Hünensteine im Oldenburgischen

Textdaten
Autor: Ludwig Strackerjan
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Titel: Hünensteine im Oldenburgischen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 119–123
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Hünensteine im Oldenburgischen.
Von L. Strackerjan.

Das Stückchen nordwestdeutscher Tiefebene, welches in dem Herzogthume Oldenburg politisch zusammengefaßt ist, hat wenig Reste mittelalterlicher Baukunst von Bedeutung aufzuweisen, dafür aber in großer Zahl Denkmäler einer Baukunst, die weit über das Mittelalter zurückreicht: die Hünensteine und Hünenbetten.

Besonders reich an solchen Alterthümern ist die Umgegend von Wildeshausen, einem Städtchen, das für die Heimath Wittekind’s, des berühmten Sachsenherzogs, gilt, und das wohl zweifellos zu den Besitzungen seiner Familie gehört hat. Im Umfange weniger Stunden liegen hier über zwanzig Steinmäler und Hunderte von Todtenhügeln. Am meisten bekannt und aufgesucht sind von den Mälern die „Visbeker Braut“, der „Visbeker Bräutigam“ und der „Opfertisch“ von Engelmannsbeke. In der That verdienen sie diese Auszeichnung, weil sie die großartigsten, wenn auch nicht in allen Stücken besterhaltenen sind. Seit die Eisenbahn von Oldenburg nach Osnabrück eröffnet ist, läßt sich der Besuch von Oldenburg, Bremen, Leer, Osnabrück aus mit Bequemlichkeit in einem Tage ausführen. Von der Bahnstation Ahlhorn beträgt die zurückzulegende Wegstrecke kaum vier Stunden, und es bleibt für Beschauung und Ausruhen Zeit genug übrig. Der Ausflug bietet zugleich dem Reisenden, der vom Gebirge oder aus fruchtbaren Ebenen kommt, Gelegenheit, von der Haide ein genaueres und, wie ich glaube, angenehmeres Bild zu gewinnen, als er aus Erzählungen oder vom Bahnwagen aus sich geschaffen. Ich will versuchen, den Führer zu machen.

Auf der Chaussee, die von der Station Ahlhorn nach Wildeshausen führt, begeben wir uns zunächst zur Visbeker Braut. Fast geradlinig, in langgestreckten Schwellungen und Senkungen zieht sich die Straße zwischen Föhren und Birken [120] hin. Wenn der Ginster blüht, so ist’s bunt hier, denn die Erdwälle an beiden Seiten der Straße sind mit diesen Sandpflanzen wohl besetzt. Wenig Menschen und wenig Häuser sehen wir, und nur ein einziges Dorf wird von der Chaussee durchschnitten. Es ist das alte Dorf Ahlhorn mit ansehnlichen Häusern, weiten grünen Höfen und stolzen Eichen. Nach anderthalb Stunden erreichen wir die Colonie Steinlage, wo einige dreißig neue Ackerbauer die Haide in Ackerland zu verwandeln bemüht sind. Mühselig und kärglich ist ihr Leben und mancher, dem Ausdauer und Enthaltsamkeit oder vielleicht auch das Glück fehlt, geht elend zu Grunde. Aber der Boden ist zwar spröde, doch nicht ganz undankbar, und wo die Bewohner eines Hauses sich tapfer halten, können sie in zweiter oder dritter Generation auf ein weniger hartes und auskömmlicheres Leben rechnen.

Gleich hinter Steinlage – Ort der Steine bedeutet der Name – biegt rechts der Weg zur Visbeker Braut ab. Ein Wegweiser giebt uns die Sicherheit, daß wir nicht fehl gehen. In zehn Minuten stehen wir vor einem länglichen Viereck, das

Muthmaßlicher Durchschnitt eines Hünen-Grabkellers.

