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Autor: Max Mendheim
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Titel: Hauffs Leben und Werke
Untertitel:
aus: W. Hauffs Werke. Kritisch durchgesehene und erläuterte Ausgabe. Bd. I: Gedichte; Lichtenstein.
Herausgeber: Max Mendheim
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Bibliographisches Institut
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Erscheinungsort: Leipzig und Wien
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf commons
Kurzbeschreibung:
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[V]
Vorwort des Herausgebers.

Bei der vorliegenden Ausgabe von Hauffs Werken habe ich, gemäß dem von der Verlagsbuchhandlung für Meyers Klassiker-Bibliothek festgesetzten Plane, vor allem auf zwei Dinge meine Aufmerksamkeit gerichtet: auf sorgfältige Wiedergabe des vom Dichter selbst redigierten Originaltextes und auf dessen historisch-kritische Erläuterung. Es galt daher, die von Gustav Schwab in der ersten Gesamtausgabe (1830) eingeführten und seitdem immer wieder abgedruckten Änderungen zu beseitigen und Hauffs eignes Wort in der letzten von ihm selbst herrührenden Fassung wiederherzustellen. Wo ältere in Zeitschriften oder Taschenbüchern verstreute Drucke zur Vergleichung vorlagen, habe ich über diese in den Lesarten, am Schluß der Bände, genau berichtet. Außerdem ist es aber vor allem mein Bestreben gewesen, besonders bei den größeren Werken eine ausführliche Darstellung ihrer Entstehung und ihrer Aufnahme bei dem Publikum jener Zeit zu geben sowie in den Anmerkungen über alle für uns nicht mehr ohne weiteres verständlichen Dinge eine knappe Erläuterung einzufügen. Als letztes Ziel aller Zuthaten des Herausgebers schwebte vor: den Leser der Gegenwart mit all den besonderen und allgemeinen Verhältnissen vertraut zu machen, die Hauffs Zeitgenossen geläufig waren, uns dagegen ferngerückt oder gänzlich verdunkelt sind. Der Lebensgeschichte des Dichters ließ sich leider nichts wesentlich Neues hinzufügen, immerhin aber habe ich versucht, durch Benutzung von Briefen Hauffs, soweit sie mir zugänglich waren, sein Lebens- und Charakterbild nach Möglichkeit zu ergänzen.

Dem Wunsche der Verlagshandlung entsprechend, konnte ich hier keine ganz vollständige Ausgabe von Hauffs Werken geben, doch wird man wenig vermissen, was man bei diesem Dichter zu suchen gewohnt ist. Die drei größeren Werke: „Lichtenstein“, die „Memoiren des Satan“, „Der Mann im Mond“, wie auch die „Phantasien im Bremer Ratskeller“ sind unverkürzt wiedergegeben, wie überhaupt jedes der [VI] aufgenommenen Werke ohne Verkürzung abgedruckt ist. Dagegen machte sich eine Auswahl nötig bei den Gedichten, Märchen und Novellen. Von den Märchen habe ich die des einen, und zwar des ersten „Märchenalmanachs“ vollständig aufgenommen, weil eine Auswahl aus allen drei Bänden der Almanache eine Zerreißung der Rahmenerzählung notwendig gemacht hätte, die vermieden werden sollte. Von den Novellen habe ich diejenigen ausgewählt, die am bekanntesten und beliebtesten sind und auch Hauffs Erzählungsweise am getreuesten widerspiegeln. Die kleineren „Skizzen“ konnten und mußten ganz wegbleiben.

Der beigegebene Kupferstich ist nach einer photographischen Aufnahme der Porträtbüste von Hauffs Denkmal in Stuttgart hergestellt worden; das Faksimile des Gedichtes ist die Wiedergabe eines Blattes aus der Autographensammlung der Freiin Elise von Koenig-Warthausen.

Großen Dank für ihre liebenswürdige Unterstützung durch Rat und That bei meiner Arbeit schulde ich insbesondere den Herren Dr. Ernst Elster in Leipzig, Ernst Ackermann in Stuttgart und Oberstudienrat Professor Dr. Julius Klaiber in Stuttgart, sowie für gütige Entleihung von Handschriften des Dichters der Freiin von Koenig-Warthausen, Herrn Kammerherrn Baron H. von Donop in Wiesbaden und der Königlichen Bibliothek zu Berlin, die mir einige Briefe Hauffs aus der Varnhagenschen Sammlung zur Verfügung stellte.

Leipzig, im Oktober 1891.

Dr. Max Mendheim.

[VII]

2 Jan. 1824.
Trost in der Ferne.

Die Mißgunst lauscht auf allen Wegen,
daß sie der Liebe Glück verräth
doch treue, zarte Liebe geht
auf tausend unbewachten Steegen.

5
Ein Druck der Hand, ein flüchtger Blick,

sagt mir der Liebe süßes Glück.
 #
Muß u. Scheid’ ich von ihr auch in weite Fernen
so zieh ich froh
es so geht mit mir mein stilles Glück
denn schau ich nicht der Liebe Blick

10
so blick ich doch auf zum Abendsterne

u. meines Sternes heil’ge Gluth
gießt mir ins Herz der Liebe Muth
in ihres Auges stiller Gluth
giebtstrahlt er ins Herz mir getrosten Muth
 #
Und wallen meine Tage trüber
u. dringt kein mein Sehnen Trost von ihr nicht zu dihr

15
u. dringt auch kein Wort von mir mein Sehnen zu ihr

kein Laut von ihr zu mir herüber
Mein stilles Glück ist nicht getrübt,
ich weiß ja doch daß sie mich liebt.
 #

[VIII]

Drum blei klag ich nicht in weiter Ferne

20
weil Neid der Liebe Weg belauscht;

wenn auch nicht Blick Wort mit Wort sich tauscht
Mir strahlt dein Aug’ im Abendsterne
aus seinen milden Strahlen quillt
mir meiner Liebe trautes Bild

25
der Trost der m[eine] Sehn sucht stillt.


000000000W. Hauff



[1]
Hauffs Leben und Werke.

Nicht einer jener gewaltigen, mit der ganzen Kraft ihres Riesengenius dreinschlagenden Geisteshelden ist es, mit dessen Leben und Wirken sich die folgenden Blätter beschäftigen sollen; aber auch keine jener dunklen Naturen, die einmal während eines kurzen Augenblickes im Weltenleben der Nationen einen blendenden, täuschenden, vergänglichen Schein um sich verbreiten. Was Wilhelm Hauff geschaffen, was sein Name in der deutschen Litteratur für eine Stellung einnimmt, liegt zu klar, zu ungetrübt vor uns, als daß wir ihm einen Platz anweisen könnten, der ihm nicht gebührt. Er war jener Trefflichen einer, die immer zu erfreuen wissen, einer, dessen leicht empfängliches Gemüt, dessen heiterer, froher Sinn die Welt klar und hell mit ihrem herzerfreuenden Liebesgaben und mit ihren drückenden, unschönen Auswüchsen zu erfassen wußte, um sie dann, mit seinem eigenen Fühlen verwirkt, anderen ebenso klar und hell wieder zu schildern. Jeden, der sich an ihn wendet in seinen Mußestunden, weiß er zu erfreuen und wohl auch zu befriedigen. Gespannt lauschen noch heute die Kinder seinen freundlichen Märchen, Jünglingen und Jungfrauen im ersten Erwachen des immer idealen Liebesfrühlings wird sein „Lichtenstein“ als eine herrliche Widerspiegelung ihres eigenen Jugendtraumes eine stets willkommene Gabe sein, mit der Begeisterung liest noch heute der schwärmende Studio wie der Herr Philister die „Phantasien im Bremer Ratskeller“, und so können wir alle seine Werke, die großen Romane wie die kleinen, lieblichen Novellen, durchgehen, alle sind noch heute unserem Volke vertraute, freundliche Gesellen. Und doch, trotz dieser reichen Fülle des Gebotenen, nur ein kurzes Leben, dem jene süßen Früchte entsprossen, nur wenige Jahresblätter, die wir hier zu entrollen vermögen!

Wilhelm Hauff wurde am 29. November 1802 in Stuttgart geboren. Sein Vater Friedrich August (am 17. Januar 1772 in Stuttgart [2] geboren) entstammte einem damals in Württemberg hochangesehenen und um die ständische Verfassung hochverdienten Hause, dem des Landschaftskonsulenten Johann Wolfgang Hauff (1721–1801), desselben, dem sein Enkel Wilhelm in der Novelle „Jud Süß“ als Landschaftskonsulent Lanbeck ein ehrendes Denkmal gesetzt hat. Die Familie unseres Dichters, ursprünglich dem niederösterreichischen Landadel angehörig, hatte sich schon frühzeitig dem protestantischen Glauben zugewandt und war infolgedessen genötigt gewesen, während der Wirren des Religionskrieges im 17. Jahrhundert die heimatlichen Besitzungen zu verlassen und im protestantischen Württemberg eine sichere Zufluchtsstätte zu suchen. Hier war die Familie durch die Verdienste ihrer rechtlichen, freidenkenden Mitglieder bald zu neuem Ansehen gelangt.

Wilhelms Vater, damals Regierungssekretär in Stuttgart, vermählte sich am 27. August 1799 mit Hedwig Wilhelmine Elsäßer, der phantasiebegabten, an Goethes herrliche Mutter erinnernden Tochter des hervorragenden Juristen Karl Friedrich Elsäßer aus Stuttgart, der anfangs Professor in Erlangen war, dann an die Karlsschule, später ins Regierungskollegium und endlich an das Obertribunal nach Tübingen berufen wurde.

