Zwei Fahrten durch den Suezcanal

Textdaten
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Autor: Caroline Wilhelmine Emma Brauns
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Titel: Zwei Fahrten durch den Suezcanal
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 35, S. 578–582
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Zwei Fahrten durch den Suezcanal.

Zeitgemäße Schilderungen von C. W. E. Brauns.

Als eines der Wunderwerke der Welt darf man wohl den Canal durch die Landenge von Suez bezeichnen, der heute wieder ein Hauptangelpunkt des politischen Interesses geworden ist – man darf ihn als ein Wunderwerk der Welt bezeichnen, nicht etwa weil ein Uebermaß von Schwierigkeiten sich der technischen Ausführung desselben entgegengestellt hätte, nicht etwa weil eine absonderliche Beschaffenheit oder außergewöhnliche Steigerung der Hülfsmittel zur Ueberwindung solcher Schwierigkeiten dabei in Anwendung gekommen wäre, sondern weil dieses so einfache und doch zugleich so kühne Unternehmen dem ganzen Erdball einen ganz ungewöhnlichen Segen spendet; denn erwächst nicht auch den Nationen, welchen wir unsere Cultur und unsere Culturerzeugnisse auf dem Wege des Handels überbringen, erwächst nicht diesen ein gleicher Vortheil, ja ein größerer noch als uns Europäern, aus der unschätzbaren Verkehrserleichterung zwischen Ost und West, welche wir dem Suezcanal verdanken? Wurde nicht erst durch die Eröffnung dieser Seestraße, welche die Entfernung des entlegensten Ostens von den Mittelmeerhäfen ungefähr auf die Hälfte reducirt, die volle, fruchtbringende Einwirkung unserer Cultur auf die Völker des Ostens ermöglicht?

Man wende nicht ein, daß diese Völker sich ohne die europäische Cultur besser befinden würden als mit ihr! Wer Augen hat zu sehen und sie benutzen will, der sieht, wie überall eine menschenwürdige Existenz, verbunden mit dem Streben nach wahrer Wissenschaft und nach Gewährleistung der Menschenrechte, nach allen den Gütern, die Europa sich durch ernste Arbeit und schwere Kämpfe erstritten, den fernen Zonen durch uns geboten wird.

Man wende ferner gegen die hohe Bedeutung des Isthmuscanales nicht ein, daß ja der alte Seeweg nach Ostindien, den vor vierhundert Jahren die Portugiesen entdeckten, den nämlichen Verkehr vermittelt habe! Zeit ist Geld – dies gilt vor allem für den europäischen Kaufmann, der jetzt noch ein volles Vierteljahr auf eine Antwort aus China oder Japan zu warten hat und dem selbst dieser Zeitraum, klein gegen sonst, übermäßig lang erscheint. Dies gilt aber auch umgekehrt für den, welcher am fernen Gestade ängstlich alles dessen harrt, was ihm Europa als nothwendige geistige Nahrung zuführen muß, auf Bücher, Zeitungen und mancherlei andere Dinge, die uns alltäglich erscheinen und die erst die Fremde uns nach Gebühr schätzen lehrt.

Schon aus diesen Andeutungen dürfte zweifellos hervorgehen, daß die Bedeutung des Suezcanals durchaus nicht erschöpfend gewürdigt wird, wenn man nur seinen Nutzen für den Handel in’s Auge faßt. Die Postdampfer Hollands, Frankreichs, Englands durchkreuzen den Isthmus tagaus tagein, nicht blos gefüllt mit Waaren, sondern auch voll von Passagieren aller Nationen.

Traurig, daß wir Deutsche nicht auch solche Postdampfer haben! Leider finden wir die geringe Vertretung Deutschlands im Suezcanal nicht nur auf dem Gebiete des Personenverkehrs, sondern auch auf dem des Handels. Die Statistik des Verkehrs vom Suezcanal, die in den dreizehn Jahren seines Bestehens eine überraschende und bis in die letzten Jahre stetig andauernde Steigerung ausweist, läßt dort die deutsche Flagge erst in sechster oder siebenter Stelle erscheinen, während unser Seehandel sich doch jeder anderen Nation, außer der englischen, mindestens an die Seite stellen darf.

