Textdaten
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Autor: Karl Kraus
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Titel: Glossen
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aus: Die Fackel, Doppel-Nummer Nr. 272—273, X. Jahr, S. 26–38
Herausgeber: Karl Kraus
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 15. Februar 1909
Verlag: Die Fackel
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Erscheinungsort: Wien
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Austrian Academy Corpus: AAC-FACKEL Online Version: »Die Fackel. Herausgeber: Karl Kraus, Wien 1899-1936«
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Glossen.

[26] Dreiviertel Stunden lang sah ich einen Mann auf der Straße in epileptischen Krämpfen sich winden, ehe der Wagen der telephonisch berufenen Freiwilligen Rettungsgesellschaft kam. Da die Humanität zu jeder Minute des Tages und der Nacht funktioniert, so ist es wahrscheinlich, daß sie damals mehrfach vergeben war. Wahrscheinlich ist aber auch, daß die Aussicht auf den Segen der Presse und des Papstes Samariterwerke zu beschleunigen vermag. Denn bis Catania ist immerhin weiter als bis zum Schwarzenbergplatz, und wiewohl der Transport auf den italienischen Bahnen gestört war, kam die Barmherzigkeit ans Ziel und wiewohl der telegraphische Verkehr erschwert war, haben wir überreichliche Kenntnis von den Wundern jener ausgekochten Nächstenliebe erhalten, die Herr Dr. Charas auf den Trümmern der sizilischen Städte verrichtet hat. Gewiß wäre diese Rettungsaktion auch unternommen worden, wenn ihre Veranstalter, vor allem jener Herr, von dem sich das Wort Charitas direkt herzuleiten scheint, rechtzeitig erfahren hätten, daß die telegraphische Verbindung zwischen Catania und Wien für alle Zeiten abgebrochen sei. Die Selbstlosigkeit hätte sich auch betätigt, wenn sie erst nach Wochen Gelegenheit gehabt hätte, in einem Vortragsabend von sich zu sprechen. Immerhin hätte uns ihr ausdrücklicher Verzicht auf den Segen des Papstes und auf jede Möglichkeit, auch nur in absehbarer Zeit mit einem Orden belohnt zu werden, noch mehr imponiert als ihr Werk. Die Freiwillige Rettungsgesellschaft ist ein Unternehmen, gegen das selbst vom Standpunkt der Inhumanität nicht das geringste einzuwenden ist. Nur beachte man den Unterschied zwischen ihr und einer Freiwilligen Feuerwehr. Der Rettungsgesellschaft gegenüber hat man sich so sehr ein- für allemal auf die Vorstellung des Samaritertums festgelegt, daß man das unaufhörliche und plötzliche Erscheinen ihres Chefarztes in der Lokalrubrik der Zeitungen für die Vorzüge ihres Betriebs hält. Der Rettungsbetrieb würde zwar in jedem Fall die öffentliche Anerkennung verdienen, aber er müßte mit dem Betrieb der Popularität annähernd gleichen Schritt halten, um sein Verdienst nicht zu kompromittieren. Allerhand Hochachtung vor den Samaritern aber wenn ihre Eile den Eindruck macht, daß nicht sie dem Unglück, sondern das Unglück ihnen wie gerufen kommt, dann laufen sie Gefahr, daß man sie für Ästheten hält. Und die Peinlichkeit dieses Eindrucks wird vermehrt, wenn die Ansichten der Verunglückten [27] über den Wert der Hilfeleistung geteilt sind. Aus den divergierenden Darstellungen der italienischen Presse geht nicht ganz klar hervor, ob der politische Haß oder bloß die Abneigung gegen die Wiener Mehlspeisen die Begeisterung der Italiener für die Wohltat der Feldküchen gedämpft hat. Ich stelle es mir ja besonders gräulich vor, wenn ein Catanier Maccaroni verlangt — was er übrigens auch in erdbebenlosen Zeiten zu jeder Stunde des Tages und gegenüber jedermann tut —, und Herr Charas antwortet: Bedaure, kann nicht mehr dienen; oder wenn ein Catanier Wiener Maccaroni verschmäht und Herr Charas ihn trotzdem fragt: Schon bestellt, bitte? Immerhin, der Chefarzt der Rettungsgesellschaft mag recht haben, wenn er die Angriffe der italienischen Blätter als lügenhaft bezeichnet und den Interviewern versichert, die Leute hätten die Erzeugnisse der Feldküchen »geradezu verschlungen«. Aber die Ärzte, deren Kollege der Mann ist, sagen, der Erfolg, daß den Cataniern die Wiener Maccaroni nicht in der Kehle stecken geblieben sind, sei der Ruhm eines Kochs, vielleicht der eines Kellners, aber gewiß nicht der eines Arztes. Und sie nehmen es übel, daß in Sizilien die Wiener Speisesitten selbst bis zu jenem Punkt konsequent befolgt wurden, wo das unvermeidliche Trinkgeld die Mühe der Servierung lohnt.

