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Autor: F. L. Reimar
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Titel: Getrennt
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aus: Die Gartenlaube, Heft 7–10
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Versöhnung in einer Ehe
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[97]
Getrennt.
Von F. L. Reimar.


Der Schein einer Hängelampe erleuchtete ein kleines, aber mit geschmackvoller Eleganz ausgestattetes Gemach und fiel auf den glänzenden Scheitel eines jungen Mädchens, das rastlos in demselben hin und wieder ging. Die Schritte der Wandernden waren unhörbar auf dem weichen Teppich, aber jede Bewegung, die ganze Haltung, welche manchmal ein gespanntes Aufhorchen verrieth, zeugte von großer Aufregung. Sie war in reicher Kleidung, die indessen mit der modernen Einrichtung des Zimmers seltsam contrastirte, denn die Perlengehänge, die geschlitzten, bauschigen Aermel, kurz das ganze Costüm gehörte offenbar dem Geschmack eines längstvergangenen Jahrhunderts an. Trotz ihrer schlanken, nach dem feinsten Ebenmaß gebildeten Gestalt war sie nicht das, was man eine eigentliche Schönheit nennt, aber daß die Züge des bräunlichen Gesichts der Regelmäßigkeit entbehrten, vergaß man über dem Glanz der großen schwarzen Augen, die darin blitzten, und wenn der Mund nicht eben klein war, so blieb das Lächeln, welches ihn zu Zeiten umspielte und dann zwei Reihen blendend weißer Zähne sichtbar werden ließ, nicht minder bezaubernd. In diesem Augenblick schwebte indeß dies Lächeln nicht um ihre Lippen, die vielmehr fest geschlossen waren, wie in einem herben Gefühl, während sich die dunklen Augenbrauen düster zusammengezogen hatten. „Er kommt wieder nicht!“ murmelte sie, und es war, als bebte ihre ganze Gestalt in verhaltener Leidenschaft. „Er kommt nicht!“ wiederholte sie dann leiser und warf sich in die Kissen des Sophas, das Gesicht gegen die weichen Polster gedrückt, als ob sie schluchze.

Nach einer Weile ließen sich Schritte auf der Treppe hören, bei deren Schall sie von Neuem heftig emporfuhr. Den schmerzlich Erwarteten mußte sie jedoch nicht daran erkennen, denn ihre Züge verriethen neben einem gewissen Erschrecken einen lebhaften Unmuth, während sich draußen bereits lachende Stimmen vernehmen ließen. Einen Augenblick verbarg sie den Kopf noch in beiden Händen, und als sie diese dann wieder sinken ließ und das Gesicht den Eintretenden, einer Gesellschaft von mehreren Damen und Herren, zuwandte, trug dieses einen vollkommen veränderten, heiteren Ausdruck.

„Guten Abend, theure Melanie,“ „cara mia,“ „durchlauchtige Prinzessin!“ ertönten die Begrüßungen von allen Seiten, während die Angeredete lachend ringsum die Hände bot und die Gäste zum Sitzen einlud.

„Noch im Costüme des Abends, Liebe?“ bemerkte etwas spöttisch eine der Damen und ließ den Blick über die Gewandung des jungen Mädchens gleiten; „wir sind seit einer Stunde wieder Alltagsmenschen.“

Melanie erröthete flüchtig und erwiderte, daß vorgefundene Briefe ihr nicht die Zeit zum Umkleiden gelassen hätten. „Und wozu auch?“ rief ein Herr, der den Platz an ihrer Seite zu erobern gewußt hatte, dazwischen. „Wir sind entzückt, Sie noch länger als Prinzessin Eboli sehen zu dürfen. Waren Sie an Ihrem Platz heute Abend, und war das eine Gluth in Ihrem Spiel! Ich sage Ihnen, ich erschrak und erzitterte beinahe unter Ihren Blicken, als ich Ihnen als Marquis Posa den Dolch auf die Brust setzte, und bin nur nicht mit mir einig, ob ich meinen Freund Don Carlos als Tropf verachten, oder als Held bewundern soll, daß er Ihnen gegenüber kalt zu bleiben vermochte.“

„Was wollen Sie?“ lachte die ersterwähnte Dame, eine schnippische kleine Brünette, die für die Soubrettenrollen engagirt war. „Der hatte eben nur Augen für seine blonde Elisabeth, die überhaupt während ihres Gastspiels verstanden hat, das hiesige Publicum zu enthusiasmiren. Mir – ich sage es gerade heraus – ist der Geschmack desselben unbegreiflich!“

„Und ich wiederum erkläre, daß mir ihr Spiel Respect eingeflößt hat!“ konnte Melanie sich zu sagen nicht enthalten, „und Manche könnten von ihr lernen.“

Die Brünette maß die Sprecherin mit einem spöttischen Blick und sagte dann: „Das ist denn auch wohl die Ansicht unseres gestrengen Kritikers, des Doctor Feldern, Ihres anerkannten Protectors, Melanie? Ich habe ihn wenigstens begeistert Beifall klatschen sehen, nachdem Elisabeth ihre stolze Vertheidigung vor dem König gesprochen hatte.“

„Ich habe dasselbe bemerkt,“ entgegnete Melanie ruhig und fügte gleich darauf, scheinbar unbefangen und wie um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, hinzu: „Wer mochte die schöne Dame sein, welche in der Loge neben Feldern saß? Ich sah ihn einige Male mit ihr sprechen.“

„Ah, das schöne Fräulein Alma, die Tochter des Oberforstmeisters von Büsching!“ lautete die Entgegnung, und ein Anderer fügte hinzu: „Das Gerücht bringt ihren Namen vielfach mit dem des Doctor Feldern zusammen und man nimmt ein Verhältniß zwischen den Beiden als ausgemacht an. Er soll ein fast täglicher Gast in dem Büsching’schen Hause sein.“

Wäre ein beobachtender Blick auf Melanie gefallen, so würde er vielleicht wahrgenommen haben, daß sich für einen Moment die Lippen des jungen Mädchens fest auf einander preßten, wie um einen unwillkürlichen Ausruf, eine Frage zurückzudrängen, und daß ein Erbleichen über ihre Wangen flog. Eine Secunde später aber war die Röthe derselben zurückgekehrt und als sie den Mund öffnete, war es, um heiter in die Scherzreden der Gesellschaft [98] einzustimmen. Ja, es schien, als sei sie von einer besonderen Munterkeit ergriffen, die sich rasch bis zur Ausgelassenheit steigerte. „Wir wollen unsere Kunst, das Schauspielern, leben lassen; das Leben besteht ja nur darin und dadurch!“ rief sie und zog hastig an der Klingel. „Champagner!“ befahl sie dem eintretenden Dienstmädchen. Eine ältliche Dame, die bald nach dem Erscheinen der lustigen Gesellschaft in’s Zimmer getreten war und in Melaniens Nähe Platz genommen hatte, stand leise auf und flüsterte dem jungen Mädchen, bei dem sie eine Art Ehrendame zu sein schien, etwas zu, augenscheinlich eine Warnung, aber die Schauspielerin schüttelte nur den Kopf und wandte sich ungeduldig von ihr ab. Wenige Minuten darauf schäumten und klangen die Gläser und daneben ertönte das Jubeln und Lachen der munteren Genossen, unter denen Melanie als die Fröhlichste gelten konnte. Erst als die Gesellschaft sich lange nach Mitternacht getrennt hatte, als Melanie sich allein sah – da war es plötzlich mit der heiteren Laune der Schauspielerin vorbei. In krampfhafter Hast riß sie die glänzenden Schmuckstücke von Hals und Armen, um dann die aufgelösten dunklen Locken mit den Händen zu durchwühlen und diese wieder zu ringen in stummer und banger Verzweiflung. –

Eine andere, gemessenere Gesellschaft hatte sich an einem der nächsten Abende im Hause des Oberforstmeisters von Büsching zusammengefunden, der mit seiner Gattin in etwas steifer Weise die Honneurs machte. Vielleicht galt diese mehr als gewöhnlich hervortretende Förmlichkeit der Anwesenheit eines vornehmen Besuchs, eines älteren, unverheiratheten Bruders des Hausherrn, welcher als Minister in der Residenz lebte und zu dessen Ehre und Unterhaltung die heutige Soirée veranstaltet worden war. Die Excellenz selbst schien jedoch gar keinen Anspruch auf besondere Rücksichtnahme für seinen Stand zu machen, denn sie gab sich der Unterhaltung mit voller Ungezwungenheit hin und hatte sich bald in ein so lebhaftes Gespräch mit einigen der anwesenden Herren vertieft, daß sie sich erst durch die directe Anrede des Bruders unterbrechen ließ, welcher zu ihr getreten war, um ihr unter dem Namen „Herr Doctor Feldern“ einen neu hinzugekommenen Gast vorzustellen. Der Minister verbeugte sich artig gegen den jungen Mann und richtete einige verbindliche Worte an ihn, doch da dieser fühlte, daß er eine vielleicht unwillkommene Störung veranlaßt hatte, zog er sich gleich darauf zurück, um sich unter die übrige Gesellschaft zu mischen, während jener die frühere Unterredung noch eine Weile fortsetzte. Bald jedoch wandte er sich mit der Frage an seinen Bruder:

„Wer und was ist eigentlich jener Doctor Feldern, mit dem Du mich bekannt machtest? Er hat etwas Distinguirtes, das mein Interesse erweckt.“

„Seiner Herkunft nach kann er dies wohl nicht haben,“ lautete die Antwort, „aber seine Persönlichkeit ist allerdings ausgezeichnet. Er gilt für einen der geistvollsten Männer unserer Stadt, der sich auch als Schriftsteller einen geachteten Namen erworben hat; daneben ist er Privatdocent an der hiesigen Universität.“

Der Minister schien noch etwas fragen zu wollen, doch wurde seine Aufmerksamkeit in diesem Augenblick von seiner Nichte, der schönen Tochter des Hauses, in Anspruch genommen, die aus einem der Nebenzimmer trat, wo er sie kurz vorher scherzend und plaudernd inmitten einer dichten Gruppe gesehen hatte. Sie blickte wie suchend um sich und nach einigen Secunden bemerkte er, wie ein glänzendes Lächeln über ihre Züge flog und wie sie sich einem alleinstehenden Herrn näherte, in welchem er Feldern erkannte und den sie anredete. Obgleich der Onkel scheinbar nicht auf die Unterhaltung achtete, entging ihm doch kein Wort derselben.

„Man bittet mich, zu singen,“ sagte sie, „aber Sie wissen, ohne Ihre Unterstützung wage ich schon nichts mehr. Wollen Sie mich begleiten?“

„Die Frage gleicht zu sehr einem Befehl,“ antwortete er wie scherzend, „um meine Antwort nicht überflüssig zu machen. Was wünschen Sie zu singen, gnädiges Fräulein?“

„O, ich stehe Ihnen nicht nach an Liebenswürdigkeit und will auch Ihnen Concessionen machen: also etwas Schwermüthiges, denn ich lese auf Ihrem Gesichte den Wunsch danach. Aber nein,“ unterbrach sie sich rasch wieder, „ich will Ihnen nicht das Recht lassen, Ihrer Schwermuth nachzuhängen, Sie sollen mich auch in meiner Stimmung accompagniren, wollen Sie?“ und wieder sah sie ihn mit ihrem strahlenden Lächeln an.

Es war, als läge eine Erwiderung auf seinen Lippen, die er unterdrückte, und er antwortete nur: „Ich begleite Sie, gnädiges Fräulein!“ Damit folgte er seiner schönen Gefährtin in das anstoßende Gemach, wo die Letztere an dem geöffneten Flügel Platz nahm, um sich selbst bei ihrem Gesange zu accompagniren. Feldern begleitete sie mit seiner Stimme, einem überaus angenehmen und kräftigen Tenor, der so vortrefflich zu ihrem schönen Alt paßte, daß sich eine lange Uebung voraussetzen ließ, die solch’ ein harmonisches Zusammenklingen der beiden Stimmen hervorgebracht hatte.

Der Minister hatte sich nachlässig in eine Fensterbrüstung gelehnt und beobachtete von dort aus das junge Paar, fast so gespannt, als ob er die Mienen desselben studire, während er doch ebensowohl ganz in das Hinhorchen versunken sein konnte. Nachdem der Gesang geendet und die Unterhaltung in der Gesellschaft wieder allgemein geworden war, trat er wie zufällig an seine Schwägerin heran und sagte, während seine Finger mit einer Blume spielten, die er aus einer der Vasen genommen hatte:

„Singt und spielt Alma häufig mit dem jungen Doctor Feldern?“

„Seit einem Vierteljahr kommt derselbe mitunter zu diesem Zweck in unser Haus,“ erwiderte die Angeredete. „Er ist gewissermaßen Alma’s Lehrer geworden, denn es hielt schwer, für ihre Stimme die gewünschte Ausbildung zu erlangen, und da Doctor Feldern’s musikalische Begabung außerordentlich ist, konnte uns die Gelegenheit nur angenehm sein.“

„Wenigstens scheint sie dies für Lehrer und Schülerin geworden zu sein,“ warf der Minister scheinbar nachlässig hin.

Das Gesicht. der Oberforstmeisterin verrieth aber, daß sie seine Meinung verstanden hatte, denn es stieg eine plötzliche Röthe darin auf und indem sie den Kopf etwas in den Nacken warf, sagte sie: „O, was das betrifft, Herr Schwager, so vergißt der junge Mann, denke ich, weder seine noch unsere Herkunft und Stellung und jedenfalls ist meine Tochter derselben eingedenk. Rücksichtlich der äußeren Schicklichkeit aber brauche ich wohl kaum zu versichern, daß ich in jeder Minute bei den Zusammenkünften gegenwärtig bin.“

„Zweifle nicht!“ antwortete der Minister, sich gegen seine Schwägerin verbeugend. „Indessen – eh bien – laissons cela!“ Damit bot er ihr seinen Arm und führte sie in den Salon zurück. –

Melanie hatte seit jenem Abend, wo sie zum letzten Male die Bühne betreten und sich darauf im Kreise der Genossen so heiter gezeigt hatte, einige trübe Tage verlebt. Der Erwartete war immer noch nicht bei ihr gewesen und sie verzehrte sich in Angst und Unruhe. In der Dämmerung des hereinbrechenden Abends stand sie jetzt am Fenster und blickte gespannt auf die Straße, als ob sie unter den vorübergehenden Gestalten nach einer bestimmten Persönlichkeit forsche. Sie hatte dabei überhört, daß Jemand die Treppe hinaufgekommen war und daß die Zimmerthür sich geöffnet hatte.

„Guten Abend, Melanie!“ tönte plötzlich eine tiefe, wohlklingende Stimme hinter ihr.

Mit einem Schrei der Ueberraschung wandte sie sich um und wie in überwallender Freude stieß sie das Wort „Friedrich!“ hervor, um dann gleich darauf in leiserem und gehaltenerem Tone ein „Willkommen“ hinzuzufügen.

Feldern, denn er war der Eintretende, hatte unterdessen ruhig an ihrer Seite Platz genommen und that einige gleichgültige Fragen, auf die sie sich bemühte in derselben Weise zu antworten. Bald aber konnte sie diesen Zwang nicht länger ertragen und ihre leidenschaftliche Erregung klang durch, als sie in die Worte ausbrach:

„Sie sind lange nicht hier gewesen – haben Sie mich vergessen, Friedrich?“

Fast verwundert blickte er sie an. „Ich war vielbeschäftigt, Melanie,“ antwortete er und fügte in einen halb scherzenden Ton übergehend hinzu: „Sie haben schon als Prinzessin Eboli dafür gesorgt, daß ich Sie nicht vergessen durfte.“

„Wie gefiel Ihnen mein Spiel?“ fragte sie rasch.