die Forstverwaltung mit Wall und Graben aus der Haide herausgeschnitten und an beiden Langseiten mit Föhren und Birken bepflanzt hat. Auf dem Viereck liegt die Visbeker Braut. Geradlinig parallel ziehen sich zwei 80 Meter lange Reihen Steine, 7,4 Meter von einander entfernt, von Nordost nach Südwest, wo dieselben durch eine aus vier Blöcken bestehende Querreihe abgeschlossen werden. Die Reihen sind lückenhaft, und von den vorhandenen Steinen manche umgestürzt oder versunken; die nordwestliche Reihe hat noch 40 Steine, wozu 9 oder 10 fehlen mögen, die südwestliche deren 27. Die Steine stehen durchschnittlich 1,6 Meter von einander und schwanken in Bezug auf ihre Höhe zwischen 0,5 und 3 Meter; innerhalb der Reihen ist die Erde etwas höher als außerhalb. Ungefähr 17 Meter vom südwestlichen Ende findet sich im Innern eine Aushöhlung, in und an welcher 8 Steine einen unordentlichen Haufen bilden. Augenschein und Vergleichung mit anderen Denkmälern führen zu dem ziemlich sicheren Schlusse, daß hier ein Grabkeller sich befunden hat, wie wir ihn auf unserem Wege noch besser erhalten antreffen werden. Ob die Neugier müßiger Schäfer, die Habsucht von Schatzgräbern, der Steinbedarf eines bauenden Landmannes oder der Wissensdurst eifriger Alterthümler die Zerstörung bewirkt haben – wer weiß es?

Die Steine sind Granitblöcke, Findlinge oder erratische Steine, ihre Heimath Scandinavien, von wo sie schwimmende Eisfelder oder ungeheuere Gletscher über die ganze norddeutsche, ja alle nordeuropäischen Ebenen in zahlloser Menge verstreut haben. Kein gewachsener Fels ist bis jetzt in unserem Lande gefunden worden, aber die erratischen Blöcke ersetzen reiche Steinbrüche. Zu den Straßen und Chausseen, zu Kirchen- und Hausbauten, zu Einfriedigungen der Bauernhöfe sind seit undenklicher Zeit diese Steine verwendet worden, und noch ist der Schatz nicht erschöpft. Wie wir dieselben in den Denkmälern vor Augen haben, tragen sie keine Zeichen der Bearbeitung durch Werkzeuge an sich, wenn nicht etwa Jemand behufs der Sprengung durch Schießpulver ein Loch hineingebohrt hat. Dennoch zeigen manche so flache Seiten und erscheinen im Vergleich zur überwiegenden Mehrzahl so plattenförmig, daß man sich des Gedankens einer besondern Zurichtung nicht erwehren kann.

Enthalten wir uns vorläufig weiterer Fragen und Betrachtungen und suchen den Bräutigam unserer einsamen Braut! Derselbe liegt nach Westsüdwest, und eine breite Haide trennt uns von ihm. Man sieht ihn von der Braut aus nicht und täuscht sich, wenn man nicht Sonne oder Compaß stets zu Rathe zieht, leicht über die Richtung. Indeß ein menschenfreundlicher Forstmann hat mit einem Haidepfluge zwei neben einander laufende Furchen von Braut zu Bräutigam in den Boden geritzt, und haben wir diese Furchen einmal gefunden, so macht der Weg keine Sorge mehr.

Unser Gang ist nicht ohne Reiz. Die sanften Wellen des Bodens bewirken, daß man meist nichts als Haide sieht. Zeigt sich einmal in weiter Ferne ein Baum, ein Mensch oder selbst nur ein im Sande gebetteter Steinblock, so nehmen sie für das Auge, das keinen Maßstab in der Nähe findet, übertriebene Dimensionen an. Die kleine verkrüppelte Birke wird zu einem Riesenbaum, der Mensch zu einem Kirchthurm, und den Steinblock [121] ist man geneigt für ein Haus zu halten. Vom Kamm einer Bodenwelle aus verfolgt man links den Lauf eines Baches, der Engelmannsbeke, oder wie sie weiter abwärts heißt, der Aue. Tief in den Sand einschneidend, fließt der Bach bald zwischen steil abfallenden Ufern, bald in

Die „Braut“ bei Visbek.

einem schmalen Wiesenthale, und wo die Wiesen auch nur ein wenig sich verbreitern, hat der Mensch auf der Höhe sich angesiedelt, ein Haus gebaut und mit Föhren und Birken, auch wohl, wenn die Ansiedelung nicht ganz jung mehr ist, mit einigen Eichen und Obstbäumen umpflanzt. Rechts nach Norden hin gewinnt man einen Blick auf jene Colonisten, die sich längs der Chaussee muthigen Sinnes ein Heim gegründet, auf das Dorf Ahlhorn, das in dieser Ferne sich weniger durch seine versteckt liegenden Häuser als durch seine stattlichen Eichen als ein altes Sachsendorf ausweist.