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Herrn Dr. Charas gehts gut; aber schon seit mindestens zwei Wochen war in der Presse nicht von Herrn Professor Noorden die Rede. Darum sei wenigstens hier seines Werkes »Die Zuckerkrankeit und ihre Behandlung« (Berlin, 1907) gedacht, und auf die Seiten 206 und 207 verwiesen, wo »allgemeine prognostische Anhaltspunkte« verzeichnet werden. Da es sich um ein wissenschaftliches Werk handelt, so hat der Verfasser recht getan, unter den »günstigen« Anhaltspunkten als 11.: »gute äußere Lebensverhältnisse« anzuführen, während[WS 1] er ausdrücklich unter den ungünstigen Anhaltspunkten als 6.: »ungünstige äußere Lebensverhältnisse« bezeichnet. Leider hat Herr Noorden es verabsäumt, die besonderen Wirkungen eines schlechten Ultimo auf die Zuckerkrankheit anzuführen und die günstigen Folgen eines Konkurses. Es versteht sich von selbst, daß die Klienten des Herrn Noorden sich ausschließlich aus jenen Kreisen rekrutieren, in denen von ungünstigen prognostischen Anhaltspunkten nicht die Rede sein kann. Selbstredend! Das [28] Geschäft floriert an allen Enden, seitdem es sich mit der Wissenschaft assoziiert hat. Ein hoher Perzentsatz bei Zuckerkrankheit führt zu Stoffwechselprolongierungen, und wenns gut geht, zu jenen Finanzoperationen, die in den Sanatorien ausgeführt werden.

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Ernst von Wildenbruch ist tot, und war gewiß ein ehrenwerter Mann. Aber aus einer Danksagung seiner Gattin ersehe ich, daß ihn »das deutsche Volk in Weimar neben unseren Dichterfürsten bestattet« hat. Die Rücksicht gegenüber Toten ist eine Forderung, die man schließlich auch den früher Verstorbenen gegenüber erfüllen soll. Herr von Wildenbruch hat die »Rabensteinerin« geschrieben. Das läßt sich nicht aus der Welt schaffen. Aber seine Angehörigen sollten öffentlich Verwahrung dagegen einlegen, daß die ‚Phonographische Zeitschrift‘ (Berlin) behauptet, Herr v. Wildenbruch habe einmal »in einer besonderen Dichtung« eine Walze besprochen, und daß sie deren Vervielfältigung anregt. Die Dichtung, die ihm unterschoben wird, endet nämlich mit den Versen:

Darum erscheint mir der Phonograph
Als der Seele wahrhafter Photograph,

Der das Verborg’ne zutage bringt
Und das Vergang’ne zu reden zwingt.
Vernehmt denn aus dem Klang von diesem Spruch
Die Seele von Ernst von Wildenbruch.

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Im Blätterwald so für mich hinzugehen und nichts als Stilblüten zu suchen, ist längst nicht mein Pläsier. Ich möchte sagen, es ist eine Aufgabe, wie wenn man Wasser in ein — nun, wie sagte die ‚Neue Freie Presse‘ kürzlich? »Wie wenn man Wasser in ein hohles Faß schöpfen wollte«.

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Dagegen mag es noch hin und wieder interessant sein, die Unabhängigkeit der kritischen Meinung zu bewundern. Ein Varietédirektor beklagte sich beim Administrator des Blattes über die ungünstigen Referate. Die Antwort war: »Wozu laden Sie überhaupt den Burschen ein, der bei uns das Ressort hat? An mich wenden Sie sich das nächste Mal!« Jetzt hat der Direktor Ruhe, schreibt sein Referat und zahlt gern ein paar Gulden für die Erfahrung, wie sehr noch immer das Lob der ‚Neuen Freien Presse‘ dem Publikum [29] imponiert. Die Redaktion würde ihren Kritikern gewiß keine Meinung vorschreiben. Sie bewahren ihre Unabhängigkeit, nur dürfen sie sie nicht betätigen. Sonst passiert zwischen Morgen- und Abendblatt, was kürzlich, am 20. Jänner, passiert ist. Es hatte eine Matinee für die Erdbebenopfer von Messina gegeben. Aber ein Unglück kommt selten allein. Der Musikkritiker schrieb das Urteil nieder, ein Pianist habe »auf einem von der Bühne herab schlecht klingenden Klavier mit feurigem Schwung zwei Stücke von Chopin und Liszt gespielt«. Das war im Morgenblatt. Wer beschreibt seine Überraschung, als er schon im Abendblatt die folgende Notiz las: »Bei dem gestern im Theater an der Wien veranstalteten Konzert des Wiener Tonkünstlerorchesters erregte der Ton des herrlichen Steinwayflügels, welcher von der Firma .... in uneigennützigster Weise kostenlos beigestellt wurde, allseitige Bewunderung«. Nicht alles wird freilich kostenlos beigestellt. Aber den Musikkritiker freute seine ganze schöne Unabhängigkeit nicht mehr. In ein paar Minuten war sie zerstört wie die Stadt, zu deren Gunsten er das Klavier getadelt hatte. Was ist der Mensch! Ich habe das tiefste Mitgefühl für diese armen Teufel von Kunstbürgern, die auf schwankem Grunde ihre Hütten bauen. Immer wieder nehmen sie den Kampf mit den Elementen auf, aber ein administrativer Ruck, und der feuerspeiende Benedikt macht allem organischen Leben ein Ende. Es gibt nämlich Erdbebeninteressenten.

