Hardenberg’s Instruction für Jordan 1817 in Sachen des Artikels XIII der Bundesacte
[340] Hardenberg’s Instruction für Jordan 1817 in Sachen des Artikels XIII der Bundesacte. Im ersten Bande meiner Geschichte Europas seit den Verträgen von 1815 bis zum Frankfurter Frieden von 1871 habe ich die politische Mission, die den Preussischen Geheimen Legationsrath Johann Ludwig von Jordan gegen Ende des Jahres 1817 nach Wien führte, nur flüchtig S. 325, 328, 338, 340 berühren können. Indessen würde diese Mission wohl nicht weniger wie der Mann, der mit ihr betraut war, eine genauere Betrachtung verdienen. Ueber diesen besitzen wir nur einen kurzen, wiewohl sehr sorgfältig gearbeiteten Artikel von Bailleu in der Allgem. Dt. Biographie XIV, 506, dem sich gelegentliche Notizen in historischen Werken, wie z. B. Klose’s Leben des Fürsten von Hardenberg 1851, S. 512, anreihen. Die Verhandlungen, die er damals in Wien zu erledigen hatte, werden aber durch zahlreiche Schriftstücke eines im Geheimen Staatsarchive zu Berlin befindlichen Actenfascikels (A. A. 1 Rep. V, Nr. 51) beleuchtet. Es waren sehr verschiedene Gegenstände, welche damals zwischen ihm und Metternich besprochen wurden. Die ausführliche Instruction, die der Staatskanzler Hardenberg ihm mit auf den Weg gab, zählt sie auf: Militärangelegenheiten des Deutschen Bundes, Bundesfestungen, die Pressfreiheit in Deutschland aus dem Gesichtspunkte der inneren und äusseren Sicherheit in Deutschland betrachtet, Barbaresken, Aufhebung der Fruchtsperre, Angelegenheiten des ehemaligen Königreichs Westfalen, Annahme höherer Titel der Souveränität im Bunde, die Bestimmungen des Artikels XIII die ständischen Verhältnisse betreffend, die Bestimmungen wegen Klagen zwischen Bundesbehörden und Unterthanen und Unterthanen und Souverän, Religionssachen, Judensachen.
Keine dieser Fragen erweckt so viel Interesse wie die, welche sich auf Artikel XIII der Bundesacte bezieht. Die Prophezeiung dieses Artikels: „In allen Bundesstaaten wird eine landesständische [341] Verfassung stattfinden“, war noch unerfüllt geblieben. Nur Sachsen-Weimar hatte bis dahin die Garantie des Bundes für die seinem Lande gewährte Verfassung erbeten, und in Nassau hatte man die Berufung der Stände nach den Patenten vom 1. und 2. September 1814 zu erwarten. Inzwischen waren Petitionen an den Bundestag, welche „Einführung wahrer und würdiger Volksvertretungen“ forderten, auf Antrieb des Darmstädter Advocaten Hofmann und des Löwenstein’schen Justizrathes Beck in Umlauf gesetzt. Am Bundestag gab der bekannte Plessen’sche Antrag in der vertraulichen Sitzung vom 18. December 1817 Wangenheim Anlass zu einem heftigen Ausfall (s. meine Geschichte Europas I, S. 336, 337 und Anhang II), und am 22. December 1817 ward in Frankfurt der Beschluss gefasst, dass sich die einzelnen Gesandtschaften über die Erfüllung des Artikels XIII erklären möchten.
