Heinrich Kruses „Seegeschichten“

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Titel: Heinrich Kruses „Seegeschichten“
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 17, S. 547
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[547] Heinrich Kruses „Seegeschichten“ haben seinerzeit durch Frische, Lebenswahrheit und eine Marinemalerei, welche sich von allen grell aufgetragenen Farben fernhielt, vielen Beifall gefunden. Auch die „Gartenlaube“ brachte zwei dieser Seegeschichten, „Das große Schiff“ und „Die Springstange“ im Jahrgang 1872. Neuerdings ist eine zweite Sammlung dieser kleinen Dichtungen (Stuttgart, Cottasche Buchhandlung Nachfolger) erschienen, welche alle Vorzüge der ersten zeigt. Der Dichter hat sich für seine naiv anschauliche Darstellung den alten Homer zum Muster genommen; nirgends wird seine Muse überschwänglich, wenn sie auch Sturm und Meer noch so unheimlich toben läßt; überall genügt ihr der einfachste, aber bezeichnende Ausdruck. Nur setzt sie oft kräftige Lichter auf, wie sie dem Theerjackenhumor zu Gebote stehen, der sich in unserem neuen Seewesen und in den Seegeschichten eines Marryat und seiner Nachahmer entwickelt hat. Ueberall zeigt sich die genaueste Kenntniß der Schiffahrt und aller ihrer Kunstausdrücke, welche indeß nie gewaltsam herbeigezerrt werden, sondern nur gelegentlich dazu dienen, der Darstellung lebhaftere Farbe zu geben.

Die umfangreichste dieser Seegeschichten ist „Der Kalifornier“; sie umfaßt ein abenteuerlich buntes Leben diesseit und jenseit des Oceans; sie beginnt mit der Schilderung eines Schiffbruchs, den ein prächtiges amerikanisches Schiff, die „Cornelia“, erlebte; ein reicher Kaufmann in Boston hatte es gebaut und zu Ehren seiner bräutlichen Tochter „Cornelia“ genannt:

„Alles vom Besten! so hieß für den Schiffsbaumeister die Weisung.
Zwei Jahr’ wurde geklopft und gehämmert am mächtigen Schiffe,
Welches, ein Wunder der Werft, dastand auf dem Stapel, bis daß es
Endlich die Taufe bekam von der bräutlichen Tochter des Reeders,
Die ‚Cornelia!‘ rief, am Buge die Flasche zerschlagend,
Und so lief majestätisch der Rumpf in die schäumenden Wogen,
Bald auch waren die Masten gesetzt, und man schmückte das Schiff aus
So sorgfältig, als ob die ‚Cornelia‘ selber die Braut sei.
Hättet Ihr doch es gesehn, noch eh’ es die Wogen zerschellten!
Eine Kajüte, so groß, wie bei Wilms im Dorfe der Tanzsaal,
Strahlend von Marmor und Spiegeln und Gold.“

Das Schiff, vom Ganges glücklich zurückgekehrt, scheiterte, als der Lotse sich schon ganz geborgen wähnte und schlummerte, auf der Reede von Spiekerooge:

„Tiefer und tiefer schon grub in den Sand sich der mächtige Kiel ein,
Auf ihn drückte nicht nur die gewaltige Last der Fregatte,
Sondern die Ladung zugleich, und das Wasser begann schon zu sinken.
‚Schiff und Ladung verloren!‘ so dachte der Lotse mit Seufzen,
Und schon stürmt der Kap’tän ans Deck: ‚Auswerfen die Ladung!’
Kreischt er verzweifelt. Man wirft auch Ballen auf Ballen geschäftig
Ueber den Bord, doch ohne das riesige Schiff zu erleichtern;
Denn schon kracht es und neigt sich und schwankt mit den ragenden Masten
Und schlägt hin und her auf dem wohlgekupferten Kiele.
‚Masten gekappt!’ kommandirt der Kap’tän. Drei mächtige Föhren
Waren zusammengefügt zum Bau der gigantischen Masten.
Unter den Hieben der Axt kracht endlich zusammen der Großmast
Und ihm folgen dann bald mit geringerer Mühe die andern.
Alles versucht der Kap’tän, was nur ein erfahrener Seemann
Thun kann, um sich zu retten, doch alles ist völlig vergebens.
Siehe, da rennt der Kap’tän, Mitreeder des Schiffes, schon lange
Sprachlos fast vor Wuth und Verzweiflung, in seine Kajüte
Und kommt wieder heraus wahnsinnigen Blickes. Er hatte
Einen Revolver in jeglicher Hand. So sucht er den Lotsen.
‚Wo, wo steckt er, der Hund? Ich schieß’ ihn nieder!‘ so rief er.
Und wild lief er umher, und zitternd verkroch sich der Lotse
Hinter den Ballen von Reis, die grade geholt aus dem Raume;
Aber man fiel zum Glück dem Kap’tän in die Arme von hinten,
Und mein Lotse, von Furcht vor dem Tod und von Angst des Gewissens
Leblos fast, ließ nun nicht länger sich halten im Schiffe,
Sprang vom Heck und kam mit Schwimmen und Waten ans Ufer.“

Gleiche Anschaulichkeit, wie die Schilderung dieses Schiffbruchs, welche wir als Probe mittheilen, zeigt die Erzählung der Abenteuer des Kaliforniers zu See und Land, besonders in dem Goldland am fernen Ocean. In den Paradiesgefilden des gesegneten Strandes von „Adelaide“ spielt die Erzählung, welche diesen Namen trägt; sie giebt uns ein Bild von der grausamen Menschenjagd britischer Kolonisten und der furchtbaren Rache der Wilden. „Das Milchlamm“ erzählt uns von der Heldenthat eines jungen Seekadetten, welcher wegen seiner Zartheit und anscheinenden Schüchternheit diesen Namen führt; „Axel und Frieda“ ist eine Liebesidylle auf einer Kahnfahrt, die mit warmen Farben geschildert ist. Unter den übrigen Seegeschichten findet sich manches Anekdotenhafte; auch begegnen wir ein paar kleinen Erzählungen, die mit der See nichts zu thun haben, einer drolligen Legende und ein paar schnurrigen Schulgeschichten; doch alles ist wahr, natürlich, dem Leben entnommen und mit gesundem Humor dargestellt.