Heimgegangene (Die Gartenlaube 1858/14)

Textdaten
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Autor: Hermann Marggraff
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Titel: Heimgegangene
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aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 196, 198-199
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[196]
Heimgegangene.
Von Herm. Marggraff.
Friedrich Ludwig Jahn. Friedrich List.

Die Überschrift nennt Männer, welche bei aller Verschiedenheit der Bestrebungen und der geistigen Bildung doch auch viel Verwandtes hatten. Schon in Bezug auf Leibesgestalt zeigten Beide etwas Schweres und Massiges; doch war Jahn mehr knochig, List mehr fleischig; in Beiden aber erschien der deutsche Urtypus ohne Zweifel sehr rein ausgeprägt, nur mit dem Unterschiede, welchen die niederdeutsche Natur des Einen und die schwäbische des Andern bedingte. Beide waren, wie man weiß, rastlose Agitatoren, Beide machten gegen das Bestehende Opposition; aber in ihren letzten politischen Zielpunkten gingen Beide doch weit auseinander, wie Mittelalter und Neuzeit. Volksthümlichen Gepräges waren Beide; sie liebten, sich populär, körnig und gemeinverständlich auszudrücken, nur hatte Jahn etwas von der Schalksnatur des niedersächsischen Eulenspiegels; er war eine mehr trockene humoristische, List eine mehr feurige gewaltsame Natur. Beide haßten alles Bureaukatische und hielten sich gern zu Leuten von freier Stellung; List, der die Macht der Feder kannte und ehrte, mehr zu Schriftstellern, Jahn, der lieber sprach als schrieb und sich gern selbst sprechen hörte, zu der studirenden Jugend. List war Autodidakt, Jahn ein studirter Mann; doch hatte auch dieser wohl mehr durch sich und durch das Leben, als durch den Besuch von Collegien und Bücherlecture gelernt. Beide waren dem Aeußern nach Erscheinungen, welche auf den ersten Blick auffielen, aber Jahn strebte danach, auffallend zu sein, während sich bei List von Koketterie und Schauspielerei keine Spur wahrnehmen ließ; seine Person galt ihm nichts; die Sache, für die er wirkte, Alles. List war der bei weitem praktischere Kopf, aber doch auch nicht ganz frei von Phantastik und Idealistik, die freilich bei Jahn in viel bemerkbareren Zügen hervortraten. Um die Popularisirung gewisser nationalökonomischer Fragen hat sich List große Verdienste erworben, wie Jahn um die Popularisirung gewisser nationalpolitischer Fragen; aber die Schutzzölle des Einen gegen ausländische Waaren und die Schutzmaßregeln des Andern gegen ausländische Ideen haben sich dem Geiste der Zeit gegenüber doch mehr und mehr als unwirksam erwiesen. Doch ich will mit dieser Parallele aufhören, um so mehr, da ich mich an andern Orten gegen die Sucht, zu parallelisiren, erst jüngst ausgesprochen habe. Indeß lag es gerade bei diesen beiden Individuen nahe, einen Vergleich anzustellen. Ich bemerke nur noch, daß wir List in Deutschland die Eisenbahnen, Jahn die Turner verdanken, daß Beide im Leben wenig Dank geerntet haben, während man jetzt für ein in Reutlingen aufzustellendes Listdenkmal sammelt und in neuester Zeit auch ein dem Turnvater Jahn zu errichtendes Monument in Anregung gebracht worden ist. List hat inzwischen an Häusser und Jahn an Pröhle einen Biographen erhalten, und wem es um genauere Kenntniß dieser beiden merkwürdigen Männer [198] zu thun ist, der möge auf die betreffenden biographischen Schriften Jahn’s und Pröhle’s hiermit verwiesen sein, wie auf die Nachträge zu dem Pröhle’schen Buche, welche Wilibald Alexis in Nr. 12. und ich selbst in Nr. 14. der Blätter für literarische Unterhaltung für 1857 geliefert hat. Hier kann es sich nur um meine persönlichen Berührungen mit beiden Männern handeln.