Am 22. August 1800 wurde den jungen Gatten ein Sohn geboren, der später gleichfalls als Schriftsteller verdiente Hermann Hauff. 1802 folgte dann Wilhelm, und später ward die Familie noch um zwei Töchter vermehrt. Doch sollte das Leben dieser stillen, freundlichen Häuslichkeit nicht ungetrübt bleiben. Der Vater, eine gewinnende Erscheinung von liebenswürdigem Benehmen und festem, ehrenwertem Charakter, huldigte einer freien, selbständigen politischen Meinung und sprach seine Ansichten hierüber auch unbefangen und ohne Scheu aus. Die freisinnige Selbständigkeit aber machte ihn der allenthalben von solchem Sinne Unheil witternden Regierung verdächtig, auf einen Umsturz der alten Verfassung hinzuarbeiten, und so wurde er plötzlich während der Nachtzeit in seiner Wohnung verhaftet und nach dem Asperg gebracht. Neun Monate mußte er schuldlos hier verharren, bis ihm endlich gestattet wurde, in den Schoß seiner Familie zurückzukehren. Nun aber gestaltete sich seine Zukunft immer aussichtsreicher; 1806 wurde er Sekretär beim königlichen Oberappellationstribunal in Tübingen, wohin nun die Familie übersiedelte, 1808 folgte er jedoch wieder einem Rufe nach Stuttgart als Geheimsekretär im Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten; indessen bereits im nächsten Jahre wurde er hier den Seinen durch den Tod entrissen. Nun zog die Witwe mit den Kindern wiederum nach Tübingen, wo ihr ältester Sohn, Hermann, [3] schon seit der früheren Zeit im Hause seines Großvaters Elsäßer unter dem mütterlichen Einfluß von dessen alter Haushälterin, der Jungfer Sitzlerin, erzogen wurde. Hier war es nun auch, wo Wilhelm, der schwächliche und, wie es schien, weniger beanlagte Knabe, unter der zärtlichen und verständigen Erziehung der Mutter im engen häuslichen Kreise seine erste geistige Nahrung empfing und verwertete. Hier war es, wo er vereint mit seinem Bruder sich dem kindlichen Spiele mit den alten Folianten in des Großvaters reicher Bibliothek überließ, wo er noch „Hütten und Ställe erbaute für sich und sein Vieh“ aus jenen in Leder gebundenen Ungetümen, aus denen ihm später die Grundlage zu seinem „Lichtenstein“ erwuchs; hier war es, wo er seinem Bruder den Lessing an den Kopf geworfen, wo der Großvater ihn auf den Knieen geschaukelt, der liebe, gute Mann, den die harten Männer dann eines Tages in einen Schrank legten und mit schwarzen Tüchern zudeckten. Kurzum, hier wuchs der Knabe unter Spiel und Lernen heran, von hier nahm er die ersten lebhaften Jugendeindrücke mit hinüber ins Mannesleben, jene Eindrücke wilder Kinderlust und ersten Kindesschmerzes, die er später so unübertrefflich rührend und schön in den „Phantasien im Bremer Ratskeller“ schilderte. Nach des Großvaters Tode kam nun auch Hermann wieder in das mütterliche Haus zurück, schon jetzt, im Gegensatz zu Wilhelm, ein ernster, lerneifriger, stiller Knabe, der nur brockenweise einmal seinen Humor zum besten gab. Wilhelm war zwar mindestens ebenso eifrig wie sein Bruder, jedoch nicht in den Fächern, welche die Schule vorschrieb, sondern im Studium, oder besser im Verschlingen aller Bücher leichteren Gehaltes, deren er habhaft werden konnte. Und es ist sehr wahrscheinlich, wenn auch nicht gerade verbürgt sicher, daß jene Erzählung der Schulerlebnisse des Barons von Garnmacher in den „Memoiren des Satans“ eine Anekdote aus seinem eigenen Schulleben ist, da doch im übrigen die Schilderung von Garnmachers Jugend ganz treffend auf ihn selbst paßt; so z. B. wenn er sagt: „Ich genoß eine gute Erziehung, denn meine Mutter wollte mich durchaus zum Theologen machen; … ich hatte, was man einen harten Kopf nennt; das heißt, ich ging lieber aufs Feld, hörte die Vögel singen …, als daß ich mich oben in der Dachkammer … mit meinem Bröder, Buttmann, Schröder … abmarterte.“ Und ebenso: „Ich hatte in meinem elften Jahre den größten Teil der Ritter- und Räuber-Romane meines Vaterlandes gelesen.“ War auch das Gelesene an und für sich nutzlos, so hatte es doch wenigstens einen Vorteil für ihn, der seiner lebhaften Einbildungs- und Gestaltungskraft zu gute kam; und es zeigte sich schon hier das besonders [4] glücklich entwickelte Talent seiner raschen Aufnahme- und Wiedererzählungsfähigkeit. Denn alles, was er las, verarbeitete er auch auf seine Weise, schmückte und bildete daran mit seiner Phantasie und eilte dann, jene neugestalteten Geschichten im Kreise seiner Schwestern und deren Gespielinnen wiederzuerzählen. Ganz natürlich mußte dann eine solche Anregung seiner jugendlichen Einbildungskraft ihm Lust und Zeit zu den trocknen Lehrgegenständen der Schule nehmen und ihn bei seinem durch schwächlichen Körper bedingten geringeren Gedächtnisvermögen als einen talentlosen Knaben hinstellen. Bis zu seinem 15. Jahre besuchte er in Tübingen die auf einem Hügel des Osterberges (Mons Anatolicus) gelegene Schola Anatolica; im Herbst 1817 kam er dann in die Klosterschule zu Blaubeuren, ein theologisches Seminar, dessen Räume ehemals ein Benediktinerkloster gewesen waren. Hier in dem herrlich gelegenen Örtchen, in dem romantischen Thale der Blau, konnte er sich nun nach Herzenslust austummeln und seinem fröhlichen Jugendmute freien Lauf lassen. Es ist derselbe Ort, dem er später in schwärmender Erinnerung zuruft: „Sei mir gegrüßt, du Felsenthal der Alb! Du blauer Strom, an welchem ich drei lange Jahre hauste. Die Jahre lebte, die den Knaben zum Jüngling machen. Sei mir gegrüßt, du klösterliches Dach, du Kreuzgang mit den Bildern verstorbener Äbte, du Kirche mit dem wundervollen Hochaltar … Jene Thäler, jene Klostermauern waren das enge Nest, das uns aufzog, bis wir flügge waren, und ihrer rauhen Albluft danken wir es, daß wir nicht verweichlichten.“ Auch das letztere, auf Hauff bezogen, ist richtig; denn hier in dem schönen Felsenthale entwickelte sich auch sein Körper rascher und kräftiger als bisher. Auch seinem Geiste gönnte er hier eine kräftigere und gesundere Nahrung, fast eine zu kräftige schon für sein Alter und besonders für die Art und Weise, wie er gewohnt war, alle Kost zu verschlingen. „Du bist hinter Goethe und Schiller geraten und verschlingst sie, ohne alles zu verstehen“, sagt er selbst. Aber mochte er auch immerhin noch nicht alles verstehen, hier war er doch auf einen Boden geraten, der ihm bei seinem Eifer der Beackerung einst reiche Früchte tragen sollte; nahm er doch so vieles von dem Stil dieser Vorbilder in sich auf, daß wir die Spuren desselben fast überall in seinen späteren Werken finden können. Freilich in den Lehrgegenständen der Schule, besonders in den Sprachen, für die doch sein Bruder so viel Anlage besaß, war er auch hier noch sehr schwach und lässig. Bezeichnend dafür ist das Schulzeugnis, welches ihm sein Rektor an die Oberbehörde in Stuttgart zur Aufnahmeprüfung für das theologische Landesseminar mitgab; er sagt hier, wie Schwab berichtet, „daß Wilhelm in [5] litteris, besonders in der lingua hebraica sehr mittelmäßig prädiziert sei; doch machte er auf das überraschende Deklamationstalent des Knaben aufmerksam, damit der Arme doch etwas für sich hätte, das ihn als dereinstigen geistlichen Redner empfehle.“

Im Herbst 1820 bezog er dann die Universität Tübingen, um hier, dem Wunsche der Mutter folgend, neben Philologie und Philosophie insbesondere Theologie zu studieren. Nach Ausweis des derzeitigen Verzeichnisses der Studierenden wurde er am 23. November daselbst inskribiert und wohnte anfangs in den Räumen des „Stifts“, eines 1536 von Herzog Ulrich gegründeten protestantischen Seminars in den Sälen eines ehemaligen Augustinerklosters; später siedelte er in die Wohnung der Mutter in der Haaggasse über. Hier auf der Universität begann nun ein neues, frisches, fröhliches Leben für ihn, dem er sich zunächst um so ungezügelter überließ, als er ohnehin der Theologie und ihren abstrakten Nebenfächern nicht viel Geschmack abgewinnen konnte. Sein offener Blick für alles, was um ihn her vorging, sein frisches, keckes Auffassungsvermögen hat uns auch von hier einige treffende Bilder im Lichte der Satire verschafft. Man lese nur die betreffenden Kapitel in seinen „Memoiren des Satan“, und man gehe in die Hörsäle und sehe, ob man heute nicht dieselben Beobachtungen an Dozenten und Studenten machen kann!

Auch über das gesellige Leben an der Universität gibt er uns selbst wertvolle Berichte; er erzählt von seiner Teilnahme an dem studentischen Leben und Treiben und gibt ergötzliche Beobachtungen zum besten.

Hier in Tübingen stand die Burschenschaft noch in voller Blüte, und ihr schloß sich Hauff mit Begeisterung an; er nahm ebensowohl an ihren ritterlichen Übungen, dem Turnen und Fechten, wie an ihren Gelagen und patriotischen Weihefesten teil. Von ersterem zeugen besonders seine Gedichte „Turnerlust“ und die Soldatenlieder, von dem zweiten das „Trinklied“ und das Gedicht „Burschentum“, für das letztre sprechen besonders die Gedichte, welche er für die Waterloofeste lieferte, die damals von der Burschenschaft noch besonders feierlich begangen wurden. Auch über diese Sachen finden sich prächtige Worte in den Satans-Memoiren, die bezeugen, daß er trotz aller Begeisterung doch auch verstand, die Kleinlichkeit so mancher Seite des Studententums herauszufühlen. Auch ist es sehr glaubwürdig, daß er bei seinem frischen, leichten Humor zu manchem Studentenstreiche das seine beigetragen hat, wenn es auch sicher etwas übertrieben ist, wenn er später in einem Briefe an Pfaff[1] sagt: „Ist es nicht ein Glück, daß ich bei so ausgezeichneter [6] Anlage zum Leichtsinn, zum Trunk, Spiel und Lüge … in diesem Klosterpferch nicht zu Grunde ging …? War ich nicht auf dem äußersten Rand, durch Rede und That gemein zu sein …?“ Das große Ganze der Burschenschaft bestand, wie an anderen Universitäten, auch hier noch aus einem weiteren und einem engeren Kreise; auch diesem letzteren, einem Verein innig vertrauter Freunde der sogenannten „Kompagnie“, gehörte Hauff unter dem Spitznamen „Bemperlein, der Seelenhirtschaft Anbildling“ an. Er war überhaupt ein allgemein beliebtes und angesehenes Mitglied dieses Jugendbundes, in dem er sich schon durch seine Lieder als Bundesdichter und als Fertiger der beliebten sogenannten Kneipzeitungen hervorthat. Zur letzteren Gattung gehört besonders ein umfangreiches Heldengedicht vom Jahre 1822: „Die Seniade“, und eine Prosahumoreske vom Jahre 1823: „Briefe eines auf der Universität zu Tübingen befindlichen Mädchens an eine gute Freundin in Stuttgart“. Prof. Klaiber, in dessen Händen sich das Manuskript der „Seniade“ befand, sagte darüber Folgendes[2]: „In hochtönenden Alexandrinern und im Stil des heroischen Epos, aber zugleich mit Wielandscher Grazie und Leichtigkeit schildert es die unsterblichen Heldenthaten, welcher der ‚Sproß vom Stamme Hauff‘, genannt Seni (ein entfernter Vetter des Dichters), im Kampfe mit dem Senior der Schwaben zur Ehre der deutschen Burschenschaft verrichtet habe; … Die Dichtung … zeigt, daß der Zwanzigjährige in überraschender Weise bereits völlig fertig und abgeschlossen ist. Nicht bloß, daß die Vorzüge alle, welche man später an ihm bewunderte, hier schon in ursprünglicher Frische sich vorfinden, geradezu erstaunlich ist die virtuose Sicherheit, mit welcher der jugendliche Dichter sofort beim ersten Anlaß seinen Stoff beherrscht, das bunte Gewirre schlichtet und ordnet und in die angemessene poetische Form ergießt.“ Und als „fast noch bezeichnender für die nachherige Gestaltung seines Talents“ erklärt Klaiber jene oben erwähnte Prosahumoreske, von der er uns am selben Orte den ersten Brief mitteilt. All dies zusammen aber zeigt uns, wie voll und ganz Hauff mit seinem reinen, fröhlichen Jugendmute das burschikose Leben der Universitätsjahre zu genießen wußte; jenes Leben, dessen inneren Kern der Laie nie ganz verstehen wird, den der Dichter aber mit wenigen treffenden Worten für den Eingeweihten so bezeichnend, so lieblich schildert. „Wie soll ich dich nennen, du hohes, edles, rohes, barbarisches, liebliches, unharmonisches, gesangvolles, zurückstoßendes und doch so mild erquickendes Leben der Burschenjahre?“ Liegt in diesen [7] sich scheinbar so widersprechenden und doch ergänzenden Attributen nicht all das ausgesprochen, was jeder empfinden muß, der sich mit jugendlich schwärmender Begeisterung hineinstürzt in den Strudel dieses unbegreiflichen Chaos, und doch mit männlichem Selbstgefühl außerhalb dieses Kreises seine Schwäche erkennt; und liegt vor allem für uns nicht darin das beste, deutlichste Zeichen, wie Hauff jene Zeit erfaßt und durchlebt hat, die so manchen haltlosen Jüngling hinabzieht und so manchen prosaischen Kopf gänzlich unberührt läßt?

Aber zu all dem sollte noch ein anderes hinzukommen, was des Jünglings Herz so ganz erfüllte und beglückte und von bestimmendem Einfluß auf seine künftige Laufbahn wurde. Während der Herbstferien des Jahres 1823 unternahm er mit einem seiner Kameraden einen Ausflug nach Ulm. Dort lassen sie sich halb im Scherz verleiten, eine kleine Donaufahrt mitzumachen, die sie nach Donauwörth führt. Hier angekommen, erinnert sich Hauff einer Tante seines Namens, die in Nördlingen wohnt, die er aber noch nie gesehen. Er macht sich also kurz entschlossen auf, die Tante zu besuchen. Im Hause der wohlhabenden Frau, einer Kaufmannswitwe, wird er gern und freundlich aufgenommen und fühlt sich in dem heiteren, lebensfrohen Kreise der Angehörigen dieses stattlichen Hauses bald so wohl, daß er sich mehrere Wochen daselbst fesseln läßt. Und doch, wer weiß, ob es ihn so lange hier gelitten hätte, wenn nicht ein Wesen mit jedem Tage mehr seine Aufmerksamkeit in Anspruch genommen und bald auch sein Herz mit innigen Banden umschlungen hätte? Seine hübsche Kousine Luise war es, die seine junge Liebe erweckte und beim traulichen Guitarrespiel immer lebendiger entflammte. Wie weit er ihr damals schon sein Gefühl gestanden, wissen wir nicht, wohl aber, daß er mit einem tiefen Eindruck im Herzen nach Tübingen zurückkehrte und die einmal angeknüpfte Freundschaft durch einen Briefwechsel – anfangs mit der Tante und vielleicht auch schon heimlich mit der Kousine – fortsetzte und bald offen mit letzterer in Verkehr trat. Bereits im Frühjahre 1824 erfolgte die öffentliche Verlobung der jungen Leute. Wie so ganz mit dem frischen, innigen Hauch erster, wahrer Liebe sein Herz der Geliebten zugethan war, geht aus den wenigen, nicht gerade bedeutenden, aber tief und glückselig empfundenen Gedichten hervor, die das Jahr 1824 zeitigte. Außer den nun entstehenden Soldatenliedern, in denen vor allem die Treue und das Gedenken an die Geliebte betont wird, sind es besonders die Gedichte: „Stille Liebe“, „Serenade“, „Trost“, „Sehnsucht“, „Ihr Auge“, die das Erwachen der Liebe bis zum Bewußtsein der getreuen Gegenliebe ausdrücken. Allzu schwer scheint ihm ja auch Luise das [8] Geständnis nicht gemacht zu haben, davon zeugen seine eigenen, gewiß der Wirklichkeit nachgedichteten Worte:

„O dürft’ ich fragen, was aus ihrem Auge
Oft so entzückend mir entgegenstrahlt,
Was, wenn ich schnell mich ihrer Seite nahe,
Die Wangen ihr mit hoher Röte malt! – – etc.“

Von nun an war auch in Tübingen Luise der Mittelpunkt, der all seine Gedanken, sein Träumen und Sehnen auf sich zog; die schöne Umgebung der freundlichen Musenstadt wirkte zwar nach wie vor auf sein Gemüt, doch aber so, daß er das Eine, was sein Herz jetzt so ganz erfüllte, nur um so mehr vermißte.

