidern zerrete und die letzten Blätter trutziglich von den Bäumen fegte, da geschah es, daß ich wiederum Conradus mußte gedenken, just wie es im Volksliede heißet vom armen Maidelein:
‚Wann ich gedenk’, wie es ihm geht,
Mein Herze in groß Trauern steht –
Ich kann nit fröhlich werden –‘
ich mußte gedenken, daß er niemalen würde den Pfad wieder daher kommen, so er oft gegangen. War auch heut wunderlich an ihn gemahnet worden; denn in dem Komödienhause agireten sie zur Nacht ‚Romeo und Julietta‘, so uns Conradus einstens an einem so trüben Herbstesabend wie heut hatt vorgelesen. Da hub ich an in düsteren Erinnerungen umherzuwandern im Gärtlein, lange Zeit, bis daß es dunkelte, und mein Gewand mir gar schwer und naß nachschleppte.
Da ich mich wieder der Pforten näherte, sah ich eine hohhehre Mannesgestalt darinnen stehen, vermocht aber im Zwielicht nimmer zu erkennen, weß Standes sie war, meinete auch, es sei wohl ein Bettler; denn viel fahrend Gesindel trieb sich annoch in unseren Bergen umher.
Und da ich gewöhnet, allzeit den Armen zu geben im Gedenken an Conradus, langete ich in die Gürteltasche und holete ein braunschweiger Mariengröschlein herfür und trat sonder Furcht näher, auf daß ich fragen könne, was er heische, und ob ihm vielleicht ein warm Suppen oder trocken Fußzeug noth thue?
Aber der, so dorten stund, rührete sich nimmer und nahm die dargebotene Gabe mit nichten an, sondern lehnte sich, gleich als ob er wanke, todtmüde an den Pfosten der Pforten. Da flog ein zitternd Ahnen jach durch meine Seele.
‚Christiane!‘ scholl es an mein arm Ohr, mit dem alten, viellieben Ton.
‚Conrade!‘ wollte ich itzo jauchzend erwidern; aber das that ich nimmer – nimmer. Ich hielt den Odem an, und mein Fuß, der wurzelte feste an der Erden: gewaltiglich und gar heiß bäumete sich der Stolz in mir auf tiefinnen – der Stolz verschmäheter Liebe.
‚Ich gehe stracks wieder, Christiane, nur einmal laß mich noch eintreten in den Garten, so meiner Kindheit Paradies gewesen! Nur einmal noch gieb mir die Hand, auf daß ich ruhig möge sterben! Schier tagelang, nächtelang bin ich gewandert einzig um das – so Du es aber nimmer willt, gehe ich fürbaß – nur sage, daß Du mir liebreich hast vergeben!‘
Er stund dicht vor mir und bot mir die Hand; wie hinweggetilget aus meinem Gedächtnisse war schier mit einem Schlage, was immer ich erduldet, und mit dem Ton von seiner Stimme that die Linde wieder rauschen und die Nachtigall wieder singen in süßem Schall, wie vor langen bangen Jahren.
,Conrade!‘ sagte ich, ‚komm hinein! Es ist ungastlich Wetter.‘
Er aber folgete mir, und es war, als schmerze ihn jedweder Schritt, so er vorwärts that, und sein Odem, der keuchte gar schwer und laut. Die Mutter schlummerte allbereits und die Base; so führete ich ihn in mein Kämmerlein, darinnen die Lampe brannte und das Feuer im Ofen spielete. Lange schauten wir einander an, ohn’ ein Wörtlein zu sagen; brennend rannen mir die Thränen aus den müden Augen.
Ein gebrochener Mann stund er vor mir, verfolgt von viel Elend und groß Noth. Hunger und Kummer, Krankheit und Jammer, die blickten mich an so wehmüthiglich aus des Mannes todtbleichem Antlitz und aus der armsäligen Gewandung, so er trug.
‚Das ist Alles, was ich erreichte, Christiane,‘ sagte er, und purpurn thäten zwo Flecken auf seinen Wangen glühen. ‚Apollo und die Musen, wahrlich! sie haben mir schlecht gelohnet.‘
Er lächelte trübsälig, und dann zuckte es bitter um seinen Mund, und wankend ließ er sich auf das Faulbette sinken, so ihm zunächst war.
‚Wer hieß Dich also von dannen ziehen?‘ wollt ich weinend rufen. Doch wozu itzo noch Vorwürfe? Stracks hub ich mich hinweg, auf daß ich ihm Speis und Trank brächte und trockene Kleidung: aber er weigerte sich dessen sonder Wank, ob ich ihm gleich manch gut Wörtlein gab.