Meine Erinnerungen an den alten Jahn fallen schon in meine Knabenzeit, als Jahn von Berlin aus auf einer Turnerfahrt auch meine Vaterstadt besuchte und auf dem Turnplatze des Züllichauer Gymnasiums ein solennes Schauturnen veranstaltete. Jahn war damals, wo die Turnerei in höchster Blüthe stand, einer der populärsten Männer in Preußen und erregte mit seinem langen Barte und der Gefolgschaft der Berliner Turner, welche sich den Spaß machten, in ihrem Gasthause zwei Stock hoch herabzuklettern, begreiflicherweise in Züllichau das größte Aufsehen. Die Kleinbürger oder Philister wußten freilich nicht recht, ob sie in der Jahn’schen Turnerschaft eine Genossenschaft von jungen Recken oder eine Art Seiltänzerbande erkennen sollten. Um so mehr wurden sie von den Lehrern und Schülern des Gymnasiums gefeiert, mit denen Jahn dann nach Kai herauszog, dem Schlachtfelde des siebenjährigen Krieges, auf dem der mit dictatorischer Vollmacht ausgerüstete, aber unbesonnene General von Wedell geschlagen wurde, als er einen Angriff auf die Russen unter Soltikow machte, um ihre Vereinigung mit den Oesterreichern unter Laudon zu hindern. Das Mißlingen des Wedell’schen Angriffs hatte dann die für Friedrich den Großen so unglückliche Schlacht von Kunersdorf zur Folge. Jahn hielt auf dem Schlachtfelde eine feurige Ansprache an die Turner, gewürzt mit historischen Erinnerungen aller Art, namentlich an die noch so frisch im Andenken haftenden Feldzüge gegen die Heerschaaren Napoleons.

Ein paar Jahre später wurde mir Jahn in mehr trauriger Weise wieder in Erinnerung gebracht. Die sogenannte Demagogenverfolgung war in vollem Gange. Das sonst sehr harmlose Züllichauer Wochenblatt brachte Auszüge aus den Untersuchungsacten, darunter feurige Lieder, deren Inhalt sogar jetzt ihren Wiederabdruck vielleicht mißlich machen würde. Es war darin viel von „Volksschmerz“, „Freiheitsblut“, „Teufelsmolchen“, „Freiheitsdolchen“, „Kronen und Bändern“, „Opfergewändern“ u. s. w. die Rede. Diese Gedichte machten auf mich, den damals etwa elf- oder zwölfjährigen Knaben, einen ganz andern Eindruck, als durch ihren Abdruck etwa beabsichtigt sein mochte. Ich lernte sie auswendig und könnte sie heute noch Wort für Wort recitiren. Nur eins derselben will ich hierher setzen; das Lied ist ja doch nur eine historische Reliquie und seine Mittheilung gewiß eine unverfängliche. Es lautete:

Wie nach dem Himmelreich,
So nach dem deutschen Reich
Trachtet, Brüder!
Und mit der achtunddreißig Tracht nieder!

Ja, es summen die Jungen
Frisch, fröhlich und frei,
Die muthigen Söhne
Der Turnerei.

Sternaugen funkeln,
Die Schwerter sind bloß!
So klingt der Freiheit
Drommetenstoß!
 u. s. w., u. s. w.

