Textdaten
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Autor: Dante Alighieri
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Titel: Hirtengesänge
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aus: Die unbekannten Meister – Dantes Werke, S. 285–296
Herausgeber: Albert Ritter
Auflage: {{{AUFLAGE}}}
Entstehungsdatum: um 1320
Erscheinungsdatum: 1922
Verlag: Gustav Grosser
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer: Albert Ritter (Karl Förster, Karl Ludwig Kannegießer)
Originaltitel: Eclogae
Originalsubtitel: {{{ORIGINALSUBTITEL}}}
Originalherkunft: {{{ORIGINALHERKUNFT}}}
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: {{{KURZBESCHREIBUNG}}}
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[285] Es möge nunmehr noch Dantes Briefwechsel mit Johannes de Virgilio, einem jüngeren, als Epiker und Kommentator der alten Epiker bekannten Dichter, folgen, der ihm rät, sich statt der Volkssprache des Latein zu bedienen und bei ihm in Bologna Lorbeeren zu ernten. Sein erster Brief ist noch kein eigentliches Hirtengedicht, erst Dantes Antwort und die folgenden Briefe, auf Grund deren sich D. mit Recht rühmen könnte, diese Form wieder belebt zu haben. – Zum Verständnis sei eine Namenerklärung vorangeschickt: Tityrus ist Dante, Mopsus – Johannes, Jolas – Guido V. von Ravenna, bei dem Dante weilt, Polyphem der Gewalthaber Romeo de’ Popoli in Bologna, Meliböus – ein Freund D.s. in Ravenna, Alfesiböus – ein dortiger Arzt, Muso - ein Paduaner. Sizilien bedeutet Ravenna, die Zyklopenfelsen sollen Bologna umschreiben.


Hirtengesänge.
Johannes de Virgilio an Dante Alighieri.


O du der Pierinnen heil’ge Stimme,
Der du mit neuem Sang die Welt beseligst,
Indem vom Gift du, das ihr Blut erfüllt,
Sie mit dem Lebenszweig zu rein’gen strebst,
Enthüllend das Dreifache nach Verdienst der Schatten
Verloste Reich, den Orkus den Verdammten,
Die Lethe den sich Läuternden, den Sel’gen
Die jenseits Sols gelegenen Gefilde,
Warum, ach, willst du doch preisgeben dieses
Mühvolle, hehre Werk dem Pöbel, uns
Poeten raubend deine schönste Leistung;
Denn eher wird ein Davus doch den krummen
Delphin bewegen mit der Leier, eher
Der Sphinx zweideutig Rätsel lösen, als
Den nächt’gen Schlund und die dem Plato selbst
Verhüllten Himmel niedres Volk sich vorstellt.
Denn Dinge sind’s, die man nicht fasset, wenn sie
Herplappert auf dem Markt der Pickelhering,
Dess’ Possen den Horaz verjagen konnten.
Dem Volk nicht dicht’ ich, sagst du, nein, den Weisen,
Wiewohl im Volkslaut; doch der Weise höhnet
Des Volkes Sprache, wär’ es gleich nur eine,
Da es doch tausend sind. Auch dichteten
Sie, denen du als sechster dich gesellest,
Und er, dem du zum Himmel steigend folgest,