„Am Neckarstrand ruht’ ich so gerne
Wär’ nicht Luise in der Ferne.“ – – –

„Du Thal, am Strome auf und nieder,
Du wärst so hold, du wärst so mild,
Dir weiht’ ich meine frohsten Lieder –
Du wärst so schön im Abendscheine,
Schlüg’ sie ihr Aug’ hier in das meine.“

Doch wie gesagt, jene Verse, so treu sie uns auch des Dichters Herz widerspiegeln, haben doch an und für sich nicht den Wert wie so manche leichter empfundene, aber vollendeter gestaltete unserer großen Liederdichter. Im Versemachen lag einmal nicht Hauffs Talent, dafür aber hat er uns später in seinem „Lichtenstein“ und in seinen „Novellen“ ein um so schöneres, wenn auch zuweilen schwärmerisch vom Geiste der Romantik umwobenes Bild seiner Liebesempfindungen gegeben, das in noch vollendeterem Glanze vor uns strahlt in einigen wenigen Worten, die uns aus dem einen Jahre seiner glücklichen Ehe aufbewahrt sind. Doch davon später.

Nach seiner Verlobung dachte Hauff zunächst daran, schnell seine Studien zu vollenden und, so jung er auch noch war, sich in einer gemütlichen Pfarre ein stilles, aber glückliches Heim zu gründen. Es wurden also auch bereits Unterhandlungen darüber mit dem Patron des Nördlinger Kirchensprengels eingeleitet. Während der Universitätsjahre hatten aber nun auch die Angehörigen eine andere Meinung von den früher so gering geschätzten Anlagen des Jünglings bekommen, vor allem war sein Auffassungs- und sein Gestaltungstalent sowie seine Rednergabe immer mehr hervorgetreten und bekannt geworden. Dies veranlaßte besonders den Konsistorialrat Klaiber, seinen jungen Verwandten vor einer Vernachlässigung seiner etwaigen Aussichten und vor einer allzu übereilten Heirat zu warnen. Er lenkte sein Streben [9] auf die Vorbereitungen zur Erlangung einer Professur und schlug ihm deshalb vor, als angemessenstes Mittel dazu vorläufig eine Hauslehrerstelle anzunehmen, die er ihm im Hause des Kriegsratspräsidenten von Hügel in Stuttgart zu vermitteln versprach.

Sicher wurde diese Wendung seines schon so schön ausgesonnenen Planes für Hauff ein ernster Kampf zwischen Kopf und Herz. Auch er war sich ja inzwischen gewiß seines Talentes bewußt geworden, er sah ein, daß es ihm bei einigermaßen thätiger Ausnutzung seiner Anlagen nicht an einem glücklichen und ruhmreichen Erfolge mangeln werde, wenn ihn vielleicht auch nicht gerade die Berufung auf einen Lehrstuhl besonders anzog; er wußte, daß nicht der Beruf des Seelsorgers seinen Geist befriedigen werde, und doch hing andererseits wieder an der Erreichung dieses Zieles die Befriedigung seines Herzensbedürfnisses. Doch er besteht den Kampf, er weist den jugendlichen Drang fürs erste zurück und erhält auch von der Braut die Einwilligung, die Hochzeit noch hinauszuschieben.

Inzwischen sind nun auch die Unterhandlungen wegen der Hauslehrerstelle beendet, und er tritt, am 27. Oktober 1824 mit dem Titel Doctor philosophiae von der Universität entlassen, seine neue Würde im Hügelschen Hause in Stuttgart an. Der General, ein früherer Adjutant Napoleons, von liebenswürdigem Charakter, sowie die Frau Baronin nehmen sich seiner liebevoll an und machen es ihm leicht, sich in dem vornehmen Hause heimisch zu fühlen. Seine Zöglinge beanspruchen nicht allzuviel Zeit, und so beginnt er denn bald mit schriftstellerischen Versuchen, insonderheit mit der Aufzeichnung, Ordnung und Verbindung jener Skizzen, die er bereits in Tübingen begonnen, und aus denen sich dann die „Memoiren des Satan“ zusammensetzten. Gleichzeitig aber beschäftigt er sich auch mit den Vorbereitungen zu der noch vor ihm liegenden höheren Prüfung, zu denen auch die mit Beifall aufgenommenen Predigten gehören, die er dann und wann aushilfsweise in der Schloßkirche hält. Im Frühjahr 1825 fand die Prüfung statt und wurde glücklich bestanden. In einem Briefe[3] aus jener Zeit schildert er, wie er an dem entscheidenden Morgen mit Fieber und Halsweh erwacht und ihm deshalb für den verhängnisvollen Weg bei dem draußen herrschenden schändlichen Tau-, Regen- und Schneewetter vom Minister dessen Wagen zur Benutzung überlassen wird. „Da hättest Du nun die Gesichter sehen sollen“, fährt er humorvoll fort, „die aus dem Consistorio herausschauten. Ein prachtvoller Stadtwagen [10] mit Glasfenstern, herrliche Pferde mit schönem Geschirr, der Kutscher in voller Livree, ein Bedienter hinten droben! Vor dem Konsistorium schreit der Kutscher: ‚Brrr!‘ Die Pferde stehen, der Bediente fliegt heran, öffnet feierlich die Glasthüre, schlägt die reichgestickten Tritte auseinander, ein Paar seidene Strümpfe werden sichtbar, ein Arm mit einem prächtigen Patenthut kommt heraus – wer mag es wohl sein? – – – der Magister Hauff!! ‚Heißt das geistliche Armut‘, höre ich die Herren sagen, ‚heißt das christliche Demut?‘“

Die Ferien seiner Zöglinge, die er meist mit diesen am unteren Neckar auf den Gütern des Vaters der Frau von Hügel zubrachte, wird er jedenfalls ganz besonders für seine schriftstellerischen Arbeiten benutzt haben. In diesen Tagen aber wird sich ihm auch recht häufig Gelegenheit geboten haben, auf Spaziergängen oder bei schlechtem Wetter im Zimmer seinen Schülern jene Märchen zu erzählen, die auch der zuweilen anwesenden Frau Baronin so wohl gefielen, daß sie ihn zur Aufzeichnung derselben bewog. Meist waren es ja wohl Erinnerungen und glückliche, mit eigenen Phantasien durchwobene Widerspiegelungen jener Bilder, die er einst in der Zeit seines jugendlichen Leseeifers in sich aufgenommen hatte. So entstand in kurzem sein „Märchenalmanach für das Jahr 1826“; inzwischen aber hatte er bereits ohne Nennung seines Namens den ersten Teil der Satans-Memoiren und den „Mann im Monde“[4] veröffentlicht, durch welche Werke er sich nach Bekanntwerden seines Namens bald allgemeine Achtung und Anerkennung sowohl in der Schriftstellerwelt wie beim Publikum erwarb. Mit gleichem Beifall wurde bald darauf auch sein „Lichtenstein“ aufgenommen, den er noch während seines Aufenthaltes im Hügelschen Hause vollendete. Am 30. April 1826 verließ er diese Stellung, wohl jetzt schon mit der Absicht, sich ganz dem schriftstellerischen Berufe zu widmen und auf diesen in nicht mehr ferner Zeit seine Häuslichkeit zu gründen, nach der er sich mit seinem treuen, liebenden Herzen innig sehnte.

Den schnell erworbenen, reichen Ertrag seiner ersten schriftstellerischen Arbeiten benutzte er nun in würdiger Weise zur Erweiterung seines Anschauungskreises, zur Erwerbung neuer Welt- und Menschenkenntnis. Anfang Mai 1826 trat er die geplante Reise an. Zuerst ging’s noch einmal nach Nördlingen zu einem Besuche bei der Braut; dann ging die Reise über Frankfurt, Mainz, Saarlouis, Metz nach Paris, wo er gegen Ende Mai eintraf und bei Madame J. Floret abstieg, [11] der er später in seiner heiteren Skizze „Ein paar Reisestunden“ ein pietätvolles Andenken bewahrt hat. Das vielgestaltige Pariser Leben mußte natürlich seinem empfänglichen Geiste viel Neues und Interessantes bieten, und er wird auch wohl keine Gelegenheit verfehlt haben, es gründlich kennen zu lernen, bis auch ihm endlich, wie jedem, der längere Zeit hintereinander tagtäglich neue Bilder, neue Sehenswürdigkeiten und Ereignisse in sich aufnehmen soll, das Allzuviele zum Überdrusse wurde. „Diese Herrlichkeiten“, schreibt er einmal in der Zeit vom 20. bis 26. Juni 1826 an seinen Freund, den Referendar Moritz Pfaff in Ellwangen, „fangen an, nachdem ich sie fünf Wochen genossen, zu langweilen.“ Doch wissen wir, daß er nicht allein der Freude hier lebte, sondern daß ihn auch hier fortwährend Arbeiten und neue Stoffe beschäftigten. „Jeden Vormittag wird bis 11 Uhr geschrieben“, berichtet er selbst, und wir haben ja auch die Beweise seiner Thätigkeit auf der Reise noch vor uns. So wissen wir, daß die Kontroverspredigt, wenn auch immer nur stückweise, so doch vollständig während dieser Zeit geschrieben wurde. „Ich fing sie in Paris an, setzte sie in Brüssel fort, schrieb daran in Antwerpen und Gent und vollendete sie in Kassel“, schreibt er seinem Bruder darüber. Ein glänzender Beweis seines glücklichen Auffassungs- und Darstellungsvermögens ist auch ein Bericht, den er über das Auftreten der deutschen Sängerin Henriette Sontag (1806–54) in der Italienischen Oper zu Paris verfaßte und sofort an Th. Hell (Winkler), der ihn schon 1825 zur Mitarbeiterschaft an der „Abendzeitung“ aufgefordert hatte, abschickte. Am 15. Juni erst war Henriette Sontag zum ersten Male in der Pariser Italienischen Oper aufgetreten, und schon am folgenden Tage hat Hauff seinen Bericht vollständig bis zu Ende niedergeschrieben, der bereits am 26. und 27. Juni in dem genannten Blatte erschien.

