Textdaten
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Autor: Friedrich Hölderlin
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Titel: Hyperion – Hyperion an Bellarmin LVI
Untertitel: oder der Eremit in Griechenland – Zweiter Band
aus: Hyperion oder der Eremit in Griechenland von Friedrich Hölderlin. Erster Band. Tübingen 1799; S. 67–79
Herausgeber:
Auflage: 1
Entstehungsdatum: o. A.
Erscheinungsdatum: 1799
Verlag: J. G. Cotta'sche Buchhandlung
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Erscheinungsort: Tübingen
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Quelle: www.hoelderlin.de
Kurzbeschreibung:
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HYPERION AN BELLARMIN.


     Einige Augenblike darauf, da ich eben an Diotima schreiben wollte, trat Alabanda freudig wieder ins Zimmer. Ein Brief, Hyperion! rief er; ich schrak zusammen und flog hinzu.

     Wie lange, schrieb Diotima, musst’ ich leben ohne ein Zeichen von dir! Du schriebst mir von dem Schiksaalstage in Misistra und ich antwortete schnell; doch allem nach erhieltst du meinen Brief nicht. Du schriebst mir bald darauf wieder, kurz und düster, und sagtest mir, du seiest gesonnen, auf die Russische Flotte zu gehn; ich antwortete wieder; doch auch diesen Brief erhieltst du nicht; nun harrt’ auch ich vergebens, vom Mai bis jezt zum Ende des Sommers, bis vor einigen Tagen der Brief kömmt, der mir sagt, ich möchte dir entsagen, Lieber!

     Du hast auf mich gerechnet, hast mirs zugetraut, dass dieser Brief mich nicht beleidigen könne. Das freute mich herzlich, mitten in meiner Betrübniss.

     Unglüklicher, hoher Geist! ich habe nur zu sehr dich gefasst. O es ist so ganz natürlich, dass du nimmer lieben willst, weil [68-69] deine grössern Wünsche verschmachten. Must du denn nicht die Speise verschmähn, wenn du daran bist, Durstes zu sterben?

     Ich wusste es bald; ich konnte dir nicht Alles seyn. Konnt’ ich die Bande der Sterblichkeit dir lösen? konnt’ ich die Flamme der Brust dir stillen, für die kein Quell fleusst und kein Weinstok wächst? konnt’ ich die Freuden einer Welt in einer Schaale dir reichen?

     Das willst du. Das bedarfst du, und du kannst nicht anders. Die gränzenlose Unmacht deiner Zeitgenossen hat dich um dein Leben gebracht.

     Wem einmal, so, wie dir, die ganze Seele beleidiget war, der ruht nicht mehr in einzelner Freude, wer so, wie du, das fade Nichts gefühlt, erheitert in höchstem Geiste sich nur, wer so den Tod erfuhr, wie du, erhohlt allein sich unter den Göttern.

     Glüklich sind sie alle, die dich nicht verstehen! Wer dich versteht, muss deine Größe theilen und deine Verzweiflung.

     Ich fand dich wie du bist. Des Lebens erste Neugier trieb mich an das wunderbare Wesen. Unaussprechlich zog die zarte Seele mich an und kindischfurchtlos spielt’ ich um deine gefährliche Flamme. - Die schönen Freuden unserer Liebe sänftigten dich; böser Mann! nur, um dich wilder zu machen. Sie besänftigten, sie trösteten auch mich, sie machten mich vergessen, dass du im Grunde trostlos warst, und dass auch ich nicht fern war, es zu werden, seit ich dir in dein geliebtes Herz sah.

     In Athen, bei den Trümmern des Olympion ergriff es mich von neuem. Ich hatte sonst wohl noch in einer leichten Stunde gedacht, des Jünglings Trauer sei doch wohl so ernst und unerbittlich nicht; Es ist so selten, dass ein Mensch mit dem ersten Schritt ins Leben so mit Einmal, so im kleinsten Punct, so schnell, so tief das ganze Schiksaal seiner Zeit empfand, und dass es unaustilgbar in ihm haftet, diss Gefühl, weil er nicht rauh genug ist, um es auszustossen, und nicht schwach genug, es auszuweinen, das, mein Theurer! ist so selten, dass es uns fast unnatürlich dünkt.