Jahn spielte in diesen Mittheilungen begreiflicherweise eine Hauptrolle, und ich erinnere mich, daß ich mich der verfolgten und auf verschiedene Festungen des Landes gebrachten Anhänger der Jahn’schen Reichstheorie mit großem Eifer gegen einen alten Onkel annahm, der mich mit den Worten niederzudonnern suchte: „Dummer Junge, was verstehst Du denn davon!“ Ich schwieg, rechnete mir aber diesen „dummen Jungen“ aus so reaktionärem Munde zur Ehre an. Man kann sich denken, mit welcher Teilnahme ich den Erzählungen eines älteren, nun verstorbenen Bruders lauschte, welcher in dem in Küstrin garnisonirenden achten oder Leibinfanterieregiment als Freiwilliger gestanden und mehrmals vor der Kasematte, in welcher Jahn, und zwar in Ketten[WS 1], saß, Wachtdienst gehabt und mit angesehen hatte, wie Jahn in der Freistunde, die ihm für den Genuß der frischen Luft gestattet war, sich auf dem Walle zur nöthigen Leibesbewegung hin- und herwälzte und an den dort liegenden Kanonenkugeln athletische Uebungen anstellte. Auch hatte er die dienstthuenden Unterofficiere, welche Jahn’s Kleider täglich nach irgend etwas darunter Verborgenem zu untersuchen hatten, mehrmals in die Kasematte Jahn’s begleiten müssen, was seine loyale Gesinnung zu verstärken nicht eben sehr geeignet war. Nebenbei gesagt, war ich damals sehr stolz auf diesen Bruder, weil er in einem Regiments gedient, welches außer dem Garderegiment allein das Vorrecht hatte, auf den Czako’s einen Federstutz zu tragen. Wie glücklich war ich, diesen Czako über meinen Kopf zu stülpen; er fiel mir aber immer über’s Gesicht. Es verhielt sich damit, wie mit meiner damaligen politischen Gesinnung, die für meinen kleinen Kopf auch zu umfangreich war.

Diesen Mann, über den ich in der Kindheit so viel gehört, sollte ich nun Ende der dreißiger Jahre in Leipzig persönlich kennen lernen, und zwar zuerst durch Eduard Burckhardt, welcher nebst mir (wie auch Pröhle in seinem Buche anführt) wohl der einzige unter den Leipziger Schriftstellern war, mit welchen Jahn in jener Zeit intime Beziehungen unterhielt. Er unterließ niemals, wenn er später von Freiburg nach Leipzig kam, mich auf meinem Zimmer zu besuchen, machte dann auch in der Regel Anstalten, einen oder den andern Brief zu schreiben, wozu es aber niemals kam, da er von Schreiben kein Freund, der Drang, zu sprechen, aber in ihm um so stärker war. Jahn, über dessen allbekannte äußere Erscheinung ich hier nicht weiter sprechen will, war eine grundgute Natur, und so hatte ich den alten Mann trotz seiner Ecken und Sonderbarkeiten sehr lieb, am liebsten, wenn er mit gespreizten Beinen, in der Luft hin- und herfahrenden Armen und seltsamem Pathos Lieder aus der Kriegszeit recitirte, die von früheren Kampfgenossen gedichtet waren. Ich gab Anfangs der vierziger Jahre eine Sammlung politischer Gedichte seit Klopstock heraus und Jahn hatte mir zu diesem Zwecke reichliche Beiträge versprochen, was er mir aber später lieferte, bestand nur in einem, allerdings schönen und kräftigen Kriegsliede von einem gewissen Mill, das ich auch in meine Sammlung aufgenommen habe, und in Bruchstücken eines Gedichtes von Scholz aus dem Jahre 1798. Mill war 1813 als Feldprediger mit in den Krieg gezogen und Scholz, einer seiner Universitätsgenossen, später auch Kampfgenosse gewesen, übrigens einer der feurigsten Sprecher, wie Wachler von ihm sagt. Obgleich ich den für Jahn und seine Universitätszeit charakteristischen Brief, womit er seine leider nur spärlichen Beiträge begleitete, bereits in der Einleitung zu meiner Sammlung politischer Gedichte mitgetheilt habe, scheint es mir doch nicht überflüssig, hier einige der bezeichnendsten Stellen mitzutheilen. Die eine bezieht sich auf seine Studienzeit. „Bescheiden,“ schreibt Jahn, „waren wir Alle, das gehörte mit zur Zeit. Die Lebensfrische von Goethe, Schiller, F. Richter, Herder u. s. w. duftete mit warmem Odem. Da gingen in den Herzen die Saiten auf. Es keimte und wallte in den Gemüthern. Es war eine allgemeine Abkunft, die sich von selbst verstand und im Allgemeinen feststand, bei Einigen noch überflüssig mit Hand und Wort gelübdet. Jeder solle streben, nach seinen verliehenen Anlagen etwas Tüchtiges zu leisten; es müsse anders werden, und dazu müsse Jeder helfen. Unsere Baumschule war nicht schlecht. Ader wir kannten noch nicht bairisches Bier und die Kunst, mit Redensarten aus allen Wissenschaften Kartenhäuser zu bauen. Ein Theil von uns lag in furchtbarem Kampf mit den Todeskämpfen der nachmittelalterlichen Hochschüler. Darauf die Anspielung (Einleitung zum „deutschen Volksthum“): „Als Jüngling verfocht ich jede Sache, so mir die rechte schien, und die staatsgesetzliche Freiheit und Selbstständigkeit der akademischen Bürger.“ Mehr darüber zu sagen litt die Schriftscheu nicht. Auf dem Fechtboden Derer, die eine Gesammtheit wollten, war unser bester Schläger der jetzige Justizminister Mühler. Damals habe ich von der Hagen mit eingeschlagen. Wir trieben viel Deutsch miteinander.“