Bis Mitte Juli 1826 verweilte Hauff noch in Paris, dann setzte er die Reise fort und zwar über Brüssel, Antwerpen, Gent, Kassel und Göttingen nach den Hansestädten Bremen und Hamburg, von denen besonders erstere durch die „Phantasien im Bremer Ratskeller“ zu einem Merkpunkte für jeden Freund der Hauffschen Muse geworden ist. Von Hamburg aus begab er sich nach Berlin; hier langte er Mitte September an und hielt sich hier fünf Wochen lang auf, gesucht und gefeiert, der jugendliche Held, von den berühmtesten Männern der Zeit eingeführt in die besten Kreise der Schriftsteller- und Künstlerwelt und von seinen Gleichgesinnten gepriesen als der Mann, welcher Claurens Herrschaft gebrochen hätte. Er selbst schreibt von Berlin aus über seinen dortigen Aufenthalt: „Ich wurde glänzend, fast wie im Triumph aufgenommen. [12] Hier wohnt Clauren und wird von den Gebildeten verabscheut; darum war alles neugierig auf den Menschen, der es gewagt, mit ihm anzubinden. Es geht mir wie in einem Märchen, die berühmtesten Männer, Künstler, Schriftsteller, Buchhändler, besuchen mich, Fouqué, Rauch, Schadow, W. Alexis, Devrient u. s. w.“ In die hochangesehene litterarische Mittwochsgesellschaft eingeführt, hatte er die Ehre, dort selbst seine Kontroverspredigt zum „Mann im Monde“ vorlesen zu dürfen und mit reichem Beifall belohnt zu werden. Was es Hauff besonders leicht machte, sich nicht nur im Publikum, sondern auch unter seinen Nebenbuhlern warme Freunde zu erwerben, war der bescheidene, anspruchslose Charakter, den sich der so viel Gefeierte trotz allen Beifalls zu bewahren wußte. Wilibald Alexis, dessen Freundschaft er sich hier vor allem erwarb, sagt von ihm in seinem Freundesnachrufe[5]: „Durch den Umgang mit dem anspruchslos bescheidenen Mann lernte ich den Dichter kennen … Die Offenheit, mit der er selbst alle seine Schwächen und Mängel erkannte, konnte nur Vertrauen einflößen. Nie sah ich jemand wie ihn eine herbe Kritik aufnehmen; er malte eher die Rüge noch schwärzer, als sie gemeint war.“ Und welch tiefen Eindruck solche allgemeine Anerkennung auf Hauffs jugendlich empfängliches Herz machte, geht auch aus einigen Worten eines Briefes hervor, den er unter den Eindrücken seines Berliner Aufenthaltes nach Stuttgart schrieb. „Ich bin unaussprechlich glücklich“, heißt es hier, „ich habe etwas geleistet und fühle, daß ich noch Höheres leisten kann; ich bin geachtet, geliebt, und was das Höchste ist, ich weiß, daß zu Haus ein Wesen meiner wartet, das mich zum glücklichsten der Sterblichen machen wird.“

Von Berlin aus fuhr Hauff nun noch nach Leipzig und Dresden, wo er in Ludwig Tieck, den er hoch verehrte, bereits einen warmen Gönner wußte. „Ich möchte oft weinen über unsere Litteratur“, schreibt er aus Leipzig[6]. „Was für einem Anblick gehe ich in Dresden entgegen, da sitzt Tieck, der herrliche Tieck, bei dem ganz Deutschland in die Schule gehen sollte, allein und verlassen. Gegenüber tanzt das Gnomen- und Zwergvolk um den Abendzeitungsgott Th. Hell, machen Sonettchen und Glossen, Dramachen, Lustspielchen, Triolettchen, quaken lustig im Sumpf und halten sich für ganz tüchtige Nachtigallen, weil es immer einer dem andern versichert, mit der Voraussetzung, der andere fahre retour.“

Am 17. November traf Hauff wieder in Nördlingen bei der Braut ein und kehrte bald darauf nach Stuttgart zurück, wo er nun eine reiche [13] Thätigkeit zu beginnen hoffte. Noch auf seiner Reise war ihm von Cotta die Redaktion des „Morgenblattes“ angeboten worden, zu deren Übernahme vom 1. Januar 1827 an er sich bereit erklärte. Er hatte dabei jedenfalls gehofft, seine eigenen Ideen und Pläne in dieses Blatt hineintragen und es seinen Wünschen gemäß umgestalten zu können, doch sollten ihm in dieser Beziehung von seinem Chef, dem streng an seinen Grundsätzen festhaltenden Herrn von Cotta, feste Schranken gezogen werden, die ihn oft an der Ausführung seiner jugendlich reformatorischen Pläne hinderten. Besonders zwei seiner Briefe des Jahres 1827 geben davon Zeugnis; der erste derselben ist an den Schriftsteller und Dichter Ludwig Robert (1778–1832), den Bruder der bekannten Rahel, der Gattin Varnhagens von Ense, in Berlin gerichtet und am 7. Juni 1827 geschrieben[7]; hierin heißt es unter anderem: „Ihre Bemerkungen über Form und Inhalt (nämlich des ‚Morgenblattes‘) finde ich, wenn ich es sagen darf, um so richtiger, als sie dem größten Teil nach mit dem übereinstimmen, was ich Herrn von Cotta über das Blatt schrieb, als er mich um Rat darüber fragte und darauf hindeutete, mir die Leitung anzuvertrauen. Ich schmeichelte mir auch, als ich die Sache so von ferne sah, daß es mir, soweit es in meinen Kräften stünde, gelingen möchte, dieses schwürige Reformationsgeschäft zu vollbringen. Aber – ich hatte die Rechnung, wie man sagt, ohne den Wirt gemacht, und dieser machte mir einen Strich durch die Rechnung. Nämlich ich stieß auf zweierlei große Hindernisse –; einmal sagte mir Herr von Cotta deutlich, daß sein Blatt kein rein belletristisches, sondern ein allgemein bildendes und unterhaltendes sein solle, und in diesem Sinne müsse es redigiert werden … Sehr enge hängt damit ein zweiter Punkt zusammen: das Vielerlei, das sich in jedem Blatte findet … Auch wünscht man jeden Monat oder doch von sechs zu sechs Wochen eine Erzählung zu finden; daß auch hier das Gegenteil mir angenehm gewesen wäre, können Sie sich denken, da man von mir mehrere wünscht, und es doch für einen Redakteur von einiger Diskretion nicht angenehm ist, sich selbst einen Monat lang zu lesen. Herr von Cotta ist Eigentümer des Blattes und hat es nicht unter meine freie Willkür gestellt, deswegen fürchte ich durch auffallende Einsprüche, besonders wenn sie sich auf das Formelle beziehen, eher Mißtrauen in meine Einsicht als ein geneigtes Ohr zu finden, und, redlich gestanden, gegenüber Herrn von Cotta, der so viel älter an Erfahrung in dieser Sache ist, möchte ich auch nicht für unbescheiden gelten …“ Der andere, schon am 17. [14] April desselben Jahres geschriebene Brief[8] ist an Brockhaus in Leipzig, den Herausgeber der „Blätter für litterarische Unterhaltung“, gerichtet; der hierauf bezügliche Anfang lautet: „Euer Wohlgeboren erhalten anbei a) eine Rezension über W. Scotts ‚Leben Napoleons‘; b) eine andere Rezension über ein soeben hier erschienenes Werk. Was die letztere betrifft, so bitte ich um schnellen Abdruck, weil das Werk selbst eine Schande der deutschen Litteratur ist! … Ich habe diese Rezension dem Cottaschen Litteraturblatt, als meinem zunächst gelegenen, geben wollen, aber können Sie sich denken? die Aufnahme wurde mir, der ich doch Redakteur des ‚Morgenblatts‘ bin, versagt – weil Cotta eben durch Dr. Hermes eine neue umfassendere kritische Zeitschrift herausgeben will …“ Das hier unter b) genannte Werk war die von Karl Heinrich Hermes (1800–1856), dem Herausgeber der „Britannia“ in Stuttgart, verfaßte Schrift: „Über Shakespeares Hamlet und seine Beurteiler Goethe, A. W. Schlegel und Tieck“ (Stuttgart 1827). Hauffs Rezension wurde in Nr. 110 und 111 der „Blätter für litterarische Unterhaltung“ vom 11. und 12. Mai 1827 abgedruckt; in Nr. 155 vom 6. Juli erschien von Dr. Hermes eine Entgegnung auf diese scharfe Rezension und gleichzeitig wieder auf diese eine Verteidigung von Hauff.

Bald nach seiner Rückkehr in die Heimat erhielt Hauff noch einen weiteren Antrag. Sein jugendlicher Landsmann, der als Opern- und Klavierkomponist bekannte Julius Benedikt (1804–85), bat ihn um einen Operntext und erhielt gleichfalls des Dichters Zusage. Einige in Hauffs Nachlaß vorgefundene fertige Szenen, die einen Stoff aus der mittleren deutschen Geschichte behandeln, sind noch vorhanden. Zu den ersten Erzeugnissen seiner Muse nach der Reise gehören auf jeden Fall „Die Bettlerin vom Pont des Arts“, die „Phantasien im Bremer Ratskeller“ und einige Skizzen. Die übrige Zeit dieser Wintermonate aber nahmen wohl hauptsächlich die Braut und die Vorbereitung zur baldigen Hochzeit in Anspruch. Am 13. Februar 1827 fand die feierliche Vermählung des glücklichen jungen Paares statt, das sich nun ein trauliches Heim in einem Hause der Gartenstraße in Stuttgart einrichtete. Die wenigen Monate, die dem Dichter noch beschieden waren, sind ihm eine Zeit des reinsten, ungetrübtesten Glückes gewesen. Hauff hat innig, treu und wahrhaft geliebt, so seine Gattin, so seine Freunde. Über diese stille, innige Liebe haben wir von seiner eigenen Hand ein herrliches Zeugnis aus den ersten Tagen seiner jungen Ehe. Am 18. Februar 1827 schrieb er an seinen Jugendfreund, den Referendar Moritz [15] Pfaff in Ellwangen, folgenden Brief[9], der uns voll und ganz des Dichters Glück und Freude, aber auch wiederum seine gewinnende Bescheidenheit darthut:

Brief an den Referendar Moritz Pfaff in Ellwangen.
18. Februar 1827.

„Mein Moritz! Ich habe viele Bilder in diesem Leben gesehen, gedacht, auch wohl erfunden und niedergeschrieben, aber keines hat mir so gefallen wie ein ‚Stillleben‘, das ich Dir beschreiben will. Denke Dir ein kleines (warmes) Stübchen; es ist tief am Abend, und die Kerze auf dem Tisch beinahe abgebrannt. Eine Thüre ist geöffnet in ein Schlafzimmer (was an zwei Betten bemerklich), vielleicht um dort ein wenig warm zu halten. Auf dem Sofa hinter dem Tisch und dem Stümpfchen Licht sitzt ein Mann im Pelzschlafrock; er schreibt. Neben ihm sitzt eine junge Frau; sie hat das Strickzeug in den Schoß sinken lassen. Sie heftet ihr Auge voll Liebe auf den Schreibenden, sie scheint über ihn nachzudenken, und das Licht, das auf ihre angenehmen Züge fällt, zeigt, daß ihre Gedanken ein zufriedenes, glückliches Resultat geben können. – Jetzt sieht der Mann von seiner Arbeit auf, er sieht die Frau voll Wonne an, und – Du, wenn Du zufällig statt des Mondes ins Stübchen schautest, würdest Deinen glücklichen Freund erkennen. Mein Lieber! ich bin froh, daß ich um zweitausend Jahre nach Polykrates geboren bin und keinem Aberglauben mehr anheimfalle, sonst müßte mich mitten im Glück der furchtbar mahnende Gedanke traurig machen ‚noch keinen sah ich glücklich enden, auf den mit immer vollen Händen die Götter ihre Gaben streun‘. Ich bin so jung, ich habe viel Glück gehabt in der Welt. Oder ist es nicht ein Glück, daß ich bei so ausgezeichneter Anlage zum Leichtsinn, zum Trunk, Spiel und Lüge, bei einer Anlage, die sich so frühe Bahn brach, wo hundert andere zu Grunde gehen, ehe sie noch das eigentliche Leben kennen lernten, in diesem Klosterpferch nicht zu Grunde ging, daß ich eine schwächliche, aber höhere Natur auf wunderbare Weise noch errettete? War ich nicht auf dem äußersten Rand, durch Rede und That gemein zu sein, und hat mir nicht ein edlerer Sinn hin und wieder die Wagschale gehalten? Hab ich nicht mit Leichtsinn ein Band geknüpft, das mich fesselte, ohne zu überdenken, ob denn auch der Stand für mich passe, für welchen man mich erzog? Hätten nicht andere das leichtgeknüpfte Band wieder zerrissen, wie man eine Ferien-Suite vergißt? Wer hat mich davor bewahrt? Wer [16] hat mir diesen Stern der Liebe erhalten, der über meinem Leben wie eine Sonne leuchtet? Ich fühle es, ich wurzelte vorher nicht auf dieser Erde, die Liebe zu diesem liebenswürdigen Wesen hat mich gelehrt, über mich selbst zu denken, hat mir die Kraft gegeben, mir eine Bahn zu brechen, eine Kraft, die mir bis heute unerklärlich ist. In welch anderem Lande Europas, wenn es nicht Lappland ist, stehen dem jungen Mann so viele Hindernisse entgegen, öffentlich aufzutreten, als in diesem lieben Schwaben? Hergebrachte Vorurteile und Erziehung machen uns furchtsam und schüchtern. Unsere Sprache, unsere Gewohnheiten, die Sitten unserer Männer und Frauen sind Schranken, die unüberwindlich scheinen. Ich darf sagen, ich habe sie wie ein Spielzeug zertrümmert, und mit dem ersten Schritt, den ich gethan, habe ich mir einen nicht unwürdigen Platz und eine Stimme erworben, die gültig ist, soweit man unsere Sprache spricht. Und, damit ich nicht wie ein Drache, aus Druckpapier gefertigt, einige Ruten hoch der Sonne zufahre, um ebenso schnell zu sinken, hat mir das Glück die Möglichkeit beschert, einen eigenen Herd zu bauen und das Flügelroß im häuslichen Stall einzustellen. Und wenn ich dies alles so bedenke, wodurch habe ich so Schönes verdient? Woher die Kraft des Willens, etwas im großen durchzusetzen, bei der sonstigen Schwäche meiner Natur? Woher dieses Glück, das mich zu Hause wie aus entfernten Ländern jede Woche, jeden Tag besucht? – Es könnte noch einen Raum geben, der nicht ausgefüllt wäre; das Sprüchwort sagt: ‚Geteilte Freud’ ist doppelt Freude‘. Es könnten mir Freunde mangeln, die mit mir fühlen, mit mir sich freuen, ich könnte mit meinem lieben Weibe allein, verlassen stehen; und auch hier, wie gütig hat es ein wundervolles Schicksal mit mir gemeint. Wie manche Freundschaften bläst der Wind des Zufalls zusammen, um – um sie ebenso schnell zu verwehen, und mir mußte es glücken, Freunde zu gewinnen, deren Liebe meine Asche überdauern wird! Du weißt, mein Moritz, welche Stelle Du unter diesen einnimmst, und Dir darf ich es ja nicht beschreiben, welche hohe Freude mich erfüllte, als dieser schöne Bund mir ein Vermächtnis seiner Liebe in meinen Hausstand übergab! Siehe, diese guten Leute, die mir es im Namen aller gaben, sind so gut, aber sie sind so nüchtern, als daß man bei ihnen weinen könnte, und weinen hätte ich mögen vor Freude, voll Wonne der Erinnerung und der Gegenwart … Nein, er hatte einen unseligen Glauben jener alte König von Samos! Nicht von mir werfen will ich die schönsten meiner Güter, um den Neid der Götter zu versöhnen, sondern an mich ziehen immer enger, um meines Glückes bewußter und würdiger zu sein! Darum bitte ich den Himmel, er möge [17] mir die teuersten Güter, mein Weib und Eure Freundschaft, erhalten. Und diese Bitte richte ich vor allen an Dich selbst. Erhalte mir Deine brüderliche Liebe, schreibe oft an mich, gedenke meiner auch öfter. Nimm meine Hand darauf, daß dieses neue Verhältnis meine Anhänglichkeit an Dich nur bestärken kann; schlag ein und liebe Deinen treuen Freund Wilhelm Hauff.“