[286]
Nicht in des Marktes Sprache. Drum erlaube,

O du der Dichter nur zu scharfer Tadler,
Daß ich der Rede Zaum schlaff lass’ ein wenig.
Wirf nicht den Säu’n verschwendrisch hin die Perle!
Nicht hülle niedrig-schweres Kleid die Muse;
Vielmehr die Sprach’ erwähle zum Gesange,
Die diesem, jenem Volk zugänglich ist,
So daß der Welt sie deinen Ruhm verkünde.
Und manche Dinge harren schon, durch dich
Bekannt zu werden. Auf, sag’ an den Flug,
Den Jovis Vogel zu den Sternen nahm!
Sag’ an die Blumen und die Lilien, welche
Der Pflüger mähte, samt den Phrygerhirschen,
Die des Molossers Zahn zerriß. Sag’ an
Von der Ligurier Bergen, von den Flotten
Parthenopes mit Liedern, die da klingen
Nach Herkuls Gades, die man staunend liest
Am Ister und am Pharus, und die dort
Gefallen, wo das Reich der Dido war.
Wenn dich der Ruf anzieht, wird nicht zu enge
Begrenzung und des Pöbels Gunst dir gnügen.
Ich, Phöbus’ Diener und der Mitgenannte
Des edlen Maro, wenn du’s nicht verschmähst,
Will in die Schulen dich einführen als
Den lorbeerringsumkränzten Triumphator,
Ein Herold, der sich selbst geschmeichelt dünkt,
Dem frohen Volk zu künden die Triumphe
Des Häuptlings mit dem lauten Klang der Stimme.
Schon fühl’ ich mir von krieg’rischem Getöse
Das Ohr umschaudert. Vater Apenninus,
Wie schaut er drohend! Wie durchsauset Nereus
Tyrrhenums Meer! Wie tobet hier und dorten
Der Gott des Kriegs! Ergreife drum die Leier,
Ergreife sie und zähme dieses Wüten.
Wenn du zu solchem Stoff den Gang nicht weckest,
Indem du dich entfernt hältst von den Dichtern,
Du einz’ger, wird er unbesungen bleiben.
Du Wohner an des Padus Mitte, wenn du
Mir Hoffnung gibst, mich zu besuchen, mir
Ein freundlich Wort schickst, wenn dich’s nicht gereut,
Den schwachen Vers zu lesen, den der Rabe
Keck krächzt dem Sänger Schwan, so gib mir Antwort,
Wo nicht, erfülle meinen Wunsch, o Meister!

[] Dante Alighieri an Johannes de Virgilio.
Erster Hirtengesang.


Schwarz sahn geschrieben wir auf weißem Blatte
Gesänge, lieblich quillend von dem Busen
Der Pierinnen und an uns gerichtet.
Zufällig stand ich unter einer Eiche
Mit Meliböus, zählend unsre Herde
Von satten Ziegen. Meliböus wünschte
Mit mir das Lied zu hören. „Was will Mopsus?
Mein Tityrus, sprich, was er will“, – begann er.
Ich lacht’, o Mopsus. Und nun drängt er mehr noch.
Aus Liebe mich zuletzt ergebend, kaum
Das Lachen zügelnd: „Törichter, du rasest,
Dich fordern deine Ziegen ja; sie einzig
Sind deine Sorge, – sprach ich, – wenn dir gleich
Die karge Mahlzeit auch zu denken gibt.
Die Weiden kennst du nicht, die mit dem Gipfel
Der Mänalus die Sonn’ einhüllend dunkelt,
Die Gras und Blumen tausendfarbig schmücken;
Ein unter Weidenbüschen stillverborgnes
Bescheidnes Bächlein, dessen auf dem Gipfel
Des Bergs von selbst geborne Wasser Bahn
Sich brechen, wo es dann hinwallet langsam,
Und die Gestade seines Stromes netzt,
Mit unversiegendem Erguß umgibt sie.
Dort, während seine Rinder scherzend wandeln,
In weichem Wiesengras, betrachtet Mopsus
Die Werke so der Menschen wie der Götter.
Dann schließt er ein in die geschwellten Rohre
Die Freuden seiner Brust, so daß die Herde
Dem süßen Sange folgt Berg ab und Tal,
Gezähmt die Löwen stürzen, daß die Flüsse
Nacheilen ihm, die Wälder und die Berge
Des Mänalus Stirn so wie Wipfel neigen.“
Drauf gab er Antwort: „Tityrus, wenn Mopsus
Oft singt auf Wiesen, die mir unbekannt sind,
Kann ich, von dir belehrt, mein schweifend Vieh
Doch jene unbekannten Sänge lehren.“ –
Was soll ich tun bei so begier’gem Trachten?
„Aonischem Gebirge weiht sich Mopsus,
O Meliböus, jährlich, während andre
Sich sätt’gen auf dem Markt an Rechtsbelehrung,

[288]
Und blasset in des heil’gen Haines Schatten.