,Kommet nunmehro allzu spät, Christiane – laß doch! Ist mir ganz wohl anitzt, so ich Dich noch einmal geschauet: vergönne mir zu rasten, ach! noch einen Augenblick! Dann biete ich Dir Ade! auf nimmer Wiedersehen.‘
‚Du bleibst, Conrade; ich laß Dich nimmer in diesen Wettergraus. Schlaf und erwärme Dich!‘
‚Ich vermag es nimmer,‘ erwiderte er, und es schüttelte ihn wie ein schwer Fieber.
Aber er rückte dennoch ein Stühllein zum Ofen und trank gar gierig den glühheißen Wein, so ich ihm gebracht.
,Der Vater, der ist alleweil todt, aus Kummer über mich,‘ hub er seufzend an, ,Deine vielsüße Jugend ist bitter worden durch mich, und ich bin das, was Du siehest.‘
‚Hattest weder Glück noch Stern, Conrade!‘
Er schüttelte das Haupt.
‚Es lässet sich balde sagen, was ich litt: die Kunst verstieß mich; das Weib, so ich geliebet, verrieth mich –‘
‚,Verrieth Dich?‘ rief ich schier außer mir – ,Hedwige?‘
‚So Du in Dresden nach dem Grafen Promnitz fragest, dann wird man Dir auch ihren Namen nennen,‘ flüsterte mit Zorn und Scham seine arme, halberstickte Stimme. ‚Und ich,‘ setzte er tonlos hinzu, ‚– meine Brust, o meine kranke Brust!‘ Und stöhnend sank er zurücke.
‚Conrade! herzlieber Conrade mein!‘ rief ich, ,ruh’ aus von Fremde und Leide – ruh’ nunmehro aus bei mir!‘
Da leuchteten sie auf noch einmal im alten Glanze, die schwarz-dunklen Augen, und der Tag strich vorüber, und der Abend brach schier purpurglühend an – da ist kommen ein herb Weh über mein geduldig Herze: der meines Lebens Glücke und Leid gewesen – nun kam er zu sterben. Noch ein freundlich Scheidelächeln – dann ist er hinüber gangen, leis, ganz leise. Ich aber saß und weinete.
Die Base hat ihn aufgebahret mit vielen Thränen; daß sie auch dieses noch mußt erleben! Das feine wappengestickte Tüchlein, so sie für ihn aufgehoben Jahre hindurch, deckte nun sein still Antlitz; in dem Gemach, das er einstens bewohnet, lag er; die Fenster stunden offen; ein scharfer Zugwind, der wehete die Vorhänge weit hinein und bewegete die weißen Tücher schier unheimlich an der Bahre.
Vom Schlosse droben aber schimmerten die Fenster in rothglühem Lichtglanz, und vom Berge herab, da kam im Fackelschein ein bunter Zug mit eitel Fröhlichkeit und viel musica; die Herrschaft begab sich just zur Komödie. Ich stund im Todtengemach am Fenster. Gleißnerisch blitzete die güldene Inschrift zu mir herüber: ‚Apollini et Musis.‘
Prinzeß Liselotte saß nun wohl alldort in Kurzweil und Scherzen, und er, dem sie das flammenheiße Geblüte vererbet, der lag allhier in der Stuben kalt und todt. Giebt es denn nimmermehr Treu auf der Erden?
Horch nun! Knarrete es nicht leise auf der Stiegen, und rauschte es nicht auf dem Estrich gleichwie sammten Frauengewand? Eine Hand tastete nach der Klinken, und über die Schwelle trat eine hohe Frauengestalt. In dem blassen Mondenschein blitzte ihr am Kleide viel gülden Spangenwerk unter dem Regentuch herfür, so sie übergeworfen, und mit gar raschen Schritten trat sie zu dem Schrein, darinnen er ruhete, und sie beugete sich über ihn, hob das Bahrtuch – – ich drückte mich mit schier heißem Herzweh tief in die Fensternische und lauschete ihrem Thun. Sie sprach kein Wörtlein; sie herzete ihn nur, so heiß, als wollte sie all das gut machen im Tode, so sie im Leben versäumet. Aber sie weinete nimmer; sie klagete nimmer, und leis, gleichwie sie kommen, war sie verschwunden, als sei’s ein Spuk. Wie sie hineingelanget unbemerkt, ich weiß es nicht, noch wer ihr die Todeskunde thät bringen. Auf Conradus’ Brust aber lag ein Lorbeerzweiglein, das einzige, so ihm das Leben getragen. – –
Neben der Linden haben wir ihn eingesenket; kein Kreuzlein schmücket das Grab. Auf der Steinbank daneben aber, da sitze ich [860] manch lieb Stündlein und hör die Nachtigall singen im Maimond und sehe die Blätter fallen von der Linden, und – – –“
Hier schloß das Manuscript.