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Wie anders wirkt dies Zeichen auf mich ein. Eine Katastrophe kann auch wieder allen Beteiligten Gewinn bringen. Wohltätig ist des Feuers Macht, wenn der Brand eines Teppichhauses diesem zum Ruhme und den Zeitungen zu Aufträgen verhilft. Brennts bei Schein, so ist der Schein des Brandes wochenlang sichtbar, die Presse ist die freie Tochter der Natur, wehe, wenn sie losgelassen, flackernd steigt die Feuerkolumne und im Textteil werden die schönsten Brandberichte veröffentlicht. Tief erschüttert las man und las, bis man allmählich merkte, daß das Feuer von den Inseratenagenten gelegt und von den Reportern gelöscht worden war. Man wunderte sich nun nicht mehr, daß es gelungen war, eine Ausbreitung des Brandes auf die benachbarten Geschäftshäuser zu verhüten: sie hatten nicht inseriert. Überraschend war immerhin eines. Daß durch ein Brandunglück reichlich hereingebracht werden kann, was durch [30] ein Brandunglück verloren wurde, verstand man. Daß aber nicht nur die Presse, sondern auch die Feuerwehr zur Löschung des Reklamedurstes herangezogen wird, ist verblüffend. »Die Wiener Feuerwehr besitzt von dem Teppichhaus S. Schein genaue Pläne, und die Funktionäre und Kommandanten der Wiener Feuerwehr, sämtliche langjährige Kunden dieser Firma, kennen sowohl durch ihre Amtstätigkeit als auch durch ihre häufigen Besuche als Kunden alle Räume des Teppich- und Möbelhauses in- und auswendig, Kenntnisse, die ihnen natürlich in diesem Falle sehr zu statten kamen.« Daran erkennt man die Vorteile eines Einkaufes bei Schein. Wenn man zufällig Feuerwehrmann ist und wenns einmal brennt, so hat man es nicht zu bereuen, daß man dort eingekauft hat. Die Leistungsfähigkeit der Feuerwehr läßt sich an der Menge der geretteten Waren messen. Was aber bedeutet sie gegenüber der Leistungsfähigkeit der Firma? Für diese sprechen »die großen vernichteten Rohmaterialmengen«. Nicht jede Firma kann von sich sagen, daß »6 Ballen Wolle für Steppdecken, billiger Qualität, enorme Quantitäten der feinsten Daunen für Plumeaux und Pölster, 16 Ballen Roßhaar für Matratzen und Polstermöbel, sehr große Quantitäten verkupferter bester Tapeziererstahlfedern für Polstermöbel und zahllose Sorten von Schleißfedern für billigere Bettwaren ein Raub der Flammen wurden«. War man nicht versichert? Und wie! »Der gerettete Teil wurde von der Feuerwehr auf die Straße geworfen und von den Versicherungsgesellschaften, die einer Firma von dem Renommee des Teppich- und Möbelhauses S. Schein die Verarbeitung selbst auch nur teilweise naß gewordener oder angerauchter Materialien gar nicht zumuten, in vielen Wagenladungen von der Straße weg in die Lagermagazine geführt, wo diese Materialien an Händler abgegeben wurden«. Nun handelt es sich nur noch um solche Waren, »die, ohne beschädigt zu sein, einen Geruch erhielten, der sich jedoch bereits nahezu verloren hat«. Da aber eine Firma von dem Renommee dieser Firma solche Waren regulär nicht verkauft, so bietet sich — nun, was bietet sich, wenn eine Stätte leergebrannt ist und wenn der Mensch fröhlich dann zur Annonzentabelle greift? Ein Anblick? Nein, etwas ganz anderes. Was Feuers Wut ihm auch geraubt, ein süßer Trost ist ihm geblieben: Es bietet sich eine nicht wiederkehrende Gelegenheit zum Einkauf.