Gebadet in der Flut, die den Poeten
Leben verleiht, und voll des Sängerchors
Die Kehl’ und Adern, ruft er mich zum Laube,
Das durch Verwandlung sproß am Strom Penelos.“
„Was wirst du tun?“ begann er. „Willst die Flur du
Als Hirt durchwandern, unbekränzt vom Lorbeer?“
„Der Dichter Kranz und Namen, Meliböus,
Verschwindet oft, und selbst die Musen wagten
Den Mopsus kaum als schlummerlos zu bilden.“
Kaum hatt’ ich’s ausgesagt, als solcher Weise
Mein Zorn in Wort’ ausbrach: „Wie werden Hügel
Und Au’n ertönen, wenn umgrünt die Stirne
Mit Lautenklang ich Phöbus’ Hymnen wecke!
Doch beb’ ich vor den Hainen und den Stätten,
Den gottvergessenen. Und wär’s nicht besser
Als Triumphator, wenn ich wiederkehre
Ins Vaterland, die Haare mir zu schmücken,
Die weißen, die einst blond am Arno waren?“
Und er: „Wer zweifelt dran? Jedoch bedenke,
Mein Tityrus, die Flüchtigkeit der Stunden.
Es altern schon die Ziegen, die den Böcken
Wir überließen, daß sie Mütter würden.“
Und ich antwortete: „Sobald die Feier
Vollbracht ist durch mein Lied – der Schatten, welche
Die Flut umkreiset, und der sel’gen Geister,
Sowie bereits der unterird’schen Reiche:
Dann frommt’s, die Stirn mit Lorbeer mir und Epheu
Zu gürten. Wird es Mopsus mir vergönnen?“
„Wie? Mopsus!“ – sprach der andre. – „Siehst du nicht,
Wie er mißbilligt die gemeine Rede,
Als ob sie niedrig und gemein erklänge
Von Weibeslipp’, als ob die Pierinnen
Schamrot sich weigerten, sie anzunehmen?“
„Er wird es“, sprach ich, und las deine Verse
Noch einmal, Mopsus. Achselzuckend aber
Erwidert er: „Wie wenden wir denn Mopsus?“ –
„Ich hab’“, antwortet’ ich, „in meiner Herde
Den dir bekannten Liebling, welcher kaum
Die schweren Euter tragen kann, so schwellen
Von Milch sie. Dort am mächt’gen Felsen steht er
und käuet wieder die gerupften Kräuter.
Dem Haufen nicht sich einend, und zum Stalle

[289]
Sich nicht gewöhnend, pflegt er sich zum Eimer

Von selbst zu stellen sonder Zwangsbedürfnis.
Sieh, dessen Euter denk’ ich jetzt zu melken,
Und zehn der Maße mit der Milch erfüllend
Dem Mopsus sie zu senden. Nimm dich dieser
Mutwill’gen Böck’ und Ziegen an indessen.
Und wetze deinen Zahn für fremde Krusten.“ –
So unter einer Eiche sangen ich
Und Meliböus, während unsre Suppe
Am Feuer in der kleinen Hütte kochte.


Johannes de Virgilio an Dante Alighieri.
Antwortsgesang.

Ich weilt’ am Fuße der benetzten Hügel
In heimatlicher Kluft, wo die Savena,
Die Nymph’, umgrünet ihre schnee’gen Locken,
Mutwillig eilet in den Schoß des Rhenus.
Die Rinder weideten nach eignem Dünken
Am gras’gen Ufer; weichre Kräuter rupften
Die Lämmer, und die Ziegen Felsgestrüppe.
Was sollt’ ich nun beginnen? Denn ich sahe
Mich als des Waldes einzigen Bewohner.
Toll eiferten die anderen zur Stadt,
Besorgt um ihr Bedürfnis; fehlte selber
Doch Nisa, fehlte selber doch Alexis,
Die sonst so treuen Freunde; fort nun ging ich
Mit krummer Sichel in dem Sumpf zu fällen
Die Kolben Rohrs, mein einziges Vergnügen,
Als von des Adriatermeeres Schatten, –
Wo dicht die Pinien in langer Reihe
Die lieblichen geräum’gen Auen decken,
Die jenes Ortes wie des Himmels Huld
Von Myrten duften läßt, von Kraut und Blumen,
Und wo der flüss’ge Widder Trockenheit
Verbeut dem Erdreich, während er des Meeres
Gewässer aufsucht für sein weiches Vlies –
Den Tityrus ich hört’ aus jenem Schatten.
Das Säuseln selbst des Eurus, welcher damals
So süß und lieblich blies, gewährte mir
Den klangesreichen Duft, der durch die Höhen
Des Mänalus hinwehend Balsam tröpfelt

