Hymnus zur Eröffnung des Canals von Suez
Hymnus zur Eröffnung des Canals von Suez.[1]
Heil dem Meere,
Heil dem gewaltigen!
Denn es verbreitet
Endlosen Segen
Wo in Gebirgen
Oder auf Ebenen
Thätig der Mensch wohnt.
Dankbar im Geiste
Denen die Woge
Täglich ihr Brod giebt,
Die nicht ermüden,
Fern aus den Ländern
Deren für’s Leben
Jeder begehrt.
Kundig der Pfade,
Steuern sie draußen,
Schwinden im Nachtsturm.
Jegliche Brandung,
Jegliche Klippe
Kennen sie ja,
Wo sie zur Stunde
Segeln im Weltmeer.
Selten nur einem
Festlandbewohner
Daß sein staunendes Auge froh wird
Deiner Betrachtung,
Rollender Ocean, weitbusiger,
Hochwogiger Wieger der Masten,
Doch wer dich einmal
Glanzvoll erblickte,
Rühmt dich für immer.
Heil dem Meere!
Die es befahren!
Heil auch den Völkern,
Die es ernährt!
Nordische Söhne
Glühender Sonne,
Und mit gebräuntem
Antlitze kehren
Kühner sie wieder;
Sahen den Lotos erblühen
Und die Banane
Längs des altheiligen Indus,
Der im Gesange daherrauscht,
Und die geheime Kunde uralter Veden.
Seltsame Städte,
Drachen und Halbmond
Ueber den Zinnen,
Luftigen Baustils
Schritten sie durch,
Vielbestaunt von der gaffenden Menge,
Denen die fremde Bildung
Ruh’loses Leben,
Leben des Schiffers,
Leben des segelnden Mannes im Boot!
Goldlast in Tonnen,
Führt er hinaus;
Ganze zersprengte
Adern der Heimath,
Wie auch die Werke
Und der Maschinen
Schaffenden Fleiß.
Seiden und Purpur,
Perlen und Elfenbein,
Würzige Pflanzen,
Ambra und Myrrhen,
Zucker und Südfrucht,
Thee auch und Tabak
Doch der Weg ist lang und weit,
Lang für die Ungeduld;
Wasser und Himmel
Dehnen sich endlos,
Winkt des ersehnten,
Blühenden Welttheils
Fremdes Gestade.
Aber der Schiffer,
Müßig die langen
Tage verbringend,
Schweift mit den Augen
Ueber der Karten
Ueber der Länder
Wundergestalt.
Siehe den schmalen Landstrich dort!
Länderverbindend
Von der geschiedenen,
Wogenden Salzfluth umspült.
Wollte sich öffnen
Dort eine Pforte,
Gähnendes Bette,
Freudig hinüber
Zöge der Kiel.
Und wohl! Der Menschheit
Faßt den Gedanken;
Mächtigen Willens
Geht er an’s Werk.
Durch!
Wühlen und graben,
Wagen an Wagen
Häufen den Grund auf,
Und es vertieft sich
Wachsend erstreckt sich
Langhin der Damm.
Schleußen nur trennen,
Wehrend dem Andrang,
Los!
Und es rollet Meer zu Meer,
Und es gehen königliche Wogen
In das bereitete Bette,
Die Jahrtausende durch getrennten,
Und sie vermischen sich.
Und es verbinden
Kreuzende Schiffe
Fernen und Fernen,
Völker und Völker,
Geister und Geister,
Weithin das rege
Heil dem Meere!
Heil seinen hochrollenden Wogen!
Heil dem gewaltigen
Länderumgürtenden,
- ↑ Die ägyptischen Wirren haben die allgemeine Aufmerksamkeit auf’s Neue auf den Suezcanal gelenkt und die Frage: „Was wird das künftige Schicksal dieser hochwichtigen Wasserstraße sein?“ schwebt auf Aller Lippen (vergl. unsern Artikel in der vorigen Nummer, Seite 578). In einem solchen Momente dürfte das obige schwungvolle Gedicht Martin Greif’s, das der Eröffnung des Canals (17. November 1869) seine Entstehung verdankt und das wir den kürzlich erschienenen „Gedichten“ (Stuttgart, Cotta) des hochbegabten Dichters entnehmen, unsern Lesern nicht unwillkommen sein. Wir benutzen mit Vergnügen diese Gelegenheit, um auf Greif’s „Gedichte“ anerkennend hinzuweisen und sie allen Freunden unseres Blattes bestens zu empfehlen. D. Red.