Wenn Jahn in seinem Schreiben, welches bei seiner Länge ihm, dem Schreibeunlustigen, viel Ueberwindung gekostet haben mag, und „Weihnachten 1842“ datirt ist, sich auch auf unsere Classiker beruft und auch weiterhin Goethe’s auf’s Ehrenvollste gedenkt, so glaube ich doch nicht, daß seine Sympathie für sie eine sehr bedeutende gewesen. Ja der mündlichen Unterhaltung kam er fast nie auf sie zu sprechen. Poesie und Alles, was Kunst heißt, ließen ihn kalt, waren ihm im äußersten Grade gleichgültig, erschienen ihm vielleicht sogar schädlich. Das vaterländische Interesse allein, und [199] auch dies nur in seinem und seiner Genossen Sinne, lag ihm am Herzen. Auch gegen die Dictatur, welche unsre Classiker ausüben, sträubte er sich; sie war ihm lästig und er glaubte in ihr ein seinen Zwecken feindseliges Element zu erkennen. Ich glaube, daß selbst Körner’s Kriegslieder bei ihm weniger in Gunst standen, als die seiner nächsten Genossen, wie die von Mill und Scholz, die ganz in seinem Ideenkreise befangen waren, und diese Ideen, ohne weitere ästhetische Zuthat „frisch, fröhlich und fromm“ aussprachen. So empfahl er mir auch als „Vorspruch“ (Motto) für meine Sammlung ein paar Strophen, die ihm bei seinem Abgange in Halle ein Commilitone in’s Stammbuch geschrieben hatte, aber in Gedanken wie Ausdruck höchst trivial waren, obschon Jahn selbst darin „Thatengeist“ zu finden vermeinte.

Was das von Jahn erwähnte bairische Bier betrifft, so ist es allerdings richtig, daß Jahn für gewöhnlich kein Bier, aber wohl Wein trank, und diesen mit Vergnügen, es auch recht gern sah, wenn man ihn damit bewirthete. In seiner Abneigung gegen das Bier lag übrigens eine Inconsequenz; denn da die alten Deutschen tüchtige Biertrinker waren und es Jahn daran lag, uns in Urdeutsche zu verwandeln, so hätte er im Grunde für dieses deutsche Nationalgetränk Propaganda machen müssen, denn wer gern Wein trinkt, trinkt auch wohl französische und wälsche Weine, und geräth so auf dem Wege des Stoffwechsels vielleicht auch auf französische und wälsche Ideen. Zudem mußte Jahn durch den Augenschein belehrt sein, daß die am meisten Bier trinkenden Stämme in Deutschland, wie z. B. die Baiern, auch die kräftigsten Körper haben, und diese den Deutschen anzuschaffen war ja Jahn’s höchstes Ziel. Aus diesem Grunde wüthete er in Berlin namentlich auch gegen den Genuß von Kuchen, weshalb auch alle Kuchenfrauen erbarmungslos von den Turnplätzen verjagt wurden, und das Wort „Kuchenbäcker“ als ein arges, in Schimpf und Glimpf zu rügendes Schimpfwort galt. W. Alexis, der selbst unter Jahn Turner gewesen, ohne jedoch zu seinen „Erwählten“ zu gehören, erzählt dies in seinem oben erwähnten Aufsatz, fügt aber weiter hinzu: „Die Einen sagen Jahn nach, daß er es im Altdeutschthum so weit gebracht, Eicheln zu rösten und zu essen, während Andere behaupteten, wenn es ungesehen geschehen könne, verspeise er alle Sorten Kuchen, besonders aber Kirschkuchen, mit ganz besonderem Appetit.“ Zur Erklärung des von Jahn in seinem Briefe gebrauchten Ausdruckes „Schriftscheu“ diene endlich noch, daß dieses Wort eine Verdeutschung des Wortes „Censur“ sein soll; hiernach würde man also statt „Censoren“ fortan, possirlich genug, „Schriftscheue“ zu sagen haben, oder statt Censoramt „Schriftscheuamt“, und statt censiren „schriftscheuen.“