     Nun, im Schutt des heiteren Athens, nun gieng mirs selbst zu nah, wie sich das Blatt gewandt, daß jezt die Todten oben über der [70-71] Erde gehn und die Lebendigen, die Göttermenschen drunten sind, nun sah’ ichs auch zu wörtlich und zu wirklich dir aufs Angesicht geschrieben, nun gab ich dir auf ewig Recht. Aber zugleich erschienst du mir auch grösser. Ein Wesen voll geheimer Gewalt, voll tiefer unentwikelter Bedeutung, ein einzig hoffnungsvoller Jüngling schienst du mir. Zu wem so laut das Schiksaal spricht, der darf auch lauter sprechen mit dem Schiksaal, sagt’ ich mir; je unergründlicher er leidet, um so unergründlich mächtiger ist er. Von dir, von dir nur hofft’ ich alle Genesung. Ich sah dich reisen. Ich sah dich wirken. O der Verwandlung! Von dir gestiftet, grünte wieder des Akademus Hain über den horchenden Schülern und heilige Gespräche hörte, wie einst, der Ahorn des Ilissus wieder.

     Den Ernst der Alten gewann in deiner Schule der Genius unserer Jünglinge bald, und seine vergänglichen Spiele wurden unsterblicher, denn er schämte sich, hielt für Gefangenschaft den Schmetterlingsflug. -

     Dem hätt’, ein Ross zu lenken, genügt; nun ist er ein Feldherr. Allzugenügsam hätte der ein eitel Liedchen gesungen; nun ist er ein Künstler. Denn die Kräfte der Helden, die Kräfte der Welt hattest du aufgethan vor ihnen in offenem Kampf; die Räthsel deines Herzens hattest du ihnen zu lösen gegeben; so lernten die Jünglinge Grosses vereinen, lernten verstehn das Spiel der Natur, das seelenvolle, und vergassen den Scherz. - Hyperion! Hyperion! hast du nicht mich, die Unmündige, zur Muse gemacht? So ergiengs auch den andern.

     Ach! nun verliessen so leicht sich nicht die geselligen Menschen; wie der Sand im Sturme der Wildniss irrten sie untereinander nicht mehr, noch höhnte sich Jugend und Alter, noch fehlt’ ein Gastfreund dem Fremden und die Vaterlandsgenossen sonderten nimmer sich ab und die Liebenden entlaideten alle sich nimmer; an deinen Quellen, Natur, erfrischten sie sich, ach! an den heiligen Freuden, die geheimnissvoll aus deiner Tiefe quillen und den Geist erneun; und die Götter erheiterten wieder die verwelkliche Seele der Menschen; es bewahrten die herzerhaltenden Götter jedes freundliche Bündniss unter ihnen. Denn du, Hyperion! hattest deinen Griechen das Auge geheilt, dass sie das Lebendige sahn, und die in ihnen, wie Feuer im Holze schlief, die Begeisterung hattest du entzündet, dass sie fühlten die stille stete Begeisterung der Natur und [72-73] ihrer reinen Kinder. Ach! nun nahmen die Menschen die schöne Welt nicht mehr, wie Laien des Künstlers Gedicht, wenn sie die Worte loben und den Nuzen drin ersehn. Ein zauberisch Beispiel wurdest du, lebendige Natur! den Griechen, und entzündet von der ewigjungen Götter Glük war alles Menschenthun, wie einst, ein Fest; und zu Thaten geleitete, schöner als Kriegsmusik, die jungen Helden Helios Licht.

     Stille! stille! Es war mein schönster Traum, mein erster und mein lezter. Du bist zu stolz, dich mit dem bübischen Geschlechte länger zu befassen. Du thust auch Recht daran. Du führtest sie zur Freiheit und sie dachten an Raub. Du führst sie siegend in ihr altes Lacedämon ein und diese Ungeheuer plündern und verflucht bist du von deinem Vater, grosser Sohn! und keine Wildniss, keine Höhle ist sicher genug für dich auf dieser griechischen Erde, die du, wie ein Heiligtum, geachtet, die du mehr, wie mich, geliebt.

     O mein Hyperion! ich bin das sanfte Mädchen nicht mehr, seit ich das alles weiss. Die Entrüstung treibt mich aufwärts, dass ich kaum zur Erde sehen mag und unablässig zittert mein belaidigtes Herz.