Um uns herrscht tiefe Einsamkeit, aber die Einsamkeit ist nicht todt. Rothblühendes Haidekraut bedeckt in dichter Fülle den Boden. Eine einzige Art ist es, calluna vulgaris, die eine fast ausschließliche Alleinherrschaft

Der „Bräutigam“.

ausübt. Nur in den Vertiefungen, in denen das Wasser sich erhalten oder doch dem Boden dauernde Feuchtigkeit verliehen hat, machen die Glockenhaide (erica tetralix), das Fingerkraut und der reizende und neuerdings so viel beachtete Sonnenthau nebst allerlei Gräsern und Moosen ihr den Raum erfolgreich streitig. Um die Blüthen flattern tausend und aber tausend zierliche blaue Schmetterlinge, Argus genannt, und die Bienen suchen hier den letzten Honig, den das Jahr ihnen bietet, ehe sie ihre Winterquartiere beziehen. Kleine graue und grüne Grashüpfer springen in kurzen Sätzen um unsere Füße, und manchmal schwirrt oder richtiger schnarrt eine größere Heuschrecke mit leuchtend rothen Hinterflügeln aus dem Kraut in die Luft, um zehn Schritte weiter wieder hinabzufallen. Auf der Erde kriechen Spinnen und Käfer,

Der „Heidenopfertisch“.

und mitunter huscht eine schlanke Eidechse durch die Haidebüschchen. Einen Vogel sieht und hört man nicht, es sei denn, daß eine Lerche von den Feldern des Dorfes her in fahrendem Sängerthum sich bis über die Haide verirrt oder ein Krähenpaar in hohem Fluge weit über unsere Häupter weg von einem Walde zum andern zieht. Kurz, ein reiches Thier- und Pflanzenleben, aber ein Kleinleben. Doch vergesse ich der Schafheerden nicht, der Heerden von Haidschnucken, die im nordwestlichen Deutschland ja fast mit Nothwendigkeit der Haide zur Staffage dienen. Nicht allzu häufig – denn der Bauer hier scheint seine Haide zu schonen – aber doch ein- oder zweimal treffen wir sie. Die kleinen weiß-, meist aber schwarzwolligen Thierchen knuspern mit Behagen das dürre Kraut und schieben sich in gedrängten Haufen langsam auf der Fläche hin. Der Schäfer folgt, emsig an einem Strumpfe strickend, eingehüllt in einen weißwollenen Mantel, der ihn nicht nur gegen Regen und Wind, sondern auch gegen die Sonne schützt. Natürlich fehlt auch der Hund nicht, ein schwarz- und weißgescheckter Spitz, der gegen jeden Fremden einen wahren Ingrimm hegt und kaum einen Steinwurf so übel nimmt, wie wenn man sein unaufhörliches Bellen durch Schmeichelworte zu beschwichtigen sucht.

Das Gehen durch die Haide ist mühsam. Oft stolpert der Fuß über dicke Haidebüschel, und der hochbeinige Hahnentritt, zu dem man sich zeitweilig entschließt, läßt sich nicht lange festhalten. Die Schuhsohlen werden so glatt, als wären sie polirt, sodaß der Tritt seine Sicherheit verliert. Doch lassen wir uns den Gang nicht verdrießen! Die eigenthümlichen Eindrücke unserer Umgebung wiegen die Mühen auf, und zur wirklichen Ermüdung läßt uns die Kürze des Weges nicht gelangen. Schon nach vierzig Minuten erreichen wir zwei aufgedeckte Grabkeller. Sie können, ja sie werden ähnlich so ausgesehen haben, wie unser größtes Bild den einen darstellt. Jetzt sehen wir, halb aus der Erde ragend, drei aus großen neben einander gestellten und mit der flachsten Seite nach innen gekehrten Granitblöcken zusammengesetzte Mauern, welche einen hohlen Raum einschließen und nur nach der einen westlichen Seite offen lassen. Oben auf den Mauern liegt ein flacher Deckstein, groß genug, um mehr als einem Dutzend Menschen Platz zum Stehen zu bieten. Die umherliegende Erde und die Gestalt des festen Bodens ergeben, daß die Kammer mit Erde bedeckt gewesen und das Ganze ein Todtenhügel ist. Erde hat ohne Zweifel auch den inneren Raum erfüllt. Von Erde bedeckt findet man in den Kellern oder Kammern dieser Todtenhügel gewöhnlich Urnen, mitunter nur eine, gewöhnlich mehrere, ja bis zu zwanzig und darüber. Aus Thon geformt, enthalten sie neben der eingedrungenen Erde Aschentheile und steinerne oder bronzene, selten aus anderen Metallen gefertigte Geräthe. Oefter noch liegen die Geräthe neben den Urnen. Die Beschaffenheit der Asche läßt keinen Zweifel übrig, daß dieselbe von Leichenverbrennungen herstammt. Skelete hat man fast nie gefunden; der Schädel in unserem Bilde ist decorative Zugabe des Zeichners. Die Geräthe sind ihrer Bestimmung nach noch zu einem großen Theile unbekannt, ihre Form mannigfach, und die Kunst, welche bei ihrer Anfertigung angewandt ist, steht auf sehr verschiedenen Stufen. Neben den rohesten Erzeugnissen einer ungeschulten Industrie werden dann und wann unverkennbar römische Arbeiten, und keineswegs immer der schlechtesten Art, gefunden. Grabkeller sind auch, soweit man hat feststellen können, die Steingewölbe, welche man in den großen Steinumzäunungen [122] zum Theil sieht, zum Theil mit Hülfe wohlbegründeter Schlüsse aus den Trümmern im Geiste wieder aufbaut, aber meist in größeren Dimensionen und gewaltigeren Eindrucks. Gewöhnlich werden die Steine, wenn ein Bauer einen Keller dieser Art aufgräbt, zu Chausseebauten verkauft oder in und bei dem Hause als Fundament, Einfassung, Trittsteine verwendet. Mitunter dient auch der Keller, wie er war, zum Kartoffelkeller oder als Schutz- und Aufbewahrungsort bei schlechtem Wetter für Mensch und Geräth.