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[31] Die Diskretion der bürgerlichen Presse berichtet über einen Skandal, den sie sich nicht entgehen lassen kann, etwa so: »Der Großindustrielle hatte eine verheiratete Frau kennen gelernt … Der Großindustrielle veranlaßte sie, sich von ihrem Gatten scheiden zu lassen … Sie tat es … Inzwischen war aber in dem Großindustriellen eine merkwürdige Wandlung vor sich gegangen … Der Großindustrielle ließ die Dame sitzen … Der Großindustrielle antwortete ausweichend … Die Dame war lediglich das Opfer einer flüchtigen Laune des Großindustriellen geworden … Da ging der Bruder der Dame, der Chemiker ist, hin und ohrfeigte den Großindustriellen … Der Chemiker entschuldigte sich beim Kaffeesieder wegen des Vorfalls.« So typisch gefaßt, darf der Fall zum Nachdenken über das Seelenleben eines Großindustriellen, das einen sonst nichts angeht, wohl anregen. Die gute Gesellschaft erhofft inzwischen von einem Duell die Reparatur der Ehre des Großindustriellen. Das Duell findet statt. Der Großindustrielle erfreut sich wieder allgemeiner Hochachtung. Niemand kann dem Großindustriellen die Ohrfeige nachsagen. Und die Dame? Ach was, nach Jahren wird’s schon einmal heißen, daß der Großindustrielle sich für die geschlagen hat!

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In einer durchaus würdigen Besprechung von Thomas »Moral« hatte der Kritiker des ‚Neuen Wiener Tagblatts‘ die Sätze:

… Das unterscheidet ihn von unsern Parvenüs der Satire, die plötzlich in ihrem öden Hirn den Hang zur Weltverbesserung entdeckt haben. Es gibt keine Torheit, keine Verkehrtheit, keine Lächerlichkeit, keine Mode, in die sie selbst nicht eingeschlichen sind, keine närrische Clique, der sie sich nicht angebiedert haben — mit einemmal aber ein Ruck, und sie fühlen sich für gesellschaftliche Satire berufen. Ihre Schriften starren von Eitelkeit, und sie verhöhnen die kleinen Eitelkeiten andrer Menschen. Doch man fühlt, wie fremd ihnen diese Wege sind; man fühlt es an ihrer eigenen Überraschung, an der unnatürlichen Wucht, mit der sie auftreten, um die innere Unsicherheit zu verbergen; man merkt es an ihrem verdickten Humor, an der erzwungenen Lustigkeit, an den Schweißtropfen, die von ihren Witzen fallen …

Hätte es der Kritiker deutlich gemacht, daß er mich mit dieser Meinung treffen wolle, so stünde meine bessere Meinung gegen seine, ich würde nur die Kritik der Eitelkeit unterschreiben und hätte im Übrigen nichts gegen eine ungerechte Absicht, wenn sie nur Absicht wäre. Was mich trifft, ist die fehlende Absicht. Der Kritiker hat die dramatischen Dilettanten gemeint, die uns [32] neuestens mit dem Nachweis belästigen, daß auch in gräflichen Familien nicht alles so ist, wie es in den Familien des Schottenrings sein sollte. Er hat allerdings den Fehler begangen, die Vorstellung, die heute ein Angriff auf einen nichtgenannten Wiener Satiriker in bösartigen Dummköpfen erzeugt, nicht rechtzeitig zu unterbinden, und so kam es, daß mir die Stelle vielfach ins Haus geschickt wurde. Daß ich keinen Humor habe, solche Versicherung entschädigt viele dafür, daß der Vorwurf der Cliquenanbiederung selbst sie von meiner Spur ablenkt. Aber schließlich muß man ihnen den guten Glauben zubilligen. Sie konnten es für die Art halten, einen Schriftsteller anzugreifen, der eben in der Wiener Presse nicht deutlicher bezeichnet werden darf. Nun ist nichts peinlicher als ein Angriff, der einem nicht gilt. Man fühlt natürlich nicht, daß man getroffen ist. Aber man fühlt immerhin, daß man nicht getroffen ist.

