Textdaten
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Autor: Friedrich Hölderlin
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Titel: Hyperion – Hyperion an Bellarmin VI
Untertitel: oder der Eremit in Griechenland–Erster Band
aus: Hyperion oder der Eremit in Griechenland von Friedrich Hölderlin.

Erster Band. Tübingen 1797; S. 31 - 38

Herausgeber:
Auflage: 1
Entstehungsdatum: o. A.
Erscheinungsdatum: 1797
Verlag: J. G. Cotta'sche Buchhandlung
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Erscheinungsort: Tübingen
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Quelle: www.hoelderlin.de
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HYPERION AN BELLARMIN.

     Meine Insel war mir zu enge geworden, seit Adamas fort war. Ich hatte Jahre schon in Tina Langeweile. Ich wollt’ in die Welt.

     Geh vorerst nach Smyrna, sagte mein Vater, lerne da die Künste der See und des Kriegs, lerne die Sprache gebildeter Völker und ihre Verfassungen und Meinungen und Sitten und Gebräuche, prüfe alles und wähle das Beste! - Dann kann es meinetwegen weiter gehn.

     Lern’ auch ein wenig Gedult! sezte die Mutter hinzu, und ich nahm’s mit Dank an.

     Es ist entzükend, den ersten Schritt aus der Schranke der Jugend zu thun, es ist, als dächt’ ich meines Geburtstags, wenn ich meiner Abreise von Tina gedenke. Es war eine neue Sonne über mir, und Land und See und Luft genoss ich wie zum erstenmale.

     Die lebendige Thätigkeit, womit ich nun in Smyrna meine Bildung besorgte, und der eilende Fortschritt besänftigte mein Herz nicht wenig. Auch manches seeligen Feierabends erinnere ich mich aus dieser Zeit. Wie oft gieng ich unter den immer grünen Bäumen am Gestade des Meles, an der Geburtsstätte meines [32-33] Homer, und sammelt’ Opferblumen und warf sie in den heiligen Strom! Zur nahen Grotte trat ich dann in meinen friedlichen Träumen, da hätte der Alte, sagen sie, seine Iliade gesungen. Ich fand ihn. Jeder Laut in mir verstummte vor seiner Gegenwart. Ich schlug sein göttlich Gedicht mir auf und es war, als hätt’ ich es nie gekannt, so ganz anders wurd’ es jezt lebendig in mir.

     Auch denk’ ich gerne meiner Wanderung durch die Gegenden von Smyrna. Es ist ein herrlich Land, und ich habe tausendmal mir Flügel gewünscht, um des Jahres Einmal nach Kleinasien zu fliegen.

     Aus der Ebne von Sardes kam ich durch die Felsenwände des Tmolus herauf.

     Ich hatt’ am Fusse des Bergs übernachtet in einer freundlichen Hütte, unter Myrthen, unter den Düften des Ladanstrauchs, wo in der goldnen Fluth des Pactolus die Schwäne mir zur Seite spielten, wo ein alter Tempel der Cybele aus den Ulmen hervor, wie ein schüchterner Geist, in’s helle Mondlicht blikte. Fünf liebliche Säulen trauerten über dem Schutt, und ein königlich Portal lag niedergestürzt zu ihren Füssen.

     Durch tausend blühende Gebüsche wuchs mein Pfad nun aufwärts. Vom schroffen Abhang neigten lispelnde Bäume sich, und übergossen mit ihren zarten Flokken mein Haupt. Ich war des Morgens ausgegangen. Um Mittag war ich auf der Höhe des Gebirgs. Ich stand, sah fröhlich vor mich hin, genoss der reineren Lüfte des Himmels. Es waren selige Stunden.

     Wie ein Meer, lag das Land, wovon ich heraufkam, vor mir da, jugendlich, voll lebendiger Freude; es war ein himmlisch unendlich Farbenspiel, womit der Frühling mein Herz begrüsste, und wie die Sonne des Himmels sich widerfand im tausendfachen Wechsel des Lichts, das ihr die Erde zurükgab, so erkannte mein Geist sich in der Fülle des Lebens, die ihn umfieng, von allen Seiten ihn überfiel.

     Zur Linken stürzt’ und jauchzte, wie ein Riese, der Strom in die Wälder hinab, vom Marmorfelsen, der über mir hieng, wo der Adler spielte mit seinen Jungen, wo die Schneegipfel hinauf in den blauen Aether glänzten; rechts wälzten Wetterwolken sich her über den Wäldern des Sipylus; ich fühlte nicht den Sturm, [34-35] der sie trug, ich fühlte nur ein Lüftchen in den Lokken, aber ihren Donner hört’ ich, wie man die Stimme der Zukunft hört, und ihre Flammen sah ich, wie das ferne Licht der geahneten Gottheit. Ich wandte mich südwärts und gieng weiter. Da lag es offen vor mir, das ganze paradiesische Land, das der Cayster durchströmt, durch so manchen reizenden Umweg, als könnt’ er nicht lange genug verweilen in all’ dem Reichthum und der Lieblichkeit, die ihn umgiebt. Wie die Zephyre, irrte mein Geist von Schönheit zu Schönheit selig umher, vom fremden friedlichen Dörfchen, das tief unten am Berge lag, bis hinein, wo die Gebirgkette des Messogis dämmert.

