Hans ohne Sorgen
Es lebte vor Zeiten ein fröhlicher Müller in Schwaben, der hatte über seine Hausthür die Worte geschrieben: „Hans ohne Sorgen.“ – Da ritt einmal der Herzog von Schwaben an der Mühle vorbei, las die Ueberschrift und dachte: „wart, wenn du keine Sorgen hast, so will ich dir schon welche machen!“ und ließ den Müller zu sich rufen und sprach: „Du mußt doch auch erfahren, was Sorgen sind. Da will ich Dir ein Räthsel aufgeben; kannst Du das lösen, so ist’s gut; kannst Du es aber nicht, so sollst Du nicht [100] länger Herr in Deiner Mühle bleiben, sondern sollst sie mir abtreten. Das Räthsel, welches Du lösen sollst, ist aber dieß: Du mußt mich besuchen, nicht bei Tag und nicht bei Nacht, nicht nackt und nicht bekleidet, nicht zu Fuß und nicht zu Pferd.“ Und als er das gesprochen hatte, ritt der Herzog weiter.
Da zerbrach sich der Müller den Kopf und dachte hin und her und konnte das Räthsel nicht lösen, also, daß es ihm viele Sorgen machte. Dann wandte er sich endlich an seinen Mahlknecht und sagte zu ihm: „wenn Du mir das Räthsel lösen könntest, wollte ich Dir gern meine Tochter zur Frau geben und Du solltest nach mir die Mühle erben.“ – Dem Knecht schien das Räthsel sehr leicht und er sagte auf der Stelle zu seinem Herrn: „ei, so geht doch am Mittwoch zum Herzog! denn der Mittwoch ist ja gar kein Tag, weil das Wörtlein „Tag“ wie in Sonntag, Montag u. s. w. darin fehlt, und ist doch auch keine Nacht. Und wenn Ihr nicht nackt und nicht bekleidet sein sollt, so hängt doch ein Fischergarn um! und sollt Ihr nicht zu Fuß und nicht zu Pferd kommen, ei, so reitet auf einem Esel hin!“
Da wurde der Müller wieder lustig und guter Dinge, hüllte sich in ein Fischergarn und begab sich eines Mittwochs auf einem Esel zum Herzog, der mit dieser Auflösung zufrieden war und den Hans-ohne-Sorgen freundlich entließ. Der Müller aber verlobte alsbald seine einzige Tochter dem Mahlknecht, und nicht lange nachher gab’s eine fröhliche Hochzeit in der Mühle.
Anmerkung des Herausgebers
[305] 28. Hans ohne Sorgen. Mündlich aus Derendingen. Eine zweite Erzählung aus Bühl heißt: „der Bischof ohne Kreuz.“ Dieß hatte ein Bischof über seine Hausthür setzen laßen. Als der König das las, dachte er, wart, ich will Dir schon ein Kreuz aufladen, und ließ den Bischof kommen und legte ihm drei Fragen vor: 1) Wie weit ist es in den Himmel? 2) Wie tief ist das Meer? 3) Wie viel Laub hat deine Linde? Diese drei Fragen sollte ihm der Bischof in drei Tagen beantworten; könnte er es aber nicht, so sollte ihm der Kopf abgeschlagen werden, sagte der König. – Da hatte der Bischof Kreuz genug; denn er mochte sich besinnen, wie er wollte, so brachte er doch nichts heraus. Da fragte ihn sein Schäfer, weshalb er so traurig sei. Er will’s erst nicht sagen. Allein wie der Mann ihn zum dritten Mal fragte und seine Angst immer größer wurde, gesteht er ihm Alles. Der Schäfer übernimmt dann die Beantwortung der Fragen und geht in den Kleidern des Bischofs sofort zum Könige. Der sah zwar wohl, daß es nicht der rechte Mann war, wollte aber doch hören, was er zu sagen wiße und fragte: Nun, wie weit ist’s in den Himmel? Sprach jener: [306] „eine Tagreise; denn es ist noch Niemand unterwegs über Nacht geblieben.“ Und wie tief ist das Meer? „Einen Steinwurf tief; denn wenn man einen Stein hineinwirft, so kommt er sicher auf den Grund.“ Und wie viel Laub hat des Bischofs Linde? „Grad so viel Blätter als sie Stiele hat,“ sprach der Schäfer. Der König war damit zufrieden und fragte weiter: „jetzt kannst Du mir wohl auch noch sagen, wie weit es ist bis zur Armuth.“ Der Schäfer sprach: „Eine Stunde weit; denn vor einer Stunde war ich noch ein armer Schäfer, nun aber bin ich Bischof.“ „So sollst Du es auch bleiben,“ sagte der König, „und wer Schäfer ist, soll Schäfer bleiben.“ Und so ist es auch geschehen. – Vgl. Bürger’s bekanntes Gedicht und die zu Grunde liegende englische Erzählung: „der König Johann und der Abt von Canterbury“ in den altschottischen und altenglischen Balladen, bearbeitet von W. Doenniges, 1852, S. 152 ff.