[290]
So in das Ohr wie auf die Zunge Milch,

Milch, wie seit langer, langer Zeit nicht Hüter
Der Herden sich erinnern, sie getrunken
Zu haben, sind gleich all’ Arkadier.
Als sie das Lied vernahmen, jauchzten alle
Arkadernymphen, Hirten samt den Herden,
Die rauhen Geißen und die Rinder, selber
Des Waldes wilde Esel hörten auf
Zu fliehn und öffneten das Ohr; die Faunen
Entstiegen dem Lyzeum, Tänze flechtend.
Ich sprach bei mir: Wenn Tityrus die Rinder
Und Böck’ und Lämmer durch Gesang begeistert,
Wann schädigte die Lippen jemals dir
die Mantuanerflöte, hirtliche
Gesäng’ erhebend, da du in den Mauern
Der Stadt verweilend Städtisches nur sangest?
Der Rinderhirt auch hör’ im Hain dich singen!
Und sonder Zaudern leg’ ich nieder drum
Das edle Rohr, zum hirtlich-niedern greifend,
Und geb’ ihm Leben mit dem Hauch der Lippen.
Also, du Göttlicher, so wirst du sein,
Wirst sein der zweite nach dem edlen Maro,
Ja, nicht der zweite nur, vielleicht derselbe,
Wenn man dem Seher darf vertraun von Samos.
So sei dem Mopsus das verliehen, was
Dem Meliböus. Wehe, daß du unter
Schmutzvollem morschem Dache dich befindest
Und weinst mit Recht unwillig (o der Schande
Der undankbaren Stadt), daß deiner Herde
Man raubt des Arno Weiden. Ach, erlaube
Aufs neue deinem Mopsus, das Gesicht
Mit Tränen zu betaun und wolle nicht
Grausam dich länger peinigen und ihn,
Dess’ Liebe, teurer Greis, dich mit so festem
Und zähem Arm umschlingt, wie die Rebe
Des Weinstocks hundert Kreis und Knoten
Um den ihr anvermählten Ulmbaum schlägt!
Wie wirst du staunen, wenn du deine Hütte
Dann wiedersiehst, die gelben Strohgedecke,
Nicht anders, als ob an der Stirn du deine
Von Phyllis’ Hand geschmückten Silberhaare
Aufs neue blond sich färben sähst, die heil’gen.
Doch laß die Stunden, die dazwischen liegen,