     Ich kam nach Smyrna zurük, wie ein Trunkener vom Gastmahl. Mein Herz war des Wohlgefälligen zu voll, um nicht von seinem Überflusse der Sterblichkeit zu leihen. Ich hatte zu glüklich in mich die Schönheit der Natur erbeutet, um nicht die Lükken des Menschenlebens damit auszufüllen. Mein dürftig Smyrna kleidete sich in die Farben meiner Begeisterung, und stand, wie eine Braut, da. Die geselligen Städter zogen mich an. Der Widersinn in ihren Sitten vergnügte mich, wie eine Kinderposse, und weil ich von Natur hinaus war über all’ die eingeführten Formen und Bräuche, spielt’ ich mit allen, und legte sie an und zog sie aus, wie Fastnachtskleider.

     Was aber eigentlich mir die schale Kost des gewöhnlichen Umgangs würzte, das waren die guten Gesichter und Gestalten, die noch hie und da die mitleidige Natur, wie Sterne, in unsere Verfinsterung sendet.

     Wie hatt’ ich meine herzliche Freude daran! wie glaubig deutet’ ich diese freundlichen Hieroglyphen! Aber es gieng mir fast damit, wie ehemals mit den Birken im Frühlinge. Ich hatte von dem Safte dieser Bäume gehört, und dachte Wunder, was ein köstlich Getränk die lieblichen Stämme geben müssten. Aber es war nicht Kraft und Geist genug darinnen.

     Ach! und wie heillos war das übrige alles, was ich hört’ und sah.

     Es war mir wirklich hie und da, als hätte sich die Menschennatur in die Mannigfaltigkeiten des Thierreichs aufgelöst, wenn ich umher gieng unter diesen Gebildeten. Wie überall, so waren auch hier die Männer besonders verwahrlost und verwest.

     Gewisse Thiere heulen, wenn sie Musik anhören. Meine bessergezognen Leute hingegen [36-37] lachten, wenn von Geistesschönheit die Rede war und von Tugend des Herzens. Die Wölfe gehen davon, wenn einer Feuer schlägt. Sahn jene Menschen einen Funken Vernunft, so kehrten sie, wie Diebe, den Rüken.

     Sprach ich einmal auch vom alten Griechenland ein warmes Wort, so gähnten sie, und meinten, man hätte doch auch zu leben in der jezigen Zeit; und es wäre der gute Geschmak noch immer nicht verloren gegangen, fiel ein anderer bedeutend ein.

     Diess zeigte sich dann auch. Der eine wizelte, wie ein Bootsknecht, der andere blies die Baken auf und predigte Sentenzen.

     Es gebärdet’ auch wohl einer sich aufgeklärt, machte dem Himmel ein Schnippchen und rief: um die Vögel auf dem Dache hab’ er nie sich bekümmert, die Vögel in der Hand, die seyen ihm lieber! Doch wenn man ihm vom Tode sprach, so legt’ er straks die Hände zusammen, und kam so nach und nach im Gespräche darauf, wie es gefährlich sey, dass unsere Priester nichts mehr gelten.

     Die Einzigen, deren zuweilen ich mich bediente, waren die Erzähler, die lebendigen Namenregister von fremden Städten und Ländern, die redenden Bilderkasten, wo man Potentaten auf Rossen und Kirchthürme und Märkte seh’n kann.

     Ich war es endlich müde, mich wegzuwerfen, Trauben zu suchen in der Wüste und Blumen über dem Eisfeld.

     Ich lebte nun entschiedner allein, und der sanfte Geist meiner Jugend war fast ganz aus meiner Seele verschwunden. Die Unheilbarkeit des Jahrhunderts war mir aus so manchem, was ich erzähle und nicht erzähle, sichtbar geworden, und der schöne Trost, in Einer Seele meine Welt zu finden, mein Geschlecht in einem freundlichen Bilde zu umarmen, auch der gebrach mir.

     Lieber! was wäre das Leben ohne Hoffnung? Ein Funke, der aus der Kohle springt und verlischt, und wie man bei trüber Jahrszeit einen Windstoss hört, der einen Augenblik saust und dann verhallt, so wär’ es mit uns?

     Auch die Schwalbe sucht ein freundlicher Land im Winter, es läuft das Wild umher in der Hizze des Tags und seine Augen suchen den Quell. Wer sagt dem Kinde, daß die Mutter [38] ihre Brust ihm nicht versage? Und siehe! es sucht sie doch.

     Es lebte nichts, wenn es nicht hoffte. Mein Herz verschloss jezt seine Schäzze, aber nur, um sie für eine bessere Zeit zu sparen, für das Einzige, Heilige, Treue, das gewiss, in irgend einer Periode des Daseyns, meiner dürstenden Seele begegnen sollte.

     Wie selig hieng ich oft an ihm, wenn es, in Stunden des Ahnens, leise, wie das Mondlicht, um die besänftigte Stirne mir spielte? Schon damals kannt’ ich dich, schon damals bliktest du, wie ein Genius, aus Wolken mich an, du, die mir einst, im Frieden der Schönheit, aus der trüben Woge der Welt stieg! Da kämpfte, da glüht’ es nimmer, diess Herz.

     Wie in schweigender Luft sich eine Lilie wiegt, so regte sich in seinem Elemente, in den entzükenden Träumen von ihr, mein Wesen.