Hamburgs neue Elbbrücke
Wir haben vor 16 Jahren (vgl. S. 274 der „Gartenlaube“ von 1872) die damals soeben im Bau vollendeten Elbbrücken der Eisenbahn Hamburg-Harburg in Bild und Wort unsern Lesern geschildert. Dieselben, so großartig angelegt sie an sich auch sein mochten, litten an einem wesentlichen Mangel; sie dienten nur dem Eisenbahn- und dem Fußgängerverkehr, für die Wagenpassage waren sie weder bestimmt noch eingerichtet.
Seitdem hat bekanntlich Hamburg eine gewaltige Umwälzung beschlossen und ist noch gegenwärtig im Begriffe, sie zu vollziehen: die Vorbereitungen zu dem 1888 stattfindenden Anschlusse Hamburgs an das deutsche Zollgebiet veranlaßten den Abbruch ganzer Stadttheile und die Errichtung eines umfangreichen Freihafenviertels. Da letzteres auch einen großen Theil der Elbinseln Steinwärder, Kleiner Grasbrook und Veddel in sich schließt, so wurde eine bessere Verbindung mit denselben unbedingt nothwendig. Eine
solche herzustellen, ist die dritte Hamburger Elbbrücke bestimmt, deren Abbildung wir jetzt unsern Lesern vorführen.
Ueber die Norder-Elbe, den bei Hamburg vorbeiströmenden Elbarm, geschlagen, schließt sich die Brücke der in Folge des Zollanschlusses etwas verlegten Hamburg-Harburger Chaussee an; letztere ist selbstverständlich eine Zollinlandstraße und liegt diesseit der Grenze des neuen Freihafengebiets. Die geniale Konstruktion der beiden älteren Elbbrücken, eiserne Doppelbogen nach dem System des Oberbaurathes Lohse, hatte sich so ausgezeichnet bewährt, daß man sie auch bei dem dritten Bauwerk dieser Art anzuwenden beschloß. Die einzelnen Bogen sind je 102 Meter lang; einschließlich der sich an die Ufer zunächst anschließenden Steinbogen hat die Brücke eine Gesammtlänge von 400 Metern. Die Fahrbahn, auf Betonunterlage gepflastert und mit zwei Pferdebahngeleisen zu künftiger Verwendung versehen, ist 7 Meter breit, die Fußgängerwege an beiden Seiten, außerhalb der Brückenträger, also gewissermaßen balkonartig angebracht, sind asphaltirt und haben eine Breite von je 2 Metern. Die einschließlich der Träger sich ergebende Gesammtbreite von 13 Metern wurde ursprünglich so projektirt, als man (1882) den Brückenbau beschloß; indessen sind vorsichtshalber die Brückenpfeiler so lang gebaut, daß sie bei etwa eintretendem größeren Verkehrsbedürfniß eine fast doppelt so breite Fahrbahn zu tragen im Stande wären.
Der Erbauer der Brücke ist der hamburgische Ingenieur C. O. Gleim, eine in Technikerkreisen als hervorragend geschätzte Kraft, durch mehrere bedeutende Veröffentlichungen speciell über amerikanische Brückenbauten vorteilhaft bekannt und als vorzüglicher Kenner des Brückenwesens bewährt. Mit der Ausführung der Elbbrücke hat der Genannte nach einstimmigem Urtheil in jeder Beziehung Ehre eingelegt. Im Herbst 1882 begannen die Projektirungsarbeiten; Anfang Juni 1883 konnte die Fundirung des ersten Pfeilers stattfinden; zum Frühjahr 1885 wurde der erste Pfeiler und in kurzen Zwischenräumen die übrigen vollendet; zum Baumaterial war Granit gewählt worden.
Daß die Entfernung zwischen den einzelnen Pfeilern je 102 Meter und die Länge der steinernen Brückenbögen an den Ufern, je zwei an der Zahl, rund 27 Meter beträgt, geht aus dem oben Gesagten schon hervor. Eine ziemlich schwierige Aufgabe hatte auch die Zimmergewerkskunst bei Herstellung des Baugerüstes zu lösen; dies ist seitens der Zimmermeister Hintzpeter und von der Sahl geschehen. Die Maurerarbeit übernahm Maurermeister Hevers. Den eisernen Überbau lieferte die bekannte Firma Harkort in Duisburg. Endlich erhielt die Brücke noch einen sehr ansprechenden künstlerischen Schmuck: der Hamburger Architekt Hauers schuf den Entwurf zu einem monumentalen Portal. Was die glückliche Verwerthung des Materials anbelangt, so darf das Werk den berühmtesten Thorportalen im Backsteinstil der mittelalterlichen Architektur als ebenbürtig angereiht werden. Aus Granit und Basaltlava besteht der Unterbau. Zur Ausgestaltung der gotischen Fenster, Nischen und Thürmchen sind gebrannte Formsteine von verschiedener Farbe und Glasur verwendet worden, und aus westfälischem Sandstein sind die himmelanragenden Zinnen geformt – der Gesammtcharakter entspricht den stolzen Bauten mehrerer im Mittelalter ihre höchste Machtstufe einnehmenden Städte der Hansa.
Die Gesammtkosten für die Herstellung der Brücke haben rund zweieinhalb Millionen Mark betragen; die Eröffnung für den Verkehr fand am Sonnabend den 16. Juli vorigen Jahres ohne besondere officielle Feierlichkeit statt.
Ihre Hauptbedeutung wird die Brücke erst in späteren Tagen erhalten, denn vorläufig dient sie in erster Linie nur dem höchst bescheidenen Bedürfnisse der ländlichen Elbinselbewohner, welche die Großstadt mit Milch, Gemüse und Früchten versorgen, während die Eisenbahnzüge auf der etwa 250 Meter elbabwärts gelegenen älteren Brücke stolz dahinsausen. Noch in diesem Jahr beginnt der Verkehr zwischen der „zollangeschlossenen“ Wohnstadt Hamburg und dem künftigen Freihafengebiet, dessen größte Häfen, Docks, Niederlagen etc. auf dem jenseitigen Elbufer angelegt werden. Es bedarf keiner besonderen prophetischen Begabung, um voraus zu sagen, daß auch die benachbarten Elbinseln des Zollinlandes alsdann bald eine ganz andere Physiognomie annehmen werden; unschwer durch Kanäle zu durchschneiden, sind sie zu industriellen Anlagen wie geschaffen, und auch Wohnungen werden daselbst massenhaft und rasch schon aus dem Grunde entstehen, weil im künftigen Freihafengebiet selbst Niemand wohnen darf. Dort also, wo jetzt auf dem eingedeichten Marschboden friedlich Kühe grasen und Kirschen reifen, erschließt sich Ende 1888 dem alsdann in den Zollverein getretenen Hamburg durch seine neue Elbbrücke auch eine neue Welt.