Wie aus tiefem, lebensvollem Traume erwachte ich; die Flammen waren längst im Ofen erloschen, und das erste Morgendämmern füllte das Gemach.
Sagte ich es nicht, diese Wände können reden?
Noch ganz unter dem Banne des Gelesenen erhob ich mich und schritt aus dem Zimmer. In den Winkeln des weiten Flurs lag noch das Dunkel der Herbstnacht; nur durch das Fenster über der Treppe fiel ein matter Schein und zeigte mir die noch immer festen eichenen Stufen und das reichgeschnitzte altersbraune Geländer. Leicht fand ich die Thür, die an der gewölbten Küche vorüber zum Garten führte. Das war ein einfaches Gärtchen, wohl gänzlich verändert seit Christianens Zeit – im Laufe zweier Jahrhunderte; verwildert lag es vor mir im Morgengrauen. Aber mitten hindurch schritt noch immer ein Weg und führte zu der kleinen Pforte im Zaun, und rechts von mir, nahe dem Hause, stand sie, die Zeugin vergangener Lust und vergangenen Leids, die alte prächtige Linde, und ihre Zweige schmiegten sich nahe an die Butzenscheiben des kleinen Fensters im oberen Gestock – da lag Christianens Kämmerlein.
Ich ging hinüber und betrachtete die alte Steinbank; einfach, ohne Lehne, ruhte sie auf zwei feingemeißelten aufrecht sitzenden Greifen. Welkes Laub lag dicht am Boden umher und verdeckte wohl die Stelle, wo er eingesenkt worden war, der arme Conrad. Ich suchte mit dem Fuß, und richtig: unter den feuchten Blättern lag ein verwitterter Grabstein:
A. Domini 1680 –“
nichts weiter stand darauf zu lesen, und auch das Wenige war schon recht undeutlich, abgetreten, kaum noch erkennbar.
Allmählich ward es hell und heller; die Sperlinge begannen in den Bäumen zu lärmen, und plötzlich stand Garten und Haus im blendenden Morgensonnenschein; leise bewegten sich die Wipfel der Linde im Frühwind, und in den gewölbten Bogen der Eingangsthür trat Dorchen, so innig, wie der Morgen selbst.
„Ei, Sie sind hier, Herr Baumeister? Ich bringe den Kaffee. Großmutter hat Ihre Lampe die ganze Nacht über durch die Laden schimmern sehen; schliefen Sie denn gar nicht?“ fügte sie, mich betrachtend, hinzu.
„Nein, Dorchen, ich habe gelesen,“ erwiderte ich.
„Die alten Papiere von der Christiane?“ forschte sie. „Gelt, es ist traurig? Großmutter sagt, ihre Großmutter hätte sie noch gekannt; ein steinaltes Weiblein sei sie damals gewesen und eine große Schrulle habe sie gehabt –“
„So, Dorchen? Und welche?“
„Sie hat das Schauspielhaus da drüben nicht leiden können; wenn sie ausging, hat sie immer einen weiten Umweg gemacht, immer durch den Garten; aber armem hungrigem Gesindel, Gaunervolk, Komödianten und solchem Gelichter, dem hat sie gegeben mit vollen Händen, was sie nur gehabt. Verstehen Sie das, Herr Baumeister?“
„Ja, Dorchen! Aber nun, wo ist mein Kaffee? Und dann rüstig an die Arbeit! Seit Jahren habe ich mich nicht so auf etwas gefreut, wie auf die Renovirung dieses alten Hauses. Begreifen Sie das?“
„Nein,“ lachte das Mädchen; „es ist ein altes, spukhaftes Nest; ich möchte nicht darin wohnen. Denken Sie nur, da unter der Linde liegt ja auch die Christiane begraben.“
„Wirklich?“ fragte ich mit warmem Ton.
„Die Großmutter sagt es; ich glaube, ihr Schatz lag da drunten schon lange Jahre, als sie starb.“
Ein Liedchen singend, lief Dorchen in das Haus zurück und war schon oben, als ich noch in fast andächtiger Stimmung die Treppe hinauf schritt.
Auf meinem Arbeitstische, zwischen all den Plänen, Entwürfen und Anschlägen, lagen fortan jene vergilbten Blätter, und wollte es mir zu viel werden des hundertjährigen Staubes, so vertiefte ich mich in die alte Liebesgeschichte, die mir aus Schutt und Moder entgegenblühte in duftiger Poesie, wie eine immer frische Hagedornrose an sturmverwehtem Gestrüpp.
Ich lobe mir die alten Häuser.
Anmerkungen
- ↑ Lossickelcken, eine Art Hausgeist in den Harzbergen.