Auch während der letzten Monate seines Lebens war Hauff unermüdlich thätig, ja er mußte es jetzt in fast noch höherem Grade sein, da er nun ausschließlich von der Schriftstellerei für sich und sein Weib den Lebensunterhalt zu erwerben strebte. Einen Teil seiner Zeit erfüllte jetzt die Redaktion des „Morgenblattes“, für das er selbst mehrere Gedichte, doch wohl mehr als sogenannte Lückenbüßer lieferte. Außerdem war er gleichzeitig noch für mehrere andere Zeitschriften beschäftigt, wie wir schon oben aus dem Briefe an F. A. Brockhaus gesehen haben, und wie noch mehrere von ihm verfaßte Kritiken zeigen, die sich unter anderm im Jahrgang 1827 der „Blätter für litterarische Unterhaltung“ finden. Zu den letzten seiner vollendeten Arbeiten gehören einige Skizzen, der „Märchenalmanach für 1828“, die Novellen: „Die Sängerin“, „Jud Süß“, „Die letzten Ritter von Marienburg“ und „Das Bild des Kaisers“ sowie eine Beschreibung der Titelkupfer zum „Taschenbuch für Damen auf 1828“.

Im Sommer 1827 unternahm er noch eine Reise nach Tirol, um hier an Ort und Stelle sich Daten zu beschaffen für eine geplante größere Novelle im Stile des „Lichtenstein“, deren Inhalt die Tiroler Ereignisse im Jahre 1809 bilden sollten. Das Werk kam nicht mehr zur Ausführung, nur wenige Skizzen dazu hat er hinterlassen. Bald nach seiner Rückkehr aber hatte er noch die Freude, einen von ihm längst hochverehrten Mann kennen zu lernen und zu seinem Freunde zu machen. Wilhelm Müller (1794–1827), der Dessauer Liederdichter, der Verfasser der „Griechenlieder“, suchte ihn in Stuttgart auf und schloß innige Freundschaft mit ihm. Freilich sollte dieser Freude auch bald die herbe Trauer folgen; bereits wenige Wochen später, am 30. September, starb Wilhelm Müller, dessen Tod Hauff aufs tiefste berührte. Ende Oktober fühlte er sich selbst unpäßlich und mußte das Bett hüten, das er nicht mehr verlassen sollte. Ein heftiges Nervenfieber ergriff ihn und erregte seine Sinne. Bei der Kunde von dem am 20. Oktober erfolgten Siege der englisch-französisch-russischen Flotte über die ägyptisch-türkische bei Navarin wurde seine Phantasie so lebhaft von der Freude erregt, daß er, wie Schwab berichtet, zugleich des dahingeschiedenen Freundes gedenkend, mehrmals rief: „Laßt mich, ich muß hin, [18] ich muß es Müller sagen!“ In dieser Schmerzenszeit seiner eigenen Unfähigkeit trat nun noch ein Ereignis ein, dem er stets so hoffnungsfreudig entgegengeschaut hatte; während sein Leben zur Neige ging, schenkte ihm seine Gattin ein Töchterchen, das er vielleicht kaum einmal hat an sein Herz drücken können, wenn nicht schon zur Zeit der Geburt das Fieber seinen Sinn gänzlich verwirrt hatte. Am 18. November machte ein sanfter Tod seinem Leben ein Ende. In ganz Deutschland wurde das frühe Hinscheiden des jungen Dichters betrauert, der in so kurzer Zeit so viel Schönes gezeitigt hatte und noch zu so mancher köstlichen Perle Hoffnung gab. Die zahlreiche Begleitung, die er zu seiner letzten Ruhestätte fand, konnte den Mitlebenden ein Zeichen dafür sein, wie hoch der Verstorbene verehrt wurde. Sein Vetter Karl Grüneisen hielt in der Kirche eine würdige Trauerrede, Gustav Schwab sprach einige von ihm selbst verfaßte Strophen am Grabe. In den hervorragendsten Litteraturblättern der Zeit wurden ihm warme Nachrufe gewidmet; sein Freund Friedrich Haug und Ludwig Uhland dichteten Trauerhymnen auf sein frühes Hinscheiden. Vom Bildhauer Theodor von Wagner (1800–1880), einem Schüler Danneckers, wurde auf Anregung von Hauffs Freunden eine Büste des Verewigten entworfen.

Im Auftrage der Witwe, die am 6. Juni 1828 vom König von Württemberg ein Privilegium gegen den Nachdruck von Hauffs Schriften, auf 12 Jahre gültig, ausgestellt erhielt, unternahm G. Schwab eine Sammlung und Herausgabe der sämtlichen Schriften des Dichters, die 1830 in 36 Bändchen in der Brodhagschen Buchhandlung in Stuttgart erschienen. Unter seinem Nachlaß befand sich außer den oben erwähnten unzusammenhängenden Bruchstücken noch der Plan zum dritten Teile der Satansmemoiren, den später Döring bearbeitete, und Stücke einer humoristischen Reisebeschreibung.


So kurz auch das Leben Hauffs war, so war es doch, dank der gewaltigen politischen Umwälzungen und der lebendigen geistigen Strömungen jener Tage, ein erfahrungsreiches und geistig wechselvolles. In Anlehnung aber an eben diese Umwälzungen und Strömungen und in Einklang mit denselben stehend, müssen wir auch Hauffs ganze litterarische Stellung auffassen. Die große politische Zeit hatte auch auf das poetische Schaffen seine Einwirkung nicht verfehlt, wenngleich diese in den zwanziger Jahren, nach den unerquicklichen Verhandlungen des Wiener Kongresses, nach der erneuten Zerrissenheit des deutschen Vaterlandes [19] auch mehr ins Gegenteil von dem umschlug, zu dem sie während der Kriegsjahre selbst sich gestaltet hatte. Waren die großen Thaten aus wahrer Begeisterung für die Gegenwart hervorgegangen, so verlor man sich jetzt in eine falsche, erkünstelte, erträumte Begeisterung für eine ferne, längst verschollene Vergangenheit. Mit der politischen Reaktion zog auch die litterarische in Gestalt der späteren Romantik, der phantastischen Schwärmerei für die Naivetät des Mittelalters und der absichtlichen Deutschtümelei ein. Und doch hatte auch diese Schwärmerei in ihren Anfängen etwas Kräftiges, Schwungvolles; ihre erste Regung kann als eine Anknüpfung an die Genieperiode, als eine Wiederbelebung der Sturm- und Drangzeit, allerdings mit etwas mystisch frömmelnder Färbung, angesehen werden. Aber sie schloß sich nur zu bald an die kraftlosen Nachwehen jener Periode, an die faden Nachbildungen genialer Schöpfungen, wie des Werther und Götz, an. Gerade diese beiden Erstlingswerke Goethes hatten, wie wir wissen, eine endlose Reihe von Sudeleien zur Folge, die teils in Darstellung unnatürlicher Empfindungen, teils in Ritter- und Räubergeschichten aus dem späteren Mittelalter sich breit machten. Auf diesem Grunde fußten nun die Fouquéschen und Claurenschen Produkte; aber auch die besseren Sachen, die Werke der höher stehenden Romantiker, wie Tieck und Schlegel, und die der Schwäbischen Schule sind von ähnlichem Geiste durchdrungen, der freilich in unendlich viel reineren und edleren Formen zur Erscheinung kommt.

Mitten in dieser Zeit steht Wilhelm Hauff, und doch ist er keiner ihrer Richtungen und Schulen ganz oder vorwiegend zuzurechnen; von Geburt und Gefühl ein echter Schwabe, ist er doch von Bildung und Geschmack eigentlich ein Allerweltsmensch, auf den die ganze Zeit und jede der litterarischen Richtungen, die besten und die schlechtesten, Goethe so gut wie Cramer und Spieß, gewirkt haben. In seiner Jugend verschlang er, wie wir aus seinen Schilderungen selbst wissen, ohne Auswahl, was ihm in die Hände kam, und das waren besonders mit ihrem lockenden Köder die Schriften, die damals eben in aller Hände waren, die Schauerromane der Spieß und Cramer und die Schlüpfrigkeiten Claurens. Letzterer besonders stand damals im Vordergrunde der Modeschriftsteller und wußte alle Schichten der Bevölkerung offen oder versteckt mit seiner pikanten Würze zu ködern. Ihm verfiel auch Hauff, aber trotzdem er später so streng gegen ihn auftrat, hat er doch unbewußt manches von ihm in sich aufgenommen, sowohl einen Teil jener Würze, wie besonders die leichte Darstellungsart, die sich bei ihm namentlich im „Mann im Monde“ bemerkbar macht. Ebenso hat Hauff [20] von einem anderen viel auf sich wirken lassen und neugestaltet in seine Schriften mit hineingeflochten: das Vorbild E. T. A. Hoffmanns, des einst so berühmten Verfassers unheimlicher Schauergeschichten, ist an vielen Stellen der Werke unseres Dichters, besonders aber in der Einleitung zu den „Memoiren des Satan“, wiederzuerkennen. Dann aber ist es vor allen noch einer der älteren Zeitgenossen, mit dem sich Hauff gern und viel beschäftigt haben muß, das ist Jean Paul, der Eigentümlichsten einer seiner Zeit, der wohl allein durch seine übermäßig breite Darstellung und seine verzwickten Reflexionen heute mehr als recht von unserem Büchertische verschwunden ist. Damals aber war er ein echter Sohn seiner Zeit, mit seiner verklärten Romantik und seinem köstlichen, unter Thränen lachenden und im Lachen weinenden Humor. Namentlich aus der „Bettlerin vom Pont des Arts“ können wir erkennen, wie hoch Hauff diesen Mann verehrte.