Ein Hauptgrund dieser Seltenheit der deutschen Handelsschiffe im Canal ist allerdings in dem Umstande zu suchen, daß kleine Fahrzeuge – und aus solchen besteht ja unsere Handelsflotte zu einem großen Theile – die schweren Kosten der Durchfahrt durch den Canal scheuen, weshalb denn auch hanseatische Schiffe selbst heutzutage noch oftmals den Weg um das Cap der guten Hoffnung vorziehen; es ist jedoch vorauszusehen, daß dieses Verfahren durch die Allmacht der Concurrenz allmählich in Wegfall kommen muß; denn es läßt sich mit Sicherheit voraussagen, daß in der Entwickelung unserer Handelsmarine ein rascher Fortschritt stattfinden wird, was sich durch die fortwährende Zunahme des Procentsatzes deutscher Schiffe im Canal auch bestätigt.

Wie die Sachen stehen, sind es nun freilich nicht unsere Schiffe, wohl aber im hohen Grade unsere Waaren, welche auch in materieller Hinsicht unsere Aufmerksamkeit auf den Suezcanal lenken und unser eigenstes Interesse gefährdet erscheinen lassen, sobald die kleine Wasserader von Port Said nach Suez unterbunden wird. Ganz abgesehen von dem Antheil, welchen wir am Gedeihen und an der Ausbreitung europäischer Civilisation haben, müssen wir also mit ängstlichem Blicke der Entwickelung der Dinge im Pharaonenlande folgen, die uns ohne den Suezcanal kaum in Spannung versetzen könnten.

Die Gefahr einer Sperrung des Canals ist in der That vorhanden, so lange die gegenwärtigen Zustände andauern. Die dagegen vorgeschlagenen Mittel – namentlich das einer Neutralitätserklärung des Canalgebietes – sind offenbar unzureichend. Ja gerade dieses Mittel könnte verhängnißvoll werden, indem es die für Offenhaltung der Fahrstraße interessirten Europäer zurückhielte [579] und dieselbe den uncivilisirten einheimischen Horden preisgäbe. Auf Zusicherungen eines Arabi – selbst wenn sie durch achtbare Vermittler und Bürgen unterstützt werden sollten – darf schwerlich irgend welches Gewicht gelegt werden, und so stehen wir zur Zeit machtlos der Möglichkeit gegenüber, unsere Interessen durch eine fanatisirte Beduinenschaar oder durch plünderungssüchtige Truppen des ägyptischen Prätorianerführers auf’s empfindlichste geschädigt zu sehen.[1]

Mag aber hiergegen auch die Erfahrung einigen Trost gewähren, daß höherer Muth und Unternehmungsgeist selten in solchen Schaaren anzutreffen ist, wie sie auf ägyptischer Seite im Felde stehen, und daß schließlich in solchen Fällen eine gewisse Scheu vor der Ueberlegenheit der Europäer das Aeußerste zu verhindern pflegt, so hat man doch eine andere Gefahr bis jetzt kaum in’s Auge gefaßt, die nämlich, daß fortdauernde Wirren eine Vernachlässigung der Unterhaltungsarbeiten am Canal zur Folge haben können. In dieser Beziehung ist leider schon arg gesündigt worden, und ohne Noth; denn von den 50 Millionen Franken, welche die Abgaben der passirenden Schiffe für jedes der letzten Jahre betragen haben, bleiben auch bei reichlichster Berechnung der Zinsen, Amortisationen und Gelder für einen etwaigen Reservefonds[2] unbedingt Summen übrig, welche eine weit solidere und ausgiebigere Durchführung der Unterhaltungsarbeiten ermöglichen würden, als sie thatsächlich ausgeführt worden sind. Es ist dies ein Punkt, auf den sich die Aufmerksamkeit der europäischen Mächte ebenso sehr richten sollte, wie auf den militärischen Schutz; sonst könnte es sich immerhin ereignen, daß – vielleicht um so eher unter dem Deckmantel politischer Schwierigkeiten – die Anlagen des Canals, von Haus aus nicht ohne alle Mängel, durch eine kurzsichtig-eigennützige Verwaltung in ein Stadium des Verfalls gerathen würden.