Zehn Minuten weiter sind wir beim „Bräutigam“. Wiederum ist ein ziemlich großes Viereck mit Wällen und Gräben aus der Haide ausgesondert und mit Föhren bepflanzt, die hier kräftig genug gedeihen. Der Platz liegt auf einer Abdachung der Haide gegen die Engelmannsbeke und ist daher in weiterer Ferne nicht zu sehen. Außer dem „Bräutigam“ umschließt er noch drei oder vier Denkmale, die zum Theil mit moosüberwachsenem Sande bedeckt sind. Der „Bräutigam“ ist ein ähnliches Gebilde wie die „Braut“, nur größer; zwei gerade in einem Abstande von 7,5 Meter von Ost nach West neben einander hinlaufende Steinreihen von 103 bis 104 Meter Länge, an beiden Enden durch Querreihen größerer Steine geschlossen; innerhalb der Steinsetzung, 10 Meter vom westlichen Ende beginnend, liegen fünf große Steine neben einander, vermuthlich ebenfalls Reste eines Todtenkellers. Die Langreihen sind besser erhalten als bei der „Braut“, und es mögen nicht mehr als sieben oder acht Steine fehlen, reichlich fünfzig auf jeder Seite noch vorhanden sein. Unter den übrigen in demselben Gehege befaßten Mälern ist das größte nur 30 Meter lang, enthält aber mehr innerhalb der Steinsetzung belegene Blöcke, und diese lassen die ehemaligen Steinkammern noch deutlich erkennen. Gerade dieses Denkmal ist halb vom Sande verschüttet und ergiebt sich vielleicht, wenn aufgedeckt, als das besterhaltene in dieser Gegend. Die übrigen sind unbedeutender, und nur der eine bietet ein Beispiel eines nicht zerstörten Kellers, wo sogar neben einander vier Decksteine, jeder auf drei Trägern, angetroffen werden.

Auf der anderen Seite des Baches, fünf Minuten vom „Bräutigam“ entfernt, neben dem Bauernhofe Engelmann, treffen wir endlich den „Opfertisch“. Auf acht starken, im Viereck stehenden Trägern ruht eine Platte von 4,14 Meter Länge, 3 Meter Breite und 0,85 Meter Dicke. Wie ein daneben liegendes Bruchstück beweist, hat die Länge ursprünglich reichlich 5 Meter betragen. Unmittelbar daran liegen weitere acht Träger, auf welchen ein noch größerer Deckstein gelegen hat, der aber vor längerer Zeit gesprengt und zu einem Hausbau verwendet worden ist. Unter der Platte hat man eine Urne mit Asche und Knochen gefunden. Dieser „Opfertisch“ liegt sehr malerisch von fünf Eichen beschattet und umwachsen von Brombeeren und wilden Blumen; auf der einen Seite dehnt sich die braune Haide; auf der anderen liegt, von jungem Holze eingefaßt, ein grünes Ackerfeld.