„Haben Sie meine Beurtheilung jener Aufführung nicht in dem Tagesblatt gelesen?“ fragte er dagegen. Sie verneinte.

„Nun, so muß ich Ihnen gegenüber schon Lob und Tadel wiederholen, wie ich Beides dort ausgesprochen. Zuerst will ich [99] Ihnen sagen, daß Ihre Leistung mich von Anfang bis zu Ende interessirt hat, weil ich Sie noch in keiner Rolle sah, die von solch’ einer leidenschaftlichen Gluth erfüllt ist, und im Ganzen fühlte ich mich befriedigt von Ihrer Auffassung, wenn ich schon einige Ausschreitungen tadeln möchte. Im zweiten Act z. B. –“

„Halten Sie ein,“ rief Melanie in fast fieberberhafter Aufregung, „ich kann heute – jetzt keine Recensionen über mich anhören!“

Feldern mußte an die reizbare Stimmung der Schauspielerin gewöhnt sein, denn er verrieth kein Zeichen des Unmuthes, und als die Dienerin in diesem Augenblick mit der brennenden Lampe hereintrat, griff er schweigend nach einem aufgeschlagenen Buch, das auf dem Tische lag. Melanie ging einige Male durch das Gemach und es war augenscheinlich, daß sie ruhiger zu werden suchte. Nach einer Weile nahm sie schweigend wieder an seiner Seite Platz, und als er bemerkte, daß ihre Blicke an dem Buche hafteten, das er in der Hand hielt – es war Mosen’s[WS 1] „Sohn des Fürsten“ – fragte er: „Werden Sie die Orzelska spielen?“ Sie nickte. „Und sagt Ihnen die Rolle zu?“

„Ich weiß noch nicht,“ entgegnete sie, „bis jetzt kaum. Dies leidvolle Entsagen entspricht zu wenig meiner Natur und ich fürchte, den richtigen Ton für die Resignation finde ich nicht.“

„Wollen wir einen Versuch machen, Melanie? Lassen Sie mich einmal wieder Ihren Rathgeber sein und die Rolle mit Ihnen durchnehmen. Ich wette, unseren vereinten Kräften gelingt’s, das Rechte zu treffen.“

Er hatte in freundlichem, fast väterlichem Ton zu ihr gesprochen, aber doch die beabsichtigte Wirkung verfehlt, denn Melanie schüttelte nur traurig den Kopf. Es trat wieder eine Pause ein, doch während Feldern las oder zu lesen schien, entging es Melanie nicht, die, in ihren Stuhl zurückgelehnt, ihn betrachtete, daß ein etwas unmuthiger Zug auf seinem Gesicht hervortrat, und sie sah ein, daß sie ein anderes Gespräch anzuknüpfen habe, um die gute Laune ihres Gastes herzustellen. Daher wechselte sie in einem jener raschen Uebergänge ihres Wesens plötzlich den Ton und fing an, in lebendiger und selbst heiterer Weise von allerlei kleinen Erlebnissen, Vorgängen in der Bühnenwelt etc. zu erzählen, indem sie ihn dabei unbemerkt zu ähnlichen Mittheilungen anregte. Feldern, der froh war, daß die peinliche Stimmung ihr Ende erreicht zu haben schien, ging auf die Unterhaltung ein und ihren geschickten Fragen gelang es, allerlei Einzelheiten, die sich auf sein Leben bezogen, aus ihm herauszulocken. Zufällig geschah dabei auch seines Verkehrs im Büsching’schen Hause Erwähnung, und obgleich er leicht darüber hinzugleiten suchte, trat sie ihm plötzlich mit der Bemerkung in den Weg: „Die Tochter des Hauses ist sehr schön,“ sagt man.

„Man spricht damit die Wahrheit,“ entgegnete er ruhig.

„Ist sie so liebenswürdig, wie schön?“ fragte sie.

„Das kommt auf die persönliche Empfindung an, Melanie.“

„Ist sie nicht vom Glück, vom Reichthum, durch ihre vornehme Geburt verwöhnt, einer anderen Welt angehörend, als der einfachen, bürgerlichen?“

„Ich fürchte, sie ist alles das, Melanie!“

Sie blickte ihn scharf an; die anfängliche Ruhe war aus ihrem Gesicht verschwunden und es ward ihr offenbar, daß er in diesem Augenblick mehr an die Entfernte dachte, als an sie, die Fragende. Ihrer Ueberlegung kaum noch mächtig, rief sie aus:

„Und doch sagt man, daß Sie an eine Verbindung mit jener stolzen, gefeierten Schönheit denken, Friedrich!“

Er blickte sie an, wie erstaunt über die dreiste Bemerkung, dann aber nahm sein Gesicht einen düsteren Ausdruck an und er sagte leise, aber fest: „Sie wird nie mein Weib.“

Das Wort hätte ihr beinahe seinen Freudenschrei entlockt, doch ein Blick auf seine Züge dämpfte ihre Empfindung. „Friedrich,“ stieß sie hervor, „Sie lieben das Fräulein dennoch!“

In seine Wangen schoß eine dunkle Röthe und seine Augen blickten fast drohend auf sie.

„Melanie, mißbrauchen Sie nicht die Rechte, welche ich Ihnen einräumte!“

Ihr ganzes Wesen sank zusammen vor seinem Zürnen und an die Stelle der Leidenschaft trat die schüchternste Demuth. Sie ergriff seine Hand und würde sie an die Lippen gedrückt haben, wenn er es nicht verhindert hätte. „Vergebung!“ flüsterte sie. – Er war wieder weicher geworden und sagte:

„Wir wollen vergessen, Melanie, was heute geredet worden ist!“

„Ja, vergessen!“ sagte sie traurig und angstvoll zugleich; „nur nicht das Eine Wort, das Sie vorhin sagten; nicht wahr, Friedrich?“

Er blickte sie fast mitleidig an und sagte: „Wir wollen nur das aus unserem Gedächtniß zu tilgen suchen, was uns krank und elend macht, dafür aber des Gelöbnisses eingedenk bleiben, welches wir Beide gethan haben: uns selbst und unseren Zielen treu zu bleiben!“ Er stand auf, um sich zu entfernen. Als er schon an der Thür war, faßte sie wieder seine Hand und sagte fast flehend: „Sagen Sie mir noch einmal, daß Sie mir nicht zürnen!“

„Armes Kind!“ murmelte er, während er leise mit der Hand über ihren dunklen Scheitel fuhr, und gütig fügte er hinzu: „Nein, ich zürne Ihnen nicht, Melanie!“

Als er dann aber hinaustrat auf die dunkle Gasse, lag eine schwere Wolke auf seiner Stirn, vielleicht der Sorge, vielleicht des Grams, und zu sich selbst sagte er: „Es geht nicht länger so; es muß zu Ende kommen hier und – dort!“ –

Wenige Wochen später trat Feldern wieder einen Gang nach dem Büsching’schen Hause an; diesmal aber nicht als Gast einer Soirée, sondern um einen einfachen Besuch abzustatten, der indessen einen besonderen Zweck haben mußte, denn sein Antlitz war ungewöhnlich ernst und beim Ueberschreiten der Schwelle zögerte er sogar einen Augenblick, als würde es ihm schwer, hier einzutreten. Seine Frage nach den Herrschaften ward von dem entgegentretenden Diener dahin beantwortet, daß der Oberforstmeister nicht daheim, die gnädige Frau aber von heftiger Migräne befallen sei und das Bett hüte. Eine Secunde schwankte Feldern, dann aber brachte er entschlossen die Frage nach Alma hervor und als er erfuhr, daß dieselbe im Salon sei, befahl er, ihn dem Fräulein zu melden. „Ich will nicht feige von hier und – von ihr gehen!“ sagte er zu sich selbst. Der Diener brachte die Antwort zurück, daß der Besuch willkommen sei, und eine Minute darauf sah Feldern sich dem jungen Mädchen gegenüber, das sich bei seinem Eintritt mit dem Ausdruck freudiger Ueberraschung erhob.

„Sieht man Sie endlich einmal wieder, Sie böser Flüchtling?“ rief sie ihm mit freundlichem Zürnen entgegen. „Seit Wochen warte ich vergebens, daß Sie sich unserer Uebungen erinnern möchten, und hatte mein eifriges Bestreben daran gesetzt, daß die Schülerin dem Lehrer Ehre machen solle, und zum Lohne dafür düpiren Sie mich von einem Tage zum andern. Dürfen Sie da wohl noch die Bitte um Vergebung wagen, die Sie doch wahrscheinlich zu mir führt?“

„Dennoch spreche ich sie aus,“ entgegnete er, „denn ich bedarf eines freundlichen Andenkens an die Zeit, wo ich mitunter in Ihrer Nähe sein durfte.“

Sie blickte ihn erstaunt und fragend an, antwortete dann aber im Ton fröhlichen Uebermuths: „Das klingt ja ordentlich elegisch und soll mich wohl darauf vorbereiten, daß Sie noch länger den Unsichtbaren spielen, am Ende gar eine Reise antreten wollen?“

„Eine Reise – ja; aber keine solche, bei der sich die Voraussicht des Wiedersehens gleich an den Abschied knüpft. Ich werde M. verlassen.“ Er sah nicht oder schien wenigstens nicht zu sehen, daß ein Erbleichen über ihre schönen Züge flog, denn seine Augen wichen den ihrigen aus und erst als sie leise sagte: „Das erwartete ich nicht!“ blickte er sie wieder an, jetzt aber fest und ruhig und auch seine Stimme klang so, als er fortfuhr:

„Ich habe mich vor einigen Wochen um eine erledigte Stelle an der Universität H. beworben und ein amtliches Schreiben verkündet mir heute Morgen die Gewährung meines Gesuchs. Weil gerade die Ferienzeit der hiesigen Hochschule ist, konnte ich mich leicht aus den bisherigen Verhältnissen lösen, und da mich auch sonst nichts fesselt, so denke ich schon in einigen Tagen von hier abzureisen.“

Alma hatte sich über die Stickerei gebeugt, an der sie bei seinem Eintritt gearbeitet hatte, und er konnte den Ausdruck ihrer Züge nicht wahrnehmen; es schien ihm jedoch eine Bewegung aus ihren Worten zu klingen, als sie nach einer Pause antwortete:

„Ist es unbescheiden, wenn ich Sie frage, ob persönliche Vortheile mit dieser Veränderung Ihrer Stellung verbunden sind?“

„Wie Sie es nehmen wollen,“ sagte er; „im gewöhnlichen Sinne – nein! Ja, ich verzichte sogar auf manche Vortheile, die ich hier genoß; dennoch aber sind es gerade persönliche Rücksichten, die mich zu einem Wechsel meiner Verhältnisse veranlassen.“

[100] „Ich verstehe das nicht!“ sagte sie kurz.

„Und zürnen mir dennoch?“ wagte er zu fragen.

„Ja,“ sagte sie und sah ihn dabei wieder offen an, „es thut mir leid, daß Ihnen unsere Stadt so wenig lieb geworden ist, daß Ihnen das Losreißen so leicht wird!“

„So sind die Frauen!“ erwiderte er, mit einem Versuch, zu scherzen: „sie fassen gleich Alles von dem Standpunkt des Gemüths, des Herzens auf!“ und ernster fügte er hinzu: „Sie dürfen nicht vergessen, daß das Wort Herz eine zweifache Bedeutung hat und daß die ferner liegende nicht selten von dem Manne zunächst erfaßt werden muß: er muß das Herz haben, sein Herz zu besiegen.“

Es war fast, als fürchtete er, zuviel gesagt zu haben, denn nach einer kleinen Pause fuhr er fort: „Sie werden sich aber mit meiner Entschließung aussöhnen, wenn ich Ihnen sage, daß ich wirklich einer Forderung des Herzens nachgebe, indem ich nach jener Stadt übersiedle: ich komme damit in die Nähe meiner alten, einsam lebenden Mutter.“

Der weiche Ton seiner Stimme ergriff sie und unwillkürlich fragte sie: „Sie lieben Ihre Mutter sehr?“

„Ja!“ erwiderte er. „Ich liebe sie, wie sie der Sohn lieben muß, der das Einzige ist, was ihr vom Leben und seinen Verheißungen übrig geblieben.“

Sie blickte ihn mit dem Ausdruck der vollsten Theilnahme an und sagte: „Dann ist wohl auch Ihr Leben nicht immer ein glückliches gewesen?“

„Ich habe viele trübe Stunden durchkämpfen müssen, von meiner frühen Jugend an. Sie kennen meine Herkunft, gnädiges Fräulein?“

„Ich weiß, daß Sie sich durch eigenes Talent und eigenen Fleiß Ihren Weg gebahnt haben,“ versetzte sie ausweichend. „Glauben Sie, daß ich Sie darum minder ehre?“

„Das hieße, Ihre Gesinnung unterschätzen, gnädiges Fräulein?“

„Erzählen Sie mir von Ihrem Leben!“ bat sie rasch. „Ich kenne nur die Gegenwart und möchte auch die Vergangenheit wissen.“

Er schwieg einige Augenblicke. „Ist meine Bitte unziemlich, so ziehe ich sie zurück,“ sagte sie etwas verletzt.

„Nein „entgegnete er „es ist besser, Sie erfahren, was hinter mir liegt. So wissen Sie denn, daß ich nicht nur mit Noth und Mangel zu kämpfen hatte, daß ich auch Schmach und Unehre, die sich an meinen Namen hefteten, besiegen mußte. Und was das Bitterste war: mein eigener Vater hatte diese Unehre über uns gebracht.“

„Das habe ich nicht gewußt!“ rief Alma erschüttert aus.

„Er war Cassenbeamter und ward der Unterschlagung städtischer Gelder angeklagt. Es kam ein furchtbarer Tag, wo er aus seiner Familie fort und in’s Gefängniß geführt wurde. Das Gesetz verurtheilte ihn – er starb im Zuchthause.“

„Aber Sie – Ihre Mutter – Sie erkannten ihn für unschuldig?“ fragte Alma in großer Erregung.

„Erlassen Sie mir, davon zu sprechen!“ erwiderte er. „Jedenfalls hatte unser Herz eine Entschuldigung für ihn. Seine Schwäche und Gutmüthigkeit sind wahrscheinlich von Andern und Schuldigeren benutzt worden, um ihn zur Darleihung anvertrauter Gelder zu vermögen, aber die Thatsache blieb dieselbe: unser ehrlicher Name blieb verloren und an uns war es, ihn uns auf’s Neue zu erringen.“

„Und was war Ihre und Ihrer Mutter nächste Zukunft?“ fragte Alma.

„Die Mutter zog mit mir und meinem älteren Bruder in ein entferntes Städtchen und erhielt uns dort – unser kleines Vermögen war natürlich confiscirt worden – durch ihrer Hände Arbeit, bis wir heranwuchsen und im Erwerb behülflich sein konnten. Wie mein Bruder gewann ich mir dann durch Stundengeben die Mittel zu weiterer Ausbildung und durch Vermittlung wohlwollender Freunde erhielt ich später ein Stipendium, das mir den Besuch der Universität möglich machte. Auch dort hatte ich noch mit bitterem Mangel zu kämpfen, aber ich bin glücklich durchgedrungen und jetzt beinahe stolz auf meine früheren Entbehrungen.

„Und Ihr Bruder?“ fragte Alma mit lebhaftem Interesse.