Es waren friedlichere Zeiten, als ich zum ersten Male die Fahrt durch den Canal auf einem französischen Postdampfer machte. Der Sturm hatte uns im Mittelmeer einigermaßen mitgenommen und die ungewöhnlich kühle Witterung, welche er gebracht, hielt bis in die Nähe Aegyptens an. Hier aber machte sich wärmere Luft geltend; Nebel und Gewölk verschwanden gänzlich, und bestrahlt von heller Sonne liefen wir am Mittage des 25. Oktober 1879 in Port Said ein. Der Strand, den wir erblickten, war der der Wüste, jener zauberhafte Strand, der den Wissensdrang so manches Gelehrten, der den Muth kühner Reisenden bis zur Opferwilligkeit steigerte, eine Sphinx, die uns nicht ruhen läßt, bis wir ihre Räthsel gelöst, die aber auch dann ihre Anziehungskraft nicht verliert – denn in der That: die Wüste ist schön.

Der blaue Himmel über dem gelben Sande, mit dem der Wind spielte, die Rinderheerde, vom schwarzen Fellah durch Zuruf gelenkt, welche am scheinbar nackten Strande weidete, die Palmen, deren herrliche Kronen sich über Dächer und zwischen Sandhügeln erhoben – all das bestrahlt von einem Lichte, gegen welches selbst das des schönen Hesperiens erbleicht: das war das erste Bild vom Wüstensaume, das sich uns bot.

Einen ähnlich märchenhaften Eindruck ruft Port Said selbst hervor. Gerade, breite Straßen zwischen halb orientalisch gebauten Häusern, die aber auch eine bedenkliche Aehnlichkeit mit Holzbaracken verrathen, machen anfangs wohl einen eher abstoßenden als anziehenden Eindruck. Sieht man aber den Verkehr von Ost und West, Süd und Nord, die Menge der Waarenlager, die Emsigkeit der Handeltreibenden, und mischt man sich gar in das Gewirr der Völker, die vom Aegypter und Araber bis zum Inder und Europäer jeder Zunge und Zone dort vertreten sind, so macht das erste Vorurtheil bald dem Staunen über die Großartigkeit der Anlage dieses Hafenortes Platz. Port Said hat die übrigen Häfen am Canal, selbst Suez, weit überflügelt; vermöge seiner Lage leistet es eben, was keine andere Stadt Aegyptens leisten könnte. Daher entwickelt sich denn dort auch jetzt schon aus dem rein kaufmännischen Getriebe Comfort und Schmuck des Daseins. Im Wüstensande erheben sich Gärten und gewähren oder verheißen doch in Bälde Schatten und Kühlung; europäisches Geistesleben beginnt sich anzusiedeln und selbst die Kunst zeigt sich, wenn auch in schüchternen Anfängen.

Für mich war es nicht ohne Genuß, durch die Straßen zu pilgern und allerhand Einkäufe wohl in derselben Art zu machen, wie dies in den Erzählungen von „Tausend und einer Nacht“, einem zum großen Theil auf ägyptischem Boden erwachsenen Werke, in so unnachahmlicher Naturwahrheit geschildert wird. Begleitet war ich von einem genügsamen Lastträger, der nicht verfehlte, mir seinen Rath hinsichtlich der Wahl der Kaufläden zu ertheilen, einen Rath, der sich meist auch bewährte.

Die Anlage des Hafens gehört nicht zu den geringsten Schwierigkeiten, welche sich der Ausführung des Canalbaues entgegen setzten: lange Schutzdämme, aus großen Steinblöcken gefertigt und doch nur nothdürftig gegen den Wogenprall ausreichend, ermöglichen allein den Aufenthalt der großen Zahl der Schiffe, welche der Erlaubniß zur Einfahrt zu harren pflegen. Mit großen Geldopfern, wenn auch nicht gerade in zweckmäßigster Weise, hat man dem sturmgejagten Seefahrer einen ruhigen Zufluchtsort geschaffen, den ein hoher Leuchtthurm ihm weithin sichtbar macht.