Von den beiden Dichterheroen der klassischen Zeit stand Altmeister Goethe im Vordergrunde des Interesses. Schiller war schon über 20 Jahre tot, und mit ihm befaßte sich auch die Romantik fast gar nicht; auf der Bühne hatte sich die Schicksalstragödie Werners, Müllners und Grillparzers breit gemacht, die aber bald, nach kurzer Blüte, ihr Ansehen wieder einbüßte. An Goethe aber suchten sich die jüngeren aufzurichten, um ihn sammelte sich die Schar der Bewunderer, obgleich es in gewissen Kreisen bereits Mode war – und auch Hauff hat sich ja in dieser Weise einmal an ihm versündigt – mit kleinlicher Eifersucht Mängel an dem größten Genius der Zeit aufzuspüren. Alles zog nach Weimar, um den gefeierten Dichter zu bewundern, und oft genug mußte sich der alte Herr solche nichtssagende Besuche gefallen lassen, wie Hauff uns einen in den „Memoiren des Satan“ schildert. Jeder, auch der geringste Dichterling, versuchte sich in Nachahmung Goethescher Lieder oder Prosawerke, und auch Hauff hat einen nicht geringen Teil seines fließenden Stiles dem eifrigen Studium jener Werke zu verdanken, mit denen er sich schon in früher Jugend vertraut gemacht hatte. Auch Platen, Schulze und Rückert waren bei dem Alten in die Schule gegangen; der einzige eigentlich, der fast ganz auf eigenen Füßen stand, war der junge Heine, dessen „Buch der Lieder“ soeben Aufsehen erregend die Welt durchwanderte.

Aber außer durch die Werke dieser teils faden, sinkenden, teils jugendlich frisch aufstrebenden Talente deutscher Nation, außer durch die Romantik und die Schwäbische Schule wurde diese Periode der deutschen Dichtung noch durch gute, zum Teil sogar mustergültige Übersetzungen ausländischer Werke bereichert. 1797 hatte Schlegel mit seiner [21] anerkennenswerten Verdeutschung Shakespeares begonnen und damit das Beispiel einer wahrhaft genießbaren Übersetzung fremdländischer Geisteserzeugnisse gegeben. Nun ging man auch daran, die berühmten italienischen und spanischen Dichtungswerke unserem Volke zugänglich zu machen. Dantes „Göttliche Komödie“ wurde metrisch übersetzt von Kannegießer und von Streckfuß, der schon vorher Tassos „Befreites Jerusalem“ übertragen hatte. An dieselbe Arbeit hatte sich 1800 schon Gries gemacht, der bekannte Übersetzer des Ariost und der Schauspiele Calderons; auch der unvergleichliche „Don Quixote“ fand eine angemessene Verdeutschung unter der Feder Ludwig Tiecks. Alle diese ausländischen Dichter wurden in dem neuen deutschen Gewande bald heimisch in unserm Volke, keiner aber von allen wurde noch zu seinen Lebzeiten so beliebt und gefeiert wie Walter Scott. Fast gleichzeitig mit der auf 74 Bände anwachsenden englischen Ausgabe erschienen auch billige deutsche Übertragungen dieser sämtlichen Romane, die seiner Zeit in Deutschland wohl mehr Anhänger und Leser in den besseren Kreisen fanden als selbst irgend ein deutscher Schriftsteller. Diese Geschmacksrichtung des Publikums übte natürlich auch wieder ihre Rückwirkung auf die litterarische Produktion in Deutschland aus: man fing an, Scott nachzuahmen, und fand damit gute Aufnahme beim Volke. Der beste und getreueste Schüler des großen Schotten war Wilibald Alexis, der mit seinen historischen, in Scottischem Stile gehaltenen Romanen lange Zeit dies Feld beherrschte, ohne daß es ihm aber geglückt wäre, das zu erreichen, was dem jugendlichen Hauff mit seinem ersten und einzigen Werke dieser Richtung, dem „Lichtenstein“, sofort gelang.

Wenn wir nun die Erzeugnisse der Hauffschen Muse einer eingehenden Prüfung unterziehen wollen, wo müssen wir uns vor allen Dingen klar werden, mit welcher Art litterarischer Thätigkeit er vor allem seine Stellung in der deutschen Litteraturgeschichte errungen hat. Hauff war kein Originalgenie wie unsere Dichterheroen Goethe und Schiller, wie Heine, Jean Paul und andere, das dürfen wir nie vergessen. Er hatte einen ungemein regen Schaffensgeist, eine lebhafte, leicht bewegliche Phantasie und ein glückliches Gestaltungstalent; aber was er geschaffen, hat er, wenn auch in durchaus selbständiger Weise, in Nachahmung all der zahlreichen Vorbilder geleistet, deren Werke seinem Geiste Nahrung und Kraft gegeben haben, deren Schöpfungen er in sich aufgenommen und verarbeitet hat.

Hauff ist bei sehr vielen seiner Zeitgenossen in die Schule gegangen, sein jugendlich, kindlicher Lesehunger hat ihn mit einer so großen Menge der damaligen Tageslitteratur bekannt gemacht, daß er zuzeiten [22] mehr in sich aufnahm, als er verdauen konnte. Und doch hat ihm diese Fülle, selbst die leichteste und seichteste Ware derselben, nichts geschadet; sie hat nur seinen empfänglichen Geist angeregt zu eigener Gestaltung und Schöpfung und seinem Stile jenen leichten Fluß verliehen, der uns dann über so manche Unebenheit in seinen eigenen Werken hinweggaukelt. Hauff ist Prosaiker, wir können ruhig sagen, nur Prosaiker, denn die wenigen Gedichte sind nur schwache Versuche, seine allerdings reine und wahre Empfindung in gebundene Rede zu fassen, und die zwei oder drei echten Perlen poetischer Dichtung sind vielleicht mehr einer zufällig glücklichen Stimmung als einem wirklich dichterischen Talent entsprungen; sie haben sich denn auch ihren Preis errungen, sie sind mit ihrer einfach schönen Melodie zum Gemeingut unseres Volkes geworden. Der eigentliche Glanzpunkt der Hauffschen Muse aber liegt in der Novelle, hier hat er wirklich Mustergültiges geleistet; Situationen und Charaktere, dem wirklich realen Leben entnommen, mit dichterischem Glanze umwoben, sind hier mit seinem eigensten Fühlen, zuweilen allerdings vom Geiste der Romantik angehaucht, in reiner Schöne dargestellt. Endlich besaß Hauff noch einen Zug, der ihn zum Liebling so manches seiner Leser gemacht hat, nämlich einen frischen, jugendlich kecken Humor, den er zumeist in leichter köstlicher Satire trefflich zu verwerten wußte, und mit dem er manche an sich trockene Schilderung so pikant zu würzen verstand. Doch betrachten wir die einzelnen Werke selbst.

Die Gedichte Hauffs, wie gesagt großenteils unbedeutend, weisen doch einzelne Erzeugnisse von hoher Schönheit auf. Zu diesen gehört gleich das erste hier mitgeteilte Gedicht, „Mutterliebe“, das in edelster Sprache eins der erhabensten menschlichen Gefühle mit reinster Empfindung zum Ausdrucke bringt. Von den folgenden Gedichten heben sich eigentlich nur noch drei vorteilhaft von den übrigen ab; es sind die zwei ganz ins Volk übergegangenen Lieder „Soldatenliebe“ und „Reuters Morgengesang“ und das Rätsel „Einst hieß man mich die schönste aller Frauen“, das auch schon die zeitgenössische Kritik als „ausgezeichnet nach Inhalt und Form“ in den Vordergrund stellte. Die meisten dieser Gedichte stammen aus den Studenten- und ersten Liebesjahren des Dichters und sind daher teils durch besondere Gelegenheiten im Leben der Burschenschaft entstanden, teils Ergüsse des liebebeglückten jungen Herzens. Die Entstehungszeit der meisten dieser Lieder in den Jahren 1820–24 gibt uns auch das Recht, sie als die ersten in weiteren Kreisen bekannten Kinder der Hauffschen Muse an die Spitze unserer Betrachtung zu stellen und sie mit um so mehr Rücksicht [23] als erste Versuche eines noch ungeübten und unentwickelten Talents zu betrachten.

Wir wenden uns nun zu dem zweiten, gleichfalls mehr aus Jugendeindrücken hervorgegangen Werkchen Hauffs, den Märchen, von denen zwar der dritte Teil erst kurz vor des Dichters Tode erschien, die aber dennoch ein volles Anrecht darauf haben, insgesamt zu seinen frühesten Schöpfungen gerechnet zu werden. Hier in diesen drei Sträußchen haben wir die ersten duftigen Blüten von Hauffs eigentlichster Begabung, von seinem Erzählertalent; hier hat er, was er selbst noch als Knabe, als Jüngling in sich aufgenommen, in einer Weise wieder zu Tage gefördert, für die ihm, dem selbst zwischen Jüngling und Manne stehenden, jung und alt noch heute und noch lange Zeit von Herzen dankbar sein wird. In einer reinen, ungekünstelten Sprache, ohne gesuchte Verwickelungen des Gegenstandes führt er hier die lauschende Kinderphantasie in die wunderbaren Gefilde von Tausendundeiner Nacht, ohne doch, mit fast nur einer Ausnahme, die Handlung in eine allzu graue Ferne zu verlegen. Wer unter uns erinnerte sich nicht noch jederzeit mit Freuden der eigenen Kindertage, wo man uns immer und immer wieder die spannende und lustige „Geschichte von Kalif Storch“ oder „von dem kleinen Muck“ und vom „Zwerg Nase“ erzählen mußte. Und wer hätte selbst in späteren Jahren nicht jederzeit gern einmal die Geschichte vom „jungen Engländer“, diese prächtige Satire auf unsere noch heute blühende Kleinstädterei, gelesen, wen hätte nicht in der „Geschichte Almansors“ die edel gefaßte, schlichte Gestalt des oft verhaßten Napoleons ergriffen, wen hätte nicht der tiefernste Kern der Sage vom „kalten Herzen“, dieser Perle der Hauffschen Märchen, wunderbar gerührt und befriedigt?

Die Einkleidung mehrerer dieser Märchen in eine allgemeine Rahmenerzählung hat Hauff seinen Vorbildern in der Erzählungskunst, der Scheherasade und dem Boccaccio, abgelauscht und besonders in der „Karawane“ und im „Scheik von Alessandria“ mit Glück und Gewandtheit durchgeführt. Die „Karawane“ endet mit einem ernsten, schönen Bilde des Edelmutes und der Freundschaft, der „Scheik von Alessandria“, dessen Wiedergabe mit den einzelnen Erzählungen wir uns leider hier versagen mußten, endet mit einem innigen Gemälde von Kindes- und Vaterliebe, das allein durch die überflüssige Breite der Unterredungen und der Schicksale der „jungen Leute“ etwas an seiner sonstigen einfachen Schöne verliert. Die umfassende Erzählung des dritten Märchenstraußes muß eigentlich als mißlungen bezeichnet werden. Hier hat sich Hauff nicht mehr die rechte Mühe gegeben, einen angemessenen Stoff [24] zu erfinden und in der alten Weise darzustellen. Die Räuber- und Verwechslungsgeschichte des „Wirtshauses im Spessart“ mit ihrem gemachten, glücklichen Ende ist eine triviale, alltägliche mit vielem romantischen Flitter, ohne eigentlich tieferen Kern.

Dennoch kann dieser Märchenband ein gewisses Interesse insofern erwecken, als sich darin Hauffs Erzählungskunst von einer etwas anderen Seite zeigt. Während die Märchen im „Scheik von Alessandria“ ihrem Inhalte und ihrer Darstellung nach mit denjenigen der „Karawane“ auf gleicher Stufe stehen, heiter, phantastisch, zum Teil humorvoll und mehr für das unbefangene Kinderherz berechnet sind, haben wir hier, mit Ausnahme des hübschen Märchens von Saids Schicksalen, mehr ernste, für die erwachsene Jugend geeignete Erzählungen älterer Sagen, von denen besonders „Das kalte Herz“ schon von den zeitgenössischen Kritikern als reich „an Originalität, Gedankenfülle und poetischer Wahrheit“ bezeichnet ward.

