Gustav zu Putlitz †
[707] Gustav zu Putlitz †. Es war im Jahre 1858, als sich in der schlesischen Hauptstadt in einem am Schweidnitzer Stadtgraben gelegenen Hotel eine Gemeinde von Dichtern, Künstlern und Kunstfreunden versammelt hatte. Eines jener theatralischen Ereignisse, die wohl zu den Seltenheiten gehören, hatte den Anlaß zu diesem künstlerischen Stelldichein in Breslau gegeben; es handelte sich um die erste Aufführung eines neuen Schauspiels, dessen Hauptrollen mit den ersten Kräften des Wiener Hofburgtheaters besetzt waren. Und in der That führte eine geistvolle Schauspielerin den Vorsitz an den geselligen Abenden, welche dem Tage der Aufführung vorausgingen. Es war Julie Rettich, die Schülerin Ludwig Tiecks, die Freundin Friedrich Halms, als stilvolle Künstlerin eine Zierde des Burgtheaters, als eine klardenkende, für ihre Aufgaben hochbegeisterte Frau eine Zierde der deutschen Bühne überhaupt. Neben ihr saß Joseph Wagner, der damalige erste Liebhaber des Burgtheaters, ein feuriger Darsteller mit seelenvollen Augen und ausdrucksvollen Gesichtszügen, aber von einer Schweigsamkeit, welche ihn selten aus sich heraustreten ließ; diese Innerlichkeit seines Wesens machte ihn zu einem der besten Darsteller des Hamlet, welche die deutsche Bühne gesehen.
Auch er war von Wien herbeigekommen, um mitzuwirken bei der ersten Aufführung des Schauspiels „Das Testament des Großen Kurfürsten“, dessen Dichter, Gustav zu Putlitz, den Mittelpunkt unseres Kreises bildete; ich selbst lebte damals in Breslau und verfehlte nicht, den Sangesgenossen aufzusuchen, auch der damalige Regierungsassessor Alfred von Wolzogen war anwesend, der sich durch seine Theaterkritiken und Schriften über bildende Kunst einen Namen gemacht hat. Es war ein merkwürdiges Zusammentreffen, daß unser kleiner Kreis diese zwei Männer in sich schloß, welche später nacheinander die Intendanz des Schweriner Hoftheaters bekleiden sollten.
Wir waren natürlich in großer Spannung wegen des Erfolges; denn es war der erste Versuch des Dichters auf dem Gebiete des ernsten Schauspiels, nur ein daran streifendes geschichtliches Intriguenstück war ihm vorausgegangen: aber wir konnten bald einen glänzenden Erfolg feiern. Das vorzügliche Spiel der beiden Wiener Gäste trug nicht wenig zu demselben bei. Von Breslau aus nahm das Stück seinen Weg über die beiden Hoftheater von Wien und Berlin und ging über fast alle deutschen Bühnen, wie wir’s in gehobener Stimmung nach der Aufführung prophezeiten. Was Putlitz vorher geschaffen, war so gänzlich anderer Art, daß man ihm damals kaum den dichterischen Schwung der Tragödie zugetraut hätte. Seine Märchendichtung „Was sich der Wald erzählt“ (1850), welcher ähnliche Plaudereien aus dem Reiche der beseelten Blumen folgten, wies ebensowenig auf ein Geschichtsdrama hin wie seine bereits an vielen Bühnen aufgeführten behaglichen dramatischen Einakter, wie „Badekuren“, in denen er sich schon damals wie auch in seinen späteren Lustspielen an das bürgerliche Lustspiel von Roderich Benedix anlehnte. Obschon aus einem alten kurmärkischen Geschlechte stammend (er war am 20. März 1821 zu Retzien in der Priegnitz geboren), hatte er durchaus nicht, um mit Heine zu sprechen, das Wesen eines „ukermärkischen Granden“; es lag in seiner Natur ein jovialer Grundzug, und auch den Dichter der träumerischen Wald- und Blumenlyrik hätte man sich anders gedacht.
Gustav zu Putlitz steuerte nur sechs Jahre lang in dem Kurs des historischen Dramas, als dessen begabter Vertreter er damals in Breslau seine ersten Lorbeeren errang, Für Julie Rettich hatte er auch die Hauptrolle in seinem nächsten Trauerspiel „Don Juan d’ Austria“ (1860) geschrieben; es folgte „Waldemar“ (1862), in welchem Stücke er den echten letzten Askanier zum Helden machte; dann legte der Dichter die Feder des historischen Dramatikers nieder. Mißstimmung über Publikum und Kritik gab ihm wohl hauptsächlich den Anlaß zu diesem Verzicht auf ein Weiterschreiten in der so erfolgreich betretenen Bahn. Namentlich die Wiener Kritik zerpflückte seine Werke aufs grausamste; das Publikum selbst schenkte dem geschichtlichen Trauerspiel nur geringen Antheil.
Seit jener Breslauer Zusammenkunft habe ich stets mit warmem Antheil den Lebenslauf des Dichters verfolgt: ich freute mich, daß seine Berufung nach Schwerin als Intendant des Hoftheaters (1863) ihn der Bühne wieder näher führte, und in der That hat er seitdem einige seiner besten frischen Lustspiele: „Spielt nicht mit dem Feuer“, „Gut giebt Muth“ und andere geschaffen, von denen „Die alte Schachtel“ und „Das Schwert des Damokles“ besonders volksthümlich geworden sind. Im Jahre 1867 wurde er Hofmarschall des preußischen Kronprinzen, lebte dann längere Zeit in Berlin, bis ihm 1873 die Generaldirektion des Karlsruher Hoftheaters anvertraut wurde, die er bis zu seinem Todesjahr führte. Ein schwerer Schlag für ihn war der Tod seines talentvollen Sohnes, der als Berliner Privatdocent durch Selbstmord endete, infolge getrübter Familienverhältnisse. Die tiefe Erschütterung beugte den Vater danieder; er war seitdem ein gebrochener Mann, auch von körperlichen Leiden heimgesucht. Am 5. September dieses Jahres ist er auf seinem Familienschloß Retzien gestorben.
Viele unserer Leser werden den dramatischen Dichter auch als liebenswürdigen Erzähler kennen; in den letzten Jahrzehnten hatte er sich vorzugsweise der Novelle zugewendet. „Die Nachtigall“, „Die Alpenbraut“, „Das Frölenhaus“, das „Maler-Majorle“ und andere Erzählungen zeugen oft von einer kernhaft tüchtigen Darstellung bürgerlichen Lebens. Um das deutsche Theater hochverdient, ein vielseitiger, ebenso frischer wie geistig feiner Dichter, hat Gustav zu Putlitz sich ein ehrenvolles Gedächtniß bei unserem Volke gesichert. R. v. Gottschall.