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Über die Wiederaufführung von »Fatinitza« schreibt ein Theaterkritiker:

… Also eine veritable Suppée-Renaissance, die aus der Not der modernen Operette eine Tugend macht. Die unlogische Operette gewinnt in der Zeit der Versuche, das Genre zu »vertiefen«, und man stürzt sich in den Unsinn, den eine natürlich quellende Musik vergessen läßt, statt sich einem Sinn zu bequemen, dem wohl der größeren psychologischen Wahrhaftigkeit zuliebe alle Melodie abhanden gekommen ist. Die romantischen Unwahrscheinlichkeiten der »Fatinitza«, sie spielt im Krimkrieg, also gewiß ein illustrativ ergiebiges Milieu, stellen sozusagen die Reinkultur des Operettenunsinns dar. Unmotiviertes ereignet sich, man singt, ohne vorher zu sagen warum man singt, und es bleibt lediglich dem Temperament, dem Spielelan der Darsteller überlassen, den Umschwung aller Gefühle zu motivieren, die Folge gesprochener und gesungener Worte zu einer logischen zu machen. Keine Operettenpsychologie kann es deuten, warum jemand, der mit einer Dame soeben sehr angelegentlich über Privataffären gesprochen hat, ihr dieselben Angelegenheiten noch einmal in Gesangsform auseinandersetzt, keine Psychologie wird den Operettengeneral zu einer menschlichen Figur gestalten können, weil, wie der Mann nur zu singen anfängt, alle Wahrhaftigkeitsillusion verfliegt. In »Fatinitza« ist eine ganze Armee unwirklicher Soldaten bemüht, keine logischen Einwände aufkommen zu lassen. Und von einer heiteren, graziösen, originellen Musik bestrahlt, siegt der Unsinn mühelos …«

Das ist seit zehn Jahren ein eigenartiges Schauspiel, wie sich die Wiener Publizistik zu mir stellt. Der Heroismus, mit dem sie meinen Namen ablehnt, hat etwas Ergreifendes. Es wäre ja [33] gar keine Kunst, mich zu nennen. Und wie oft bietet sich nicht ein Anlaß! Jedes Heft der ‚Fackel‘ bringt neue Ideen, die sich für das Feuilleton, für Glossen und Notizen, für die Kritik von Kunst und Gesellschaft famos abplatten lassen. Es ist oft sehr schwer, meinen Namen nicht zu nennen, aber die Wiener Presse weiß sich zu beherrschen, und das macht ihre Größe aus. Da habe ich neulich etwas zur Ästhetik der Operette geschrieben — hastdunichtgeseh’n, steht es in einer Theaternotiz. Morgen vielleicht in einem Essay. Erscheint dieser dann in einem Buch, so wird die Originalität solcher Ideen gelobt werden, und von meinem eigenen Buch erfahren ja die Leser nichts. Die Presse ist in der Tat oft schon nahe daran, meinen Namen zu nennen, immer glaubt der Leser, jetzt, in der nächsten Zeile müsse er kommen. Aber eine eiserne Willenskraft bewahrt die spröde Schöne vor dem Äußersten, und sie knöpft mir bloß das Geld ab. Es ist, als ob Nachdruck ihr nur ohne Quellenangabe gestattet wäre. Ein Blatt aber, in dem meine moralsatirische Betrachtung tagtäglich den Glossenschreibern hilft, tut noch ein übriges. Es streicht sogar meinen Namen aus dem Inhalt einer deutschen Zeitschrift, den es abdruckt. Eigentlich behagt mir dieser Zustand. Es wäre ja scheußlich, wenn man mich wie alle anderen zeitgenössischen Schriftsteller mit Reklame dafür entschädigen müßte, daß man keine Gedanken von mir nehmen kann.

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Wir glauben noch immer, das Unmögliche sei nicht möglich. Aber neulich lasen wir in einem Blatte, das allerdings erst erscheint, wenns schon finster wird, ein Referat über einen Vortrag, das die folgende Stelle enthielt:

» … Und nun entwickelte der Vortragende eine Historie des Tanzes; man vernahm erstaunt, daß diese fröhliche graziöse Kunst ebenso eine Geschichte habe, wie eine andere Kunst und daß sie ebenfalls Gegenstand ernsten Studiums sein könne. Der erste Tanz, der sogenannte Promenadentanz, entstand zu Florenz im 15. Jahrhundert; es tanzte ein Paar durch den Saal, während die übrige Gesellschaft bewundernd zusah.«

Und wann wurde das Schreiben erfunden? Man wird erstaunt vernehmen, daß auch diese fröhliche graziöse Kunst ihre Geschichte habe, aber bedauern, daß sie nicht ebenfalls Gegenstand ernsten Studiums sei. Denn der erste Artikel, das sogenannte Feuilleton, entstand zu Wien im 19. Jahrhundert; ein Schmock schrieb, während das Publikum bewundernd zusah.