Das dritte Werk Hauffs, von dem einzelne Stücke schon in einer früheren Zeit als die seiner Veröffentlichung geschrieben sein werden, sind die „Memoiren des Satan“, ein Werk, das wie die Märchen gleichfalls kein vollkommen einheitliches ist, sondern sich aus einer Reihe der verschiedenartigsten Szenen und Skizzen zusammensetzt, die nur durch die Person des Satans lose zu einem Ganzen verbunden werden. Es wird deshalb auch am richtigsten sein, wenn wir die einzelnen Kapitel einzeln nacheinander betrachten. Die Entstehung des Ganzen ist wahrscheinlich auf die Niederschrift einiger Szenen aus den Universitätsjahren über das Leben und Treiben in diesen Kreisen zurückzuführen. Möglich, ja wahrscheinlich ist sogar, daß Hauff den Satan erst bei der Bearbeitung dieser Stücke für die Memoiren in dieselben eingeführt hat. Als er aber einmal den Gedanken dazu faßte, war es ihm darum zu thun, mit seinem kecken, frischen Humor eine leichte, mehr die Äußerlichkeiten des Lebens treffende Satire zu geben, in der er unter dem Titel – gleichfalls eine Satire auf die damals mit Schwung betriebene Memoirenschreiberei – „Memoiren des Satan“ Erlebnisse und Ansichten seines eigenen jungen Lebens mit pikanter Würze darstellte. Dieser Halt an Äußerlichkeiten ist auch die Ursache, daß wir in seinem Satan nicht eigentlich das finden, was wir von dem Beherrscher des Höllenreiches erwarten. Während Hauff in seinen „Bemerkungen über das Diabolische in der deutschen Litteratur“ besonders über Goethes Mephisto herzieht, in merkwürdigem Unverständnis und jugendlicher Überhebung, müssen wir sagen – und damit wollen wir gleich hier dieses Kapitel abthun – daß Hauffs Satan gegen den Goetheschen denn doch [25] ein ganz anderer ist. Goethes Mephisto ist das eigentlich wirkende böse Prinzip, der echte Teufel mit Schweif und Pferdefuß, wie er seit Jahrhunderten im Volksbewußtsein und den Spukgeschichten der Pfaffen lebt; er ist der wirkliche Widersacher des Herrn, dem er die Seelen der Menschen mit wirklich teuflischen Listen abwendig zu machen strebt. Hauffs Satan dagegen thut eigentlich gar nichts zur Vermehrung seines Reiches, nur ein paarmal greift er wirklich thätig ein, um sich ein paar Seelen zu erobern, im übrigen sieht er meist nur mit hämischer Schadenfreude dem lächerlichen Treiben der Menschen zu, mit denen er zusammentrifft, und über deren selbstverschuldeten Leichtsinn er sich ins teuflische Fäustchen lacht oder mit denen er seine Possen treibt. Im übrigen aber ist er ein harmloser Lebemann, der lebt und leben läßt, wie es eben des Tages Laune mit sich bringt.

Diese Unzulänglichkeit des Herrn von Natas aber verkümmert uns die Satansmemoiren durchaus nicht, ja vielleicht tritt gerade dadurch ihr leichter Humor mehr in den Vordergrund und läßt das große Publikum um so mehr Gefallen an der schalkhaften Behandlung eigentlich tieferer Gegenstände finden. Die Einleitung zu den Satansmemoiren gehört mit zu dem interessantesten und spannendsten des Ganzen, es ist eine glückliche Nachahmung von E. Th. A. Hoffmanns Manier in der Darstellung des Schauerlichen und Gruseligen mit Hauffscher Novellistik. Hier führt auch der Teufel wirklich seine natürliche Rolle mit teuflischer Grazie durch, wie er die Gemüter zu umgarnen, die Sinnlichkeit, die Triebfeder so vieler Sünden, anzustacheln, und wie er selbst dem verführerischen Genuß zu frönen weiß. – Die Studien des Satans auf der Universität gehören zu dem Köstlichsten, was Hauffs Humor überhaupt gezeitigt hat. Nach der satirischen Einleitung über das Memoirenschreiben schildert er, noch selbst inmitten dieses Treibens stehend, das damalige, halb renommistische, halb frömmelnde Studentenleben und die Deutschtümelei so lustig und mit so großem Geschick, daß wir unwillkürlich an Heines „Harzreise“ erinnert werden. Zu dem Glanzpunkt dieser Szenen gehört die Darstellung des Kollegienbesuches, die noch heute ihre Geltung haben kann, das verzopfte Professorentum und die verstandlose Nachschreiberei der Studenten. Dem Geiste der Zeit entsprechend wird auch die alberne Demagogenriecherei in würdiger Weise gegeißelt. Das Abenteuer mit Dr. Schnatterer sieht eher einem Studentenulke als einem Werk des Satans ähnlich, ist aber mit prächtiger Komik dargestellt. – Im folgenden finden wir nun dem Satan den ewigen Juden zugesellt, der aber von der im Volksbewußtsein lebenden tiefernsten Sagengestalt nicht das Geringste an [26] sich hat und von Hauff nur als Karikatur für einige mit guter Satire gezeichnete Szenen aus den ästhetischen Theegesellschaften dieser Zeit benutzt wird. In diesen Kapiteln, bei der sinnlich werdenden Unterhaltung der jungen Mädchen über die Gardebeinkleider, sowie schon vorher in der Einleitung bei den heimlichen Einverständnissen des Satans mit den Damen und in der Geschichte von Dr. Schnatterer findet sich übrigens schon ein Zug Hauffs, den er später im „Mann im Monde“ trefflich gegeißelt, aber freilich auch oft genug unbewußt aus eigenem Triebe angewandt hat: ein Zug, mit leiser Andeutung das Sinnliche zu streifen, der sicher aus der Jugendlektüre in sein Blut übergegangen ist. Die Satire „Ein Festtag im Fegefeuer“ richtet sich vor allem gegen die seichte Litteratur und gegen das Publikum, das an dieser und der Hohlheit der litterarischen Klubs Gefallen fand; sie ist, wenn auch an sich nicht besonders bedeutend, so doch für uns deshalb von Interesse, weil sie Hauff eigentlich hier gegen sich selbst und seine Jugendthorheit richtet und uns dabei zugleich ein Bild seiner eigenen Entwickelung gibt. Die eingeschaltete Novelle „Der Fluch“ ist spannend geschrieben, mit Geschick und zum Teil guter Charakteristik durchgeführt, aber doch nicht zu einem wirklich befriedigenden Ende gebracht. Warum in der Fortsetzung im zweiten Teile auf einmal der Satan darin mit auftritt, ist nicht recht ersichtlich, da er doch die Gelegenheit, die sich ihm zur Intrige bietet, nicht ausbeutet, sondern nur den höhnisch dreinschauenden Beobachter spielt.

Der zweite Teil dieser Memoiren bringt uns als „Vorspiel“ eine prächtige Satire des inzwischen verhandelten lächerlichen Prozesses, den Clauren wegen des „Mannes im Monde“ gegen dessen Verfasser und Verleger angestrengt und vor Gericht gewonnen, im Urteile der Schriftstellerwelt aber schmählich verloren hatte. Hauffs Satire zerzaust mit einer trefflichen Nachahmung der Aktenphrasen die ganze Kleinlichkeit der juristischen Wortklauberei. Nach der Vollendung der Novelle „Der Fluch“ folgt dann das Kapitel „Mein Besuch in Frankfurt“. Dasselbe enthält neben einiger guter Charakteristik der Personen und der Handelsmanipulationen und neben einer wohlgelungenen Wiedergabe des Judendeutschs doch ein recht mattes Bild dieses Lebens und neben manchem guten Humor viele der alltäglichen Gemeinplätze und Witzeleien über das Judentum. Allerdings kommt hier der Satan wieder einmal zu seinem Rechte, indem er einen bisher ehrlichen Kaufmann durch seine Überredungskünste zu einem betrügerischen Spekulanten macht. Der Schluß des Ganzen, die Fortführung des „Festtages im Fegefeuer“, ist sehr matt und steht durchaus nicht mehr auf der Höhe des [27] ersten Teiles, der mit seiner Frische uns noch heute so gut wie damals ergötzen kann und den „Memoiren des Satan“ noch immerfort neue Leser aus dem Kreise vernünftig Denkender zuführen wird. Es ist übrigens leicht erklärlich, daß Hauff bei der Abfassung des zweiten Teiles dieser Memoiren nicht mehr das unmittelbare Interesse für diesen Gegenstand hatte, sondern ihn nur als eine Pflicht den Lesern des ersten Teiles gegenüber betrachtete, hatten doch seine Pläne und seine Aussichten inzwischen eine ganz andere Richtung angenommen. Jetzt war er einem weit größeren Kreise des Publikums bekannt als der Verfasser des „Mannes im Monde“ und des „Lichtenstein“, jetzt hatten sich durch die Reise und durch neue Menschenkenntnisse seine Ansichten geläutert, er war sich des eigentlichen Feldes seiner künftigen Thätigkeit mehr bewußt geworden und lebte nun auch schon ausschließlich mit seinen Gedanken und seiner Kraft in dieser Sphäre.

Der „Mann im Monde“, der 1825 als nächstes Werk erschienen war, kann in seinen Uranfängen auch bis in die Zeit der Studienjahre des Dichters zurückdatiert werden[10], doch, wohl zu beachten, nur die Grundzüge der Novelle, nichts aber, was auf Clauren Bezug hätte. Dieser Roman gehört trotz manches Abstoßenden, was als reine Übertreibung von Claurens Eigenheiten hinzugethan ist, zu dem Interessantesten, was Hauff geschrieben hat. Ein Stoff aus der unmittelbaren Gegenwart ist mit großem Geschick zu einer spannenden, verwickelten Fabel verschlungen und bis ans Ende einheitlich und straff durchgeführt, d. h. bis ans Ende der wirklichen Handlung; denn die letzten Kapitel von den „Präliminarien“ bis zu der „Nachschrift“ gehören eigentlich nicht mehr dazu, sie sind nur ein paar überflüssige grobe Klötze zur Verspottung Claurens. Ziehen wir nun überhaupt von dem Ganzen die eingefügten absichtlichen Übertreibungen sowohl nach der Seite der versteckt durchschimmernden Lüsternheit wie nach der Seite der langatmigen, breiten Auseinandersetzungen ganz unwesentlicher Äußerlichkeiten ab, so werden wir finden, daß nicht nur die meisten Charaktere mit sicherer Hand durchgeführt sind, sondern daß wir es hier auch mit wirklichen Menschen von Fleisch und Blut zu thun haben, die ihrem Kreise entsprechend handeln und empfinden. Und als solche Realitäten würde man auch manche lüsterne Anspielung, manche angedeuteten Gedanken rein menschlicher Natur empfinden, wenn sie nicht eben zu sehr mit bewußter Übertreibung aufgetragen wären. Wir haben schon öfter Gelegenheit gehabt, kennen zu lernen, daß dergleichen [28] spöttelnde Anzüglichkeiten sich unwillkürlich, als eine Folge seiner Lesewut und seiner Auffassungsgabe, in Hauffs Denken und Darstellen eingeschlichen hatten. Wir sind auch weit davon entfernt, diese Gefühle hier und bei Clauren ein für allemal zu verdammen; denn es gibt eben im Leben und also auch in einem Roman, der lebensfähige Menschen schildern will, Situationen, wo solche Gedanken wirklich vorhanden sind und im Roman zur Lebendigkeit der Anschauung, zur Charakteristik der Personen ungemein viel beitragen. Diese Wahrheit der geschilderten Zustände und Personen ist es auch, was den „Mann im Monde“, trotz seiner Persiflage Claurens, die heute im allgemeinen nicht mehr verständlich ist, weil wir Clauren nicht mehr kennen, wie er damals bekannt und gelesen war, diese Wahrheit ist es, die den „Mann im Monde“ noch heute zu den beliebtesten Schriften Hauffs stellt.