Feldern fuhr sich einen Moment mit der Hand über die Augen. „Er war ein sehr begabter Mensch; er wurde Maler. – Jetzt ist er todt.“

Das junge Mädchen schwieg eine Weile. Feldern’s Erzählung hatte sie tief und zugleich peinlich ergriffen, denn es drückte sie wie eine Schuld, daß sie es gewesen, welche ihn zu seinen Mittheilungen veranlaßt hatte. Und doch wieder wußte sie selbst nicht mehr, wie Alles gekommen war, wodurch sie den ernsten Mann bewogen hatte, aus seiner Verschlossenheit heraustreten und sie mit dem bekannt zu machen, was – sie wußte es nun! – wie ein Wurm an seinem Leben nagte. In ihrer Verwirrung sagte sie: „Das also ist der Grund Ihres ernsten Wesens, das mir manchmal wie Schwermuth erschienen ist und über das ich oft gesonnen habe wie über ein Räthsel!“

Er lächelte fast, als er antwortete: „Allerdings finden Sie in meiner Erzählung angedeutet, warum meine Natur sich so und nicht anders gestaltet hat. Ich habe meistens allein im Leben gestanden.“

„Ließ man denn Sie, den Schuldlosen, Ihr Unglück büßen?“ fragte Alma in aufwallendem Zorn.

„Ob gerade absichtlich, weiß ich nicht,“ entgegnete er, „aber es entwickelte sich früh in mir eine große Reizbarkeit, die mich jede mögliche Berührung scheuen ließ. Selbst im späteren Leben bin ich ihrer nicht ganz Herr geworden.“

Alma überhörte fast die letzten Worte, denn wie ein Blitzstrahl hatte sie die Erkenntniß getroffen, weshalb Feldern ihr diese Enthüllungen gemacht, und sie in leidenschaftliche Erregung versetzt. Es war sein Edelmuth, der es ihm unmöglich machte, um ihre Hand, ihre Liebe zu werben: in seinem stolz-bescheidenen Sinne war er ihrer nicht werth. Und wie es gleich Schuppen von ihren Augen fiel, so leuchtete in ihrem Herzen der Gedanke: Er ist der Mann, den du lieben kannst – er und kein anderer! Der Impuls zu eigenem Handeln war ihr damit gegeben; vor ihn hintretend und seine beiden Hände erfassend sagte sie, und blickte dabei mit ihren glänzenden Augen in die seinen:

„Ich danke Ihnen, Feldern, daß Sie mir das Alles gesagt haben – es ist nun Alles klar und licht vor meinem Geiste und ich weiß, wie Ihr und – mein Schicksal sich gestalten muß.“ Er blickte sie gespannt und forschend an.

„Feldern,“ fuhr sie mit einem strahlenden Lächeln fort, „konnten Sie im Ernst glauben, daß Ihre Vergangenheit, daß fremde Schuld eine Schranke zwischen uns aufrichten würde? Ihre Erzählung hat nur den einen Wunsch in mir erweckt: die Ungerechtigkeit des Schicksals auszugleichen. Und darum trete ich jetzt vor Sie hin und biete Ihnen mit meinem Herzen die Hand, welche Sie sanftere Wege führen soll, als die Sie bisher gewandelt sind. Wollen Sie Beides von mir annehmen, Feldern?“

[113] Bei Alma’s Worten kam es wie eine Betäubung über Feldern’s Geist: das – das hatte er nicht gewollt, als er seinem Stolze jene Enthüllungen abgerungen, und daß sich vor seinen Augen eine ungeahnte, reiche Aussicht öffnete, vermochte er im ersten Moment kaum zu fassen. Sie erkannte, daß der Eindruck ihrer Worte nicht der war, den sie erwartet hatte; sie trat einen Schritt von ihm zurück und rief:

„Sprechen Sie ein Wort, Feldern, um Gotteswillen!“

„Alma, Sie wissen in diesem Augenblick nicht, was Sie thun!“ sprach er. Der weiche, innige Ton seiner Stimme gab ihr die volle Zuversicht wieder.

„Sie haben kein Recht, mir das zu sagen! Oder Sie müßten den Muth haben, mir zu sagen, daß Sie mich nicht lieben – können Sie das, Feldern?“

„Nein, bei Gott, Alma, das wäre eine Lüge, denn ich liebe Sie!“ sagte er fest.

Sie stieß keinen Laut des Entzückens aus, sie wußte es ja, daß er sie liebte, aber sie sah ihn mit leuchtenden Blicken an. „Vertragen sich denn Liebe und Kleinmuth?“ fragte sie.

„Nennen Sie Entsagen Kleinmuth, Alma?“

„Ich glaube nicht an Ihr Entsagen, Feldern! Wagen Sie es, das Geschenk zurückzuweisen, das ich Ihnen in dieser Stunde geboten habe?“

„Vielleicht doch,“ versetzte er leise, „Vielleicht führe ich Sie zur Erkenntniß, daß keine Bürgschaft künftigen Glücks darin liegt.“

„Für Sie oder für mich, Feldern?“ fragte sie gespannt und stolz.

„Könnte ich glücklich sein, wenn Sie es nicht sind, Alma? Und daß Sie in einen Zwiespalt mit Ihrem ganzen bisherigen Sein und Leben gerathen würden, wenn Sie mein Weib wären, das sehe und sage ich Ihnen in dieser Stunde voraus. Eine durch Rang und Reichthum glänzende Stellung, an deren Vortheilen Ihr Herz hängt, würden Sie mit einer bescheidenen vertauschen müssen, in der Ihnen selbst manche Entbehrungen nicht zu ersparen blieben; unsere Charaktere sind nicht die gleichen –“

„Aber meine Antwort ist auf Alles, was Sie mir noch sagen können und wollen, die gleiche, Feldern: ich liebe Sie! Ist Ihnen das nicht genug?“

Sie sah in diesem Augenblick so unbeschreiblich lieblich aus, daß er fühlte, wie ihn selbst die kühle Besonnenheit verließ und er nur noch das Weib vor sich sah, das er mit verzehrender Sehnsucht liebte und das sich ihm in dieser Stunde zu eigen gelobte für’s Leben. Einen Augenblick darauf ruhte sie an seinem Herzen und in einer kurzen, seligen Minute vergaß er alle Zweifel und Hindernisse, wodurch er selbst seiner Liebe den Weg zu versperren gesucht hatte. Dann aber trat der Gedanke an die Wirklichkeit um so viel herber an ihn heran.

„Deine Eltern, Alma – werden sie unserem Bunde ihren Segen geben?“ fragte er.

„Gewiß,“ sagte sie. „Der Vater kann seinem Lieblinge nichts abschlagen und ist mir im Nothfalle auch ein Bundesgenosse gegen die Vorurtheile der Mutter, die wir zu besiegen wissen werden.“

Ein Schatten glitt über Feldern’s Antlitz, doch sagte er nichts, und Alma sprach darauf wieder so innig und seelenvoll zu ihm, daß er sich von dem Zauber ihres Wesens gefangen fühlte.

Später, als er sie verlassen hatte, fand er sich als den Spielball der wechselndsten Empfindungen. Ein Glück war über ihn gekommen, um das ihn Hunderte beneiden würden, und er wußte, wie es seine Seele berauscht hatte; und doch wieder erinnerte er sich des Gefühls, welches ihn gewarnt, nach demselben zu ringen, ja, was ihn angetrieben hatte, die keimende Neigung auch im Herzen des jungen Mädchens zu ersticken. So wie er sie kannte, mußte eine Schilderung der Verhältnisse, der Makel, der an seinem Namen haftete, sie diese Neigung als einen Irrthum ihres Herzens, erkennen lassen, sie von ihm lösen. Er hatte sich verrechnet – und einen Moment jauchzte seine Seele auf bei dem Gedanken, daß ihre Liebe tiefer sei, als er geglaubt. In der nächsten Minute aber packte ihn wieder der Zweifel, ob er, ob nicht vielmehr sie sich dennoch täusche, indem es nicht Liebe, sondern ein aufwallendes Gefühl, das der Großmuth war, welches sie angetrieben hatte, ihm ihr Herz, ihre Hand zu bieten – und sein Inneres zuckte vor Qual bei dieser Vorstellung. Wie aber auch der Zusammenhang sein mochte, sein Weg war ihm jetzt vom Schicksal vorgezeichnet und die Ehre schon gebot, ihn zu verfolgen.

Noch an demselben Tage richtete er seine schriftliche Werbung um Alma’s Hand an deren Vater, in Worten, die sowohl seinem männlichen Selbstgefühl wie seiner aufrichtigen Liebe entsprachen, erregte aber damit eine unbeschreibliche Aufregung in der Büsching’schen Familie. Während die Eltern, namentlich die Mutter, seine Anmaßung und Dreistigkeit unbegreiflich, nahezu empörend fanden, erklärte Alma ganz entschieden, Feldern’s Hand annehmen zu wollen, und wußte so überredend zu wirken, die Waffen des Trotzes und der Schmeichelei so wohl zu gebrauchen, daß sich der überaus nachgiebige Vater bald ihrem Willen geneigt zeigte und es nur übrig blieb, den Widerstand der Mutter zu brechen, welche ihre [114] Einwilligung anfangs entschieden verweigerte. Sie erinnerte an das Aufsehen der Welt bei dieser Mesalliance: – Alma erklärte, sie sei zu stolz, um sich um das Gerede derselben zu kümmern; sie weissagte der Tochter künftige Enttäuschung und das Elend, welches aus einer so unnatürlichen Verbindung hervorgehen müsse: Alma erwiderte, sie fühle sich stark genug, um jedem Schicksal die Stirn bieten und sich für ihr eigenes wie für ihres Gatten Glück verbürgen zu können.

In ihrer Bedrängniß wandte sich die Mutter an den Schwager in der Residenz, dem sie alle Thatsachen mittheilte und an welchem sie einen mächtigen Bundesgenossen zu finden hoffte. Aber auch er schlug sich auf die Seite der Liebenden. Als Diplomat wußte er die Bedeutung des fait accompli zu würdigen und bat die Frau Schwägerin, mit ihrem Segen dem jungen Paare zugleich seinen Glückwunsch auszusprechen. Uebrigens erinnerte er an seine früher gegebene, aber nicht beachtete Warnung. Jedenfalls – das erkannte Alma – hatte sie durch die Aeußerungen des Ministers viel bei der Mutter gewonnen und wußte diesen Vortheil so geschickt zu benutzen, daß sie den Sieg bald völlig auf ihrer Seite sah und bereits nach wenigen Tagen zum zweiten Male, jetzt aber mit jubelndem Frohlocken, ihre Hand in die Feldern’s legen und als seine erklärte Braut die Glückwünsche der Welt in Empfang nehmen durfte.

Während der Tage des Zweifels und der Ungewißheit hatte Feldern es vermieden, Melanie, an die er bisweilen mit einem unruhigen Gefühl dachte, zu sehen. Sobald aber Alles entschieden war und er Alma die Seine nennen durfte, empfand er es als eine wenn auch schwere Pflicht, die junge Schauspielerin von dem Geschehenen in Kenntniß zu setzen. Er wurde aber nicht zu ihr gelassen; Melanie sei krank, hieß es. Am folgenden Tage empfing er dieselbe Antwort, und als er dann noch einen Versuch machte, sie zu sehen, fand er ihre Thür verschlossen und erfuhr von den Hausleuten, sie sei plötzlich abgereist. Wie er später hörte, hatte sie der Direction des Theaters eine bedeutende Summe gezahlt, um für den Bruch des Contractes zu entschädigen; wohin sie sich aber gewandt, konnte er nicht erfahren.




Etwa zwei Jahre später saß der Minister von Büsching in dem Besuchzimmer seiner Schwägerin, der verwittweten Oberforstmeisterin, die jetzt in der Residenz lebte. Er war gekommen, um sie nach der Rückkehr von einer längeren Reise zu begrüßen, und jetzt im eifrigen Gespräch mit ihr begriffen.

„Nach Allem, was Sie mir von Ihrem Besuch bei dem jungen Paare erzählen, liebe Frau Schwägerin,“ sagte er, „muß ich leider schließen, daß derselbe Sie nicht sehr befriedigt hat.“

„Wie konnte er das?“ entgegnete die Dame. „Er hat nur bestätigt, daß ich in meiner Voraussicht Recht hatte, als ich mich der Verbindung widersetzte. Alma ist nicht, kann nicht glücklich sein neben einem Mann wie Feldern.“

„Ihr Schwiegersohn gefällt Ihnen nicht?“ fragte er leichthin.

„Nein!“ sagte sie kurz.

„Das bedaure ich, denn die Welt rühmt den Professor Feldern nicht allein als einen tüchtigen Gelehrten, sondern auch als einen ausgezeichneten Charakter.“

„O ja! ich bestreite es nicht, in ihrem Sinne mag er Alles das sein; aber um eine Frau, eine Frau, die ihrer Geburt und Erziehung nach einer anderen Sphäre angehört, glücklich zu machen, genügt nicht der Ruf seiner Rechtschaffenheit und die Vergötterung seiner Studenten.“

„Was halten Sie für nothwendig, liebe Frau Schwägerin?“

Sie überhörte seinen sarkastischen Ton und fuhr eifrig fort: „Vor allen Dingen jenes je ne sais quoi des Wesens und Verhaltens, mit einem Wort den vornehmen Ton, der Feldern fehlt. Ich habe ihn in meiner Tochter herangebildet, sie dazu erzogen, von einer gewissen Höhe auf das allgemeine Treiben herabzusehen, und muß nun erleben, daß Feldern ihre Weise nicht selten tadelt und verlangt, daß sie ihre bisherigen ‚Allüren‘ ihrer gegenwärtigen Stellung opfern solle.“

„Und Alma, fügt sie sich dem?“ fragte der Minister gespannt.

„Wie kann sie ihre Natur verleugnen? Und thäte sie es, auf Dank und Anerkennung dürfte sie nicht einmal rechnen. Ich sage es mit Kummer, nie in meinem Leben ist mir ein egoistischerer Mensch vorgekommen als Feldern, und in diesem einen Punkte – ich gestehe es – habe ich mich in meiner Voraussicht getäuscht. Das Einzige, was mich mit der Verlobung aussöhnte, war die Hoffnung, daß Feldern mein Kind für die Opfer, die Alma ihm brachte, auf den Händen tragen, ihr durch’s ganze Leben dafür danken würde. Anstatt dessen that er vom ersten Tage an, als ob Alles nur so sein müsse, und als ich ihn einmal zur Erkenntniß zu führen suchte, was Alma seinetwegen verlassen und aufgegeben habe, antwortete er mir in einem Tone, von dem ich nicht wußte, ob er Scherz oder Ernst bedeuten solle: ‚Dafür ist sie eben meine Frau geworden!‘“

Der Minister konnte ein leichtes Lächeln nicht unterdrücken, fragte aber nur: „Hat Alma Ihnen ihr Leid geklagt?“

„O nein, dazu ist sie zu stolz, aber ich müßte nicht die Mutter sein, wenn ich nicht sähe, wie bitter sie diese Rücksichtslosigkeit ihres Mannes empfindet.“

„Und sonst behandelt er sie gut?“ fragte Herr von Büsching.

„Ich weiß nicht, was Sie unter ‚behandeln‘ verstehen, Herr Schwager,“ entgegnete die Dame gereizt und stolz, „von Beleidigungen durch Worte oder Benehmen kann natürlich meiner Tochter gegenüber keine Rede sein.“

Der Minister ließ leise die Finger auf der Tischplatte spielen und richtete darauf noch einige Fragen an seine Schwägerin, die sich auf die angedeuteten Verhältnisse bezogen, sah dann nach seiner Uhr und empfahl sich mit der Bemerkung: „Wir wollen die Sache noch reiflich überlegen, liebe Frau Schwägerin, und dann sehen, wie wir Alma vor der Bedrückung ihres Tyrannen schützen!“

Ob seine Worte ernst oder ironisch gemeint waren, vermochte sie nicht zu unterscheiden.