Die Stadt dehnt sich zumeist am westlichen Ufer des Canals aus, sodaß wir am Morgen nach unserer Ankunft, bei Beginn der Canalfahrt, noch viele der stattlicheren Gebäude vor Augen hatten. Es war ein klarsonniger Tag, wie gewöhnlich hier zu Lande. Das Verdeck hatte bereits früher ein doppeltes Dach aus Segeltuch zum Schutze gegen die südliche Sonne erhalten; Kopfbedeckungen von wunderbarer, helmartiger Form, aus dem Marke einer indischen Pflanze hergestellt, kamen zum Vorschein, die größte Wohlthat aber gewährten die – von den Fellahs für billigen Preis zu erkaufenden grauen oder blaugrünen Brillen, die für jeden in Aegypten reisenden Nordländer eine Nothwendigkeit sind, wenn er sich nicht Kopfschmerz und Augenübel zuziehen will.

Zu Beginn der Fahrt lag zu unseren beiden Seiten, namentlich aber rechts von uns, die weite Fläche des Menzalehsees, einer jener Riesenlagunen, die den größeren Theil der Küste des Nildeltas einnehmen, eine seichte, von unzähligen Inseln unterbrochene, von Schwärmen des verschiedensten Geflügels bevölkerte Wasserfläche. Besonders fielen uns die Flamingos auf, deren dichte Schaaren schneeweißen Inseln glichen. Nur mit Hülfe des Fernrohrs konnten wir das helle, röthlich angehauchte Gefieder dieser Thiere erkennen.

Der Postdampfer genoß damals ein gewisses Vorrecht vor anderen Schiffen und glitt ungehindert an den Fahrzeugen vorbei, welche an den Haltestellen auf seine Vorüberfahrt zu warten hatten. So ging es rasch weiter; auf den See folgte eine flache, völlig ebene Wüstenstrecke niedrigen Niveaus; hinter derselben aber zeigten sich, oft mit wunderbar schöner Luftspiegelung, die Dünen – Erg oder Areb – der Wüste, in deren Bereich wir in den Umgebungen des wenig bedeutenden Abu-Ballahsees kamen. Der Wüstensand, der durch die Morgenbrise nicht blos auf’s Verdeck, sondern durch alle Schiffsräume geweht ward, wäre uns hier vermuthlich noch beschwerlicher gefallen, wenn nicht um Mittag der Wind sich etwas gelegt hätte. Nun konnten wir die ferneren Dünenhügel, deren Kamm in fortwährender Bewegung blieb, ungestört betrachten und uns des Anblicks der Kameelheerden und Karawanen erfreuen, welche unserer Vorbeifahrt harrten, um den Canal überschreiten zu können, oder wir konnten unser Mitgefühl einem schwarzbraunen Fellah schenken, der, vom Schweiß überströmt, im heißen Sande watete und an langer Leine mühsam ein Schifflein zog.

Gluthroth sank schon die Sonne, als unser Schiff zwischen den hohen Sanddünen anlangte, welche sich auf dem Wege zwischen dem Abu-Ballahsee und Ismailia befinden. Den Vorschriften gemäß mußten wir hier übernachten, rechts und links vom Wüstensande eingeschlossen, der sich zu beiden Seiten an den Böschungen erhob. Noch eine kurze Frist, und der volle Mond bestrahlte den jetzt ganz weiß erscheinenden Sand. Die tiefste Stille herrschte weit und breit – wir waren allein in der Wüstennacht.