Wie im „Mann im Monde“ eine persiflierende Nachahmung eines vielgelesenen Schriftstellers jener Zeit vorliegt, so gibt uns Hauff eine sehr ernst gemeinte in seinem „Lichtenstein.“ Dieser Roman, der neben den „Märchen“ am meisten von Hauffs Werken im Volke Verbreitung gefunden hat und in unzähligen Volks- und Prachtausgaben mit und ohne Illustrationen auf den Büchermarkt gebracht worden ist, hat ebenso warme Verteidigungen wie griesgrämliche Anfechtungen gefunden. Hauff selbst hat es deutlich genug in seiner Einleitung ausgesprochen, was er mit diesem Romane gewollt hat, und wenn er mit diesem ersten Versuche sein Vorbild Walter Scott nicht in jeder Beziehung erreicht hat, so wäre es kleinlich, ihm dies als einen so bedeutenden Fehler zum Vorwurf machen zu wollen. Ebenso aber hieße es in das Zopftum des verstockten Gelehrten verfallen, wollten wir ihm mit den Waffen der historischen Kritik zu Leibe gehen und ihm nachweisen, daß sein Herzog Ulrich kein wohlgetroffenes Abbild des geschichtlichen Herzogs von Württemberg ist. Wir haben hier eben einen Dichter und keinen Geschichtschreiber vor uns, dem Dichter aber steht er jederzeit frei, seine Gestalten, auch wenn sie historisch sind, in seiner Weise, etwas milder oder schroffer, aufzufassen, wenn sie nur wahre Menschen sind und in der einmal aufgenommenen Weise bis ans Ende der Dichtung durchgeführt werden. Und dies können wir mit gutem Rechte von Hauffs Herzog Ulrich, von seinem Frundsberg, Lichtenstein, dem Pfeifer von Hardt und mancher anderen Gestalt des Romanes behaupten. Weniger gelungen sind ihm die beiden jugendlichen Heldengestalten Georg und Marie, obgleich er doch in ihnen gerade die leibhaftigen Urbilder, sich selbst und seine Luise, vor sich hatte. Hier haben wir in der That weiche, verschwommene Charaktere, deren Liebe und Liebesabenteuer allzuviel [29] romantische Schwärmerei an sich haben. Hauff war ja allerdings in dieser Beziehung selbst ein großer Schwärmer, dem man den leichten, spöttelnden Humoristen nicht wohl angemerkt haben würde, soll er sich doch in seiner Liebe zu der schönen Kousine sogar selbsterdichtete romantische Schwierigkeiten in den Weg gelegt haben, um sich die Geliebte heimlich, romantisch erobern zu können. Auch die Heldenthaten des Junkers Georg sind keine großen; wo er wirklich einmal in ernstliche Gefahr kommt, aus der ihn nur eine kühne, entschlossene That retten könnte, da steht ihm plötzlich ohne alles eigene Verdienst sein treuer Schutzgeist Frundsberg oder der Pfeifer zur Seite und hilft ihm mit seinem Machtwort über alle Berge hinweg. Trotz alledem aber ist und bleibt das Ganze ein kleines Meisterstück, allerdings nicht um des Ganzen, sondern um seiner zahlreichen einzelnen Schönheiten willen, die es denn auch wirklich zu einem Juwel in unserer deutschen Litteratur erheben. Die Szenen in Ulm mit den beiden Kousinen, das herrliche Dorfidyll mit der lieblichen Gestalt des echten Naturkindes Bärbele und seiner naiven Sprache, die mächtig wirkende Schilderung der Berghöhle und des Schicksals ihres Bewohners, die markige, treue Gestalt des Pfeifers, das sind Schönheiten, die ihren unvergänglichen Reiz ausüben werden auf jedes empfindende Gemüt. Auch an anmutigen Naturschilderungen ist das Werk reich, die dem Dichter allerdings in diesem Vaterlande nicht schwer werden konnten, ja hier übertrifft er sogar zuweilen sein Urbild, den Scottschen Roman, durch gedrängtere, schärfere Kürze. Dazu müssen wir schließlich noch auf die reine, wenn auch nicht überall fehlerfreie Sprache hinweisen, von der das Ganze getragen wird.

Zwischen der Veröffentlichung dieses Werkes und des folgenden lag, wie wir wissen, die größere Reise des Dichters, von welcher er frische Kräfte, neue Gedanken, neue Erinnerungen des Erlebten mitbrachte. Eine der ersten Früchte des neuen Schaffens waren die „Phantasien im Bremer Ratskeller“, ein Traumbild aus der lebendigsten Erinnerung gleichsam hervorgezaubert, phantastisch, keck, vom Humor echter Weinlaune durchfeuchtet, märchenhaft und doch voll so natürlichen Lebens, als wäre es im Augenblicke eines lustigen Rausches niedergeschrieben. Mit diesen Phantasien hat Hauff so eigentlich sein Bestes, sein ganzes Talent, sich selbst uns gegeben. Alles, was wir sonst zerstreut oder weit ausgeführt in seinen Werken finden, ist hier auf wenigen Seiten vereint. Die Kunst der leichten Darstellung, der prickelnde Humor, das wehmütige Gedenken, die Phantasie der Märchen und der lockere Faden einer Novelle, Dichtung und Wahrheit. [30] Zu dem schönsten des Ganzen gehört unzweifelhaft gleich der erste Teil, die biographische Betrachtung nach der heiteren Einleitung. Hier haben wir einen echten Schatz aus der Tiefe seines Herzens und seiner Jugenderinnerungen, jenes Gedenken der harmlosen, wilden, lustigen Knabenjahre, des ersten nachhaltigen Kindesschmerzes, der heiteren Natur in dem schönen Alpthale, der ersten eingebildeten Jugendliebe mit ihrem Schwanken von einer hold Lächelnden zur andern; und dann nach einer höheren Reife das lustige Studentenleben mit seiner Unbändigkeit und seiner unbeschreiblichen Schwärmerei und endlich die erste Zeit der wirklichen Jünglingsliebe, alles dies ist mit so unendlichem Reiz geschrieben wie selten in dieser Kürze und Fülle ein Lebensabriß. Und dann das eigentliche Phantasiegemälde mit seinen gravitätischen Gestalten und seinem leichtfüßigen Humor! Das Ganze ein toller Schwank, mit Lust und Liebe den Freunden des Weines dargebracht mit lebendigster Erinnerung an die zwölf Apostel im Ratskeller zu Bremen.

Und nun kommen wir zum Schluß zu Hauffs letzten Dichtergaben, zu seinen Novellen. Drei von den sechs, die er uns hinterlassen hat, haben wir für unsere Ausgabe als die besten und eigenartigsten ausgewählt, die „Bettlerin vom Pont des Arts“, „Jud Süß“ und „Das Bild des Kaisers“.

Die „Bettlerin vom Pont des Arts“ gehört ihrer spannenden, vortrefflich durchgeführten Fabel wegen zu den beliebtesten der Hauffschen Werke. Die Erzählung derselben ist gut ersonnen, straff und einheitlich behandelt. Die Heldin ist eine glücklich begabte, allerdings oft zu romantisch schwärmende Natur, ein reiner, fester Charakter, der leider zum Schaden des Ganzen in den letzten Kapiteln aus der Rolle fällt und mit vielleicht rein menschlich sein sollender Leidenschaft seine bisher bewahrte Würde und Reinheit vergißt und sich zu einem strafwürdigen Handeln hergibt. Fröben ist einer jener in Romanen herkömmlichen, schablonenhaften Tugendhelden, der die gekränkte Unschuld verteidigt und dafür mit der Erreichung des Zieles seiner Wünsche am Schlusse belohnt wird. Der eigenartigste und mit vorzüglicher Menschenkenntnis, wahrscheinlich nach einem lebendigen Vorbild ausgeführte Charakter dieser Novelle ist der Baron Faldner, jener barsche, grillenhafte, bis in die kleinsten Züge sich stets gleiche, nur sich selbst trauende und vertrauende Gatte der unglücklichen Heldin. In der Charakterisierung dieses Mannes hat Hauff ein kleines Meisterstück geliefert. In der Zeichnung des gutmütigen alten Don Pedro hat er mit Geschick das spanische Kolorit getroffen und auch für seinen Humor ein Plätzchen gefunden.

[31] Etwas anderer Natur als die eben behandelte ist die Novelle „Jud Süß“. Hier hat Hauff einen geschichtlichen, ihm durch besondere Umstände[11] besonders naheliegenden Stoff zur Darstellung gewählt. Die hinter allen hervortretenden Personen und Ereignissen mit verderbendrohendem Blicke lauernde Gestalt des Juden, das tragische Ende desselben und seiner reinen, unschuldigen Schwester verleihen dem Ganzen etwas Düsteres, Unheimliches. Der historische Hintergrund mit seinen politischen und religiösen Konflikten, mit seinen heimlichen und offenen Verschwörungen übt auch auf die übrigen Gestalten seinen Druck aus. Alle sind mehr oder weniger von dem in der Luft liegenden schweren Wetter geängstigt, das jeden Augenblick verderbenbringend hereinzubrechen droht. Die Charaktere der hauptsächlichsten Personen sind gut gelungen. Mit wenigen scharfen Strichen ist die ernste, streng rechtliche Natur des alten Lanbek oder seines Urbildes, des ehemaligen Landschaftskonsulenten Joh. Wolfgang Hauff, gezeichnet; auch dessen Sohn Gustav, der eigentliche Held der Erzählung, ist dem Dichter diesmal besser geglückt als seine bisherigen jugendlichen Helden; er zeigt etwas Festes, Geschlossenes in seinem Denken und Auftreten; nur am Schlusse erscheint sein Betragen der unschuldigen Geliebten gegenüber etwas seltsam, was weder die Sünde des Bruders noch die Vorurteile gegenüber einer verachteten Religion zu entschuldigen, höchstens des Dichters Nachschrift zu mildern vermag. Die unglückliche Lea ist das unerfahrene, reine Kind, das, durch die scheelen Blicke der Leute ängstlich geworden, sich mit seinem ganzen Vertrauen an den Geliebten hängt und, erst durch die schwere Katastrophe zur erkennenden Jungfrau erwachend, sich in ihrer Hilflosigkeit selbst den einzig übrigen Weg erwählt. Der Jude Süß ist in den Farben geschildert, welche die herkömmliche Erzählung von ihm hinterlassen hat, und dem entsprechend ist auch sein Auftreten von Anfang bis zu Ende glaubwürdig dargestellt.

Vermutlich Hauffs letztes vollendetes Werk und zugleich seine beste Novelle ist „Das Bild des Kaisers“. Der unmittelbaren Gegenwart entnommen, ist der Stoff einer der lieblichsten und der Wirklichkeit am treuesten entsprechenden, die der Dichter je behandelt hat. Noch lebte in aller Erinnerung die mächtige Persönlichkeit des ersten Napoleon, noch lebten die Vertreter jener beiden großen Parteien, von denen die eine den angestammten Erbfeind Deutschlands in ihm verabscheute, die andere den großen Feldherrn, den edelmütigen Menschen in ihm verehrte. Zu letzteren gehörten besonders die alten Soldaten, die einst unter [32] ihm gekämpft hatten, gehörte auch der Kriegsrat Hügel, eine offene, kernige Soldatennatur, von einem Adel der Gesinnung, der ihn zum würdigen Edelmann machte. So hat ihn uns Hauff hier mit Liebe und Verehrung in dem General Willi seiner Novelle geschildert und in dessen Sohn und seiner heimlichen Braut, der lieblichen Anna, dieses echten Kindes des anmutigen Schwabenlandes, sich selbst und seine Liebe in herzlicher Weise, ohne jene unnatürliche, romantische Schwärmerei dargestellt. Auch der junge Rantow, der ihm zur Zielscheibe des Witzes und Spottes gegen die hohle Selbstüberhebung gewisser Kreise diente, wie er sie in Berlin am meisten mochte gefunden haben, ist in seiner Weise natürlich und treu durchgeführt. Nicht weniger gut getroffen ist der alte Thierberg von der Gegenpartei der Napoleonfreunde, dessen Freude und Umwandlung beim Anblick von des unbekannten Kaisers Bild erhaben rührend und schön zum Ausdrucke gebracht ist. In diesem Schlusse gipfelt überhaupt die ganze Schönheit der Novelle, deren enge Verknüpfung mit den zeitgenössischen Interessen vielleicht daran schuld ist, daß sie heute, wo wir nicht mehr mit jener Lebendigkeit die napoleonische Zeit und die Nachwirkungen der Freiheitskriege verstehen, gegen andere Schriften des Dichters etwas zurückgeschoben ist. Zu diesen, besonders in der damaligen Zeit wirksamen Punkten gehört auch die hier teilweise humoristisch, aber treffend behandelte gegenseitige Unverständlichkeit des Nord- und Süddeutschen und ferner das hier öfter gestreifte Walten der Burschenschaft und des Tugendbundes. Wer aber einigermaßen einen Einblick in jene große Zeit unserer deutschen Vergangenheit hat, der wird auch jederzeit mit freudiger Genugthuung Hauffs „Bild des Kaisers“ lesen und seine liebliche Schilderung mit Befriedigung und wahrem Genuß in sich aufnehmen.

So steht Hauff mit nur wenigen anderen aus dieser Zeit der Nachahmungen, vielleicht auch infolge seines frühen Todes von den Zeitgenossen um so ehrfurchtsvoller und neidloser hervorgehoben, noch immer als ein Liebling unseres Volkes vor uns und hat sich mit dieser Liebe zugleich einen Platz unter den besten unserer Dichter, unter unseren Klassikern errungen, der ihm wohl für alle Zeit gesichert bleiben wird.


  1. S. unten S. 15.
  2. In der „Litterarischen Beilage des Staatsanzeigers für Württemberg“ 1877, Nr. 25 u. 26.
  3. Vgl. Klaibers Aufsatz in „Nord und Süd“ 1878. V.
  4. Vgl. über all dies unsere Einleitungen zu den betreffenden Werken.
  5. Berliner Konversationsblatt vom 1. Dezember 1827, Nr. 238.
  6. „Nord und Süd“ 1878, V.
  7. Original im Besitze der Varnhagenschen Autographensammlung zu Berlin
  8. Original im Besitze des Kammerherrn Baron H. von Donop in Wiesbaden.
  9. Abgedruckt in einem Privatkatalog des Herrn Alex. Meyer Cohn in Berlin, in dessen Besitz sich der betreffende Brief befindet.
  10. Vgl. über dessen Entstehung unsere Einleitung zu diesem Werke.
  11. Vgl. unsere Einleitung zu den Novellen.