Die Oberforstmeisterin hatte Recht, wenn sie Alma nicht glücklich nannte. Einst hatte diese die Hindeutung Feldern’s auf die Ungleichheit ihrer Charaktere mit der einfachen Antwort: „Ich liebe Sie!“ abgeschnitten und geglaubt, damit Alles gesagt zu haben. Und doch – wie kurze Zeit hatte hingereicht, um ihr diese Verschiedenheit klar zu machen, sie um einen Theil ihrer freudig-stolzen Hoffnungen zu betrügen! Als sie sich damals dem Manne ihrer Wahl zu eigen gab, hatte sie sich sehr glücklich gefühlt, aber sich zugleich – vielleicht halb unbewußt – in den Strahlen ihrer eigenen Großmuth gesonnt. Sie hatte etwas von dem Gefühl einer Göttin gehabt, die zu einem armen Sterblichen niedersteigt, um über den Erstaunten, Bewältigten das Füllhorn ihrer Huld auszuschütten; – Alles aber in der stillschweigenden Voraussetzung, daß er dagegen für immer anbetend zu ihr aufschauen würde. Und nun war es so ganz anders gekommen! Zwar an Feldern’s Liebe durfte sie nicht zweifeln, aber von der Schwärmerei eines Liebhabers zeigte er sich weit entfernt und statt des Weihrauchs, in den ihre früheren Verehrer sie gehüllt hatten, empfing sie nicht selten eine milde Zurechtweisung oder nur halb versteckte Ermahnung, die sie mit dem Trotz eines verzogenen Kindes aufnahm. Der Gedanke: „Er würdigt Dich und Dein Opfer nicht so, wie er sollte!“ griff mehr und mehr Platz in ihrem Herzen und trat auch in ihrem Benehmen immer deutlicher hervor. Sein verwundetes Gefühl hüllte sich dagegen in das Gewand äußerer Kälte; die Momente innerlicher Verständigung wurden immer seltner, und so kam es, daß nach kurzer Zeit Beide sich fast fremd gegenüberstanden, ohne daß sie doch dem Gefühl, welches sie zusammengeführt hatte, eigentlich ungetreu geworden wären. Wirklich schroff wurde aber das Verhältniß erst nach dem Tode von Feldern’s Mutter, der Alma sich in kindlicher Hingebung genähert hatte. Der alten Frau bewies sie das weichste Zartgefühl, und diese wiederum liebte die Schwiegertochter sehr und pries täglich das Glück ihres Sohnes, dessen Weib sie geworden war. Bezeigte Feldern aber in irgend einer Weise Alma seine Dankbarkeit, so war es für die Sorge, welche sie seiner Mutter widmete, und so lange Letztere lebte, war immer ein Boden da, auf dem die beiden Gatten Hand in Hand gingen, während ihr Tod eine stets größer werdende Kluft zwischen ihnen aufriß. –

Ein längeres Unwohlsein, das zwar nicht bedenklich war, dessen Beseitigung die Aerzte aber wünschten, hatte Feldern in das Bad … geführt. Währenddem war seine Frau zum Besuche ihrer Mutter nach der Residenz gereist. Feldern, dessen Stimmung in der letzten Zeit ernster gewesen als je, lebte sehr zurückgezogen in dem Badeorte. Er verschloß der Welt sorgfältig sein Inneres und galt darum für einen hypochondrischen Sonderling, [115] was aber nicht hinderte, daß die Herren seine gediegene Unterhaltung suchten und die Frauen, denen er übrigens wenig Aufmerksamkeit widmete, ihn interessant fanden, indem sie für seine noble Haltung, sein ausdrucksvolles Gesicht schwärmten. Und so war er bald, ohne es selbst zu wissen, einer der Hauptmittelpunkte der Gesellschaft.

Von einigen Freunden hatte er sich eines Abends zu einem Besuch des Schauspielhauses verleiten lassen, wo mit Emilie Galotti eine Reihe von Vorstellungen eröffnet werden sollte, zu denen die Hofschauspieler aus der Residenz des kleinen Landes nach dem vielbesuchten Badeort herübergekommen waren. – Während der Pause, die dem Beginn des Stücks voranging, musterte er den Theaterzettel, um die Namen der Darsteller kennen zu lernen, wenn auch nur mit halbem Interesse, denn er wußte, daß er hier keinen Koryphäen der Kunst begegnen würde. Mit einem Male aber blieben seine Blicke überrascht an einer Zeile hängen, welche als Inhaberin der Titelrolle Fräulein M. Wolde aufführte. War es möglich, sollte – konnte der Name die Schauspielerin bedeuten, zu der er selbst einst in näherer Beziehung gestanden hatte? Mit Ungeduld wartete er auf Emilia’s erstes Auftreten und beugte sich unwillkürlich aus seiner Loge vor, als sie erschien: es war wirklich Melanie. Er hatte sie seit jener heimlichen Abreise, die fast einer Flucht glich, nicht wiedergesehen, und obwohl ihn dieselbe anfangs erschütterte, so sagte er sich doch bald, daß es für beide Theile besser sein möchte, ein Wiedersehen zu vermeiden; denn was konnte er ihr noch sein, was ihr nur sagen, das sie zu trösten vermochte? Unter der Hand unterließ er jedoch nicht, Nachforschungen nach ihr anzustellen, und fühlte sich beruhigt, als er nach einiger Zeit erfuhr, sie sei bei einem süddeutschen Stadttheater angestellt und dort als tüchtige Schauspielerin beliebt. Sie selbst ließ ihm kein Lebenszeichen zukommen und so erfuhr er von ihren weiteren Schicksalen nichts, bis der Zufall hier diese unerwartete Begegnung herbeiführte.

Mit großem Interesse wohnte er Melanie’s Leistung bei und der Kritiker in ihm fühlte sich befriedigt durch den großen Fortschritt, den sie in ihrer Kunst gemacht hatte. Ihr Spiel war ohne Frage reifer, vollendeter als damals, wo er sie zuletzt als Prinzessin Eboli gesehen; ihre Auffassung erschien ihm edler, und mit aufrichtiger Freude sagte er sich, daß vielleicht ihre ganze Persönlichkeit eine ähnliche Umwandlung erfahren habe. In der letzten Scene, wo sie den Vater zwang, ihr den Dolch in’s Herz zu stoßen, das sich wohl stark genug fühlte, zu sterben, nicht aber, der Liebe des Prinzen zu widerstehen, war ihr Spiel von erschütternder Wahrheit und zugleich so hinreißendem Feuer, daß sie sich den einstimmigen Hervorruf des Publicums errang, dessen Beifall sie vom ersten Augenblick an begleitet hatte. Als sie sich dankend verneigte und ihre dunklen Augen über das Publicum schweifen ließ, wurden ihre Blicke für einen Moment starr, denn sie hatten Feldern’s Loge getroffen; die Schminke ließ aber nicht erkennen, daß ihre Wangen bleich wurden, und ebenso verrieth kein weiteres Zeichen ihre innere Bewegung. Feldern wußte indessen, daß sie ihn erkannt, und es wäre ihm als ungerechtfertigte Härte erschienen, wenn er sie ignorirt hätte. Schon am folgenden Tage, als er erfahren hatte, wo sie wohnte, ging er zu ihr. Wenn er aber bei der leidenschaftlichen Natur der Schauspielerin gefürchtet hatte, daß sie ihm bei dem Wiedersehen eine Scene bereiten würde, so hatte er sich getäuscht. Melanie empfing ihn zu seiner Ueberraschung in vollkommener Haltung und schien sich über das Zusammentreffen mit dem alten Freunde herzlich zu freuen. Sie überging es leicht, daß sie sich vor Jahren ohne Abschied von ihm getrennt hatte, und ebenso erwähnte sie mit keiner Silbe der Veranlassung, welche einen Abbruch der früheren Beziehungen zwischen ihnen herbeigeführt hatte. Feldern war dies sehr lieb; es wäre ihm unsäglich schwer gewesen, mit der Schauspielerin von Alma zu sprechen, und er empfand es mit einer Art von Dankbarkeit, daß sie selbst Alles, was die Unterhaltung peinlich machen konnte, vermied. Dafür wurde sein warmes Interesse wieder rege, als sie ihm die Einzelnheiten ihres bisherigen Lebens enthüllte, und mit herzlicher Freude erkannte er, daß ihre Schicksale sie allmählich zu einer äußerlich angenehmen Lebensstellung geführt hatten. Noch mehr aber freute er sich der Ruhe, mit der sie jetzt das Verhältniß zu ihm aufzufassen schien, und als er ihr beim Abschiede die Hand reichte und sie den Wunsch aussprach, daß es nicht bei dieser einen Begegnung bleiben möge, glaubte er ihr ohne Bedenken eine Wiederholung seines Besuches zusichern zu dürfen. Hätte er jedoch gesehen, wie Melanie nach seiner Entfernung in leidenschaftliches Weinen ausbrach und sich dann wieder der ganzen Heftigkeit ihrer Natur überließ – er würde nicht gewagt haben, zum zweiten Male ihre Schwelle zu überschreiten.

Das bunte Leben des Badeorts hatte außer den Curgästen eine Menge andere Besucher herbeigezogen, die sich auf kürzere oder längere Zeit von der Gesellschaft, nach Umständen auch von dem Reiz der Spielbank fesseln ließen. Unter den letzteren war der Baron Alfred von Wertach, Officier in **schen Diensten, aus einer hocharistokratischen, der Büsching’schen nahe verwandten Familie. Er hatte vor Zeiten zu den Bewunderern seiner schönen Cousine gehört, und wäre Alma ihm nur im Geringsten entgegengekommen, so hätte seine Neigung ohne Zweifel zu einer Bewerbung geführt. Sie hatte aber eine entschiedene Abneigung gegen den Cousin, dessen hochfahrendes, rücksichtsloses Wesen sie verletzte, und ließ ihn dieselbe sehr deutlich merken, so daß er sich bald mit innerem Verdruß zurückzog. Mit wahrem Grimm erfüllte es ihn aber, als Alma bald darauf einem bürgerlichen, obscuren Menschen ihre Hand reichte, und er ließ von dieser Zeit an alle Verbindung mit der Familie fallen. Dennoch hatte er zu tief in die schönen Augen der Cousine geblickt, um die Erinnerung daran los werden zu können, und eine Art von eifersüchtigem Haß fühlte er in sich aufflammen, als er hier zum ersten Mal mit Feldern zusammentraf, den er bis dahin nicht persönlich gekannt hatte. Es war daher nicht zu verwundern, daß er jeder näheren Berührung mit ihm auswich, und wenn er sich trotzdem nicht versagen konnte, ihn insgeheim zu beobachten, so hatte Feldern keine Ahnung davon, daß in dem ihm völlig Unbekannten ein Feind auf ihn laure. Auf dem Rückwege nach seiner Garnison machte Wertach einen Abstecher nach der Residenz, wo seine Tante, die Oberforstmeisterin von Büsching lebte, weil er zufällig gehört hatte, daß Alma sich bei derselben aushielt und er es daher passend fand, sich nach langer Zeit einmal wieder der Verwandtschaft zu erinnern.

Zu seinem großen Verdruß fand er Alma nicht daheim und da seine Weiterreise keinen Aufschub litt, durfte er nicht auf ihre Rückkehr warten, sondern mußte sich mit der Gesellschaft der alten Dame begnügen. Vielleicht hatte er nun aber aus der Noth eine Tugend gemacht, denn er ließ sich in eine langdauernde, eifrige Unterhaltung mit ihr ein, die wenigstens einen der beiden Theile auf’s Aeußerste erregte.

„Wie schade, Alma, daß Du nicht zu Hause warst!“ rief die alte Dame ihrer Tochter bei der Heimkehr entgegen, „Du würdest Dich sicher gefreut haben, einen alten Bekannten wiederzusehen, der sehr unglücklich war, Dich nicht zu treffen.“

„Du machst mich neugierig, Mama,“ entgegnete Alma, ohne daß aber ihr Ton dieser Versicherung entsprach. – Die Mutter nannte den Namen Alfred, war jedoch sehr unangenehm berührt, als Alma mit einem verächtlichen Lächeln und den Worten: „Leider bedaure ich sehr wenig, ihn verfehlt zu haben,“ antwortete.

„Du verkennst Deine Freunde, Alma,“ rief sie gereizt. „Er sprach mit der größten Hochachtung, dem wärmsten Attachement von Dir und es rührte mich tief, als er sich gar nicht wieder von dem Anschauen Deines Bildes, das ich ihm zeigen mußte, losreißen konnte. Ich hätte gewünscht, daß in die Seele eines Andern etwas von den Empfindungen, die ihn so bewegten, übergehen könnte.“

„Mama!“ warnte Alma.

„Ja, Alma, ich sage, ich wiederhole es,“ brach die erregte Frau hervor: „Feldern ist unfähig, den Werth seines Besitzes zu würdigen; er verdient –“

„Was, Mama?“ fragte Alma ruhig.

„Daß ihm dieser Besitz genommen wird, denn er ist Deiner unwürdig.“

Alma stand auf: „Wenn ich Dich länger hören soll, Mama,“ sagte sie ernst, „so mäßige Deine Angriffe auf meinen Gatten; ich darf nicht dulden, daß man ihn beleidigt.“

„Nein, Alma, nein! Du sollst und mußt mich hören!“ rief die Mutter. „Weißt Du, daß Feldern Dich betrügt, daß er seine und Deine Ehre verräth, indem er einem anderen Weibe huldigt?“

„Halt’ ein, Mama!“ unterbrach Alma sie kalt und stolz, „und laß Dich warnen vor dem, der gewagt hat, diese Ehre, Feldern’s und meine Ehre, mit einer Lüge anzutasten.“

[116] „Es ist keine Lüge, Alma! Alfred hat mir geschworen, daß Alles, was er mir von Feldern gesagt hat, Wahrheit ist.“

„Also von ihm kommt das Gift?“ murmelte Alma, während in ihre bisher bleichen Wangen die Röthe des Zornes stieg. „Was sagte Dir denn Alfred?“ fragte sie bebend.

„Er erzählte mir von dem Aufsehen, welches es in … mache, daß Feldern in intimen Beziehungen zu einer Schauspielerin stehe, die er häufig mit seinen Besuchen beehre, während er sich sonst fern von dem weiblichen Theil der Badegesellschaft halte. Man nehme allgemein an, daß die Person – es ist eine gewisse Melanie Wolde – ihn gänzlich in ihren Netzen habe. Er fügte hinzu, daß er selbst sich empört fühle über Feldern, den er immerhin als seinen Verwandten ansehen müsse, namentlich seit den Erkundigungen, die er in der Hoffnung, ihn rechtfertigen zu können, nach seinem früheren Leben eingezogen habe. Er hat daraus leider die Beweise sammeln müssen, daß das Verhältniß bereits ein altes ist, daß es schon vor Eurer Verlobung bestanden hat und damals nur auf eine Weile unterbrochen worden ist.“

„Und das wagte er Dir zu sagen, Mama, und erlebte nicht, daß Du ihm die Thür wiesest für seine schändliche Verleumdung?“ rief Alma, außer sich vor Entrüstung.

