Textdaten
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Autor: Dr. Karl Ruß
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Titel: Hasenzucht im Zimmer
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aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 70, 71
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Hasenzucht im Zimmer.

Von Dr. Karl Ruß.

Das Bestreben, die Natur, welche vor der menschlichen Kultur immer weiter zurückweicht, wenigstens hier und da wiederzugewinnen und festzuhalten, hat in den letzten Jahrzehnten eine Thätigkeit hervorgerufen, welche dem oberflächlichen Beschauer wohl gar wunderlich dünkt. Darauf begründet sich die Ausschmückung unserer Wohn- und Gesellschaftsräume nicht allein wie früher mit schönem und mannigfaltigem Pflanzenwuchse, Blumen und Blattgewächsen, sondern auch mit Behältern, welche zahlreiche lebende Thiere beherbergen. So sehen wir Käfige und Vogelstuben, Aquarien und Terrarien, Frosch- und Schlangenhäuser und all dergleichen in großer Mannigfaltigkeit vor uns, so züchten wir nicht allein wie bisher allerlei Vögel in der Häuslichkeit, sondern auch im denkbar kleinsten Raume Zierfische, ja wohl gar Molche u. dergl. Dies sind ja aber, wenigstens im Wesentlichen, bekannte Dinge, und sowohl mancherlei Handbücher als auch immerfort zahlreiche Mittheilungen in meinem Blatte „Isis“, Zeitschrift für alle naturwissenschaftlichen Liebhabereien, bringen darüber nähere Auskunft. Hier will ich indessen von einer Thierzucht berichten, welche sich vor allen anderen dadurch auszeichnet, daß sie selbst das Wort des alten Ben Akiba zu nichte macht, denn sie ist entschieden noch nicht dagewesen.

Die Hand- und Lehrbücher der Jagd nebst den Naturgeschichten, so viele ich ihrer auch kenne, sagen über die Fortpflanzung des Hasen in der Gefangenschaft überaus wenig, selbst Brehm’s „Thierleben“ weiß darüber nichts weiter anzugeben, als was seit altersher berichtet worden. Spaßhaft ist es, nebenbei bemerkt, daß man hier und da noch immer die Mär von der ergiebigen, höchst nutzbaren Bastardzucht zwischen Hasen und Kaninchen findet, welche nach meiner Ueberzeugung wohl kaum irgendwo stattgefunden hat. Kurz und gut, die Hasenzucht gehört, auch trotz der sogenannten Hasengärten, in denen man sie neuerdings im Großen betreiben wollte, immerhin zu den fragwürdigen Unternehmungen, eine Aktiengesellschaft läßt sich schlechterdings nicht darauf gründen.

Um so mehr darf ich zweifellos auf ein reges Interesse rechnen, wenn ich von der Züchtung des Hasen, nicht allein in der Gefangenschaft überhaupt, sondern sogar in der Stube erzählen kann.

Ein Vogelliebhaber berichtete mir jüngst, seine Frau habe den dringenden Wunsch ausgesprochen, daß er die Vogelstube, welche er seit langen Jahren gehalten, eingehen lassen solle, weil dieselbe doch recht lästig in der Häuslichkeit sei, nach längerem Sträuben habe er dann endlich eingewilligt, aber nur unter einer Bedingung, der nämlich – eine Affenstube anzulegen. Nicht wenige Leser wird bei dem Gedanken, eine größere Anzahl von Affen innerhalb der Häuslichkeit zu halten und freilaufend in einem Zimmer zu züchten, sicherlich ebensolch Grauen ergreifen, wie jene Hausfrau, welche nun doch lieber mit Freuden darein willigte, daß die Vogelstube bestehen bliebe. Auf den ersten Blick aber erscheint zweifellos das Halten und die Züchtung von Hasen in der Häuslichkeit kaum minder bedenklich, als das unserer lieben nächsten „Vettern“ aus der Thierwelt. Dennoch weiß ich von einem solchen Falle zu berichten.