Das sind die Mäler, zu denen uns der heutige Weg führt. Wollten wir den Gang nach Wildeshausen und etwas darüber hinaus ausdehnen, so würden wir ihrer noch eine Menge finden, namentlich auch solche, wo die Steinkammern noch vorhanden sind, darunter eins mit sieben großen Decksteinen neben einander bei dem Dorfe Kleinenkneten. Allein der Charakter dieser Reste aus alter Zeit bleibt doch immer im Wesentlichen derselbe: Steinkammern von verschiedener Größe, umgeben von Steinsetzungen, bald der eine Theil großartiger oder besser erhalten, bald der andere. Auch der Eindruck, den der Beschauer empfängt, bleibt der nämliche. Die mächtigen Blöcke, in langen Reihen aufgestellt oder in einfachster Weise so auf einander gelegt, daß sie einen hohlen Raum umschließen, mögen den Regeln künstlerischer Schönheit wenig entsprechen, aber sie erwecken den Gedanken an gewaltige Kräfte, die hier aufgeboten sind. Die rohe Form der Steine, die Ungleichheit in den Maßen, der ungefüge Aufbau, dann auch die Einsamkeit und Abgeschiedenheit der Lage, das Schweigen rings umher, das Alles steht im schärfsten Gegensatze zu einer lebendig bewegten, am Schönen und Heiteren sich erfreuenden Menschenwelt, aber nichts könnte auch besser das Ausscheiden aus dieser Menschenwelt und die Rückkehr zur Natur, des Staubes zum Staube, den Eingang zur Todtenwelt ausdrücken. Eine tief melancholische Stimmung schlummert in diesen Gebilden, und mag die Sonne die bemoosten Blöcke mit ihren Strahlen vergolden oder der Mond im Kampf mit den Wolken seine weißen Lichter auf sie werfen – mit sinnendem, ernstem Schweigen wird der Beschauer zuerst sie betrachten.

Zuerst – ja. Aber dann regen sich in der vorwitzigen Menschenseele Fragen über Fragen, Fragen nach dem wo? wie? wann? warum? und wie sie sonst heißen mögen, Fragen, auf die leider nur sehr ungenügende Antwort gegeben werden kann.

Hünensteine und Hünengräber nennt das Volk diese Steingruppen und denkt dabei an ein Riesengeschlecht, das hier seine Todten begraben und ihm zu Ehren die Steine gehäuft habe. Und ist es in humoristischer Stimmung, so läßt es die Steine Bälle sein, welche in fröhlichem Spiele die Riesen von einer Haidehöhe zur andern sich zuwarfen. Wer anders könnte auch, sagte mir ein alter Forstwärter, diese Hunderte von Centnern wiegenden Blöcke fortbewegt haben? Und der gute Mann wohnte mitten unter Bauern, die ihren Hof mit ähnlichen, ja zum Theil mit denselben Steinen eingezäunt haben, die ihre Vorfahren zu den Denkmälern zusammen geschleppt hatten! Riesenvölker kennt eben nur die Sage, nicht die Geschichte.

Die aus großen Steinen, namentlich Granitfindlingen zusammengesetzten Denkmäler sind weit verbreitet. In Vorderindien, im Norden des schwarzen Meeres, im nördlichen Rußland, rund um die Ostsee und die Nordsee, in Irland, in fast ganz Frankreich, an den spanischen und portugiesischen Küsten, in Nordafrika und einzeln in Italien und Griechenland kommen sie vor, aber mit wenigen Ausnahmen nur in der Nähe des Meeres. Weil neben Scandinavien und Deutschland vorzugsweise Irland und Wales und die nordwestlichen Küsten Frankreichs reich an Denkmälern sind, haben sich keltische Benennungen für dieselben in der Wissenschaft fast schon das Bürgerrecht errungen. So nennt man die Steinbauten Dolmen, die Einzelsteine, mögen sie nun vereinzelt oder in Gruppen stehen, Menhirs. Bei aller Mannigfaltigkeit in den Formen glauben einige Forscher doch die Denkmäler auf ein einziges Volk zurückführen zu müssen, etwa ein indogermanisches Volk, das vor dem Beginn der Geschichte aus dem Osten ausgewandert und nach Europa gezogen sei, wo es sich an den Meeren ausgebreitet und endlich durch später folgende keltische und germanische Völker seinen Untergang gefunden habe. Ich vermag jenen weitgreifenden Combinationen nicht zu folgen und meine, daß die Steinbauten und Gruppen wie die Todtenhügel, mit welchen die Haiden Norddeutschlands bedeckt sind, unseren nächsten Vorfahren, den heidnischen Deutschen, ihren Ursprung verdanken. Die Funde, die man hier und in Scandinavien gemacht, und vieles, was die schriftliche Ueberlieferung des Nordens uns erhalten hat, lassen mir dies als das Glaubwürdigste erscheinen.