Unter diesen Umständen war bei Verhandlungen Preussens und Oesterreichs über einen gemeinsam einzuhaltenden Gang nichts wichtiger, als sich über ihre Stellung zum Artikel XIII der Bundesacte ins Einvernehmen zu setzen. Metternich hatte in seiner Weisung an Hruby, den Oesterreichischen Gesandten in München, vom 11. December 1817, einer Art von Manifest, sich gegen jede Initiative der Bundesversammlung verwahrt und klar ausgesprochen: „Das Gesetz besteht; dieses muss für den Augenblick genügen, die Anwendung des Gesetzes muss der Weisheit jeder einzelnen Regierung überlassen bleiben“. Dass Hardenberg eine Initiative der Bundesversammlung dulden oder gar herbeizuführen suchen werde, brauchte er nicht zu fürchten. Wohl aber musste es ihm zweifelhaft sein, ob „die Weisheit“ der Preussischen Regierung nicht für gut befinde, Deutschland anzukündigen, dass das Verfassungsversprechen Friedrich Wilhelm’s III. vom 22. Mai 1815 in einem nahen, bestimmten Zeitpunkt erfüllt werden sollte. In dieser Hinsicht wurde man durch die Mittheilungen Jordan’s einigermassen beruhigt. Hardenberg hielt zwar, wie man weiss, den Gedanken einer reichsständischen Verfassung fest. Aber vornehmlich die Rücksicht auf die Stimmung des Königs, der nach dem Wartburgfest noch argwöhnischer geworden war, gebot ihm grosse Vorsicht. In einem von der Hand des Geheimen Legationsrathes K. G. von Raumer herrührenden Entwurf zu Jordan’s Instruction wurde mit Bezug auf Erfüllung des Artikels XIII gesagt: „Das Wann und Wie ist unbestimmt, Oesterreich und Preussen können nicht so geschwind als Weimar damit zu Stande sein“. Auch war hier gerichtliche Verfolgung des in Frankfurt erschienenen Mannes (Beck) gefordert, „der mit vermeintlichen Vollmachten das Wann und Wie betreiben will“. Dazu findet sich die Randnote: „V. S. D. (Von Seiner Durchlaucht) [342] Hand: Accedo. H. v. Jordan wird dem Fürsten Metternich mittheilen, was bei uns geschehen ist, und dass S. Majestät der König den einzurichtenden Ständen bloss eine berathende Stimme einräumen wollen“.
In der endgültigen Fassung der Instruction für Jordan fiel die Anspielung auf Beck fort. Aber über das Wann und Wie einer Erfüllung des Artikels XIII durch Preussen wurde nichts gesagt. Auch sah es nicht nach Beschleunigung aus, wenn Hardenberg den Vorschlag machte, der Bund möge jede weitere Berathung über Artikel XIII „bis etwa auf ein Jahr vertagen“. Desgleichen musste die durch Jordan vertraulich nach Wien überbrachte Erklärung, die Preussen in Frankfurt abzugeben gedachte, Einiges zur Minderung von Metternich’s Sorgen beitragen. Wenngleich hier von einem künftigen „gemeinsamen Band aller Provinzen“ die Rede war, wurde doch als erste Aufgabe bezeichnet, an der Hand der Erfahrung und nach Anleitung des erkannten Bedürfnisses festzustellen, „was das Wohl der einzelnen Provinzen fordert“. Nach der Behauptung Wintzingerode’s, des damaligen Württembergischen Gesandten in Wien, hätte Jordan sogar versichert, Preussen denke nur an die Einführung von Provinzialständen[1].
Wie dem auch sei: Metternich fühlte sich für den Augenblick erleichtert. „Wir verstehen uns in allen Fragen“ schrieb er über Jordan’s Mission an den Oesterreichischen Gesandten in Berlin[2], und dem Entwurfe des Preussischen Votums schenkte er „seine vollkommenste Beistimmung“. Noch war sein Triumph nicht gesichert. Aber die diplomatische Art, wie Hardenberg in der Jordan ertheilten Instruction die Verfassungsfrage behandelte, war ermuthigend für seine Pläne. Man wird daher das Actenstück in wörtlichem Abdruck, bei dem nur die Schreibung vereinfacht worden ist, als ein bedeutsames Zeichen der Hardenberg’schen Staatskunst, nicht ungern zu besitzen wünschen.
„Als die souveränen Fürsten Deutschlands in dem XIII. Artikel der Bundesacte bestimmten:
dass in allen Bundesstaaten eine Bundesverfassung stattfinden werde [sic!],
war ihnen wohl bewusst, dass man über das Wann und Wie im Allgemeinen nichts feststellen könne.
Nicht jeder Bundesstaat stehet in Hinsicht des XIII. Artikels auf einer gleichen Linie. Abgesehen von der Verschiedenheit, welche in [343] den grösseren Bundesstaaten ältere, bereits bestehende, landständische Verfassungen hervorbringen, so haben die letzten Friedensschlüsse die Territorialverhältnisse mehrerer Deutschen Fürsten so wesentlich verändert, dass sie sich genöthigt gesehen, mit einer neuen Organisation den Anfang zu machen und nur nach deren Vollendung zur Erfüllung der in dem XIII. Artikel übernommenen Verpflichtung schreiten können.