Als ich in der Kanarienzüchterei des Herrn Dekorationsmaler E. Hinze in Berlin die Vögel ausreichend gesehen und gehört, sagte der Genannte. „Nun, Herr Doktor, muß ich Ihnen aber noch eine andere Zucht zeigen, welche Sie als Herausgeber der ‚Isis‘ nicht minder interessiren dürfte.“ Wir betraten ein Zimmer, in welchem sich außer zwei großen Kanarienhecken besonders die Futtervorräthe befanden, und unterhalb der letzteren in einem Verschlage die betreffende andere Hecke, aus welcher der Züchter einen jungen Hasen im Alter von etwa acht Tagen hervorholte. Man dürfte annehmen, daß ein solcher Züchtungserfolg auf einem einmaligen glücklichen Zufall beruhe, und auch dann würde er ja immerhin verwunderlich und bemerkenswerth genug erscheinen, um so mehr ist dies aber der Fall, wenn wir erfahren, daß die Hasenzucht auch zum zweiten Mal in einem Wurf von zwei Jungen geglückt ist.

Herr Hinze berichtet nun über dieselbe im Wesentlichen Folgendes: „Die beiden alten Hasen wurden uns, der Hase im März vor drei Jahren und die Häsin im Juli 1883, noch ganz jung, wahrscheinlich erst einige Tage alt, überbracht, und wir mußten sie, den erstern drei und die letztere sechs Wochen hindurch, mühsam mit der Flasche aufpäppeln; erst in der zweiten Hälfte dieser Aufzuchtszeit fingen sie an, ein wenig Klee und Luzerne zu fressen. Mit dem letztern Futter werden sie seitdem während der Sommermonate fast ausschließlich ernährt, während sie im Winter Mohrrüben, trocknen Hafer und Semmel in Milch erhalten; als ein Lieblingsfutter für sie darf gerösteter Zwieback gelten. Der Raum, den das Hasenpaar bewohnt, ist mit Draht eingegittert, zwei Meter lang, ein Meter hoch und ein Meter tief. Er hat am Boden zwei starke Zinkblechuntersätze, welche täglich gereinigt und mit trocknem Sand fingerdick bestreut werden. Bei Tage freilich dürfen die drolligen Kerlchen in allen unseren Zimmern frei umherlaufen, wobei sie sich fast immer durchaus reinlich aufführen, namentlich der Hase hat noch niemals außerhalb seines Verschlags Schmutzerei verursacht. Alle drei bisher gezüchteten Jungen wurden etwa vier Wochen hindurch von der Häsin gesäugt und, wenn auch überaus ängstlich, so doch immerhin muthvoll beschützt; dann aber, fast plötzlich, begann sie die Jungen zu mißhandeln, die Mutterliebe hatte sich geradezu in Bösartigkeit verwandelt. Bei den beiden letzten Jungen genügten wenige Nachtstunden, sie so zu bearbeiten, daß auf ihrem Körper fast kein Haar mehr zu finden war, und wir mußten ernstlich befürchten, [71] die trauten Thierchen zu verlieren. Sie wurden nun von der Alten entfernt und an Milchtrinken gewöhnt, indem ich sie täglich mehrmals mit den Mäulern in mit Wasser verdünnte Kuhmilch tauchte. So gediehen sie gut und wuchsen ebenso kräftig heran, wie die Alten.

Alle unsere Hasen sind gegen uns überaus zahm und zutraulich, kommen, wenn sie mit Namen gerufen werden, sogleich herbeigelaufen, lassen sich streicheln, springen meiner Frau, die sie größtentheils pflegt, auf den Schoß, liebkosen sie und belecken ihr die Hände wie Hündchen. Dies geschieht jedoch nur, wenn wir mit ihnen allein sind; ist ein Fremder anwesend, so sitzen sie in ihren Ställen in den Ecken ganz zusammengekauert, ohne sich zu rühren. Noch eine Eigenthümlichkeit will ich nicht unerwähnt lassen, nämlich die, daß das Junge vom ersten Wurf bei der Geburt ganz schwarz war, erst nach etwa zwei Wochen an den Füßen sich ins Graue zu färben begann und nach Verlauf von sechs Wochen die naturgemäße Hasenfarbe erlangte. Die beiden Jungen des zweiten Wurfs zeigten dagegen sogleich die gewöhnliche Färbung.“

Hoffentlich wird es Herrn Hinze gelingen, in diesem Jahre die Hasenzüchtung weiter zu treiben, und dann dürfen wir wohl erwarten, daß zunächst in allen Kanarienzüchtereien und auch in vielen Vogelstuben diese Zucht eifrig in die Hand genommen werde.[1]


  1. Notabene, wenn es die verehrlichen Hausfrauen gestatten, welche nicht immer gut dazu sehen, aber allerdings der Hasenzucht doch wohl noch den Vorzug vor der – Affenzüchtung geben dürften. Anmerk. d. Red.