Die Mutter fühlte sich bei der Erinnerung verwirrt, daß sie nur zu gern diesen Enthüllungen gelauscht, nur zu bereitwillig auf Alfred’s hingeworfenes Wort, daß die Thatsachen mehr als genügend sein würden, um eine Trennung von „dem Menschen“ herbeizuführen, eingegangen war und daran schon eine Hoffnung auf eine spätere Möglichkeit in Betreff Alfred’s selbst geknüpft hatte. „Aber, Alma, ich begreife Dich nicht,“ stotterte sie verlegen.

„Ich aber begreife,“ unterbrach die Tochter sie stolz, „daß es an mir ist, die Ehre und die Rechte meines Gatten zu wahren, und Niemand soll sie antasten, so lange sein Weib neben ihm steht, denn so gewiß ich an meinen Gott glaube, so gewiß, Mama, glaube ich an die Reinheit meines Gatten!“

Es mischte sich eine Innigkeit in ihren Ton, wie sie lange nicht mehr mit dem Gedanken an Feldern verbunden gewesen war, und diese ließ sie jetzt auch weicher gegen die Mutter sprechen, die bereute, daß sie zu weit gegangen war, und seufzend erkannte, daß das Herz der Tochter fester an dem Gatten hing, als sie für möglich gehalten hatte.

Alfred hatte sich einer starken Uebertreibung schuldig gemacht, wenn er das Aufsehen, welches der Verkehr Feldern’s mit der Schauspielerin mache, ein scandalöses genannt hatte. Allerdings hatte es einiges Befremden erregt, daß der ernste Professor, der sich so zurückgezogen hielt, dem jungen Mädchen gewisse Aufmerksamkeiten bewies, aber man fand doch bald die in ruhigem Ton abgegebene Erklärung, daß er sie bereits als angehende Künstlerin gekannt und bisweilen mit seinem kritischen Rath unterstützt habe, genügend, um sein Interesse zu begreifen. In der Meinung der älteren Herren stand sein Charakter überdies zu hoch, als daß ihm von dieser Seite unlautere Motive untergelegt worden wären, und die jüngere Herrenwelt, die sich für die piquante junge Schauspielerin enthusiasmirte, sah in ihm keinen Gegenstand ihrer Eifersucht, denn er mischte sich nie in den Kreis, der sich bei ihrem Erscheinen auf der Promenade oder in öffentlichen Localen um sie sammelte. Ebenso wenig fiel es ihm ein, sich den Cavalcaden anzuschließen, die häufig Ausflüge nach näheren oder entfernteren Punkten der Umgegend machten und an deren Spitze Melanie – in der Regel die einzige Dame dieser Gesellschaft – als gewandte und kühne Reiterin der Schaar der Herren voranflog. Ihre Laune, ihr Witz waren bei allen solchen Gelegenheiten unerschöpflich und es schien, als ob sie von allen Wesen unter der Sonne das fröhlichste sei, ohne daß man ihr indessen irgend eine Unziemlichkeit des Benehmens hätte vorwerfen können, wenn sie schon von der Frauenwelt ziemlich gehaßt war.

[129] Wenn Feldern sich der lauten und bunten Genossenschaft entzog, so liebte er es dagegen sehr, einsame Spaziergänge zu machen. Meistens führte ihn dann der Weg in die benachbarten Berge, wo er häufig einen Steinbruch besuchte, der nicht allein ein äußerst pittoreskes Bild bot, sondern ihn auch dadurch anzog, daß darin gerade großartige Sprengungen vorgenommen wurden. Auch heute hatte er lange dem Werke zugeschaut und mit lebhaftem Interesse beobachtet, wie sich die mächtigen Steinmassen durch die Wirkung eines einzigen Funkens von ihrer granitnen Basis lösten, auf der sie Jahrtausende hindurch jeder Naturgewalt getrotzt hatten. Eben hatte er sich gewandt, um den Rückweg anzutreten, als lachende, fröhliche Stimmen an sein Ohr schlugen, und bei einer Biegung der Straße erblickte er einen ihm entgegenkommenden Zug von Reitern, Melanie an der Spitze derselben. Er wurde angehalten, begrüßt und es gab kurze Hin- und Widerreden, bei denen er der Sprengungen Erwähnung that und das imposante Schauspiel rühmte.

„Dem müssen wir auch beiwohnen; folgen Sie mir, meine Herren!“ rief Melanie in der Aufregung, die bei der unvermutheten Begegnung über sie gekommen war, hastig und wandte in demselben Augenblicke ihr Pferd nach der Seite des Steinbruchs zu.

„Nein, nein, nicht dorthinaus,“ rief Feldern, „die Richtung ist gefährlich! Es kann jeden Augenblick eine Explosion erfolgen!“

Aber sie hörte nicht oder schien nicht zu hören und war der übrigen Gesellschaft schon eine Strecke vorausgesprengt. Feldern eilte ihr erschrocken nach und hatte sie in wenigen Minuten erreicht.

Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, Melanie noch nicht Zeit zur Antwort gehabt, als mit donnerartigem Getöse die Explosion erfolgte. In demselben Augenblick sah sie, wie Feldern als ob vom Blitz getroffen zusammensank. Ein lauter Angstschrei rang sich aus ihrer Brust und ehe die übrigen Reiter herbeikommen konnten, war sie von ihrem Pferde herab und an der Seite des leblos Daliegenden, dem das Blut aus der Schläfe strömte. Ein Stein von der Größe einer welschen Nuß hatte ihn dort getroffen – ob zum Tode, ließ sich in diesem Augenblick noch nicht unterscheiden. Die Herren hielten eine kurze Berathung, was in dieser schwierigen Lage zu thun sei, und kamen überein, daß es gefährlich sein möchte, den Verwundeten auf der Stelle zu transportiren; sie beschlossen vielmehr, aus dem Badeorte ärztliche Hülfe herbeizuholen und dort zugleich das bequemste Mittel, das aufzutreiben war, zu requiriren, um ihn nach seiner Wohnung zu schaffen.

Während einige von ihnen den etwa eine halbe Stunde betragenden Weg zurücksprengten, blieben die anderen als Hüter an der Unglücksstätte zurück. Melanie kniete auf dem Boden; der Kopf des Verwundeten ruhte in ihrem Schoße und sie suchte mit ihrem Tuche das hervorquellende Blut zu stillen, indem sie in stummer Angst auf die bleichen Züge blickte, die immer noch kein Zeichen des Lebens verriethen, wenn der schwach klopfende Puls auch erkennen ließ, daß dasselbe noch nicht ganz entwichen war. – Endlich und endlich kam der Arzt. Melanie wagte kaum zu athmen, als er sich über den Verwundeten beugte, und als er sich dann mit den Worten von seiner Untersuchung erhob: „Es ist nur eine tiefe Ohnmacht – er wird wieder zu sich kommen,“ drohten ihre eigenen Kräfte sie zu verlassen. Die körperliche Schwäche dauerte jedoch nur einen Moment und in der nächsten Minute schon leistete sie dem Arzt thätigen Beistand bei der Behandlung des Verwundeten, welchem ein vorläufiger Verband angelegt werden sollte. Ihre Hand erwies sich als so leicht und geschickt, daß der Arzt ihre Hülfe gern annahm, und er wie die anderen Herren ließen es als beinahe selbstverständlich geschehen, daß sie an Feldern’s Seite Platz nahm, als der Wagen erschien, welcher den Kranken nach seiner Wohnung bringen sollte.

Aber auch hier verließ sie ihn nicht. „Glauben Sie, daß eine Schauspielerin nicht auch einmal barmherzige Schwester sein kann?“ fragte sie mit einem schwachen Lächeln, als der Arzt sich mit den Herren über die Einrichtung der Pflege Feldern’s berieth. „Lassen Sie mir meinen Posten.“

Man wagte nicht, ihr die Bitte abzuschlagen, um so weniger, als sie schon bewiesen hatte, daß sie die äußerste Sorgsamkeit für ihr Amt mitbringe, und diese hatte der Arzt für unbedingt nöthig erklärt, wenn das Leben des Kranken, das immer noch in großer Gefahr war, erhalten bleiben sollte. Doch müsse es sich, hatte er hinzugefügt, in sehr kurzer Zeit entscheiden, wie der Ausgang sein würde. Einer der Herren übernahm es, Feldern’s Gattin auf telegraphischem Wege von dem unglücklichen Ereigniß in Kenntniß zu setzen, da es als die natürlichste Pflicht erschien, sie an seine Seite zu rufen. –

Alma hatte mit voller Ueberzeugung gesprochen, als sie ihren Gatten vor ihrer Mutter vertheidigte. Es war nie ein Zweifel an Feldern’s lauterster Ehrenhaftigkeit in ihre Seele gekommen, und darum durfte sie stolz jede Verdächtigung von sich weisen. Aber Gift hat eine furchtbare Gewalt, die schon in dem kleinsten Tröpfchen enthalten ist, und ein solcher Tropfen war doch, ohne daß sie es wußte, daß sie es nur für möglich gehalten hätte, bei [130] den Mittheilungen der Mutter in Alma’s Seele gefallen. Anfangs konnte sie sich blos nicht enthalten, daran zu denken, um auf’s Neue empört zu werden über die Verleumdung. Dann sann sie nach, wie solch’ ein schmähliches Gerede habe entstehen können, und als sie nach seinem Grund und Boden forschte, fiel ihr ein, daß die Mutter jene Schauspielerin, in deren Netzen Feldern gefangen sein sollte, Melanie Wolde genannt hatte. Sie erinnerte sich des Namens sehr wohl und auch der Künstlerin, die ihn trug, als einer piquanten Erscheinung, welche sie auf der Bühne ihrer Vaterstadt oft und gern gesehen hatte. Die Schauspielerin war auch ein Liebling des Publicums gewesen und von der Kritik – Feldern schrieb damals häufig die Recensionen für’s Theater – freundlich behandelt worden. Sie wußte selbst nicht, warum diese Erinnerung sie jetzt unangenehm berührte; tief konnte das Interesse Feldern’s für die junge Künstlerin nicht gewesen sein, denn sie entsann sich nicht, daß er jemals mit ihr von derselben gesprochen, und gekannt hatte er sie doch zu gleicher Zeit. Fräulein Wolde war – sie wußte es jetzt genau – bis zur Zeit ihrer eigenen Verlobung an jener Bühne gewesen, und es war ihr noch gegenwärtig, daß ihr plötzlicher Contractbruch damals nicht geringe Sensation in der Stadt gemacht hatte. Was konnte sie zu demselben bewogen haben? und warum hatte Feldern, auf den die Sache doch Eindruck machen mußte, ihrer nie erwähnt? – Sie wußte selbst nicht, daß ihr Herz klopfte und ihre Wangen glühten, als sie über das Alles nachdachte. Dann spannen sich ihre Gedanken weiter und kehrten zu dem Moment ihrer Verlobung zurück. Sie sah sich wieder vor Feldern hintreten und ihm in der tiefen Ergriffenheit und dem hohen Aufschwung ihrer Seele ihre Hand darbieten, ihn selbst aber sah sie stocken und bleich werden. Heiliger Gott, war es das Erbeben vor einem ungeahnten, überschwänglichen Glück, war es nicht das Bewußtsein eines strafbaren Verhältnisses, das Gefühl seiner Schuld und Unwürdigkeit gewesen, was ihn stumm gemacht hatte? Ihre Gedanken wirbelten und einen Moment glaubte sie, wahnsinnig werden zu können. Dann aber trat Feldern’s Bild vor sie hin in seiner ganzen männlichen Festigkeit, seinem tiefen, sittlichen Ernst, und in dieser Minute hätte sie wieder wie damals zu ihrer Mutter sagen können: mein Glaube an Gott ist nicht fester, als der an die Reinheit meines Gatten! Und doch – in der nächsten rang sie wieder mit ihrem furchtbaren Zweifel!

In dieser Gemüthsstimmung traf sie die Nachricht von dem Unfall Feldern’s, die ihr in dem kurzen Stil der Depesche die „zufällige Verwundung“ mittheilte. Der Zusatz lautete: „Gefahr – aber Hoffnung. Eile wünschenswerth.“ Alle ihre Zweifel, ihre Beängstigungen sanken zusammen vor diesen wenigen Worten. Sie dachte kaum noch an die Hirngespinnste ihrer kranken Phantasie; sie wußte, sie fühlte nur das Eine: der Mann, den du liebst, dessen Weib du bist, ist krank, vielleicht sterbend! und all’ ihr Wollen concentrirte sich in das eine Verlangen: Zu ihm, zu ihm!

Wenige Stunden später ging ein Zug ab, der sie nach dem Badeort bringen konnte, und als sie auf dem Wege war, athmete sie etwas leichter. Die Zeit schien sich ihr aber in’s Grenzenlose zu dehnen; ihre fieberhafte Spannung wuchs von Minute zu Minute und wurde immer unerträglicher, je näher man dem Ziele der Reise kam. Endlich war die Station erreicht, und flüchtigen Fußes eilte Alma nach dem Hotel, wo Feldern wohnte. Der Besitzer desselben kam ihr auf dem Flur entgegen und ein Blick auf ihr leichenblasses, verstörtes Gesicht verrieth ihm, daß sie die Dame sei, deren Ankunft man erwartete, noch ehe sie ihren Namen genannt hatte. Mit ehrerbietiger Freundlichkeit näherte er sich ihr und drückte seine Freude aus, die Frau Professorin mit einer guten Nachricht willkommen heißen zu dürfen: der Arzt, welcher so eben fortgegangen, habe den Kranken außer Gefahr erklärt. Alma’s Kräfte verließen sie; sie lehnte sich an die Wand, um Athem zu schöpfen; hätte ihr die Gegenwart des Wirths nicht Zwang aufgelegt, wäre sie in Thränen ausgebrochen.

Als sie sich einigermaßen gesammelt hatte – es war vom Arzt verboten worden, den Patienten aufzuregen – bat sie, ihr den Weg in das Krankenzimmer zu zeigen, und auf dem Gange dahin erzählte ihr der Wirth in Kürze den Hergang des bedauerlichen Mißgeschicks und erwähnte schließlich, daß eine Pflegerin bei dem Verwundeten sei. Sie achtete nicht sehr auf die letzte Bemerkung, die sie auf eine gemiethete Wärterin bezog, um so weniger, als sie in diesem Augenblick das zu der Krankenstube führende Vorzimmer erreicht hatte, an dessen Thür der Wirth sich verabschiedete. Bei ihrem Eintritt erhob sich vor dem Lager des Verwundeten eine Gestalt und kam ihr mit leisem, doch raschem Schritt entgegen, um sie vor jedem Geräusch zu warnen, da der Kranke entschlummert sei. Alma war einen Augenblick fast starr vor Schrecken, denn auf der Stelle hatte sie das junge Mädchen erkannt, an welches sie seit jener verhängnißvollen Nachricht kaum wieder gedacht hatte. Ihre Zähne schlugen aufeinander und mehr stammelnd als sprechend stieß sie die Worte hervor: „Fräulein Wolde – wie kommen Sie hieher?“

„Er – der Kranke hatte Beistand nöthig,“ entgegnete die Schauspielerin, mit dem Versuch, vor den drohend auf sie gerichteten Blicken Stand zu halten, und wollte fortfahren, in leisem Tone eine Erklärung zu geben, aber Alma schnitt ihr dieselbe mit den kurzen Worten ab: „Diesen Beistand werde jetzt ich, seine Gattin, leisten und ich bitte, daß Sie mir den Platz einräumen.“

Dann schritt sie mit einer stolzen Bewegung des Hauptes an Melanie vorüber und zog die Thür, welche sie noch von Feldern’s Zimmer trennte, nach sich. Die Röthe der Scham und Entrüstung flammte in den Wangen der jungen Schauspielerin auf; ihre Hände ballten sich krampfhaft, und hätte ihr die Nähe des Verwundeten nicht Zwang auferlegt, so würde sie ihrer Gegnerin nachgeeilt sein und sie zur Rechenschaft für ihre Härte gezogen haben. In der nächsten Minute hatte indeß ihre Aufwallung einem anderen Gefühle Platz gemacht; wie gebrochen sank sie in sich zusammen und verließ in beinahe scheuer Haltung das Gemach und gleich darauf die Schwelle des Hauses.