[291]
Nicht lang dir werden, kannst du in der Grotte,

Wo ich mich ruhe, dich erquicken, dich
Mit mir dort unterhalten; wechselnd singen
Wir beid’, ich mit bescheidener Schalmei,
Und du mit Hoheit, wie ein sichrer Meister,
Die Töne drein ergießend, daß verwaiset
Und matt mein Jugendalter nicht erscheine.
Der Ort selbst ladet dich, hierherzukommen:
Es netzet drinnen ein lebend’ger Quell
Die Grotte, dir ringsum den Fels beschirmt,
Und grüner Rasen frischt. Es streuen Duft
Des Wohlgemutkrauts Blüten, und es flößen
Dir Schlummer ein des Mohnes rote Häupter,
Des Schöpfers lieblicher Vergessenheit.
Alexis wird dir Quendel unterbreiten,
Bitt’ ich den Korydon, daß er ihn rufe.
Die Füße wird dir meine Nisa waschen,
Zu diesem Werk sich gern bequemend, und
Den Tisch bereiten. Textilis indessen
Würzt mit zerstoß’nem Pfeffer uns die Schwämme,
Zum besseren Geschmack einmischend Knoblauch,
Wenn etwa unvorsichtig Meliböus
Sie in dem Garten eingesammelt hätte.
Der Bienen Summen wird dich kirre machen,
Gern von dem süßen Honig zu genießen.
Oft wirst du pflücken und verzehren fröhlich,
Denn nicht unähnlich ist es Nisas Wangen.
Viel wird zum Essen auch zu schön dir scheinen.
Schon schlängelt um die Grotte sich der Efeu
mit seinen Schößlingen, dich zu umgarnen;
Genug, es soll an keiner Lust dir mangeln.
So komm denn her, du sollst auch die hier finden,
Die wieder dich zu sehen heiß begehren,
Jüngling’ und Greise von Parrhasius’ Hügel,
Die deine neuen Lieder zu bewundern
Entbrennen, wie die alten zu erlernen.
Sie bringen dir alsdann des Waldes Zicklein,
Sie bringen dir das bunte Fell des Luchses,
So wie dein Meliböus es gewohnt war.
Komm, komm, und fürchte, Tityrus, nicht unsre
Waldberge, denn den windbewegten Wipfeln
Der Pinien und den fruchtbeladnen Eichen
Wie den Gebüschen darfst du Glauben schenken.

[292]
Hier gibt’s nicht Hinterlist, sowie du glaubest,

Nicht Kränkung. Trauest du nicht deinem Freunde?
Wie? Ist dir unser Reich verdächtig? Doch
Die Götter selbst verschmähen nicht die Wohnung
Der holden Grotte. Chiron sei mir Zeuge,
Achilles Lehrer und der Hirt Apollo. –
O Mopsus, bist du töricht? Da Jolas,
Der mildgesinnte, der gebildete,
Es nimmer zuläßt, während deine Gaben
Nur ländlich sind und deine Grotte sichrer
Nicht ist als ein Palast, für Tityrus
Sich zu erholen. Aber welche Flammen
Entlodern deinem Geist, und welche Gier
Bewegt die Füße dir? Gleichwie die Jungfrau
Mit innerem Behagen schaut den Jüngling,
Der Jüngling dann den Vogel, und der Vogel
Den Wald, der Wald des Frühlings Säuseln:
So, Tityrus, schaut Mopsus dich mit Wollust.
Die Liebe pflegt zu keimen aus dem Anschaun.
So nimm denn keinen Anstand! Das Gewässer
Des Phrygers Muso wird den Durst dir löschen.
Du kennst vielleicht ihn nicht, gewohnt zu trinken
Den Fluß der Heimat. Horch! Indessen blöket
Die Kuh mir. Wie? Beschweren sie vielleicht
Die vollen Euter an den feuchten Schenkeln?
Fast glaub’ ich’s. Wohl! So eil’ ich anzufüllen
Mit frischer Milch der Eimer weite Räume,
Die harte Kruste mir damit zu weichen.
Komm denn zum Melkfaß! Denn auf diese Weise
Wird Tityrus gleich viel Gefäße finden,
Als er versprochen hat uns zuzusenden.
Doch einem Hirten Milch zu schicken, ziemet
Nicht eben. – Während so ich plaudre, kommen,
Schau, die Gefährten, und die Sonne sinkt.


Dante Alighieri an Johannes de Virgilio.
Zweiter Hirtengesang.

Sein goldnes Kolchervlies enthüllet spendend
Zog Titans goldnen Wagensitz der Leichtfuß
Eous samt den andern Flügelrossen.
Das Gleis nun, das vom hohen Himmel sich

