Heinrich Frauenlob
Heinrich Frauenlob.
Sechshundert Jahre sind es her – da lebte im goldenen Mainz ein Dichter, dessen Liederruhm das ganze Abendland erfüllte. Er hatte sein Leben dem Cultus der Frauenverehrung geweiht, und als sein Schwanenlied verklungen, sein Augenstern auf immer erloschen war, da trugen ihn holde Frauen auf blumenbekränzter Bahre nach dem Kreuzgange im Mainzer Dome, stimmten Trauergesänge an, streuten Rosen und gossen Wein in Fülle auf des todten Dichters Gruft. Es war der große Dichter-Rafael, der gottbegnadete Sangespriester Heinrich Frauenlob, dem diese Todtenfeier galt, eine Huldigung, so sinnig und würdig zugleich, wie eine ähnliche selbst im alten Griechenland nie einem Homeriden zu Theil wurde.
An Leib und Seele schön und rein, ein Fürst im Königreich der Liebe, ein Glaubensheld voll Duldung und Milde, war Frauenlob im Lied und Leben der geborene Preissänger des Ewigweiblichen, lange bevor Schiller’s Mahnung: „Ehret die Frauen!“ erging.
Ueber Herkunft und Schicksal des Meisters waren seither keine näheren Mittheilungen bekannt; nur Vermuthungen gelangten darüber in die Oeffentlichkeit. So meinte ein Geschichtsforscher,
[657][658] Frauenlob sei wahrscheinlich von Geburt ein Elsässer, ein anderer, er stamme aus Meisenheim etc., während die Mehrzahl der Literarhistoriker annahm, er sei aus Meißen in Sachsen gebürtig. Letztere Annahme war insofern erklärlich, als ein Zeitgenosse Frauenlob’s, der bekannte Minnesinger Markgraf Heinrich von Meißen, mit dem er nicht selten verwechselt wird, dorther stammte. Warum aber nicht früher Licht in dieses Meinungsdunkel gelangte, mag in der Bequemlichkeit des Schlusses vom Namen auf den Geburtsort, wie auch in der Unmöglichkeit, die durch den Mainzer Dombrand 1793 vernichtete Dombibliothek zu benutzen, seine Erklärung finden; denn daß dieselbe über einen Mann von Frauenlob’s Bedeutung, der sogar im Dome selbst und auf so einzige Art begraben wurde, wichtige Aufschlüsse enthalten mußte, unterliegt wohl keinem Zweifel. Unter dieser Voraussetzung hat denn auch ein Mainzer Geschichtsforscher, Professor N. Müller, vor der erwähnten Katastrophe die Dombibliothek durchsucht und dabei wirklich eine Reihe auf Frauenlob bezüglicher Handschriften aus dem vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert excerpirt, jedenfalls um dieselben später bei einer wissenschaftlichen Arbeit zu verwenden. Müller starb, und seine Auszüge gelangten mit anderen seiner Manuscripte in einen Archivschrank der Mainzer Stadtbibliothek, wo sie in jahrelanger Vergessenheit lagen.
Durch Zufall fielen sie dem Verfasser dieser Skizze in die Hände, und gaben so Veranlassung zu seiner rhythmischen Erzählung über Frauenlob’s Leben und Dichten (Mainz, Verlag von Victor von Zabern, 1881. 2. Auflage. Nach Müller’s Auszügen ist Frauenlob zu Mainz im Jahre 1270 geboren und sein genauer Familienname, einem Meisenvogel in seinem Wappenbilde entsprechend, Heinrich zur Meise oder Henricus ad parum. Sein Vater war der Stadtrath Diether zur Meise, seine Mutter eine Brentza von Guldenrade. Ein älterer Bruder Alban, der frühe starb, und zwei Schwestern, Jutta, die den Klosterschleier nahm, und Liba, die aus Gram über die Treulosigkeit ihres Geliebten hinwelkte, sind seine Geschwister. Für erste Pflege und Bildung des vielversprechenden Knaben sorgte außer der edlen, aber kränklichen Mutter die treue Wärterin Maria Bardal, eine reichbegabte, harfenspiel- und liederkundige Frau, der sich im Anfange noch eine junge Bäuerin, Monika, als Amme gesellte. So genoß Frauenlob schon in der Wiege dreifach der Frauen Liebe.
Ein Jahr alt, konnte er gehen und viele Worte sprechen; zweijährig betete er ohne Hülfe das Vaterunser, und nachdem er im sechsten Lebensmai den Pater Justus Labiolus vom Albansstifte zum Lehrer erhalten hatte, konnte er in kürzester Frist lesen, schreiben, rechnen und singen, ja sogar Verse reimen. Unter den Spielgenossen seiner Kindheit hervorragend, sicherte ihm schon damals überall seine Ueberlegenheit den ersten Platz.
Doch mehr als das laute Getriebe der Außenwelt reizte ihn die stille Burgcapelle. Oft kniete er dort in einsamer Andacht vor dem Altarbilde und kränzte es mit Blumen. Schon hier, im zartesten Knabenalter, tritt Frauenlob’s stark ausgeprägte Religiosität und ein ungewöhnlicher Hang zur mystischen Schwärmerei hervor, Eigenschaften, die alle seine Werke, nicht immer zu deren Vortheile, kennzeichnen. Jetzt bringt sein Vetter, der Hofmarschall Arnold zur Rusen, den dreizehnjährigen Jüngling an den kurfürstlichen Hof, und Kurfürst Werner findet Wohlgefallen an dem jungen Schwärmer; er giebt ihm eine Domherrnpfründe und sucht ihn zum Eintritt in den Priesterstand zu bereden, doch des feurigen Jünglings Wünsche sind nicht so entsagender Natur; ihn locken Ritterruhm und Minnesold; ihn treibt es hinaus in die schöne Gotteswelt zu Sängerfesten und Turnieren.