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[34] Der folgende »Offene Brief an Herrn Ludwig Karpath«, der von der gesamten Wiener Presse unterdrückt worden ist, wird mir vom Verfasser zugesendet. Er ist an einen Wiener Musikreporter gerichtet, der kürzlich in einem Konzert demonstriert und bald darauf in einem Feuilleton Wildes »Salome« ohne die Musik des Herrn Richard Strauß »abstoßend« gefunden hat:

Sie schreiben in den ‚Signalen‘ vom 6. Jänner 1909:

»Noch wäre die Aufführung eines neuen Streichquartetts von Arnold Schönberg zu erwähnen. Ich beschränke mich auf die Konstatierung, daß es zu einem heillosen Skandale kam, wie ein solcher in einem Wiener Konzertsaale bisher noch nicht erlebt worden war. Mitten drin in den einzelnen Sätzen wurde anhaltend und stürmisch gelacht und mitten drin im letzten Satze schrie man aus Leibeskräften ‚Aufhören! Schluß! Wir lassen uns nicht narren!‘ Ich muß zu meinem Leidwesen konstatieren, daß ich mich zu ähnlichen Rufen hinreißen ließ. Zum ersten Male in meine zwanzigjährigen Praxis. Gewiß, ein Kritiker hat im Konzertsaale kein Mißfallen zu äußern. Wenn ich aus meiner gewohnten Reserve trotzdem heraustrat, so will ich damit nur den Beweis liefern, daß ich physische Schmerzen ausstand, und wie ein arg Gepeinigter, trotz aller guten Absicht selbst das Schlimmste zu überwinden, nun doch aufschreien mußte. Indem ich hier öffentlich mich selber tadle, habe ich auch das Recht gewonnen, über meine Angreifer zu lächeln. Diese, ungefähr ein Dutzend an der Zahl, behaupten, daß das Quartett Schönbergs ein Kunstwerk sei, daß wir anderen es nicht verstehen, ja daß wir nicht einmal die Beschaffenheit der Sonatenform kennen. Nun, ich für mein Teil bin gern bereit, vor jedem Areopag die Prüfung aus der Harmonielehre, Formenlehre und allen anderen musikalischen Disziplinen abzulegen. Ich habe freilich noch nach dem Muster der ‚Alten‘ studiert und könnte mithin meine Prüfung nur bei den Befolgern des ‚alten Systems‘ bestehen. ‚Das gilt nicht!‘ — sagt das Dutzend. Auch gut.«

Ich gehöre nicht zu dem Dutzend, welches sagt: »Das gilt nicht« und will Ihnen das beweisen, indem ich jeden »Areopag« annehme, er möge nach dem »neuen« oder nach dem »alten System« zusammengesetzt sein. Im Gegenteil, ich schlage Ihnen für einen derartigen »Areopag« die folgenden Herren vor, die hoffentlich bereit sein werden, dieses Amt zu übernehmen: Herrn Professor Robert Fuchs, Herrn Prof. Dr. Eusebius Mandyczewsky, Herrn Professor Richard Heuberger, Herrn Professor Hermann Grädener, Herrn Professor Josef Labor. Ich fordere Sie nun auf Grund Ihrer Erklärung heraus, diese Prüfung »aus der Harmonielehre, Formenlehre und allen anderen musikalischen Disziplinen«, zu der Sie sich doch wohl unter der Voraussetzung bereit erklärt haben, daß man sie von Ihnen verlangen kann, vor diesem »Areopag« abzulegen. Wie Sie es wünschen — ich [35] überlasse Ihnen, wie Sie sehen werden, auch die Wahl der Waffen —, wird die Prüfung nur nach dem »alten System« geschehen, nach dem Sie ja studiert haben, und ich überlasse es Ihnen, die Theoretiker, die der Fragestellung zugrunde liegen sollen, selbst zu nennen. Ich stelle nur die folgenden Bedingungen: Die Prüfung findet öffentlich statt und die Fragen werde ich selbst an Sie richten. Ob Sie entsprochen haben, mögen die Herren vom »Areopag« beurteilen. Sie haben nun Gelegenheit, zu erweisen, was Sie behaupten. Entziehen Sie sich dieser Prüfung aus was immer für einem Grund, so bekräftigen Sie dadurch zur Evidenz, daß Sie sie zu scheuen haben.

Arnold Schönberg.     


Dieser Offene Brief wurde von der Presse, an die er geschickt wurde, einstimmig verschwiegen. Aber der Kandidat hat die Prüfungsfrist noch nicht versäumt. Er sollte sich doch die Gelegenheit nicht entgehen lassen, das alte Mißtrauen zu zerstören und durch einen Durchfall endlich den Befähigungsnachweis für sein musikkritisches Amt zu erbringen.