Es war Alma lieb, daß Feldern schlief, als sie ihn wiedersah, daß sein Schlummer noch eine geraume Zeit fortwährte. Schweigend und sinnend saß sie unterdessen an seinem Lager, die Augen unverwandt auf die vor ihr ruhende Gestalt gerichtet, während in ihrem Herzen Gefühle tobten, die sie noch nie gekannt hatte. Endlich schlug Feldern die Augen auf und „Alma!“ war der erste freudig ausgestoßene Laut, mit dem er sich emporrichten wollte.

„Ruhig, Feldern!“ bat sie. „Der Arzt hat jede Aufregung verboten, und nur unter der Bedingung, daß Du nicht sprichst, darf ich an Deiner Seite bleiben.“

Vergebens sehnte er sich nach einer Umarmung, einer Liebkosung – blos die Blässe ihres Gesichts konnte ihm ihre Theilnahme verrathen. Zugleich aber klang ihre Rede so bestimmt, daß er sich zur Folgsamkeit gezwungen sah und sich mit dem Bewußtsein begnügen mußte, daß sie in seiner Nähe war und über ihn wachte.

Seiner Pflege widmete sie sich von diesem Augenblick an mit äußerster Sorgfalt, und wie sie mit weicher Hand die Verbände um den kranken Kopf legte, beobachtete sie mit fast scrupulöser Gewissenhaftigkeit jede Vorschrift des Arztes. Nicht Tag noch Nacht wich sie von seinem Bette, und es war, als bedürfe sie für sich selbst weder Nahrung noch Ruhe. Nur die Unterhaltung mit ihm beschränkte sie nach wie vor auf die allernöthigste; selbst als der Arzt erklärte, Feldern, dessen Genesung unter ihrer Pflege rasche Fortschritte machte, bald von der Krankenliste streichen zu können, setzte sie die anfängliche Schweigsamkeit fort, und es konnte scheinen, als sei ein eigener Geist von Unempfindlichkeit über sie gekommen. Auf Feldern, den die Krankheit anfangs sehr weich gemacht hatte, wirkte ihr Benehmen verstimmend, und nebenbei fiel es ihm auf, daß sie nicht ein einziges Mal von dem Unfall sprach, sich nie nach den näheren Umständen desselben erkundigte, ja sogar jede Erwähnung, die sich darauf bezog, abschnitt.

Um so mehr überraschte es ihn daher, als sie eines Tages, da der Arzt ihr seine völlige Herstellung notificirt hatte, zu ihm in’s Zimmer trat und kalt und ernst zu ihm sagte: „Ich darf mir jetzt erlauben, Feldern, Dich nach Einigem zu fragen, was mit Deinem Unglück zusammenhängt.“

Der Ton, in welchem sie sprach, fiel ihm kaum noch auf, und halb scherzend entgegnete er: „Ich habe mich schon gewundert, daß Du so wenig neugierig warst.“

„Neugierig?“ wiederholte sie, „das Wort paßt nicht, Feldern, und es war nur die Rücksicht, welche ich Deinem leidenden Zustand schuldig war, die mich bisher schweigen ließ.“

„Aber Alma, ich verstehe Dich nicht!“ rief er verwundert.

Sie fuhr fort: „Als ich hieher kam – ich sage nicht, mit [131] welchen Empfindungen! – fand ich eine Andere, eine Fremde, an Deinem Lager und ich wies sie von dem Platze; von Dir aber verlange ich die Erklärung, wie sie wagen durfte, hier zu sein!“

Die anfängliche scheinbare Ruhe Alma’s war bereits gewichen und sie hatte die letzten Worte in großer Erregung gesprochen.

„Wenn Du es der Mühe werth gefunden hättest, Dich mit den Einzelheiten jenes Vorgangs bekannt zu machen, so würdest Du Dir die Frage haben ersparen können,“ versetzte er kalt. „Meinen eigenen unklaren Erinnerungen hat der Arzt nachgeholfen, und durch ihn weiß ich, daß das junge Mädchen, von dem Du sprichst, sich meiner Pflege angenommen hat, bevor Du hier warst, während mir nur war, als hätte ich sie im Traum an meinem Lager gesehen.“

„Sonst aber kanntest Du die Schauspielerin nicht?“ fragte sie, und es war, als mische sich ein Anflug von Hohn in ihre Worte.

„O ja, ich kannte sie – seit längeren Jahren.“

„Ich weiß es und weiß auch, es war nicht die barmherzige Liebe der Samariterin, welche sie hierher zog; sie kam, weil –“

Er sagte kein Wort, aber er warf ihr einen Blick zu, der sie warnen sollte. Sie achtete jedoch nicht darauf, ja seine ruhige Kälte brachte sie nur um so mehr auf, und leidenschaftlich fuhr sie fort: „Weil hier ein Verhältniß besteht, das sich vor mir verbirgt, weil ich verrathen und hintergangen bin!“

„Wiederhole die Worte nicht, Alma!“ rief er. „Ich möchte sonst nicht vergeben können, daß Du sie gesprochen hast.“

„Vergeben? Wer braucht Vergebung, Feldern?“

„Du, Alma, weil Du in dieser Stunde nicht an mich glaubst!“ sagte er ernst, aber mit wiederkehrender Milde.

„Sage vielmehr, weil ich an Dich geglaubt habe Jahre lang, weil ich an Dich geglaubt habe in einer anderen Stunde, an die ich jetzt nur zu denken vermag in bitterer Reue!“

„Alma!“ rief er leichenblaß.

Durch den Ton klang ein so schneidender Schmerz und zugleich ein so tiefer Vorwurf, daß sie sich selbst in diesem Augenblick erschüttert fühlte.

„Friedrich, bei Allem, was Dir heilig ist, beschwöre ich Dich, sage mir, was ist zwischen Dir und jenem Mädchen?“

„Sie hat unter meinem Schutz gestanden, Alma, und ihr dankbares Herz hängt an mir, genügt Dir das nicht?“

„Nein, es genügt mir nicht! Schwöre mir bei Allem, was Dir selbst heilig ist, daß Dich kein geheimes Band an sie fesselt, daß Eure Beziehungen klar und lauter sind wie der Tag! Schwöre mir das, Friedrich, und ich will Dir glauben, ja, ich will Dir auf meinen Knieen dafür danken!“

„Nein, Alma, ich schwöre das nicht. Es ist ein Geheimniß zwischen uns, das meine Lippen nicht verrathen können, wenigstens nicht in dieser Stunde. Aber so wahr mir Gott helfe, meine Ehre ist rein dabei!“

Alma wandte sich ab. Statt der Wahrheit, um die sie gebeten, gab er ihr ein Räthsel, statt des Brodes, um das sie gefleht, bot er ihr einen Stein! Ihre Bitterkeit preßte ihr die Worte aus: „Ich weiß nicht mehr, was ich mir bei Deiner Ehre zu denken habe, Feldern.“

Er stand starr – dahin war es also gekommen! Es währte einige Augenblicke, ehe er zu reden vermochte, dann sagte er – Alma wußte nicht, ob er zu ihr oder zu sich selbst sprach –: „Ich wüßte es auch nicht, wenn ich dies länger ertrüge.“

Darauf versank er in Schweigen, das Alma allmählich unheimlich wurde; dennoch wagte sie nicht, das Wort zu nehmen. Endlich sagte er mit vollkommen ruhiger, aber tonloser Stimme: „Es wird nach dieser Stunde am besten sein, Alma, daß wir uns für eine Weile trennen, damit wir Beide in Ruhe und Stille einsehen und beschließen, was für unsere Zukunft noth thut. Ich selbst betrachte meine hiesige Badezeit als beendet und werde heute noch abreisen, um nach E. zurückzukehren, und für Dich möchte es das Natürlichste sein, daß Du den unterbrochenen Besuch bei Deiner Mutter wieder aufnimmst. Bist Du mit meinem Vorschlage einverstanden?“

Sie nickte. „Dann lebe wohl, Alma, bis wir wieder von einander hören!“

Er reichte ihr die Hand, welche ihre glühendheiße eiskalt berührte; dann verließ er das Gemach. Eine Stunde später war er abgereist, nachdem er noch zuvor den Arzt besucht und ihn gebeten hatte, Melanie seinen Dank zu bringen, da ihn zufällige Ereignisse zur schleunigen Abreise nöthigten.

Am selben Tage verließ Alma den Badeort, um zu ihrer Mutter zurückzukehren; mit tieferem Weh im Herzen, als bei ihrem Kommen.

Alma wählte sich keinen Vertrauten für ihren Kummer, selbst die Mutter nicht, der sie nur von der Herstellung ihres Mannes berichtete, die ihre weitere Pflege überflüssig gemacht und ihm die Rückkehr in seinen Beruf gestattet habe, und Letztere fand es natürlich, daß Alma sie für die ihr geraubte Zeit durch ein längeres Bleiben entschädigen wolle. Es fiel ihr wohl auf, daß die Wangen der Tochter bleicher waren, als bisher, daß ihre frühere heitere Laune einer ernsten, selbst trüben Stimmung Platz gemacht hatte, doch schrieb sie dies den Anstrengungen der Krankenpflege zu und war um so mehr bemüht, sie mit Zerstreuungen aller Art zu umgeben, die Alma jedoch entschieden von sich abwies, indem sie dafür so viel wie möglich die Einsamkeit ihres Zimmers suchte. Dort wurde ihr eines Tages – sie mochte etwa eine Woche wieder in der Residenz sein – der Besuch einer unbekannten Dame gemeldet, welche die Nennung ihres Namens mit den Worten verweigert habe: „Wenn die Frau Professorin mich sieht, wird sie mich zu sprechen wünschen.“

Etwas überrascht, befahl Alma, die Fremde zu ihr zu führen, hätte aber fast einen Schrei des Entsetzens ausgestoßen, als dieselbe nach einer Minute in’s Zimmer trat – es war Melanie. Unwillkürlich hob sie die Hand mit einer abwehrenden Bewegung, als wollte sie ihr verbieten, die Schwelle zu überschreiten.

„Ich verstehe Sie,“ sagte die Schauspielerin mit einem bitteren Lächeln, „Sie wollen mich von sich weisen, wie Sie es schon einmal thaten. Jetzt aber gehorche ich Ihnen nicht; wenn ich es thäte, würde es schlimmer sein für Sie, als für mich selbst.“

Es lag in ihrer Weise etwas, das Alma wider ihren Willen frappirte, und ohne daß sie es wußte, klang ihr Ton ziemlich mild, als sie entgegnete: „Ich leugne nicht, daß Ihr Erscheinen mich befremdet, aber dennoch weise ich Sie nicht fort, ehe ich weiß, was Sie zu mir führt. Was haben Sie mir zu sagen?“

„Vieles,“ entgegnete Melanie. „Vieles, worüber Sie jauchzen werden in Ihrem Herzen, während es das meinige Qual kostet, es zu sagen. Daß ich es aber dennoch sage, das – hören Sie wohl zu – verdanken Sie dem Manne, den Sie Ihren Gatten nennen!“

„Sie wagen es, seinen Namen vor mir zu nennen?“ rief Alma zitternd.

„Ja,“ entgegnete die Schauspielerin ruhig, „und Sie selbst werden nicht wagen, Ihr Ohr diesem Namen zu verschließen.“

Wieder fühlte Alma sich befangen von der Sicherheit ihrer Gegnerin. „So sprechen Sie,“ sagte sie, „und ich will versuchen, ruhig zu sein.“

„So frage ich Sie denn und beschwöre Sie bei Ihrer Seele Seligkeit, mir wahr zu antworten: lieben Sie Feldern so, daß Sie sich Ihr höchstes Glück nur an seiner Seite denken können?“

Das Wort genügte, um Alma ihren Vorsatz, gelassen die Worte der Schauspielerin anzuhören, vergessen zu lassen. „Empörend!“ rief sie aus, während ihr ganzer Körper vor Entrüstung bebte.

Melanie hielt ihr die gefalteten Hände entgegen. „Ich flehe Sie an, weigern Sie mir nicht die Antwort! Mein – Ihr eigenes Leben und Schicksal hängt an dieser Frage.“

„Sie fragen mich, ob ich ihn liebe?“ sagte Alma endlich; „fragen Sie sich selbst, warum ich Sie – hassen muß!“

Ein trauriges Lächeln glitt über die Züge der Schauspielerin. „Ich danke Ihnen,“ sagte sie, „damit ist der Würfel geworfen! So hören Sie denn: auch ich liebe den Mann, der Ihr Gatte ist, liebe ihn leidenschaftlich und grenzenlos! so grenzenlos, daß ich jetzt das eigene Herz zertreten, daß ich mich selbst von Ihnen zertreten lassen will, wie einen Wurm, den Sie nicht allein hassen, den Sie auch verachten dürfen!“

Alma trat einen Schritt zurück. „Halten Sie ein!“ rief sie, „ich kann aus Ihrem Munde nicht die Schuld meines Gatten hören.“

„Um Gottes Barmherzigkeit willen, reden Sie nicht so! Friedrich hat keinen Theil an meiner Schuld, wie ich nie einen [132] Theil an seinem Herzen hatte. Seine Liebe zu Ihnen ist so rein wie seine Seele.“

Alma blickte die Sprecherin stolz an. „Und wie lernten Sie seine Seele und seine Liebe kennen?“

„Durch die Geschichte meines eigenen Lebens! Wollen Sie diese hören, gnädige Frau?“

„Wenn es sein muß, so reden Sie,“ sagte Alma.

„Ich will kurz sein, so kurz wie möglich,“ fuhr die Schauspielerin fort, „aber damit Sie Alles verstehen, muß ich damit anfangen, Ihnen zu sagen, daß ich nicht immer meinem gegenwärtigen Stande angehört habe: ich stand höher oder tiefer – wie Sie es nennen wollen. Mein Vater war Subalternbeamter in einer mittleren Stadt, starb aber, als ich kaum das dreizehnte Jahr zurückgelegt hatte, und kurz darauf – ich war eben eingesegnet – verlor ich die Mutter. Andere Verwandte hatte ich nicht, deshalb bestellte mir das Gericht einen Vormund, der aber erklärte, da ich nicht das geringste Vermögen besäße, müsse ich selbst für meine Existenz sorgen. Er brachte mich bei einer Putzmacherin unter, um deren Geschäft zu erlernen, und hier blieb ich mehrere Jahre. Es war im Ganzen eine glückliche Zeit, denn ich war hier mit mehreren anderen jungen Mädchen zusammen, die mit mir fast in gleichem Alter standen, und wir Alle waren fröhlich und unschuldig. An Neckereien und Schelmenstreichen, wenn wir allein waren, fehlte es nicht, und manchmal mußten uns die schönen Coiffuren und anderen Putzsachen, welche wir für die reichen und vornehmen Damen arbeiten mußten, zu allerlei phantastischen Verkleidungen dienen, wie wir dieselben aus dem Theater kannten, das wir bisweilen besuchen durften, und wir sagten einander lachende Complimente über unser Aussehen.

