Hyperion an Bellarmin V
[27] HYPERION AN BELLARMIN.
Wie ein Geist, der keine Ruhe am Acheron findet, kehr´ ich zurük in die verlassnen Gegenden meines Lebens. Alles altert und verjüngt sich wieder. Warum sind wir ausgenommen vom schönen Kreislauf der Natur? Oder gilt er auch für uns? Ich wollt´ es glauben, wenn Eines nicht in uns wäre, das ungeheure Streben, Alles zu seyn, das, wie der Titan des Aetna, heraufzürnt aus den Tiefen unsers Wesens. Und doch, wer wollt´ es nicht lieber in sich fühlen, wie ein siedend Oel, als sich gestehn, er sey für die Geissel und für´s Joch [28-29] geboren? Ein tobend Schlachtross oder eine Mähre, die das Ohr hängt, was ist edler? Lieber! es war eine Zeit, da auch meine Brust an grossen Hoffnungen sich sonnte, da auch mir die Freude der Unsterblichkeit in allen Pulsen schlug, da ich wandelt´ unter herrlichen Entwürfen, wie in weiter Wäldernacht, da ich glüklich, wie die Fische des Oceans, in meiner uferlosen Zukunft weiter, ewig weiter drang. Wie muthig, selige Natur! entsprang der Jüngling deiner Wiege! wie freut er sich in seiner unversuchten Rüstung! Sein Bogen war gespannt und seine Pfeile rauschten im Köcher, und die Unsterblichen, die hohen Geister des Alterthums führten ihn an, und sein Adamas war mitten unter ihnen. Wo ich gieng und stand, geleiteten mich die herrlichen Gestalten; wie Flammen, verloren sich in meinem Sinne die Thaten aller Zeiten in einander, und wie in Ein frolokend Gewitter die Riesenbilder, die Wolken des Himmels sich vereinen, so vereinten sich, so wurden Ein unendlicher Sieg in mir die hundertfältigen Siege der Olympiaden. Wer hält das aus, wen reisst die schrökende Herrlichkeit des Altertums nicht um, wie ein Orkan die jungen Wälder umreisst, wenn sie ihn ergreift, wie mich, und wenn, wie mir, das Element ihm fehlt, worinn er sich ein stärkend Selbstgefühl erbeuten könnte? O mir, mir beugte die Grösse der Alten, wie ein Sturm, das Haupt, mir raffte sie die Blüthe vom Gesichte, und oftmals lag ich, wo kein Auge mich bemerkte, unter tausend Thränen da, wie eine gestürzte Tanne, die am Bache liegt und ihre welke Krone in die Fluth verbirgt. Wie gerne hätt´ ich einen Augenblik aus eines grossen Mannes Leben mit Blut erkauft! Aber was half mir das? Es wollte ja mich niemand. O es ist jämmerlich, so sich vernichtet zu sehn; und wem diess unverständlich ist, der frage nicht danach, und danke der Natur, die ihn zur Freude, wie die Schmetterlinge, schuff, und geh´, und sprech´ in seinem Leben nimmermehr von Schmerz und Unglük. Ich liebte meine Heroën, wie eine Fliege das Licht; ich suchte ihre gefährliche Nähe und floh und suchte sie wieder. Wie ein blutender Hirsch in den Strom, stürzt´ ich oft mitten hinein in den Wirbel der [30] Freude, die brennende Brust zu kühlen und die tobenden herrlichen Träume von Ruhm und Grösse wegzubaden, aber was half das? Und wenn mich oft um Mitternacht das heisse Herz in den Garten hinuntertrieb unter die thauigen Bäume, und der Wiegengesang des Quells und die liebliche Luft und das Mondlicht meinen Sinn besänftigte, und so frei und friedlich über mir die silbernen Gewölke sich regten, und aus der Ferne mir die verhallende Stimme der Meeresfluth tönte, wie freundlich spielten da mit meinem Herzen all´ die großen Phantome seiner Liebe! Lebt wohl, ihr Himmlischen! sprach ich oft im Geiste, wenn über mir die Melodie des Morgenlichts mit leisem Laute begann, ihr herrlichen Todten lebt wohl! ich möcht´ euch folgen, möchte von mir schütteln, was mein Jahrhundert mir gab, und aufbrechen in´s freiere Schattenreich! Aber ich schmachte an der Kette und hasche mit bitterer Freude die kümmerliche Schaale, die meinem Durste gereicht wird. |