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Einige Kabaret-Pensionisten haben in Graz gastiert. Sie nennen sich »Elf Scharfrichter«. Und da b[e]gab es sich:

»… Das Galeriepublikum scheint den Charakter dieser Künstlervereinigungen mißverstanden zu haben und erwartete insbesondere das Erscheinen wirklicher Scharfrichter auf der Bühne. Da es sich enttäuscht sah, begann es seinem Unwillen Ausdruck zu geben, zunächst durch Murren. Als aber Hugo Wolf-Lieder vorgetragen wurden, begann die Galerie laut ‚Pfui!‘ zu rufen....«

Nun möchte ich ja gerne der Auffassung beipflichten, daß das Publikum empört war, weil Hugo Wolf-Lieder von Kabaretiers gesungen wurden, anstatt von Sängern. Aber sympathischer ist mir doch die andere Auffassung, daß nämlich das Publikum empört war, weil die Kabaretiers Hugo Wolf-Lieder sangen, anstatt eine Hinrichtung vorzunehmen. Man kann nicht genug Züge aus dem Leben des Publikums zusammentragen. Einst prügelte es den Schauspieler, der den Franz Moor spielte, jetzt prügelt es ihn, wenn er unter diesem Pseudonym Lieder singt. Als ich einmal mit meiner kleinen Nichte einer Vorstellung des Lustspiels »Goldfische« beiwohnte, hörte sie drei Akte lang mit gespannter Aufmerksamkeit zu, bis ihr endlich die Geduld riß und sie aus voller Kehle rief: »Wo sind die Goldfische?« Auf diesem Standpunkt steht heute das erwachsene Theaterpublikum. Seine Äußerungen gehören in die [36] Rubrik »Aus Kindermund«. Immer ist es in teilnahmsvoller Spannung, und es verträgt nur nicht, daß man ihm Rätsel zu lösen gibt. Wenn ein Dramatiker zum Beispiel im ersten Akt 100.000 Gulden verschenken läßt und den ganzen Abend hindurch von dieser großmütigen Handlung nicht mehr die Rede ist, so wird man im verzweifelten Ringen um die Garderobe die bange Frage hören: »Ich möcht’ nur wissen, was mit den 100.000 Gulden geschehen ist!« Wie kann die Theaterästhetik so herzlos sein, von den Direktoren immer wieder zu verlangen, daß sie Ibsen spielen! »Tus nicht!« rief ein braver Mann von der Gallerie dem Tell zu, als er eben auf das Haupt des leiblichen Kindes anlegte. Als aber einmal auf der Bühne des Burgtheaters eine Person in einem französischen Sittenstück den Satz aussprach: »Es ist eine schöne Pflicht der großen Banken, notleidenden Kaufleuten beizustehen!«, rief eine Damenstimme aus einer Loge ein langgedehntes, inhaltsschweres »Bravo!«. Einen Kritiker, der gern in Bildern spricht, traf dieses Familienschicksal, das wie ein Operngucker ins Parkett fiel, direkt auf den Kopf.