Einmal waren wir besonders ausgelassen. Meine Gefährtinnen hatten mir das Haar mit dunkelrothen Korallen durchflochten und mich mit einem prächtigen Shawltuch drapirt, um mich zur ‚schönen Rebecca‘ – wir hatten kurz vorher den Templer und die Jüdin gesehen – zu machen. Kaum war die Costumirung beendet, da klingelte die Hausthür und meine Gefährtinnen liefen behend in ein anderes Zimmer, indem sie die Thür hinter sich abschlossen und mich damit zwangen, in dem Laden zu bleiben. Ich glaubte wie sie, daß es ein Dienstmädchen aus einem benachbarten Hause sei, welches zum Abholen eines Putzstücks erwartet wurde und mit dem wir auf freundlichem Fuße standen; aber trotzdem ärgerte ich mich über meinen Anzug und wollte rasch den Schmuck aus meinen Haaren lösen, allein in demselben Augenblick schon ging die Thür auf und statt des Dienstmädchens trat ein Herr in das Zimmer. Ich hätte in die Erde sinken mögen. Der Fremde sah verwundert auf meine abenteuerliche Kleidung, mußte aber zugleich meine Verwirrung bemerken, denn er lächelte und nannte dann gleich darauf die Ursache seines Kommens. Er sagte mir, daß er ein Maler sei und zur Ausführung eines Gemäldes besonderer Stoffe für die richtige Drapirung bedürfe, die er hier zu finden hoffe. Sein Ton klang freundlich, so daß ich allmählich Muth gewann, ihn genauer anzusehen, und da sah ich, daß es ein junger und schöner Mann war, der zu mir sprach, mit prächtigen blonden Locken und feurigen, blauen Augen. Während ich ihm die verlangten Stoffe vorlegte, fühlte ich wieder, daß er mich prüfend anblickte, und dann that er einzelne Fragen nach meiner Herkunft, meiner Stellung hier im Hause und sprach etwas von dem Wunsch, mich zu einem Studienkopf zu benutzen. Ich war auf’s Neue verwirrt und wußte nicht Ja noch Nein zu sagen, daher verwies ich ihn an meine Principalin. Mit dieser redete er dann später die Sache ab, und wenige Tage später saß ich dem Maler zu seinem Bilde.“

[145] Melanie schwieg einige Augenblicke, wie in Erinnerungen verloren, und als sie dann wieder aufsah, begegnete sie den gespannt auf sie gerichteten Blicken ihrer Zuhörerin. „Ich habe Ihnen versprochen, kurz sein zu wollen, Frau Professorin,“ sagte sie, „gönnen Sie mir, daß ich es auch in dieser Minute sein darf! – Genug, es blieb nicht bei dem Malen des Studienkopfs –: ich sah den Maler wieder und wieder und ich fragte meine Principalin nicht mehr um die Erlaubniß dazu. Ich fragte überhaupt nach keinem Menschen, nach keinem Dinge in der Welt: ich sah, ich liebte nur ihn und war selig, daß er mich wieder liebte. Er miethete mir ein Stübchen in der Vorstadt; dort wohnte ich und dorthin kam er, mich zu besuchen – und wenn er nicht kam, so dachte ich an ihn – ich war glücklich! Er zeigte mir auch seine Bilder, erklärte mir, was sie bedeuteten, und lehrte mich auch sonst vielerlei. Mir aber ward das Lernen leicht, denn es war süß, seine Schülerin zu sein!

Die glückliche Zeit dauerte eine Weile – dann aber kam eine andere Zeit und da hörte das Glück auf. Ich sah den Maler nicht mehr in meinem Stübchen; ein Tag verging nach dem andern: er kam nicht. In meiner Angst ging ich auf die Straßen, wo ich mich sonst nicht gern blicken ließ, weil ich dachte, ich könne ihm begegnen – aber ich sah ihn nicht. Verzweifelnd lief ich eines Abends nach seiner Wohnung, die, wie ich wußte, in einem großen und vornehmen Hause war – er war der Liebling aller Großen und Vornehmen – und fragte nach ihm. Der Maler Feldern sei sehr krank, hieß es, und Niemand dürfe zu ihm; er werde wahrscheinlich sterben. ‚Ich aber muß zu ihm!‘ rief ich außer mir: ‚ich will bei ihm bleiben Tag und Nacht, um ihn zu pflegen!‘ Man sah mich verwundert an, man lachte über mich – die Sinne schwanden mir. Was ich noch gesagt habe, weiß ich nicht; ich weiß nur, daß man mich zuletzt fast mit den Füßen fort und auf die Straße stieß. In meiner Wohnung weinte ich nun Tag und Nacht und bat Gott, mich auch sterben zu lassen. – Ich hörte nichts von ihm, aber eines Tages vernahm ich Schritte auf der Treppe, die mir wie die seinigen klangen, und als ich noch athemlos horchte, that sich die Thür auf und es trat ein Mann herein, den ich im ersten Augenblick für Feldern hielt. Mit einem Freudenschrei sprang ich auf – da sah ich aber, daß es ein Fremder war, vor welchem ich stand; er war ernster, dunkler und nicht so schön wie der Maler. Er sagte mir, daß auch er Feldern heiße und gekommen sei, um mir mitzutheilen, daß sein Bruder gestorben wäre. Sein Ton klang weich und gütig, das fühlte ich noch, als ich in dumpfer Verzweiflung zusammensank, und ich fühlte auch, daß er seine Hand wie erbarmend auf mein Haupt legte. Er sagte mir dann noch, daß sein Bruder ihm auf dem Todbette die Schuld gebeichtet, die derselbe auf dem Herzen gehabt, daß jener ihm meinen Namen genannt und daß er ihm geschworen habe, er wolle sich meiner annehmen und mir seine Hand zur Hülfe leihen. – Den Schwur hat er gehalten, Frau Professorin; er hat mich aus dem Elend gerettet, in das ich ohne ihn versunken wäre! ‚Verzweifeln Sie nicht, Melanie,‘ sagte er, ‚Sie haben noch eine Zukunft!‘ Und dann half er mir, diese Zukunft zu erringen.

Er hatte mir gesagt – und ich selbst fühlte dies auch – [146] daß ich etwas thun, mich zu irgend einem Handeln entschließen müsse, womit ich mich wieder emporarbeiten könne, daß dies aber mit meinem innern Wesens im Einklang stehen müsse. Da sagte ich ihm, ich wolle Schauspielerin werden. Er wollte anfangs nicht gern darauf eingehen, aber ich erklärte ihm, daß es der einzige Beruf sei, für den ich wirkliche Neigung hätte. Nachdem er sich noch eine Weile besonnen, auch meine Fähigkeiten geprüft hatte, sagte er, daß er mich nicht an meinem Vorhaben hindern wolle, nur sollte ich ihn als meinen Lehrer und Berather ansehen. Das versprach ich ihm und in seiner Schule habe ich mich darauf zur Schauspielerin ausgebildet. Später, als ich schon festeren Fuß auf der Bühne gefaßt hatte, war ich einige Jahre von ihm getrennt, während welcher Zeit Feldern nach Ihrer Vaterstadt kam. Als ich ihn nicht mehr sah, fühlte ich mich entsetzlich unglücklich, und da ich nur suchte, wieder in seine Nähe zu kommen, nahm ich ein Engagement in eben derselben Stadt an. Ich sah ihn wieder – aber dies Wiedersehen machte mich elend! In meinem Herzen war eine Leidenschaft aufgekeimt, die es zu verzehren drohte, und doch mußte ich sie vor ihm verbergen, vor ihm – der mich nicht lieben konnte. Der Gedanke an meine Vergangenheit drohte mich oft zu ersticken; nie war er lebhafter gewesen, als dieser edlen, stolzen Männlichkeit gegenüber, und daß er mit barmherziger Milde sich wie ein Freund zu mir stellte, konnte meine Qual nicht mindern. Da kam der Tag, an welchem ich erfuhr, daß er sein Herz einer Andern – Ihnen, Frau Professorin – geschenkt hatte. Ich hatte es geahnt, zuletzt gewußt, und doch überwältigte es mich. Ich konnte ihn nicht wiedersehen – darum floh ich vor ihm!“

„Und später haben Sie Feldern nicht mehr gesehen, nichts wieder von ihm gehört?“ fragte Alma, die ihre Erschütterung kaum noch bergen konnte.

„Ich vermied es, ihm zu begegnen,“ entgegnete Melanie, „bis uns der Zufall an jenem Badeorte zusammenführte; gehört aber habe ich mitunter von ihm, denn ich konnte nicht leben ohne alle Nachricht von ihm und ich wußte mir diese insgeheim zu verschaffen. So erfuhr ich – –“

„Was erfuhren Sie?“ versetzte Alma gespannt und fast scharf, als die Schauspielerin stockte.

„Frau Professorin, was ich jetzt noch zu sagen habe, betrifft nicht mehr mich, sondern Sie – wollen Sie auch dies hören?“ Alma blickte sie unruhig an, Melanie mochte aber in ihren Augen die Erlaubniß lesen, fortzufahren, denn sie sagte: „Frau Professorin, die Welt nennt Sie, nennt Ihren Gatten nicht glücklich!“

„Wer wagt, dies auszusprechen?“ rief Alma in aufwallendem Stolz.

„Zürnen Sie nicht – jetzt nicht!“ flehte Melanie. „Sie haben es selbst gesagt, daß Sie mich hassen, und ich weiß, daß der Grund Ihres Hasses zugleich der Grund Ihres Unglücks, wenigstens des gegenwärtigen, ist. Sie haben sich an dem Badeorte in tiefer Uneinigkeit von Ihrem Gatten getrennt.“

„Gott im Himmel, wie wissen Sie –?“ stieß Alma hervor, das junge Mädchen fast entsetzt ansehend.

„Lassen Sie mich Ihnen, ehe ich darauf antworte, einige Fragen vorlegen! Haben Sie nicht während Feldern’s Krankheit einen Brief von einem Verwandten, einem Baron Wertach erhalten, worin dieser sich zu Ihrem Ritter antrug und Ihnen versprach, die Beleidigung, welche Feldern Ihnen durch ein Verhältniß mit – einer Schauspielerin zugefügt habe, an ihm zu rächen?“

„Das habe ich,“ sagte Alma.

„Sie haben damals den Baron nicht ganz zurückgewiesen!“

„Doch!“ entgegnete Alma stolz. „Ich habe ihm geschrieben, daß ich selbst meine Ehre aufrecht halten und zu vertheidigen wissen würde, die Einmischung eines Dritten nicht dulden könne.“

„So hat er Ihren Worten eine andere Deutung untergelegt, die seinen Wünschen entsprach; wenigstens daraus erkannt, daß Sie eine Ihnen widerfahrene Kränkung zugestanden, und in diesem Sinn hat er in der Person eines Freundes an jenem Badeort einen Spion bestellt, der genau auf alle Vorgänge achten und ihm im rechten Augenblick Bericht erstatten sollte. Durch die Indiscretion dieses Freundes nun war die Aufmerksamkeit der Gesellschaft auf die Verhältnisse hingelenkt, und als man dann Feldern’s und Ihre plötzliche, aber nicht gemeinschaftliche Abreise erfuhr, mit der man einige andere Umstände zusammenreimte, hatte man schnell die Lösung des Räthsels bei der Hand: Es war ein Bruch zwischen Ihnen und Feldern entstanden, weil Sie sein Verhältniß zu – mir entdeckt hatten.“

Alma war außer sich. Mußte es nicht ihren Stolz tödtlich verletzen, daß sie ihre zartesten persönlichen Verhältnisse an’s Licht gezogen und der Unterhaltung des Publicums preisgegeben sah? „Und Sie – Sie hörten das Alles sagen?“ fragte sie.

„Ich hörte es. Wie sollte man sich nicht beeilen, es mir zuzutragen: ließ sich ja doch so manche herbe Bemerkung gegen die Schauspielerin daran knüpfen!“ versetzte Melanie bitter, fuhr jedoch gleich darauf fort: „Im Grunde aber dankte ich doch der Geschäftigkeit der Zungen, denn sie lehrte mich, was ich zu thun hatte.“ Sie schwieg eine Weile, dann sah sie Alma fest an und sagte: „Ich will Ihnen jetzt gestehen, daß es einen Moment für mich gegeben hat, wo die Hoffnung sich jubelnd in meinem Herzen regte, Feldern könne zu mir – und dann in anderer Weise – zurückkehren, denn ich sah, daß er nicht glücklich war. Da aber geschah das Unglück und es kam der Tag, wo ich an dem Lager des todkranken Mannes saß. Er war ohne Bewußtsein; ich glaubte ihn sterbend und da dachte ich mir, wie ich eine Welt darum geben würde, wenn dieser Mund, ehe er für ewig stumm wäre, ein einziges Wort der Liebe für mich ausspräche. In demselben Augenblick öffnete er die Augen, und als er mich über sich gebeugt sah, erkannte er mich und flüsterte: ‚Melanie!‘ Mein Herz drohte vor bangem Entzücken zu springen! ‚Melanie,‘ sagte er noch einmal, aber in unsäglich schmerzlichem Ton, ‚o, warum nicht Alma?!‘ Dann sank er auf’s Neue in Betäubung. – In jener Stunde habe ich den Schwur geleistet vor Gott, daß ich mein Herzblut opfern wollte für das Glück dieses Mannes, und in der gegenwärtigen Stunde, Frau Professorin, habe ich den Schwur gelöst.“

„Gott wird Ihnen das Opfer lohnen,“ sagte Alma tief ergriffen, „Sie haben damit das Lebensglück zweier Menschen erkauft!“ –

Dann aber flogen ihre Gedanken zu ihrem Gatten und es erfüllte sie mit unaussprechlichem Jubel, daß sein Bild wieder rein und makellos vor ihr stand. „Gott sei Dank,“ murmelte sie, „er ist meiner Liebe nicht unwerth!“ Sie deckte die Hände über’s Gesicht und verharrte längere Zeit in schweigendem Sinnen.

Melanie fühlte, daß sie vergessen war; sie erhob sich leise und sagte: „Erlauben Sie, daß ich mich jetzt entferne, Frau Professorin?“

Es kam ein Gefühl von Beschämung über Alma, daß sie der Schauspielerin so kargen Dank gesagt hatte, und in warmer Bewegung ergriff sie beide Hände derselben. „Ich sagte, daß Gott Ihnen danken würde – wie aber sollen wir Ihnen danken?“

Melanie schüttelte den Kopf. „Lassen Sie das,“ bat sie, „es würde schmerzen.“

„Melanie, ich bin hart und unfreundlich gegen Sie gewesen, können Sie es mir vergeben? Es würde ein Stachel in meinem Herzen bleiben, wenn Sie unversöhnt von mir schieden!“

Die Schauspielerin blickte sie mit einem trüben Lächeln an. „In meiner Seele ist kein Groll mehr und keine Bitterkeit. Sie dürfen in Frieden an mich denken.“

„Und was wird aus Ihnen werden?“ fragte Alma beklommen.

„Sorgen Sie nicht um mich!“ entgegnete Melanie. „Wissen Sie nicht, daß meine Kunst mich lehrt, wie man bleiche Wangen blühend macht, wie man lächelt, statt zu weinen, und scherzt, statt zu seufzen?“

„So täuschen Sie die Welt, doch nicht Ihr Herz, Melanie!“ sagte Alma ernst.