Es beginnt ein fröhliches, wechselvolles Wanderleben, reich an Siegen im Frauenkreise und im Liederstreit. Bald streift er, hoch zu Roß, durch die Lande bis hin nach Basel, labt sich im Vorüberflug an Liebfrauenmilch, dem weltberühmten Weine des alten Worms, kniet sinnend vor der Kaisergruft im Speierer Dome oder sitzt bewundernd am Modell der Münsterkirche in Meister Erwin Steinbach’s Werkstatt zu Straßburg; bald aber zieht er mit befreundeten Sängern zu Schiffe durch den Rheingau und preist im Kölner Dome den spätgeborenen Enkel glücklich, der diesen Wunderbau einst vollendet schauen wird; in Aachen wohnt er der Kaiserkrönung Adolf’s von Nassau bei, und in Trier weilt er an den Trümmern der alten Römerpracht.
Immer weiter dehnen sich jetzt seine Sängerfahrten aus; vom Rhein bis zum Meer und den Alpen verbreitet sich sein Ruhm. Markgraf Heinrich von Meißen, Fürst Witzlaw von Rügen, Herzog Friedrich von Mecklenburg, Graf Hugo von Pommern und viele andere Fürsten und Herren bewirthen bei sich den rheinischen Troubadour, lauschen entzückt seinem herrlichen Gesange und sind Zeugen seiner großartigen Erfolge. Aber mehr noch ist es der Frauen Gunst, die ihm zu Theil wird. Von seines Pathen Dusberg rosigem Töchterlein begonnen, reiht sich Blume an Blume in dem Frauenkranze, der sein Leben blühend umwob. Hier bestrickt sein Herz ein schönes Bäschen, Edeltrudis von Guldenrade; dort nimmt ihm Arnold von Walpoden’s zarte Tochter Teutolinde die Sinne gefangen, dann aber erglüht er in Minne zu der liebeheißen Gräfin Isengardis oder wendet sich Erwin Steinbach’s maienholdem Kinde Emma zu; dem Lobe der keuschen Liebe und dem ehelichen Glücke galten die meisten seiner Dichtungen, und dabei trat er bei jeder Gelegenheit für die Bezeichnung Frau statt Weib mit Eifer ein, wie denn sein berühmter Sangstreit mit Barthel Regenbogen über dieses Thema ein glänzendes Zeugniß von Frauenlob’s idealer Auffassung der weiblichen Natur ablegt. Jahrelang zog er singend umher, und immer höher stieg sein Ansehen, immer größer ward sein Ruhm. Aber daheim waren inzwischen alle seine Lieben zur ewigen Ruhe gebettet, und es zog ihn mächtig zu ihren Gräbern. Die letzten sieben Lebensjahre brachte er dauernd in seiner Vaterstadt zu.
In diese Zeit fällt auch seine Gründung der ersten Meistersingerschule, eine in ihren Folgen von unberechenbarem Segen begleitete That, die allein ihm die Unsterblichkeit gesichert hätte. Sein Haus in Mainz war fortan eine Stätte, von der kein Bittender ohne Gabe, kein Betrübter ohne Trost schied, wo wöchentlich dreimal die Armen gespeist wurden.
Das Volk verehrte den Dichter zuletzt fast wie einen Heiligen. Oft geschah es, daß ihm Frauen bei seinem Austritt aus der Kirche Blumen auf den Weg streuten, und häufig ward ihm nach damaliger Sitte der Wein gespendet. Da – kurz vor dem St. Andreastage 1318 – gab der Bürgermeister Adelbald ein großes Fest, wobei auch Frauenlob zugegen und als Sieger im Wettgesange das Ziel allgemeiner Huldigung war. Doch ein welscher Mitsänger mit Namen Servatio, erzürnt wegen der eigenen Niederlage, mischte heimlich Gift in Frauenlob’s Becher und entfloh. So starb der Sänger durch sein Lied. Unbeschreiblich war die Trauer in der ganzen Stadt bei dieser Kunde. Eine Scene aus seinem bereits oben erwähnten Begräbnisse stellt das auf Seite 657 nach dem Originale von Professor Bendemann wiedergegebene Bild dar.
Um zum Schlusse auch die Eigenart Frauenlobischer Dichtkunst durch eine kleine Probe zu charakterisiren, möge hier der folgende, aus dem Mittelhochdeutschen beinahe wörtlich übertragene Spruch eine Stelle finden:
„Leidvertreib.
Ich sprech’ es aus auf meinen Eid,
Daß es in aller Welt nichts giebt,
Das so versüßet Sorg’ und Leid,
Als wie ein Weib, das innig liebt.
O, wie es wohl dabei dem Mann
Muß sein, wenn sie ihn lächelt an
Als trautes, spiegelreines Weib!
Den Spiegel heiß’ ich Leidvertreib.“
Alfred Börckel.