[293]
Zu senken anfing, hielt in gleichem Schweben

Die Räder hier und dorten, und dem Glutstrom,
Der von den Schatten pflegt zu weichen, wichen
Die Schatten, und es siedeten die Fluren:
Da floh mit Tityrus, Alphesiböus
Mit sich und mit der Herde Mitleid habend
Zum dichten Hain der Eschen und der Linden
Und der Platanen; und indes die Lämmer
Und Zicklein, sich zu einem Haufen mischend,
Ausruhten in dem Gras und mit den Rasen
Einatmeten die Luft, erwartete
Der alte Tityrus des Schlummers Düfte.
Matt in des Ahorns Schatten und sich stützend
Auf einen Knotenstock vom Ast des Birnbaums
Stand er, Alphesiböus zu vernehmen.
Und er begann nun: „Wie der Menschen Seelen
Zu den Gestirnen, wannen sie entstammen,
Die Körper zu beleben, wiederkehren,
Wie es den Schwänen, wenn bei Himmels Milde
Sie durch des Sumpfes Tal hinziehn, gefalle,
Kaïstros Flut mit Sange zu beleben,
Wie sich des Meeres Fische, wo die Flüsse
Eintreten ins Gebiet des Nereus, einend
Die Flut verlassen, wie Hyrkaniens Tiger
Den Kaukasus mit Blut besudeln, Lybiens
Erdreich die Natter mit den Schuppen fegt;
Drob nicht ergreift mich Staunen, pflegt doch
Jedweder mit Vergnügen dem zu folgen,
O Tityrus, was seinem Wesen zusagt.
Wohl aber nimmt mich Wunder, und mit mir
All’ andre Hirten von Sizilien,
Daß der Zyklopen dürr Gestein am Ätna
Den Mopsus fesselt.“ Sprach es, und indem,
Erhitzt und langsam mit beklemmter Kehle,
Sprach Meliböus, doch mit Müh’ das Wort
Vorbringend: Tityrus! – Die Greise lachten
Des jungen Tons, wie die Sikaner, als sie
Sergestus von dem Fels gerissen sahn.
Drauf hob der Alte von dem grünen Rasen
Das Silberhaar, und sprach zu jenem, welcher
Aus offner Nase blies: „O du, zu Junger,
Welch neue Ursach trieb dich an, die Bälge
Der Brust mit so geschwinden Atemzügen

[294]
Zu peinigen?“ – Er nun dagegen sagte

Kein einzig Wort; doch als er seinen Lippen,
Den zitternden, genähert die Schalmei,
Die er in Händen hielt, erscholl den Ohren
Ein einfach Säuseln bloß. Als sich der Jüngling
Kläng’ aus dem Rohr zu locken mehr bemüht,
(Ein Wunder, dennoch Wahrheit werd’ ich sagen),
Entluden der Schalmei sich diese Worte:
„Ich weilt’ am Fuße der benetzen Hügel“ –
Und hätte Tityrus ins Rohr noch dreimal
Gehaucht, der Felder schweigende Bewohner
Hätt’ er beseliget mit hundert Liedern,
Wie sich’s Alphesiböus eingebildet,
Der an den Tityrus gewendet ihm
Den Vorwurf machte: „O ehrwürd’ger Greis,
Wirst du es wagen, des Pelorums feuchte
Gefilde gegen der Zyklopen Höhle
Zu tauschen?“ - Er darauf: „Was zweifelst du?
Warum, Geliebter, willst du mich versuchen?“ –
Alphesiböus drauf: „Bemerkst du nicht,
Wie in der Flöte Ton die Kraft der Gottheit
Erklingt, und wie er gleicht den mit Geflüster
Entspross’nen Rohren, die da offenbarten
Des Königs Eselsohren, der auf Bacchus’
Geheiß Paktolus’ Sand vergolden konnte?
Glücksel’ger Greis, o schenke nicht Vertrauen
Dem falschen Schmeichelworte, das dich ladet
Zu dem mit Ätnas Fels bedeckten Ufer.
Mit deiner Herd’ und mit des Ortes Nymphen
Hab’ Mitleid! Dich Abwesenden beweinen
Die Hügel samt den Wäldern und den Flüssen,
Und mit mir die Dryaden, die noch Ärgres
Befürchten, und ein Ende hat die Mißgunst,
Die gegen uns hegt selber der Pachinus.
Und uns, die Hirten, wird es schmerzen, dich
Gekannt zu haben. O glücksel’ger Greis,
Verlaß die Quellen nicht und Weiden, die
Berühmt geworden schon durch deines Namens
Unsterblichkeit.“ Und Tityrus dagegen:
„O du, der nach Verdienst mehr als die Hälfte
Von diesem Busen bist“ (auf seinen zeigt’ er),
„Vereint mit gleicher Neigung ist mir Mopsus
Durch jene, die erschrocken dem Pyreneus,

