Goethe's „Faust“ in London
[200] Goethe’s „Faust“ in London. Wie der als Darsteller und zugleich
als Direktor und Regisseur rühmlichst bekannte Inhaber des Lyceum-Theaters
in London, Mr. Henry Irving, viel dazu beigetragen, dem im
eigenen Vaterlande so schmählich vernachlässigten Shakespeare wieder zu
Ehren zu verhelfen, so hat er nun auch Goethe’s „Faust“ in einer Weise
auf die Bühne gebracht, die ihm als ein großes Verdienst anzurechnen ist.
Die englische Bearbeitung ist von Mr. Wills, der allerdings an einzelnen Stellen
sich unterfangen, an Meister Goethe meistern zu wollen. So machte er der
Prüderie der British matron das Zugeständniß, daß er, wie die Dinge
anfangen einen unliebsamen Verlauf zu nehmen, Faust die Absicht kundthun
läßt, die Margarete als Ehefrau heimzuführen, ein an sich gar löbliches
Vorhaben, das aber bei einem Manne wie Faust um so peinlicher wirkt,
als er im nächsten Augenblick auf einen tüchtigen Verweis des Mephistopheles
hin feige genug ist, dasselbe wieder aufzugeben. Auf einstimmiges
Verlangen der Kritik wurde denn auch dieses Einschiebsel nach den ersten
Aufführungen sofort gestrichen. Im Uebrigen aber sind die Aenderungen
nur unwesentlicher Art, und der Erfolg des Stückes ist ein außerordentlicher.
Besonders ausgezeichnet sind die Darstellungen Mr. Irving’s als Mephistopheles
und Miß Ellen Terry’s als Margarete, denen gegenüber aber der
Mr. Conway sowohl wie sein Nachfolger Mr. Alexander als Faust leider
ganz erheblich abfallen. Ganz unübertroffen steht die Ausstattung des
Stückes da, wie denn in dieser Beziehung das Lyceum vielen deutschen
Bühnen längst erheblich voraus ist. Seit zwei Monaten wird das Stück
bereits jeden Abend gespielt, aber „Faust“ zu sehen ist dermaßen „fashion“
geworden, daß das ganze Theater noch immer auf Wochen im voraus so
gut wie ausverkauft ist, und daher die Vorstellungen dem unternehmenden
Impresario neben dem Ruhm auch ein erkleckliches Sümmchen goldener
Pfunde einbringen dürften. Wilh. F. Brand.