     Wir wollen uns trennen. Du hast Recht. Ich will auch keine Kinder; denn ich gönne sie der Sclavenwelt nicht, und die armen Pflanzen welkten mir ja doch in dieser Dürre vor den Augen weg.

     Lebe wohl! du theurer Jüngling! geh du dahin, wo es dir der Mühe werth scheint, deine Seele hinzugeben. Die Welt hat doch wohl Einen Wahlplaz, eine Opferstätte, wo du dich entledigen magst. Es wäre Schade, wenn die guten Kräfte alle, wie ein Traumbild, so vergiengen. Doch wie du auch ein Ende nimmst, du kehrest zu den Göttern, kehrst ins heilge, freie, jugendliche Leben der Natur, wovon du ausgiengst, und das ist ja dein Verlangen nur und auch das meine.

     So schrieb sie mir. Ich war erschüttert bis ins Mark, voll Schreken und Lust, doch sucht’ ich mich zu fassen, um Worte zur Antwort zu finden.

     Du willigest ein, Diotima? schrieb ich, du billigest mein Entsagen? konntest es begreiffen? - Treue Seele! darein konntest du dich schiken? Auch in meine finstern Irren konntest du dich schiken, himmlische Gedult! und gabst dich hin, verdüstertest dich aus Liebe, glüklich Schooskind der Natur! und wardst mir [74-75] gleich und heiligstest durch deinen Beitritt meine Trauer? Schöne Heldin! welche Krone verdientest du?

     Aber nun sei es auch des Trauerns genug, du Liebe! Du bist mir nachgefolgt in meine Nacht, nun komm! und lass mich dir zu deinem Lichte folgen, zu deiner Anmuth lass uns wiederkehren, schönes Herz! o deine Ruhe lass mich wiedersehen, seelige Natur! vor deinem Friedensbilde meinen Übermuth auf immer mir entschlummern.

     Nicht wahr, du Theure! noch ist meine Rükkehr nicht zu spät, und du nimmst mich wieder auf und kannst mich wieder lieben, wie sonst? nicht wahr, noch ist das Glük vergangner Tage nicht für uns verloren?

     Ich hab’ es bis aufs Äusserste getrieben. Ich habe sehr undankbar an der mütterlichen Erde gehandelt, habe mein Blut und alle Liebesgaaben, die sie mir gegeben, wie einen Knechtlohn, weggeworfen und ach! wie tausendmal undankbarer an dir, du heilig Mädchen! das mich einst in seinen Frieden aufnahm, mich, ein scheu zerrissnes Wesen, dem aus tiefgepresster Brust sich kaum ein Jugendschimmer stahl, wie hie und da ein Grashalm auf zertretnen Wegen. Hattest du mich nicht ins Leben gerufen? war ich nicht dein? wie konnt’ ich denn - o du weist es, wie ich hoffe, noch nicht, hast noch den Unglüksbrief nicht in den Händen, den ich vor der lezten Schlacht dir schrieb? Da wollt’ ich sterben, Diotima, und ich glaubt’, ein heilig Werk zu thun. Aber wie kann das heilig seyn, was Liebende trennt? wie kann das heilig seyn, was unsers Lebens frommes Glük zerrüttet? - Diotima! schöngebornes Leben! ich bin dir jezt dafür in deinem Eigensten um so ähnlicher geworden, ich hab’ es endlich achten gelernt, ich hab’ es bewahren gelernt, was gut und innig ist auf Erden. O wenn ich auch dort oben landen könnte an den glänzenden Inseln des Himmels, fänd’ ich mehr, als ich bei Diotima finde?

     Höre mich nun, Geliebte!

     In Griechenland ist meines Bleibens nicht mehr. Das weist du. Bei seinem Abschied hat mein Vater mir so viel von seinem Überflusse geschikt, als hinreicht, in ein heilig Thal der Alpen oder Pyrenäen uns zu flüchten, und da ein freundlich Haus und auch von grüner Erde so viel zu kauffen, als des Lebens goldene Mittelmässigkeit bedarf.

     Willst du, so komm’ ich gleich und führ’ an treuem Arme dich und deine Mutter und [76-77] wir küssen Kalaureas Ufer und troknen die Thränen uns ab, und eilen über den Isthmus hinein ans Adriatische Meer, von wo ein sicher Schiff uns weiter bringt.