Einen angenehmen Contrast bildete in der That diese Nacht gegen den lärmenden Aufenthalt in den Häfen; noch mehr aber als wir Passagiere empfanden dies die Matrosen, die hier ohne die schweren Plagen des Ein- und Ausladens von Waaren ihre Nachtruhe genießen konnten. Sie waren daher ungewöhnlich vergnügt und unternahmen einen Streifzug an’s Land. Ein Boot ward hinabgelassen, die Schiffstreppe folgte, und alsbald war der Kahn dicht mit Matrosen besetzt, welche an’s Ufer ruderten und Einer nach dem Andern die sandige Böschung erstiegen. Bis über die Kniee sanken sie in den Sand; doch das focht sie wenig an – [580] bald war die Höhe erklommen, und ein lautes „vive la compagnie!“ tönte durch die Stille. Dann zogen sie am Böschungsrande dahin, bogen ab und gaben uns durch ein paar Raketen, welche vom Schiffe aus erwidert wurden, ein Lebenszeichen.

Bald verbreitete sich unter den Passagieren die Kunde, daß sonderbare „Ruinen" in der Nähe zu sehen seien, und so wallfahrteten denn auch Manche von uns an’s Land. Ich schloß mich dem letzten Zuge an, der am weitesten vordrang. Wir verschmähten es nicht, einen gut vorgerichteten Landungsplatz am westlichen Canalufer aufzusuchen, und hatten daher den großen Vortheil, vom Boote aus mittelst einer Holztreppe die Hohe des Wüstenplateaus erklimmen zu können. Immerhin war das Hinaufsteigen nicht ohne Beschwerde; denn manche der Stufen waren förmlich vom Sande verweht. Ich machte hier schon die Bemerkung, daß der Wüstensand jetzt ebenso angenehm die Füße kühlte, wie er zur Tageszeit gebrannt haben mußte.

Ansicht der Stadt Suez.

Nichts beschreibt meine Ueberraschung, als ich oben statt der Ruinen in lautloser, nur selten von einem Schakal- oder Eulenrufe unterbrochener Stille eine anscheinend vollständige Stadt erblickte. Freilich gewahrte ich, sobald ich hineintrat, hier eine niedergestürzte Reihe von Fensterläden – mit dem orientalischen schrägen Gitterwerke –, dort halbdemolirte Wände und zerstreute Dachtrümmer. Aber noch hielt das Ganze nothdürftig zusammen; noch hielt man selbst die Haus- und Gartenthüren geschlossen, und zuletzt, am äußersten Ende, fanden wir eine Wache von drei Aegyptern – die einzigen menschlichen Wesen weit und breit. Sie hießen uns, wenn auch in fremder Zunge, doch augenscheinlich herzlich willkommen, befragten uns so lange, bis sie von unserer Herkunft genugsam unterrichtet zu sein glaubten, und reichten uns die rasch bereitete Schale mit Mokka, den unausbleiblichen Willkommen der Orientalen. Tabak besaßen sie nicht und waren daher hocherfreut, als wir sie zum Lohne ihrer Gastlichkeit damit beschenkten. Als wir durch den Sand der geisterhaft leeren Straßen und durch das eigenthümliche Gemenge künstlicher Vegetation und echten Wüstengestrüppes unseren Rückweg antraten, begleiteten sie uns zur Landungsstelle, um vom Schiffe aus noch eine kleine Gabe der ihnen überaus werthvollen Cigarren zu erlangen.

Sonderbar schien es mir später, daß kein Grauen vor der Zerstörung, die unserem Auge in fast taghellem Mondscheine sich darbot, in meine Seele fließen wollte. Es war ein stiller Tod, der das Menschenwerk hier getroffen, der Tod durch die allmächtige Hand der Natur. Die kleine Stadt war durch Mangel an Trinkwasser zu Grunde gegangen.

Der Wind ruhte völlig, und wir konnten ohne alle Störung die Schönheit der nächtlichen Wüstenlandschaft genießen, durch die friedlichste Ruhe der Natur von den friedlichen Söhnen der Wüste geleitet. Die Kühlung war uns werthvoll; sie labte uns hier zum letzten Male für lange, lange Zeit.