Noch dürfte folgende Stelle aus seinem Briefe anführungswerth sein, weil sie seine Ansichten über die neueren politischen Dichter ausspricht: „Ueber die neuern Dichter, so die vaterländische Harfe stimmen, könnte man leicht versucht werden, hart zu urtheilen. Sie sind ungefüge in der Kraft, frostig, trippelnd wie auf gebohnten Dielen, und scheinen nothreif, von der Zeit aber nicht gezeitiget. Sie kennen nicht den Umkreis der Welt und was sich darin regt. G. Pfizer nehme ich aus. Der hat Wissenschaft und Geschichte. Unwissend darf Keiner weniger sein, als ein Dichter, und die großen sind auch Weise. Weil ihre Dichtungen um die Heimath einen echten Ring, eine wahre Heimskringla ziehen, leben sie aus einer Zeit in die andre, aus einem Volk in das andere, wie die Psalmen, Homer, Sakuntala und Goethe.“

Im mündlichen Verkehr vermied übrigens Jahn, von den mitlebenden Dichtern und Schriftstellern viel zu sprechen; er erwähnte selbst jenes Conflicts nicht, den er in Kösen mit einem damals renommirten Mitglied des jungen Deutschlands gehabt hatte. In dem engern Kreise der Bekannten Jahn’s erzählte man sich, mit welch cynischem Witz Jahn diesen Herrn abgetrumpft hatte, von dessen französischer Glasur über der hervorstechenden Unterlage deutscher Burschikosität er unangenehm berührt worden war. Auch in seinen politischen Ansichten zeigte sich Jahn im Ganzen sehr vorsichtig; möglich, daß er gegen seine Erwählten mit der Sprache offener herausgegangen sein mag. Von seinen früheren Excentricitäten war er wohl schon längst zurückgekommen, und gewiß dachte er in seinen späteren Jahren nicht mehr daran, von der Schweiz bis Holland eine 15 Meilen breite Wüste zu ziehen und innerhalb dieses Landgürtels Städte und Dörfer auszurotten, dafür aber Waldbäume und dichtes Gestrüpp und darin einen Park von Raubthieren anzulegen, und das Alles, um damit, wie er meinte, das alte Germanien von Frankreich möglichst abzusperren. Diesen monströsen Plan enthüllte Jahn wenigstens gegen Theodor Amadeus Hoffmann, welcher Referent in der Jahn’schen Sache war. Im Uebrigen darf man nicht glauben, daß es Jahn mit diesem Plane gerade sehr ernstlich gemeint habe; seine Phantasie gefiel sich in solchen Abenteuerlichkeiten und ungeheuerlichen Vorstellungen, und wenn die Ausführung des Plans in seine Macht gegeben worden wäre, würde er sich gewiß hundertmal bedacht haben, ehe er zu seiner Vollziehung geschritten wäre. Jahn war doch zu sehr Geschichtskundiger, um nicht überhaupt von den Entwickelungen der Zeit Lehre anzunehmen und sich gewissen Notwendigkeiten, wenn auch mit Widerstreben, zu beugen. Ein kaiserliches Haupt Deutschlands wäre ihm selbst im Nahmen constitutioneller Einrichtungen recht gewesen, so sehr ihm der moderne Constitutionalismus von Hause aus auch zuwider war. Im Ganzen lebte er zuletzt mehr in der Vergangenheit als in der Gegenwart. Als ich ihn in Gesellschaft mehrerer Leipziger Freunde eines Tages in Freiburg selbst besuchte, unterhielt er uns vorzüglich mit etymologischen Bemerkungen und historischen Erinnerungen, wozu die Gegend Freiburgs allerdings Stoff genug lieferte. Es ist mir, aufrichtig gesagt, davon nicht viel im Gedächtniß geblieben, eben so wenig von den wunderlichen Mittheilungen über die Einrichtung und besondern Zweckbestimmungen und Eigenschaften seines nach eigenem Plane erbauten Wohnhauses.

