Gymnastik in der Kinderstube

Textdaten
<<< >>>
Autor: C. F.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Gymnastik in der Kinderstube
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 815
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[815]

Gymnastik in der Kinderstube.

Die rauhe Winterszeit fesselt die kleinen Kinder an die Stube, und durch diesen notgedrungenen Aufenthalt in geschlossenen Räumen erwachsen für das junge Geschlecht allerlei gesundheitliche Schäden. Vor allem erleidet die freie Bewegung der Kleinen eine wesentliche Einschränkung. Das Rennen und Jagen in der engen Stube ersetzt ihnen niemals das Umhertummeln im Freien; ja mit der Zeit werden sie laß und faul, was die Uebung des Körpers anbelangt. Dagegen müssen die Eltern einschreiten und das winterliche Spiel derart regeln, daß auch die Bewegung zu ihrem Rechte kommt. Systematische Leibesübungen lassen sich mit den Leutchen in den Kinderschuhen nicht vornehmen, wohl aber giebt es auch eine Kinderstuben-Gymnastik, die, richtig geleitet, sehr gute Früchte tragen kann. Vater und Mutter können mit den Kleinen derart spielen, daß dieselben gewisse Muskelgruppen üben und über bestimmte Körperteile und Bewegungen sicherere Herrschaft erlangen, ja diese Kinderstuben-Gymnastik vermag sogar einer Anlage zu den so überaus häufigen Verkrümmungen des Rückgrates entgegenzuwirken.

Wir wollen an dieser Stelle als Beispiel zunächst einige Beinübungen erwähnen.

Die meisten Menschen sind mehr oder weniger einseitig. Trotz der symmetrischen Anlage des Körpers bilden sie ihre Glieder nicht gleichmäßig aus. Von den beiden Armen und Händen sind in der Regel die rechten vollkommener entwickelt, und ähnlich verhält es sich auch mit den Beinen. Wenn man Erwachsene beobachtet, so bemerkt man, daß bei ihnen fast ohne Ausnahme ein Bein bevorzugt ist. Dieses Bein übernimmt die Hauptarbeit beim Stehen, Gehen etc., und die Folge davon ist, daß dieses mehr benutzte und geübte Glied kräftiger wird. Hält sich dieser Unterschied in mäßigen Grenzen, so bringt er keinen Nachteil. Das bevorzugte Bein wird jedoch öfter merklich länger als das vernachlässigte und alsdann wirkt die Ungleichheit der unteren Gliedmaßen auf das Rückgrat zurück; die Mehrzahl der seitlichen Ausbiegungen des Rückgrats, die man bei jugendlichen Personen als sogenannte hohe Schultern beobachtet, ist auf diese ungleiche Benutzung der Beine zurückzuführen. Besonders deutlich tritt dieser Umstand bei Kindern hervor, welche, bevor sie auf die Füße kommen, sich durch Rutschen fortbewegt haben, denn das Rutschen geschieht stets einseitig durch ein bestimmtes Bein; dieses wird dadurch frühzeitig kräftiger als das andere und bleibt auch später das bevorzugte. Aber auch diejenigen Kinder, welche die Fortbewegung gleich mit dem Gehen beginnen, bevorzugen ein und dasselbe Bein, das, sobald es einmal stärker geworden ist, erst recht zu allen größeren Leistungen herangezogen wird. Dieses Bein muß dann beim Gehen, Hüpfen, Springen, Treppensteigen, ja selbst beim Stützen des Körpers während des Stehens die Hauptarbeit übernehmen. Aus diesem Grunde sollte man die Kinder sobald wie möglich dazu anhalten, beide Beine gleichmäßig zu gebrauchen. Das wird wohl niemals ganz gelingen, aber man wird die Einseitigkeit auf ein geringes Maß zurückführen und in unschädlichen Grenzen halten können.