Mit Sonnenaufgang setzte sich das Schiff wieder in Bewegung, zunächst in der gewohnten langsamen Weise, bis wir den Timsahsee erreichten, dessen breitere Fläche die ängstlichen Vorsichtsmaßregeln unnöthig macht. Hier sieht man westwärts die freundliche Oasenreihe, aus deren Palmenzweigen Ismailia mit seiner Eisenbahnstation und dem khedivischen Palaste hervorleuchtet. Dann durchfuhren wir wieder langsam eine tiefer in geschichtetes Erdreich eingeschnittene Canalstrecke, darauf die großen Bitterseen, welche wiederum rasch passirt wurden und sehr wesentlich zur Abkürzung der Fahrzeit beitrugen, endlich noch eine kurze Strecke schmaleren Wassers, auf welcher uns die schwarzen Fellahknaben unablässig begleiteten und um Kupfermünzen bettelten, welche sie – wie immer zur Zeit der Ebbe, die sich von Suez bis zu den Bitterseen wohl bemerkbar macht – gierig aus dem Uferschlamm hervorholten.

So ging es weiter und weiter, bis wir am frühen Nachmittage unter immer glühenderem Sonnenbrande im Hafen von Suez anlangten. Die Stadt selbst zu besuchen, war leider nicht möglich; wir sahen sie nur als malerische Gruppe massiger Steinhäuser inmitten des herrlichen Panoramas, das uns hier die Felsenwüste darbot. Vor uns im seichten Meere tummelten sich Schwärme großer Delphine und umkreisten das Schiff mit drolligen Sprüngen; nahe bei uns, auf einer Landzunge neben der Canalausfahrt, war ein Lager ägyptischer Truppen aufgeschlagen, deren braune Gestalten im bunten Waffenschmucke zwischen den Zelten ein anziehendes Bild friedlichen Soldatenlebens gewährten. Die zackigen Höhenzüge ringsum waren von jenem zauberhaften rosigen Lichte übergossen, das wohl nur in Aegypten zu voller Geltung kommt. Annähernd so schön sieht man es in Italien, doch jene Klarheit und zauberhafte Harmonie der Farben habe ich nirgendwo gesehen, als in der Landschaft um Suez.

Unwillkürlich mußte ich an die Aquarelle denken, durch welche Hildebrand uns Deutsche in der That mit diesem Farbenzauber bekannt gemacht hat. Die Wiedergabe desselben ist so überraschend treu, daß ich oft den Namen des Künstlers ausrief, wenn ich eines seiner Bilder gleichsam in der Natur vor mir sah.

Vor Sonnenuntergang verließen wir den Hafen, doch es dunkelte, bevor wir uns vom Anblicke der Uferfelsen losrissen. Das war meine erste Fahrt durch den Suezcanal. – –

Mehr denn zwei Jahre waren verflossen – der Januar 1882 näherte sich seinem Ende – als ein Dampfer derselben [581] Linie mich zurück nach Suez brachte. Auf der Heimreise begriffen, hatte ich vermeint, noch die Wunder des Pharaonenlandes erschauen zu können, doch als wir am Abend in den Hafen einliefen, ward uns angekündigt, daß wir Quarantäne hätten, und die gelbe Fahne wurde am Maste aufgezogen. Diese Enttäuschung blieb nicht die einzige; es war, als sollten wir überhaupt die Kehrseite von dem kennen lernen, wovon bei der ersten Fahrt fast nur die glänzende Lichtseite bemerkbar gewesen war.

Ohne Zweifel hatten sich aber auch die Zeiten geändert; die ägyptischen Wirren lasteten schon auf Land und Leuten, und da wir später, bei der Landung in Neapel, hörten, daß die Quarantäne in Aegypten bereits zur Zeit unserer Ankunft gesetzlich nicht mehr bestanden habe, so bin ich überzeugt, daß auch bei dieser Angelegenheit anarchische Elemente ihr Wesen trieben.

