Habt ihr an milden Frühlingstagen

Textdaten
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Autor: Rudolf Lavant
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Titel: Habt ihr an milden Frühlingstagen
Untertitel:
aus: Eichenlaub und Fichtenreis
Herausgeber: Wilhelm Achilles
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1901
Verlag: Wilhelm Achilles
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Erscheinungsort: Leipzig-Eutritzsch
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons,
S. 08–10
Kurzbeschreibung:
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Bearbeitungsstand
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7. (1877.)

     Mel.: Sind wir vereint zu guter Stunde etc.

     1. Habt ihr an milden Frühlingstagen im Wald die Eiche nie entdeckt, die in die Lüfte, wie mit Klagen, entlaubte, dürre Äste streckt? Was ist der Stolzen widerfahren, die ihr gekannt in grüner Pracht? Ist sengend nieder wohl gefahren ein Blitz in schwüler Wetternacht?

     2. Ist sie in ihrem tiefsten Leben, und ohne Kraft zur Gegenwehr, in ihrem Mark dahin gegeben an ekler Würmer wühlend Heer? Sie gab mit schmerzlichem Gestöhne ihr welkes Laub den Winden Preis – nur da und dort an alte Schöne gemahnt ein kränklich-fahles Reis.

     3. Doch wolltet mutlos ihr verzagen – wie wäre übereilt der Schluß! Sie wird noch ein Mal Blätter tragen, durchrieselt von der Sonne Kuß; es hat sie prasselnd nicht gespalten bis auf den Fuß ein greller Blitz, und keine schnöden Nager halten ihr Mahl an ihres Lebens Sitz.

     4. Das junge Laub, das sie getrieben, hat nur ein später Frost versehrt, es hat, was noch ver[9] schont geblieben, der Raupe scharfer Zahn verzehrt, doch an die tiefgeheimsten Kräfte des Lebens hat kein Frost gerührt, und stetig kreisen fort die Säfte, die es vom Fuß zum Wipfel führt.

     5. Es schwillt am Ast die Knospe wieder, bis sie zum Blatte werden mag, und in der Krone läßt sich nieder der Fink mit freudig lautem Schlag. Es flüstert in dem zarten Laube mit leisem Hauch der laue West, und girrend baut die wilde Taube in seinen Zweigen sich ihr Nest.

     6. Wie werden von dem stolzen Baume die niedern weithin überdacht, wie waltet unter ihm im Raume die grüne, märchenhafte Nacht! Und wenn das Wirrsal hin und wieder ein scheuer Sonnenstrahl durchbricht – wie huscht am Stamme auf und nieder in holdem Spiel das irre Licht!

     7. Und wenn im Sturm die andern sausen, gebeugt zur Erde todesbang, so geht ein feierliches Brausen durch sein Geäst wie Orgelklang, und wirft die Schwachen zu den Toten der Lüfte zorniges Gefecht – dem Starken hastet fest im Boden der Wurzeln eisernes Geflecht!

     8. Uns aber kann die kranke Eiche ein Bild für Selbsterlebtes sein. Ach, lange schien es ja, als schleiche zum Grabe müde der Verein. Nicht Einer, der dem trüben Wahne zu jeder Stunde widerstand – wir sah’n im Geist umflort die Fahne und drückten traurig uns die Hand.

     9. Wir haben oft im Blick gelesen, was zu gestehn kein Mund gewagt – und Thoren sind wir doch gewesen, als still die Angst an uns genagt! Nur ein Erlahmen und Erschlaffen [10] hielt Jung und Alt in seinem Bann – ein ernstes Sichzusammenraffen bahnt eine neue Blüte an.

     10. Es ging noch nie so ganz verloren, was echt im Kern und wahr und gut, und ewig wird es neugeboren, stand es in stiller Treuer Hut! Daß nie und nie sie wiederkehre, die trübe Zeit der Not und Pein, laßt euren Stolz und eure Ehre den festen Mut der Treue sein!