Diese Umstände beschränkten die Monarchen in Wien im Jahre 1815 bei der Aufstellung des XIII. Artikels auf eine allgemeine Verheissung der ihren Völkern zugedachten Wohlthat, sie machen es auch jetzt noch unmöglich, über das Wann und Wie einen festen, übereinstimmenden Beschluss zu fassen. Es würde von nachtheiligen Folgen sein, wenn man ihrem weisen Ermessen durch übereilte Anregungen vorgreifen wollte, vielmehr können die Völker mit Vertrauen den Zeitpunkt erwarten, wo dasjenige in Erfüllung gehen kann, was aus freiwilligem Antriebe und aus eigener Machtvollkommenheit zugestanden wurde. Nicht zu verkennen ist das aufrichtige Bestreben, mit welchem die Deutschen Fürsten sich dem Ziele zu nähern und alle Hindernisse, welche sich demselben entgegenstellen, zu beseitigen suchen. Ueberall beschäftigt man sich mit der inneren Organisation der neu erworbenen Länder, überall müht man sich, die Wunden des Krieges zu heilen und die Berufung der Provinzialstände vorzubereiten. In den kleineren Staaten und in solchen, die in Gemässheit der neuen Gestaltung der Territorialverhältnisse keine Veränderung erlitten haben, war die Aufgabe natürlich leichter zu lösen, als in den grösseren Monarchien, die zum Theil eine ganz neue Begrenzung erhielten und die nicht mit ihrem ganzen Staate zum Deutschen Bunde gehören. Wurden daher die Schwierigkeiten nicht schon jetzt mit gleichem Erfolg besiegt, so kann wohl unter so verschiedenartigen Umständen der unvermeidliche Verzug bei Anwendung der Bestimmungen des XIII. Artikels noch keine gerechte Veranlassung zu irgend einem Tadel abgeben.
Von diesem Gesichtspunkt betrachtet, finde ich es ganz zweckmässig, dass der Bund schon jetzt die Garantie solcher Verfassungen übernehme, welche bereits gehörig erwogen und in gänzlicher Uebereinstimmung zwischen dem Landesherrn und den vorhandenen Ständen abgeschlossen worden sind; aber aus eben demselben darf der Bund, meines Dafürhaltens, in dieser wichtigen Angelegenheit noch keinen weiteren Beschluss fassen.
Es würde durch ein so unzeitiges Eingreifen des Bundes der ganz deutliche Sinn des XIII. Artikels zum grössten Nachtheil der heiligsten Verhältnisse verdunkelt und überschritten werden; man [344] würde dadurch zu erkennen geben, dass man ein Misstrauen in die endliche Absicht derjenigen Fürsten setze, die aus vollwichtigen Rücksichten die Bestimmungen des mehrgedachten Artikels noch nicht zur Ausführung bringen konnten; ja der Bund würde dadurch die innere Ruhe Deutschlands, für welche er Gewähr leisten soll, stören und den strafbaren Forderungen einiger unruhigen Köpfe, denen es mehr um einen gesetzlosen Zustand, als um irgend eine gesetzliche Verfassung zu thun ist, das Wort reden.
Der Bund warte daher den Zeitpunkt ab, wo die Organisation in den grösseren Staaten zur Vollendung gediehen und wo man auch dort mit den vorbereitenden Erwägungen und Massregeln in Hinsicht der einzuführenden landständischen Verfassung zum Ziele gekommen sein wird.
Dieser Zeitpunkt ist hoffentlich nicht mehr entfernt, weil das Bedürfniss allgemein gefühlt wird, der gegebenen Verheissung so weit zu genügen, als es nach der individuellen Lage jedes Staates zulässig ist.
Der Bund vertage daher aus obigen Gründen jede weitere Berathung über den XII. Artikel bis etwa auf ein Jahr und spreche sich unverhohlen über die Gründe aus, welche ihn dazu veranlassen. Die öffentliche Stimmung in Deutschland kann dabei nur gewinnen, indem man einerseits erklärt, dass man den grossen Zweck stets im Auge behalten will, andererseits aber jedem Gutgesinnten die Ueberzeugung verschafft, dass man bei einer so wichtigen Angelegenheit weder einseitig zu verfahren, noch das Mass der dem Bunde zugestandenen Befugnisse zu überschreiten gesonnen ist“.