Nicht minder lästig waren die endlosen Verzögerungen der Einfahrtsordre; erst gegen Mittag erhielten wir dieselbe und fuhren nun hinter zwei anderen Schiffen in den Canal ein, von denen wir später eins überholten. Wir erfuhren zu unserem großen Leidwesen, daß von einer Bevorzugung der Postdampfer nicht mehr die Rede sei. Die Canalverwaltung scheint die Absicht gehabt zu haben, die Taxe für dieselben über den bisherigen Satz zu erhöhen und sie zur Zahlung des den Handelsschiffen auferlegten Zuschlages zu zwingen. Wenigstens läßt sich sonst kaum ein stichhaltiger Grund für ein Verfahren auffinden, das zum Schaden aller Verkehrtreibenden und Reisenden gerade denjenigen Schiffen empfindliche Verzögerungen verursacht, die den Zweck und die Verpflichtung rascher und sicherer Beförderung haben.

Neuer Hafen von Suez und Fernsicht auf die Felswüste von Ataka.

Wie dem aber auch sei, wir hatten in Folge dieser Neuerung geradezu unerhörten Aufenthalt und machten dabei denn auch gründliche Bekanntschaft mit der Thatsache, daß die Böschungen des Canals sich in einem wahrhaft verwahrlosten Zustande befinden. Eine Versandung des Canales, welche trotz der Wüstenwinde sonst nicht zu befürchten sein würde, wird die unausbleibliche Folge dieser Vernachlässigung sein, wenn nicht noch zu rechter Zeit in ganz anderer Weise, als dies bis zum Januar 1882 geschehen, Vorkehrungen dagegen getroffen werden.

Bis dahin hatte man nur ein gewisses Quantum von Steinen sehr mäßiger Größe und Qualität aus den Gebirgen um Suez an den Canal geschafft und die Böschungen in ziemlich liederlicher Weise damit auszubessern begonnen. Anfangs scheint man der Ansicht gewesen zu sein, daß man die Ufer durch Anpflanzungen in gutem Stande erhalten könne, doch erweist sich dies als verfehlt, da der sandige Boden und das trockene Klima kein gehöriges Bewachsen zulassen. Hierbei macht es sich doppelt fühlbar, welcher Uebelstand in der geringen Breite des Canals liegt. Wäre derselbe so angelegt, daß überall zwei Schiffe an einander vorbeifahren könnten – was zur Zeit nur an den Ausweichstellen der Fall – so würde die Beschaffenheit der Böschung keine so große Rolle spielen und die Wasserbewegung beträchtlich ermäßigt sein.

Selbst in dem geschichteten Erdreich in dem südlichen Theile des Canals, das man als einen Ausläufer der Plateauwüste ansehen darf, zeigte sich öfter ein Unterspülen der Ufer, und an einzelnen Stellen waren sogar die mangelhaften Steinpackungen wieder schadhaft geworden. Natürlich wurde angesichts dieses Uebelstandes noch ängstlicher darauf gehalten, daß die Schiffe mit der gehörigen Langsamkeit fuhren. In den engeren Canalstrecken brachten wir es höchstens auf 5 Seemeilen oder 1¼ geographische Meile in der Stunde, und meistens ermäßigte sich die Geschwindigkeit noch mehr, oft bis auf 3½ Seemeilen in der Stunde.

Das häufige Anhalten, zu dem wir gezwungen waren, ward um so lästiger und zeitraubender, als wir widrigen Wind, fast genau Nordwind, hatten, der uns etwas schräg von der rechten Seite her packte und das Schiff unbarmherzig in die versandeten Theile am Westufer des Canals trieb. Nachdem wir 14 Meilen nach mancherlei Hindernissen um 3½ Uhr zurückgelegt, mußten wir für den ersten Tag Halt machen. Der lange Aufenthalt war [582] um so unangenehmer, als der Wind kalt und zugleich jeder Ausflug an’s Land durch die Quarantäne abgeschnitten war.

Am folgenden Tage schien sich die Sache anfänglich günstiger gestalten zu wollen; wir hatten die Strecke durch die Bitterseen schon vor 10 Uhr Morgens hinter uns. Allein dann erneuten sich die Erlebnisse des vorigen Tages: Wir lagen stundenlang fest und fuhren erst nach Mittag weiter, um schon nach einer halben Stunde abermals zum Halten gezwungen zu werden. Auf der Strecke zwischen den Bitterseen und Ismailia waren die Böschungen in noch schlechterem Zustande, was vollkommen erklärlich, da hier mit den dürftigen Reparaturarbeiten überhaupt noch nicht begonnen war. In Folge davon hatte denn auch ein etwas voreiliger Versuch, das Schiff von einer Sandbank, auf der es festsaß, durch die Kraft der Schraube loszumachen, keinen andern Erfolg, als daß die Schraube stark verletzt wurde. Eins ihrer Blätter brach ab; ein zweites ward stark, ein drittes weniger verbogen, und nur eins blieb unversehrt.