Zuletzt sah ich ihn dann noch zur Zeit des Parlaments in Frankfurt, wo er freilich eine etwas antediluvianische, mammuthartige Erscheinung abgab. Er kam zuweilen auf das Bureau der Deutschen Zeitung. Er selbst mochte sich in diesem Wirrwarr, den er allerdings, so viel es auf ihn ankam, noch vermehren half, nicht sehr behaglich fühlen; indeß hielt er es für Pflicht, auf seinem Posten auszuharren, selbst auf die Gefahr hin, von seiner eigenen Brut, den Turnern, wie er sich gegen mich ausdrückte, „gelegentlich gelyncht zu werden.“ Man hat ihm vorgeworfen, in den Septembertagen sich furchtsam versteckt zu haben; in der Paulskirche selbst und in seinem offenen an die Hanauer Turner gerichteten Sendschreiben zeigte er Unerschrockenheit und den Muth seiner Ueberzeugung. Lange wohlgesetzte Reden hielt er in der Paulskirche begreiflicherweise nicht, aber er fuhr zuweilen mit körnigen Schlagsentenzen voll gesunden Mutterwitzes drein. Gegen das Bescholtenheitsgesetz eiferte er, weil ja Alle bescholten seien, unter den Frauen z. B. diejenige, welche das letzte Wort nicht habe. Das Gelächter, welches durch diese Anspielung hervorgerufen wurde, bewies, daß der Stich gesessen hatte. Schon im Februar 1849 erklärte er offen, daß das Parlament überreif, todesmatt und verbraucht sei, daß es das Zutrauen von ganz Deutschland verloren habe und daß es am besten sei, nach Hause zu gehen. Einem Club gehörte er nicht an; er wollte als freier Mann seine Meinung sagen.

Obschon Enthusiast für die Kaiseridee, für deren Ausführung er übrigens wohl keine Hoffnung mehr hatte, stimmte er doch in sehr wesentlichen Punkten mit der Linken, z. B. für das allgemeine Wahlrecht, „weil,“ wie er sich ausdrückte, „es in der Welt dahin kommen müsse, daß Niemand sich scheuen dürfe, mit Ehren arm zu sein.“ Damit hätten sich die süddeutschen Turner begnügen lassen sollen. Was sie wollten, hat Jahn nie gewollt und konnte es nicht wollen; nicht er, sondern sie sind von seinen Grundsätzen abgewichen. Jahn, der eine autokratische Spitze auf demokratischer, volksthümlichen Grundlage wollte, war in seinen politischen Ansichten etwas unklar; aber seine persönlichen Eigenschaften, sein mildthätiger Sinn („wir Armen,“ pflegten die bedürftigen Leute in Freiburg zu sagen, „finden stets Hülfe bei ihm, obwohl er’s selbst braucht“), seine Verdienste um die Turnerei, sein vaterländisches Gemüth, seine Schicksale, seine grauen Haare hätten mehr Pietät verdient, jene Pietät, ohne die sich überhaupt nichts in’s Werk richten und erhalten läßt. Jahn sollte auch noch diese Erfahrung, vielleicht die härteste seines Lebens, machen. Wenn man will, kann man auch hierin eine geschichtliche Nemesis erkennen; denn man spielt eine politische Rolle, wie Jahn sie zu spielen unternahm, selten ungestraft. Jahn endete nicht gewaltsam, wie List, aber obschon er sich ruhig und still in Freiburg auslebte, ist sein Loos doch ein tragisches zu nennen, weil er in einen Kampf mit dämonischen Mächten gerieth, die er selbst heraufbeschworen hatte, und darin unterlag.



Anmerkungen (Wikisource)