[295]
Dem unheilvoll nachspringend, entflohn. –

Beim Rubikon, auf dessen linkem Ufer,
Denkt’ er mich wohnend, auf des Padus rechtem,
Dort wo Aemilia schließt am Adria.
Laut preist er mir des Ätna-Ufers Weiden,
Und weiß nicht, daß wir beide hier auf gras’gem
Sizilianerberge leben, dem
An Fruchtbarkeit für Rinder und für Schafe
In ganz Trinakria keine Gegend gleich ist.
Doch wären auch nicht vorzuziehen dem grünen
Pelorum Ätnas felsige Gesteine;
Doch ging’ ich hin, den Mopsus zu besuchen,
Und ließ’ hier meine Herde, scheut’ ich nicht
Dich, Polyphemus.“ – Drauf Alphesiböus:
„Wer möchte nicht vor Polyphemus beben,
Ihm, der mit Menschenblut die Lefze fleckte.
Ach, seit der Zeit, wo Galatea ihn
Des armen Acis Glieder sah zerfleischen?
Mit Müh’ entkam sie. Hätt’ ihn wohl der Liebe
Gewalt bezwungen, da so weit ihn fortriß
Das wilde Toben? Konnte doch nur eben
Das Leben Achämenides erretten,
Erblickend, wie in grausem blut’gem Eifer
Die Fahrtgenossen hingemetzelt wurden!
Dich fleh’ ich an, mein Leben, fasse dich
Nicht solch Gelüst, damit der Rhenus habe
Und dess’ Najade dies erlauchte Haupt,
Dem schon der Winzer abzuschneiden eilet
Das nimmerwelke Laub des heil’gen Lorbeers.“ –
Und Tityrus mit Lächeln und ihm ganz nun
Huldreich geworden, nahm die weisen Reden
Des großen Hirten auf mit tiefem Schweigen.
Doch weil gesenkt des Phöbus schöne Zelter
Die Luft durchschnitten und die Schatten schon
Von allen Dingen in die Weite reichten;
Verließen Büsche samt schon kalten Tälern
Die Hirten, hinter ihren Herden wandelnd.
Von weichen Auen waren auf der Rückkehr
Die zott’gen Zicklein an der Herden Spitze.
Unfern indessen hatte sich verborgen
Jolas, der verschlagne, der sich alles
Merkt’, alles uns erzählt’. Und, wie er uns,
So haben wir es, Mopsus, dir gekündet.

[296] Zur Erläuterung der Gesänge nur noch weniges:

Davus – ein niedrer unwissender Knecht, Bezeichn. bei Terenz. Als Sechster: nach Homer, Virgil, Horaz, Ovid und Lukan. Die vier vorgeschlagenen Stoffe: Der Tod Kaiser Heinrichs VII. (1313), die Schlacht von Monte Catini (1314), der Sieg Can Grandes (Molosserzahn) über die Paduaner (1314) und König Roberts von Neapel Seekrieg (1318) – zeigen, daß diese Dichtungen frühestens nach dem letzten Ereignis entstanden sein können. Da in der Anwort nur die „Hölle“ als vollendet bezeichnet wird, müßten die wenigen Jahre bis zu Dantes Tode die Beendigung der beiden andern Teile der Komödie gebracht haben. Doch hätte dann Dante einige Teile daraus seinen Freunden bereits mitgeteilt.

Savena und Rhenus (Saone und Rhein) – zwei Nebenflüsse des Po, zwischen denen Bologna liegt. Die im folgenden genannten Namen Nysa usw. kommen bei Virgil vor. Parrhasisch = arkadisch; gemeint ist Bologna.

Eous – ein Sonnenroß. Archämenides – ein Gefährte des Ulysses, der bei den Zyklopen zurückblieb.

Der "poetische Briefwechsel" ist in lateinischer Sprache, u. zw. in Hexametern verfaßt.