     O komm! in den Tiefen der Gebirgswelt wird das Geheimniss unsers Herzens ruhn, wie das Edelgestein im Schacht, im Schoose der himmelragenden Wälder, da wird uns seyn, wie unter den Säulen des innersten Tempels, wo die Götterlosen nicht nahn, und wir werden sizen am Quell, in seinem Spiegel unsre Welt betrachten, den Himmel und Haus und Garten und uns. Oft werden wir in heiterer Nacht im Schatten unsers Obstwalds wandeln und den Gott in uns, den liebenden, belauschen, indess die Pflanze aus dem Mittagsschlummer ihr gesunken Haupt erhebt und deiner Blumen stilles Leben sich erfrischt, wenn sie im Thau die zarten Arme baden, und die Nachtluft kühlend sie umathmet und durchdringt, und über uns blüht die Wiese des Himmels mit all’ ihren funkelnden Blumen und seitwärts ahmt das Mondlicht hinter westlichem Gewölk den Niedergang des Sonnenjünglings, wie aus Liebe schüchtern nach - und dann des Morgens, wenn sich, wie ein Flussbett unser Thal mit warmem Lichte füllt, und still die goldne Fluth durch unsre Bäume rinnt, und unser Haus umwallt und die lieblichen Zimmer deine Schöpfung dir verschönt, und du in ihrem Sonnenglanze gehst und mir den Tag in deiner Grazie seegnest, Liebe! wenn sich dann, indess wir so die Morgenwonne feiern, der Erde geschäfftig Leben, wie ein Opferbrand, vor unsern Augen entzündet, und wir nun hingehn um auch unser Tagwerk, um von uns auch einen Theil in die steigende Flamme zu werfen, wirst du da nicht sagen, wir sind glüklich, wir sind wieder, wie die alten Priester der Natur, die heiligen und frohen, die schon fromm gewesen, eh’ ein Tempel stand.

     Hab’ ich genug gesagt? entscheide nun mein Schiksaal, theures Mädchen, und bald! - Es ist ein Glük, dass ich noch halb ein Kranker bin, von der lezten Schlacht her, und dass ich noch aus meinem Dienste nicht entlassen bin; ich könnte sonst nicht bleiben, ich müsste selbst fort, müsste fragen, und das wäre nicht gut, das hiesse dich bestürmen. -

     Ach Diotima! bange thörichte Gedanken fallen mir aufs Herz und doch - ich kann es nicht denken, dass auch diese Hoffnung scheitern soll.

     Bist du denn nicht zu gross geworden, um noch wiederzukehren zu dem Glük der Erde? [78-79] verzehrt die heftige Geistesflamme, die an deinem Leiden sich entzündete, verzehrt sie nicht alles Sterbliche dir?

     Ich weiss es wohl, wer leicht sich mit der Welt entzweit, versöhnt auch leichter sich mit ihr. Aber du, mit deiner Kinderstille, du, so glüklich einst in deiner hohen Demuth, Diotima! wer will dich versöhnen, wenn das Schiksaal dich empört?

     Liebes Leben! ist denn keine Heilkraft mehr für dich in mir? von allen Herzenslauten ruft dich keiner mehr zurük, ins menschliche Leben, wo du einst so lieblich mit gesenktem Fluge dich verweilt? o komm, o bleib in dieser Dämmerung! Diss Schattenland ist ja das Element der Liebe und hier nur rinnt der Wehmut stiller Thau vom Himmel deiner Augen.

     Und denkst du unsrer goldenen Tage nicht mehr? der holdseeligen, göttlichmelodischen? säuseln sie nicht aus allen Hainen von Kalaurea dich an?

     Und sieh! es ist so manches in mir untergegangen, und ich habe der Hoffnungen nicht viele mehr. Dein Bild mit seinem Himmelssinne, hab’ ich noch, wie einen Hausgott, aus dem Brande gerettet. Unser Leben, unsers ist noch unverlezt in mir. Sollt’ ich nun hingehn und auch diss begraben? Soll ich ruhelos und ohne Ziel hinaus, von einer Fremde in die andre? Hab’ ich darum lieben gelernt?

     O nein! du Erste und du Lezte! Mein warst du, du wirst die Meine bleiben.