Bei der langsamen Canalfahrt war dies jedoch zunächst ohne hemmenden Einfluß, und so ging die Reise an der Oasengruppe von Ismailia vorüber durch den Timsahsee ohne weitere Störung fort. Dann hatten wir noch zweimal Aufenthalt, sodaß wir 30 Seemeilen von Port Said entfernt abermals zu übernachten hatten.

Am dritten Tage der Fahrt lag die Dünenwüste hinter uns, allein noch immer waren die Hemmnisse nicht zu Ende. Nachdem wir kaum 3 Meilen weiter gefahren, hatten wir 1½ Stunden Aufenthalt. Dann ging es etwas besser, bis wir etwa um 1 Uhr noch 7½ Seemeilen vom Hafen entfernt waren. Hier aber wurde uns ein abermaliger Halt von mehr als 3 Stunden bescheert, sodaß wir froh sein mußten, überhaupt noch – etwas nach Sonnenuntergang – nach Port Said zu gelangen.

Das sind die Erfahrungen, um die mich meine zweite Fahrt durch den Canal von Suez bereicherte. Die daraus zu ziehenden Schlüsse liegen auf der Hand: Gehen die Dinge in der Weise fort, wie dies in den letzten Jahren geschehen, und wie es leider schon durch die erste Anlage bedingt war, so ist offenbar die ununterbrochene Fortdauer der Fahrbarkeit des Canals in Frage gestellt. Gewiß wäre es nicht zeitgemäß, jetzt auf Aenderungen der ganzen Bau-Ausführung zu dringen, welche mit den größten Schwierigkeiten verknüpft wären, nämlich auf ein Verflachen der Böschungen und ein Verbreitern der Fahrstraße, welche auf lange Strecken nur 60 Meter im Wasserspiegel bei 8 Meter Tiefe und 22 Meter Bodenbreite mißt. Dagegen ist die Beseitigung der Uebelstände, unter welchen wir gleich Tausenden anderer Schiffe zu leiden hatten, um so dringender geboten und ohne Zögern eine gründliche Uferbefestigung und durchgängige Austiefung des Canals vorzunehmen. Hierbei sind sämmtliche Nationen Europas ohne Ausnahme betheiligt, und keine Regierung sollte sich der Aufgabe entziehen, die Leitung eines Unternehmens gehörig zu überwachen, das ein Stolz unseres Jahrhunderts und ein unschätzbares Kleinod Europas genannt werden muß und nun und nimmer uns verloren gehen darf.[3]

  1. Vor der Besetzung des Canals durch englische Kriegsschiffe geschrieben.
  2. Das ganze Capital beträgt etwa 19 Millionen Pfund Sterling, 380 Millionen Mark, von denen zur Zeit ungefähr 30 Millionen amortisirt sein müssen. Rechnet man zu den Amortisationen und Prioritätszinsen von 9 Millionen noch 6 Procent Zinsen, so bleiben 15 Millionen Mark jährlich disponibel.
  3. Sehr gelegen ist soeben erschienen: „E. Debes’ Karte von Unter-Aegypten, nebst Specialkarten des Suezcanals, der Umgebungen von Kairo, Alexandrien, Port Said, Ismailiye und Suez“ (1 Mark, Leipzig, Wagner und Debes). Sämmtliche Kärtchen zeichnen sich durch Correctheit, Deutlichkeit, Schönheit des Stichs, Drucks und Colorits aus und dürfen zur topographischen Anschauung der gegenwärtigen kriegerischen Vorgänge nachdrücklichst empfohlen werden.
    D. Red.