Graf Wilhelm von der Lippe
Graf Wilhelm von der Lippe.
Volkssage.
Im Norden unsres Lands, des lieben, alten,
Das sie vor langer Zeit Germania hießen,
Weil’s brüderlich zusammen hat gehalten,
Dem Ort nicht allzufern, wo sich ergießen
Um friedlich durch ein blühend Land zu fließen,
Steigt ehrenwerth ein alter Wald empor,
Groß, schattig, frisch, an Büschen reich und Bäumen,
Sie allesamt ein feierliches Chor,
Ein schönes Haus, doch nun beinah verfallen,
Bewohnt nur von vergang’ner Tage Träumen.
Weitdurch hört man die Tritte wiederhallen,
Die Thüren auf, am Boden Gräser schwankend,
Epheu sich kühn empor die Mauern rankend,
Des Gartens Pflanzen all’ ein wild Gestrippe,
Nicht mehr der einst genoss’nen Pflege dankend.
Graf Wilhelm wohnte hier, der von der Lippe,
Vorbeigeschifft im Leben mancher Klippe.
Nicht konnt’ ihn Einsamkeit vor Leid bewahren,
(Wer scheitern soll, der scheitert noch im Hafen!)
Der süßen Gattin Tod mußt’ er erfahren.
Als Leiche bei dem heißgeliebten Leib,
Sah man verwelken still den edlen Grafen.
Ein Grab zu bauen war sein Zeitvertreib,
Dort brannt’ unausgelöschter Lampenschimmer,
Und bei der Sterne trüblichem Geflimmer,
Wo alle Welt des Schlafes Düft’ umwehn,
Fand ihn die Mitternacht am Denkmal immer.
Was dort ihm einst in Einsamkeit geschehn,
Laß ich vor Euch auch das Gebild erstehn.
In tiefem Dunkel fast dahin gekommen,
Wo all sein Lieben lag, auf ödem Wege,
War’s ihm, als sey’n zwei Lichter dort entglommen:
Das in der Gruft schon lang’ ihm wohlbekannte,
Das andr’ im weiten Kreis beständig rege.
Wie ward dir, tapfre Brust? Ob Schauer sandte
Dir wohl der Geisterwelt geheimer Rund,
Ob Schau’r, ob nicht. Mit eig’ner Kraft im Bund,
Gewiß, daß eigner Klarheit sie entstamme,
Tratst du heran zu ungewissem Fund.
Und plötzlich war dir nah die Wandelflamme,
Stand’s trüb’ gelehnt am alten Buchenstamme.
Laut rief der Graf: „Wer du? Was deine Meinung?
Mensch oder Geist, wer kömmt zu meinen Klagen?
Wer sucht mit mir im tiefen Schmerz Vereinung?“
Auf Windesflügeln, klang’s in leisem Laute:
„Dir soll dein eignes Aug’ die Antwort sagen.“
Und langsam, fast als ob sie niederthaute,
Sank ab des Hauptes feuchte Nebelhülle,
„Wie nun? Wie faßt dich nun des Grausens Fülle?“
Sprach ihn der Todte an. „Du, froh im Krieg,
Achtlos, ob rings Kanonendonner brülle!
Sonst labte dich mein Blick. O, wie der Sieg
Begeisternd uns am Abend niederstieg!
Du Fürst, ich dein Gefährt’. Es mußt’ uns scheuen
Der Frank’ auf den westphälischen Gefilden,
Sich deutscher Muth an unserm Muth erneuen.
Provinzen Portugall’s, und seiner wahrten,
Bemüht, sein Volk zu wackrer That zu bilden, –
Weh’ mir, daß wir zum Rückweg je uns schaarten!
Die Fahrt den andern Brüdern all’ erfreulich,
Sey Tod im Kriege schwer, im Meer abscheulich,
Doch gleicht er seinem Bruder nicht, dem grassen,
Den uns die eig’ne Brust gebiert untreulich.
Es kam dein süßes Weib dich zu umfassen,
Und nimmer konnt’ ich nun vom Grame lassen.
Verderben ward mir deines Glücks Gewährung,
Doch schwieg ich, wie’s der Gott in mir gebot,
Nur froh an eigner nahender Verzehrung.
Die süße Mörd’rin nah, mitleidig immer,
Und sein gejagtes Wild ergriff der Tod.
Wenn andre Geister nun mit Klaggewimmer
Des eignen Leibes Ruhestell’ umwanken,
Selbst abgezehrt zum trauernden Gedanken,
Wo sollt’ ich lieber seufzen, lieber flüstern,
Als wo hinab auch deine Freuden sanken!“
Da rauschten windbewegt die Buchen, Rüstern,
Einsam, verlassen blieb der Graf im Düstern.
„So muß fortan ich – rief er – zwei beweinen,
Mehr hat des Grams mir ihre Gruft erworben,
Mehr Sehnsucht nach unendlichem Vereinen!“
de la Motte Fouqué.