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Da in früheren Jahren der mir feindselige Kretinismus zu dem Argumente gegriffen hat, daß es meine Beschäftigung sei, die Druckfehler der Tagespresse zu korrigieren, so will ich diese Meinung einmal ins Recht setzen und mitteilen, daß ich bei der Lektüre eines Aufsatzes über Edgar Poe im ‚Fremdenblatt‘ den folgenden Satz gefunden habe: »Poe, der Instinktmensch, Poe, der ehrliche Phantast im ehrlichen Trance Kleipert, sein berühmtestes Gedicht mit handwerksmäßig kühler Berechnung«. Nach der Lektüre dieses Satzes hatte ich sofort eine grauenhafte Poe’sche Vision. Ich stellte mir den Bildungszuwachs vor, der beim Normalleser in solchem Falle eintritt. Dieser Kleipert beginnt ihn zu interessieren. Wer ist Kleipert? Ein Instinktmensch, ein ehrlicher Phantast im Stile Poes? Nein, sagt ein anderer, der Satz ist zwar unklar, aber darüber kann kein Zweifel sein, daß Kleipert kein Autor ist, sondern bloß der Titel eben jenes Poe’schen Gedichtes. Aber er sucht, und findet es in den Werken Poes nicht. So muß es doch wohl der Name eines ollen ehrlichen Phantasten sein, den das Konversationslexikon aus irgend einem Grunde nicht nennt? Wer ist Kleipert? Man weiß es nicht; aber die Frage wird so oft gestellt werden, daß der Name bleibt. Europa wird sich an den Namen gewöhnen und gerade weil niemand weiß, wen er vorstellt, [37] werden sich viele dadurch hervortun, daß sie es zu wissen behaupten. Und wenn man das Problem dieses neuen Ruhmes behorcht, so muß man sich fragen, wie viele Meinungen in der Welt durch Druckfehler entstanden sein mögen, und ob nicht die Druckfehler überhaupt der verläßlichere Teil dessen sind, was die Tagespresse bietet. Man sagt viel zu wenig, wenn man einen Autor, der sich der Druckpresse anvertraut, mit dem Troste beruhigt, das Publikum merke Druckfehler nicht. Das Publikum beachtet gerade sie und zieht aus ihnen den besten Gewinn an Bildung. Ich erinnere mich an meine erste kritische Arbeit. Sie erschien und enthielt den Satz: »Die Inhaltsangabe des ersten Aktes sollte etwas weniger dürftig sein«. Es war eine schlichte Bemerkung, die der Redakteur zu dem Zwecke ins Manuskript geschrieben hatte, um mir eine Ergänzung zu empfehlen. Das Manuskript wurde aber vorschnell gedruckt, und ich glaube, daß die Leser einen starken Eindruck von dieser kritischen Bemerkung empfangen haben. In derselben Zeitschrift, die sich damals infolge ihrer originellen Druckfehler ein Publikum erobert hatte, erschien einmal die Kritik einer Burgtheateraufführung, in der die Schauspielerin Stella Hohenfels nicht mit jener Anerkennung bedacht wurde, die sie verdiente. Das scheint auch der Redakteur empfunden zu haben. Denn an die Reihe kritischer Bemerkungen des Autors schloß sich der Satz: »Wäre mir unangenehm wegen meiner Verbindung mit Berger«. Ich bin davon überzeugt, daß gerade dieser Satz seine Wirkung auf die Leser nicht verfehlt hat. Die Druckfehler sind die Opposition des Setzers gegen Lüge und Unverstand, und der Setzer ist der erste Leser. Schon deshalb ist es töricht, sie zu korrigieren. Sie sind das, was von einem Artikel bleibt. Ich warf einem Moralisten einen »Salto morale« vor. Das gibts nicht, sagte der Setzer, der den Standpunkt der Intelligenz vertrat, und wollte einen Salto mortale daraus machen. Ich telegraphierte an die Druckerei, es solle nicht Salto mortale, sondern Salto morale heißen. Der Telegraphenbeamte, der der zweite intelligente Leser war, fragte mich, ob ich das nicht umgekehrt habe sagen wollen, und als ich dabei blieb, ergab er sich mit einem Kopfschütteln in seinen schweren Dienst. Der Leser hat immer recht, also auch der Setzer. Als ich einmal aus der Sprache des Herrn Harden die Wendung übersetzen wollte: »Innerer Hader, der sich an die Stelle des Festens drängt«, sagte der Setzer nein und behauptete, es [38] müsse heißen: Immer der Harden, der sich an die Stelle des Fechters drängt. Hat er nicht recht gehabt? Und als einer sich vermaß, zu sagen, daß Poe, der ehrliche Phantast, sein berühmtestes Gedicht mit Berechnung klempnert, half sich der Setzer und sagte: Kleipert. Denn es ist besser, daß sich bei den Lesern des ‚Fremdenblatts‘ der Glaube an diesen als ein Mißtrauen gegen Poe festsetzt.

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In Charles Baudelaires »Tagebüchern« findet sich die folgende Stelle:

Jede Zeitung, von der ersten bis zur letzten Zeile, ist nichts als ein Gewebe von Schrecken. Kriege, Verbrechen, Diebstähle, Schamlosigkeiten, Martern, Verbrechen der Fürsten, Verbrechen der Nationen, Verbrechen der Einzelnen, ein Rausch von allgemeiner Scheußlichkeit. Ich begreife nicht, wie eine reine Hand das anrühren kann, ohne vor Ekel zu zucken!

»Es bedarf keines Hinweises«, bemerkt ein deutsches Blatt zu diesem Zitat, »daß sich Baudelaire auch hier in einer splendid isolation sondergleichen befindet«. Aber ich nicht!

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Ultimatum: Wenn ich noch einmal in einem Blatte in der Besprechung eines Geschwornenurteils den Satz finde, es sei »das schöne Vorrecht der Richter aus dem Volke, auch dort noch Recht und Billigkeit zu üben, wo der starre Buchstabe des Gesetzes …«, haue ich die Zeitungslektüre definitiv hin. Seit Jahren nehme ich ängstlich ein Abendblatt zur Hand, in welchem unter der Spitzmarke »Ein Freispruch« immer dieselbe Betrachtung steht. Eine Abwechslung wird nur darin geboten, daß die Richter aus dem Volke für die Anwendung des schönen Vorrechts entweder gelobt oder daß sie ermahnt werden, sich darin zu mäßigen. Aber immer ist es der gewisse Buchstabe des Gesetzes, der mich anstarrt, so oft ich das Blatt aufschlage. Es ist eine fixe Idee des Liberalismus, der starrer ist als alles Gesetz. Das Leben selbst ist zum Buchstaben erstarrt, und was bedeutet neben solchem Zustand die Leichenstarre der Gesetzlichkeit!
Karl Kraus.
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Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: wahrend