Textdaten
<<< >>>
Autor: Dietrich Theden
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Gudrun
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 43, S. 713
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[713]

Gudrun.

Die Gudrun-Sage, das herrliche Hohelied von der deutschen Treue, ist neben dem Nibelungenepos die glänzendste Perle in der stolzen Reihe unserer alten Heldenlieder. Ist aber die Nibelungensage im vollen Sinne des Wortes volksthümlich geworden, so ist dies bei dem Gudrun-Liede viel weniger der Fall, und im Allgemeinen begegnet man selbst heute noch der Anschauung, als handele es sich bei dem letzteren kaum um etwas Anderes, als um eine, noch dazu ziemlich minderwerthige, Nachahmung oder Ergänzung der erstern. Nur einer gänzlichen Unbekanntschaft mit dem hohen poetischen Gehalt der Gudrun-Sage konnte eine solche irrige Anschauung entspringen; daß aber das deutsche Volk nicht früher mit einer der zweifellos schönsten und ergreifendsten seiner Nationalsagen bekannt und vertraut wurde, ist um so weniger zu verwundern, als die Zahl der lesbaren Uebertragungen oder Neudichtungen derselben bisher keineswegs eine große war. Gegenwärtig indeß wird nach dieser Richtung hin auch bei dem Gudrun-Liede Abhilfe angestrebt, und ein ernster Versuch, das alte Heldenlied in ansprechender Neudichtung auch in die ihm bisher verschlossenen weiten Kreise außerhalb des Litteraten- und Gelehrtenstandes einzuführen, liegt in dem soeben erschienenen Gudrun-Liede von Emil Engelmann (Stuttgart, Verlag von Paul Neff) vor.

Gudrun am Meeresstrand.
Aus dem Werke „Gudrun-Lied“ von Emil Engelmann.

Der Verfasser hat sich schon früher auf dem Gebiete altdeutscher Dichtung hervorgethan und zeigt sich auch in der neuen Schöpfung seiner Muse dem Stoffe so gewachsen, daß von seinen Bemühungen ein erfreulicher Erfolg wohl zu erwarten ist. Namentlich die anziehende Gestalt Gudrun’s tritt in seiner Neudichtung in ein helles Licht und läßt erkennen, welch eine meisterhafte, lebenswahre Figur in dieser dichterischen Gestalt geschaffen ist.

Gudrun ist keine unbedingt edelmüthige Idealfigur, wie etwa Berchtung im „Wolfdietrich“, nicht frauenhaft weich und schüchtern zurückhaltend, nicht blindlings von dem Willen der Ihrigen abhängig; sie ist selbständig, geht ihre eigenen Wege, beobachtet scharf, handelt entschlossen, ihr Charakter ist unbeugsam, ja fast hart. – Schon als Herwig um sie wirbt, weisen ihr entschiedendes Eingreifen in das Wogen des Kampfes und ihre bündige Erklärung: „Ihn will ich und keinen Andern mehr!“ auf ihre Energie hin. Dem Werben Hartmut’s, der sie geraubt hat, widersteht sie hartnäckig und beobachtet gegenüber dessen Mutter Gerlind eine schroff ablehnende Haltung. Sie erfüllt jeden Befehl, aber sie thut es mit Trotz. „Heiß brannte sie die Schmach,“ heißt es von ihr, als Gerlind sie höhnisch zur Wäscherin erniedrigte, aber sie wusch in Schweigen mit nimmermüder Hand. Ihr Lachen war verstummt, auf ihrem Antlitz lagerten Kälte und eiserner Trotz. Ihr Geist träumte von Waffengetöse, von Befreinng, von Rache!

Gar oftmals stand am Felsen
Sie einsam, um zu spähen,
Ob keine Ruder rauschen,
Ob keine Segel wehen

Vom Hegelingenlande
Da draußen auf dem Meer.
Doch war’s umsonst, die Meerfluth
Blieb dunkel stets und leer.

Als dann die Stunde der Befreinng herannaht, als Herwig, ihr Verlobter, und Ortwin, ihr Bruder, am Strande landen, da bricht die Gewalt der Leidenschaft in ihr aus. „Ich wasche den Normannen von heut’ an nimmermehr!“ erklärte sie aufwallend ihrer zagenden Begleiterin, und in die Wogen flogen die Gewänder und trieben weit hinweg vom weißen Strand. Gerlind tritt sie mit Trotz entgegen, und als auf der Höhe des Kampfes die Frauen bei ihr Schutz suchen vor dem grimmen Wate, da findet diesen zwar Ortrun, die ihr stets liebreich begegnet war, aber die gedemüthigte Gerlind wird höhnisch abgewiesen.

Meisterhaft wie die Charakterzeichnung Gudrun’s ist auch diejenige der übrigen Haupthelden. Hagen ist riesenhaft ungeschlacht, naiv eingebildet, im Grunde gutmüthig. Wate ist der wilde, barbarische, unbändige Kämpfer, dessen Wüthen Alles erliegt, der in der ganzen Dichtung als unabweisbares rächendes Schicksal auftritt. Hettel ist eine echt königliche Erscheinung, er hört auf den Rath seiner Vasallen, bewahrt in allen Lagen Ruhe und Besonnenheit, begegnet Jedermann mit Milde, will nicht Furcht, sondern Neigung erwecken. Hilde, Gudrun’s Mutter, erscheint heimlich, versteckt, verschlossen. Horand ist der deutsche Orpheus: wenn er singt, schweigen die Vögel, die Thiere im Walde lassen die Weide, das Gewürm im Grase hört auf zu kriechen, des Stromes flinke Fische lauschen in der Fluth.

Schon die bloße Schilderung der verschiedenartigen Charaktere giebt von dem leuchtenden Farbenreichthum des Gudrun-Liedes ein helles Bild; mit wachsendem Interesse folgen wir der Entwickelung des einzelnen Charakters wie der gesammten lebensvollen Handlung. Die einfache edle Sprache berührt wohlthuend, die überraschende Kürze des Ausdrucks spannt die Aufmerksamkeit, die überall knappe, zielbewußte Schilderung läßt Widersprüche nicht aufkommen.

Wir können auf Geschichte und Inhalt der Dichtung, die übrigens fast derselben Zeit entsprungen sein dürfte wie die Nibelungensage, an diesem Orte nicht weiter eingehen. Aber es verlohnt der Mühe, sich mit dem inhaltreichen Nationalepos, das ein vortrefflicher Kenner der mittelhochdeutschen Dichtung, v. d. Hagen, mit Recht als eine Nebensonne des Nibelungenliedes bezeichnet hat, bekannt zu machen, und die Engelmann’sche Neudichtung desselben ist besonders geeignet, auch den Laien für die Sage zu erwärmen. Der schwäbische Dichter hat in richtiger Erkenntniß der zu lösenden Aufgabe sich dem überlieferten Original möglichst treu angeschlossen, ohne dabei gleichzeitig den Leser durch veraltete und ihm deßhalb fremd gewordene Begriffsbezeichnungen und Redewendungen abzustoßen und zu ermüden.

Dem inneren Werthe kommt die äußere Ausstattung des Werkes gleich. Dieselbe ist geschmackvoll, und die beigegebenen Illustrationen von E. Keppler, von denen wir obenstehend in Holzschnittnachbildung eine Probe bringen, sind werth, den Beifall aller Kunstsinnigen zu finden.
Dietrich Theden.