Die Schauspielerin schwieg, aber es drangen große Thränen aus ihren Augen und tropften langsam auf die Hände, die gefaltet auf ihrem Schoße lagen. „Wenn Sie später vielleicht hören werden, daß Melanie sich zu einer gefeierten Schauspielerin emporgearbeitet hat, welche zu den Besten ihrer Kunst gezählt wird,“ sagte sie endlich, „so sagen Sie zu sich selbst: ‚sie hat den Preis errungen, den sie als den höchsten erkannte, nachdem sie mit ihrem Herzen abgeschlossen hatte.‘ Wenn Ihnen dann aber eines Tages die Kunde wird: die Schauspielerin Melanie Wolde ist gestorben – so denken Sie: ‚sie hat jetzt das Glück gefunden, welches das Leben nicht für sie hatte!‘“

„Alma war unfähig zu sprechen, aber sie zog die Schauspielerin an sich und hauchte ihr einen Kuß auf die Stirn. In der nächsten Minute hatte Melanie das Gemach verlassen.

[147] Als Alma allein war, drang der volle Strom der Empfindung auf sie ein und sie jauchzte auf, als sie ihre Seele frei fühlte von dem Druck, der sie so lange belastet hatte. Das Regen des Vorwurfs, daß sie Feldern mit ihrem Verdacht gekränkt, ihm schweres Unrecht gethan hatte, kam kaum gegen das Gefühl ihres Glückes auf. Es lag ja in ihrer Macht, ihn reich für das Alles zu entschädigen, indem sie selbst ihm sagte, daß er vollkommen gerechtfertigt sei, indem sie ihm die ganze, volle Liebe zuwandte, die neu in ihrem Herzen aufgelebt war. Ihr Verlangen zog sie auf der Stelle zu ihm und doch zweifelte sie, ob sie ihn nicht zuvor schriftlich von dem Vorgefallenen in Kenntniß setzen, ihn auffordern solle, zu ihr zu eilen und sich das wärmste Willkommen zu holen. Während sie noch überlegte, wurde ihr ein Brief gebracht, an dessen Aufschrift sie die Hand ihres Gatten erkannte und den sie in der lebhaftesten Aufregung erbrach. Als sie ihn las, taumelte sie. Sie faßte mit der Hand an ihre Stirn, als ob sie an ihrem Verstand zweifle, starrte dann wieder auf den Brief und hätte sich gern überredet, daß ihr Auge von einem Blendwerk berückt, daß dies nicht der wahre Inhalt des Briefes sei. Es war umsonst, die Buchstaben standen scharf und klar auf dem Papier und scharf und klar war auch ihr Sinn. Feldern schrieb ohne alle Leidenschaft, ruhig und bestimmt theilte er Alma mit, daß er sich überzeugt habe, in seiner Seele den einzigen Weg gefunden zu haben, auf dem sie Beide fortwandeln könnten, da ein ferneres Zusammengehen unmöglich geworden: es sei derjenige der Trennung. Die letzte Unterredung habe ihm klar in’s Bewußtsein gerufen, was lange schlummernd in ihm gelegen, und mit schwerem Herzen spreche er das schwere Wort aus: Wir gehören nicht zu einander! „Es war ein edles Gefühl,“ schrieb er, „was Dich einst antrieb, Deine Hand in meine zu legen, aber es hat Dich doch irre geführt, denn es wurzelte nicht in Deinem Herzen, sondern in Deinem erregbaren Temperament. Ich mache Dir keinen Vorwurf – vielmehr tadle ich mich selbst, daß ich damals nicht mit der Einsicht des gereiften Mannes Deiner jugendlichen Schwärmerei entgegengetreten bin, unser Beider Lebensglück geschirmt habe. Darum aber fühle ich es jetzt als eine doppelt heilige Pflicht, den Bund zu lösen, der für uns Beide verhängnißvoll geworden ist, Dir Deine Freiheit und damit die Anwartschaft auf eine glückliche Zukunft zurückzugeben.“ Er setzte hinzu, daß er an ihrer Einwilligung wohl nicht zweifeln dürfe, sie aber bäte, ihm ihre Zustimmung mitzutheilen, damit er die einleitenden Schritte zu ihrer Trennung thun könne.

Als Alma’s Mutter, durch die lange Abwesenheit der Tochter beunruhigt, endlich in deren Zimmer trat, fand sie dieselbe zusammengesunken und in einem Zustand halber Betäubung auf ihrem Sopha. Als sie sich erschrocken über sie beugte, starrten ihr die Augen mit einem fast unheimlichen Ausdruck entgegen und bei allen Liebkosungen, allen Zeichen besorgter Theilnahme wiederholte sie immer nur tonlos und traurig: „Er liebt mich nicht!“ Es dauerte lange, bevor die geängstigt Frau den Sinn dieser Worte enträthseln konnte, und erst als sie einen Blick in den offen daliegenden Brief geworfen hatte, auf den Alma mit zitternder Hand deutete, ging ihr einigermaßen das Verständniß auf. Die Wirkung war aber auf sie eine andere, denn sie gerieth in die äußerste Heftigkeit. „Der Elende!“ rief sie, „jetzt endlich läßt er die Maske fallen!“

Das Wort genügte, um Alma aus der Erstarrung ihrer Seele zu wecken. „Mutter,“ rief sie, „versündige Dich nicht an dem Mann, der rein und makellos ist wie kein anderer! Es ist meine Qual und meine Seligkeit, das zu wissen!“

„Und doch sagst Du mir selbst, daß er Dich nicht liebt?“ entgegnete die Mutter erregt.

„Nein, er liebt mich nicht!“ wiederholte Alma, allein es lag nicht mehr die frühere Trostlosigkeit in ihrem Ton, vielmehr schien eine gewisse Ruhe, die Ruhe eines gefaßten Entschlusses über sie gekommen zu sein, als sie hinzusetzte: „aber vielleicht ist Gott barmherzig und läßt mich wiederfinden, was ich verloren habe.“

„Wie, Alma, verstehe ich Dich recht?“ rief die Mutter, „Du „wolltest – –“

„Ja, ich will zu Feldern, Mutter, ich will versuchen, ob er sein Wort zurücknehmen, ob er vergessen kann, was geschehen ist!“

„Alma, um Gotteswillen, gieb Dich nicht selbst auf! So kann, so darf meine Tochter nicht reden! Ich rufe Deinen Stolz an – –“

„Stolz, Mutter? Ja, Du hast Recht, wenn Du mich an meinen Stolz erinnerst; ich bin Feldern Sühne schuldig für diesen Stolz – und sie soll ihm werden!“

Die Mutter war außer sich, aber alle ihre Bitten und Vorstellungen waren vergeblich: Alma blieb bei dem gefaßten Entschluß und hatte nur das Eine Wort: „Wenn Du mich liebst, so bitte Gott, daß er mit mir sei auf meinem Wege!“

Auch die Vermittlung des Onkels, welche die Mutter zuletzt vorschlug, um Alma doch wenigstens vor der Gefahr einer Abweisung zu sichern, lehnte sie entschieden ab. „Ich allein muß den Weg zu dem Herzen meines Mannes suchen,“ sagte sie.

In rascher Fahrt trug die Eisenbahn sie in der Frühe des nächsten Morgens dem Ziele, ihrem und Feldern’s Wohnorte, zu. Hatte sie jedoch den Weg mit einer gewissen inneren Zuversicht angetreten, so fühlte sie sich allmählich von einer immer wachsenden Beklommenheit ergriffen, und als sie von dem Bahnhof aus ihrem Hause zuschritt, drohte ihr Herz von seinem gewaltigen Klopfen zu zerspringen.

Auf dem Flur kam ihr ein neueingetretenes Dienstmädchen entgegen, das die Herrin nicht kannte, und als ihr Alma sagte, wer sie sei, war es ihr, als träte sie in das eigene Haus als eine Fremde. Mit bebender Stimme sprach sie dann die Frage nach ihrem Gatten aus. Er sei nicht daheim, hieß es, würde indeß in einer Stunde zurückkehren. Eine Stunde sollte sie noch durchleben, ehe sie ihn wiedersah!

Sie ließ sich die Zimmer aufschließen, welche sie früher bewohnt hatte und aus denen ihr eine Luft entgegendrang, wie sie in Räumen zu herrschen pflegt, die lange verschlossen gewesen sind, kalt und unangenehm. Die Ordnung war übrigens unverändert: das Geräth stand und lag genau so, wie sie es vor sechs Wochen verlassen hatte; kein Tisch, kein Stuhl war von der Stelle gerückt. Sie erinnerte sich, die Papiere und Bücher auf ihrem Schreibtisch nach dem letzten Gebrauch gerade so hingelegt zu haben, wie sie dieselben jetzt wiederfand – und doch wagte sie keins davon in die Hand zu nehmen, wagte nicht, irgend etwas zu berühren. Es war ihr, als sei die eigentliche Besitzerin, die, welche einst in diesen Räumen gelebt, gestorben, als sei sie selbst ein Eindringling und habe nicht das Recht, hier zu sein. Sie trat an’s Fenster, um nach den Blumen zu sehen, die sie einst geliebt und sorglich gepflegt hatte; man hatte sie den Hauswirthen empfohlen, aber diese mochten ihr Versprechen vergessen haben, denn die Blumen senkten alle traurig die Köpfe und waren verdorrt. Alma’s Thränen rannen leise nieder auf die welken Blüthen und Blätter. Dann fielen ihre Blicke auf die Stelle, wo der Käfig des Vögelchens gestanden hatte, das einer befreundeten Familie für die Dauer ihrer Abwesenheit übergeben worden war. Es war noch nicht wiedergekehrt – Feldern mochte vergessen oder verschmäht haben, es zurückzufordern. Es wäre ihr ein Trost gewesen, wenn sie das Thierchen gehabt hätte, sie sehnte sich in fast kindischer Weise nach einem lebenden Geschöpf, das früher mit ihr in diesen Räumen gewohnt hatte. Die Stille und Oede lasteten mit bleiernem Druck auf ihr und es war ihr, als müsse ihr Herz brechen vor unsäglicher Traurigkeit.

Da drangen leise Flötentöne aus dem anstoßenden Gemach, die sie als den Gesang ihres Vögelchens unterschied. Feldern hatte es also doch zurückgenommen, vielleicht gar in der Erinnerung an sie, deren Herz – wie er wußte – an dem kleinen Liebling hing. Ein grenzenloses Verlangen überfiel sie, die Thür zu öffnen, nicht wegen des Vogels, sondern wegen des Raums, der ihn beherbergte und in dem Feldern wohnte. Sie legte die Hand an den Drücker und zog sie wieder scheu zurück, als sei sie im Begriff, ein Unrecht zu thun, dann aber nahm sie sich entschlossen zusammen und trat über die Schwelle.

Auch hier war Alles wie sonst, – und doch war es Alma, als sei eben Alles, Alles anders geworden, seit sie das Gemach zum letzten Male betreten hatte. Sie trat an Feldern’s Arbeitstisch, der wie früher mit Büchern und Schriftstücken bedeckt war. Neben denselben lag ein Bild; Alma erkannte es als ihr eigenes, das sonst an einer entfernten Stelle der Wand gehangen hatte. War es denn möglich, daß er sie noch mit anderen als kalten, und gar feindlichen Blicken betrachtete? Ueberwältigt sank sie an dem Sessel, vor dem sie stand, nieder, legte ihr Haupt darauf und weinte.

Nach einer geraumen Weile schreckte sie das Oeffnen der Thür [148] auf; Feldern stand vor ihr. Anfangs hatte sie jede Minute, die noch bis zu seiner Rückkehr verfließen mußte, gezählt und sich nun doch von derselben überraschen lassen!

„Alma!“ preßte er hervor, als er sie sah, und seine Hand griff nach der Lehne eines Stuhls, wie um sich daran zu halten.

Bleich, zitternd und unfähig, ein Wort zu sprechen, blickte sie ihn an.

„Warum das Schwere noch schwerer machen?“ fügte er im Tone des Vorwurfs, der aber doch milde klang, hinzu.

Alles, was sie ihm sagen, womit sie sein Herz rühren, seine Liebe wieder zu gewinnen suchen wollte, war in dieser Secunde aus ihrem Geist entschwunden; sie konnte nur in stummer Angst die Hände ringen und fand endlich nur das Eine Wort: „Friedrich, muß es sein?“

„Frage Dich selbst, Alma, ob wir nicht unter dem Gesetz einer furchtbaren Nothwendigkeit stehen!“ sagte er ernst, aber ohne alle Bitterkeit.

„Sie fand wieder keine Antwort.

„Denk’ an das,“ fuhr er fort, „was mir Dein Mund verrieth, in der letzten Stunde, wo wir uns sahen!“

„Friedrich,“ rief sie, „verdamme mich nicht um das, was ich in jener Stunde sprach, wo ich meiner Sinne, meines Denkens nicht mächtig war. Ich weiß jetzt, daß ich schwer geirrt und gefehlt habe – ich habe es auch schwer gebüßt,“ setzte sie leiser hinzu.

„Ich wußte, daß früher oder später ein Tag kommen würde, der mich rechtfertigen mußte, Alma,“ sagte er, „und darum ist es auch nicht jene Stunde, die uns scheidet.“

„Nein, es ist nicht jene, es ist jede Stunde, Friedrich, von der ersten an, wo wir unsere Hände ineinander legten. Kannst Du mir die Schuld jeder dieser Stunden vergeben?“

„Vergeben?“ fragte er mit einem schmerzlichen Lächeln, „vergeben, daß Du nicht glücklich warst?“

„Nein, Friedrich, aber daß ich vergaß, was ich Dir einst gelobte: daß Dein Glück an meiner Seite gesichert sein sollte. Es gab eine Stunde – und ich denke mit bitterer Scham daran! – wo ich Dir in der stolzen Zuversicht meines Herzens meine Hand bot und Dich reich damit zu machen glaubte. Sie fordert ihre Sühne.“

„Alma!“ unterbrach er sie erschüttert.

„Feldern, wie damals trete ich vor Dich hin, aber jetzt fordere ich nicht, ich flehe Dich an: ist’s möglich, so laß mich Dein Weib sein! Um meiner tiefen, unsäglichen Liebe willen verstoße mich nicht und gönne mir noch einmal den Platz an Deinem Herzen!“

Erstaunt, überwältigt hörte er, was sie sprach. „Alma,“ rief er, „Deine Aufwallung reißt Dich hin – schütze Dich, schütze auch mich vor einer Enttäuschung; mein Herz würde sie nicht tragen können!“

„Gott im Himmel, ist’s möglich?“ sagte sie und es klang wie jubelnde Hoffnung durch ihre Frage, „habe ich denn noch Theil an Deinem Herzen?“

Die Antwort hätte sie in seinen tiefen, seelenvollen Augen lesen können, auch wenn die Lippe stumm geblieben wäre. „Weißt Du nicht,“ sagte er, „daß ich Dich mehr liebte, als mein Leben, da ich mich von Dir zu trennen beschloß, und daß ich es nur wollte, weil ich an Deiner Liebe und Deinem Glück verzweifeln mußte?“

Als er ihr einst gestand, daß er sie liebe, hatte sie nicht aufgejubelt im Gefühl ihres sicheren Glücks; sie that es auch jetzt nicht – in demüthiger Bewegung griff sie nach seiner Hand und küßte sie. „Friedrich,“ flüsterte sie, „Du hast mich reich gemacht über mein Bitten und Verstehen; mein Lebenlang will ich Dir dienen und Dir gehorchen!“

In der nächsten Secunde fühlte sie sich von seinen Armen umschlossen und ruhte selig weinend an seinem Herzen. Er aber wußte: Alma war in dieser Stunde sein geworden.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Julius Mosen, * 8. Juli 1803; † 10. Oktober 1867.