Solche Beinübungen sind während des Winters in der Kinderstube sehr wohl auszuführen. Selbstverständlich bedarf das kleine Kind noch einer Stütze, eines Anhaltes während seiner ersten gymnastischen Versuche und führt dieselben aus, indem es sich mehr oder weniger an der Hand des Vaters oder der Mutter festhält. Da ist zunächst das Niederlassen zur Hocke hervorzuheben. Das Kind läßt sich, die Füße nicht sehr auswärts gerichtet, die geschlossen bleibenden Fersen abhebend und den Oberkörper gestreckt erhaltend, nieder bis zum Aufsitzen auf den Fersen, um sich dann sofort in den Stand aufzurichten. Ferner sind leichte Sprungübungen zu empfehlen. So kann das Kind den Tiefsprung lernen. Es springt von einem Tritt, einer Fußbank, später von einem Stuhl auf den Fußboden hinab, während der Vater vor ihm stehend es an den Händen und Vorderarmen gefaßt hält und den Aufsprung durch einen gelinden Gegenzug nach oben mäßigt. Die Hauptaufgabe des Erziehers ist bei dieser Uebung, das Kind zum gleichmäßigen Absprung zu bringen.

In derselben Weise kann ein gleichfüßiger Hochsprung geübt werden, zunächst über ein auf den Fußboden gelegtes Band, das allmählich um einige Centimeter erhöht wird. Man geht dann zum Ansprung und gleichfüßigen Hüpfen über. Sehr nützlich sind auch einige für das Kindesalter geeignete Rumpfübungen, z. B. die „Brücke“. Während das Kind auf dem Rücken gestreckt liegt, schiebt man ihm ein Kissen unter den Kopf und ein anderes unter die Fersen; dann hebt es den Körper, soweit er noch auf dem Fußboden aufliegt, ab und erhält ihn zwischen seinen beiden Unterstützungspunkten schwebend. Die Mitte des Rumpfes sei dabei ein wenig, aber nicht stark emporgewölbt. Die anfangs nötige Hilfe erfolgt durch Heben des Körpers bis in die richtige Lage, so daß das Kind in derselben sich nur durch Muskelanspannung zu halten hat.

Eine hübsche Uebung ist auch der Vorliegestütz. Das Kind nimmt zuerst die Bauchlage auf dem Fußboden ein, dreht die Beine möglichst auswärts, so daß die Füße nicht mit dem Fußrücken, sondern mit dem inneren Rande aufliegen. Alsdann werden die Füße gebeugt, d. h. die Fußspitzen angezogen und die flachen Hände auf den Fußboden neben den Schultern aufgestemmt. Nun werden die Arme gestreckt, so daß zunächst der Oberkörper von der Erde abgehoben wird; endlich wird der Bauch eingezogen, bis der Rumpf mit den Beinen eine gerade, allmählich absteigende Linie bildet und nur von den inneren Fußrändern und Handflächen getragen wird. Geübtere Kinder kann man dann „Schubkarren“ fahren, indem man ihre Füße vom Boden abhebt und sie zum Weiterschreiten mit den Händen veranlaßt.

Ein großer Freund und Wohlthäter der Kinderwelt, der Leipziger Arzt C. H. Schildbach, hat für Eltern, Lehrer und Kindergärtnerinnen ein Büchlein geschrieben: „Kinderstuben-Gymnastik“ (Leipzig, Verlag von Veit u. Co.), in dem viele derartige Uebungen angeführt sind, die sich für Kinder vom vollendeten zweiten bis zum fünften und sechsten Lebensjahre eignen. Möchte das Büchlein in Händen sorgsamer Eltern auch nach dem Tode des Verfassers Gutes stiften! Selbstverständlich nimmt man diese Uebungen gelegentlich vor, wahrt bei ihnen trotz des ernsten Zieles den Charakter des Spiels und darf sie niemals bis zur sichtlichen Ermüdung des Kindes fortsetzen. C. F.