Daß die Steindenkmäler Grabstätten sind, wird nicht bezweifelt. Wie die Todtenhügel einzelnen Familien der Freien, so mögen die Steinmäler den Edeln, die großen den allervornehmsten Edeln, welche aus ihrer Mitte die Herzöge und, wo es Könige gab, Könige lieferten, zur letzten Ruhestätte und zum ergreifenden Denkmal gedient haben. Die Steinsetzungen mögen selbst dabei, je nach[1] ihren Formen, bestimmt gewesen sein, gewisse Gedanken zu versinnlichen. Vielleicht auch haben die Denkmäler noch anderen Zwecken als dem bloßen Gedächtniß der Todten gedient. Ist nicht die breite Platte, welche die Urnen deckt, ein bequemer Opfertisch? Sind nicht die Steinsetzungen bei Gerichts- und Volksversammlungen zu Sitzen für die Richter, die Priester und die Edeln wie geschaffen? Viele sagen Ja; ich komme über ein Nein nicht hinaus. Man müßte schon, wozu wir doch keinen Anlaß haben, unsere Vorfahren für Riesen halten, und selbst für solche bleibt eine Sitzordnung, welche etwa 110 Plätze auf zwei Reihen von 103 Meter Länge vertheilt, eine möglichst ungünstige. Es mag ja sein, daß irgendwie an diesen Stätten Priester und Volk zur Uebung gottesdienstlicher Bräuche, zur Anrufung der Götter in Noth und Gefahr, zur Darbringung des Dankes nach erfochtenem Siege, zur Weihung der Jugend sich vereinigt haben, aber bewiesen ist von allem diesem nichts.

Von unserem Visbeker Brautpaar hat der Volksmund noch eine besondere Deutung. Ein Mädchen aus dem benachbarten Großenkneten sollte von ihren Eltern gezwungen werden, eines reichen Bauern Sohn zu Visbek zu heirathen, während sie ihr Herz einem anderen schöneren und besseren, aber leider armen Jüngling zugewandt hatte. All ihr Bitten und Flehen blieb unerhört, und der Hochzeitstag ward angesetzt. Als nun die Braut mit ihrem Brautgefolge zur Trauung nach Visbek zog [123] und den Thurm der Visbeker Kirche erblickte, da betete sie, daß der liebe Gott sie in Stein verwandeln möge, damit sie nicht zu der verhaßten Ehe gezwungen würde. Und Gott war gnädiger als die Eltern. Sowohl die Braut mit ihrem Gefolge, als der Bräutigam, der ihr mit den Seinigen über Engelmannsbeke entgegenkam, stehen in Stein verwandelt da.

Die Sage von Bräuten und Hochzeitszügen, die in Stein verwandelt sind, kommt auch anderwärts vor. Wenn drei Steingruppen, welche reichlich 5½ Kilometer nordöstlich von der Visbeker Braut, bei dem Dorfe Glane liegen, die Glaner Braut heißen, so mag das nur eine Entlehnung von dem bekannteren Visbeker Denkmale sein. Aber Name und Sage werden auch aus Holstein, aus der Mark und selbst aus England berichtet. Der Forschung ist die Wiederholung das Zeichen uralter Ueberlieferung von wohl mythologischem Ursprunge.

Jenes ist eine Deutung, wie sie in der Spinnstube leben mag; eine andere hat der alt-ansässige Bauer. Kaiser Karl und Herzog Wittekind – so erzählte mir ein solcher – haben in der Haide bei Visbek und Engelmannsbeke blutige Schlachten geschlagen. Die Sachsen errangen den Sieg und begruben die Todten, und über den Gräbern der vornehmsten Feldobersten, der fränkischen sowohl wie der ihrigen, errichteten sie aus den zerstreut auf der Haide liegenden Steinen große Denkmäler. Gar viel wußte der Bauer von den Fürsten und ihren Feldzügen zu erzählen, und ich merkte bald, daß er wohlbewußt Gelesenes mit Anderem vermischte. Woher er dieses Andere hatte, vermochte ich nicht zu erforschen; er wich mir aus. In der Haide, sagte er, habe er ein mit alter Schrift bedrucktes Blatt gefunden, darauf habe es gestanden. Ob nicht die Haide selbst das Blatt, und die Denkmäler die alte Schrift gewesen sind?

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: noch