Gesundheitspflege und Eisenbahnverkehr

Textdaten
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Autor: Dr. med. Taube
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Titel: Gesundheitspflege und Eisenbahnverkehr
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aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 488–490
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Gesundheitspflege und Eisenbahnverkehr.

Während von allen Seiten der erbittertste Kampf gegen die ansteckenden Krankheiten geführt wird, ist es wunderbar, daß das Verkehrsmittel, welches die allseitige Verbreitung dieser Erkrankungen bis in die entlegensten Gegenden besonders bewirkt, nicht das mindeste zur Einschränkung derselben beiträgt. Nicht dadurch aber allein sind die Eisenbahnen gefährlich, daß sie Personen, welche ansteckende Krankheiten in sich haben, weiter befördern, sondern auch durch die Art und Weise, wie dieses geschieht, durch das Zusammenstecken Gesunder und Kranker und damit durch die Weiterverbreitung von Krankheiten auf der Bahn selbst.

Eine Familie mit Kindern, welche an Keuchhusten litten und denen vom Arzte Luftveränderung verordnet war, bat den Schaffner, sie wegen der ansteckenden Krankheit allein fahren zu lassen. Wegen Platzmangel geschah dieses nicht, andere Kinder vom Lande kamen mit herein, sie mußten während der längeren Fahrt angesteckt werden und übertrugen den Keim in ihre Heimath. Ein anderes Kind erkrankte in der Sommerfrische an Diphtherie, der Kehlkopsschnitt konnte daselbst nicht ausgeführt werden, die Mutter fuhr vier Stunden auf der Eisenbahn mit dem halbtodten Kinde in einem Coupé mit anderen Personen zusammen.

Beweisen nicht diese beiden aus dem Leben gegriffenen Beispiele allein schon genügend, wie dringend eine baldige Abhilfe hier erforderlich ist? Ein Ausschließen solcher Kranken von der Eisenbahn ist unmöglich, deshalb muß von den Direktionen daran gedacht werden, Mittel und Wege zu schaffen, um ein Abschließen solcher Kranken zu bewirken. Es ist dieses eine Forderung, welche der gesunde Reisende gesetzlich zu verlangen berechtigt ist, und die Thatsache, daß in dieser Hinsicht noch nichts geschehen ist, bildet den besten Beweis für die Theilnahmlosigkeit, mit welcher die allgemeine Gesundheitspflege immer noch betrachtet wird. Da der Augenblick der Ansteckung immer längere Zeit vor dem Ausbruch zu liegen pflegt, so läßt sich der Ort derselben selten noch feststellen und an die Möglichkeit einer „Eisenbahnansteckung“ wird nicht gedacht. Trotzdem ist dieselbe viel häufiger vorhanden, als man glaubt. Für keuchhustenkranke Kinder ist Luftveränderung Heilung, sie werden deshalb durchschnittlich durch die Bahn nach andern Orten gebracht, ebenso auch Kinder, die Scharlach und Diphtherie überstanden haben und denen durch das zu frühe Verlassen der Krankenstube der Keim der Ansteckung noch innewohnt. Oefters erkranken auch Kinder an Badeorten und Sommerfrischen, die Eltern suchen dann so schnell als möglich mit den kranken Kindern die Heimath zu erreichen. Die Eisenbahn bildet das Verbindungsglied und das Coupé die denkbar beste Uebertragungsstätte durch das enge Beisammensein und die ungünstigen Luftverhältnisse, ja in der zweiten und ersten Klasse kann die Polsterung die Ansteckungsstoffe noch länger zurückbehalten, als dies bei den hölzernen Sitzen der dritten Klasse der Fall ist, und schon aus diesem Grunde ist es rathsam, beim Schlafen in den ersten beiden Wagenklassen ein Tuch unterzulegen.

[490] Hier kann nur Abhilfe geschaffen werden durch Herstellung von Krankencoupés. Die Einrichtung muß derart sein, daß ein Haften von Ansteckungsstoffen nicht zu erwarten und eine Desinfektion schnell zu ermöglichen ist, also etwa der dritten Klasse ähneln. Das Sitzbrett muß zum Abheben sein wegen des schnellen Abwaschens, für die Polsterung des Sitzes können die Insassen selbst das nothwendige Material liefern. Eine leicht anzubringende Schwebe kann zur Aufnahme schwer beweglicher Kranker dienen. Wünschenswerth ist eine Vorrichtung, welche die Theilung des Coupés der Quere nach ermöglicht, so daß im Nothfalle mehrere Familien untergebracht werden können. Derartige durch ein rothes Kreuz kenntlich zu machende Krankencoupés sind auch für die während der Fahrt plötzlich vorkommendem Erkrankungen von praktischer Wichtigkeit, da es für solche Kranke von der größten Unannehmlichkeit ist, ihr Unwohlsein vor allen Blicken ertragen zu müssen, ferner zur Beförderung von Epileptischen etc.

In manchen Städten (Mainz, Dresden z. B.) hat die Behörde Krankenwagen zur Ueberführung ansteckender Kranker in das Spital oder nach anderen Wohnungen eingeführt und bei strenger Strafandrohung öffentliche Droschken zu diesem Zwecke zu benutzen verboten; so müßte auch von der Eisenbahnverwaltung streng gefordert werden, daß Kranke, welche an ansteckenden Krankheiten leiden oder dieselben kürzlich überstanden haben, nur in diesen Coupés für den gewöhnlichen Fahrpreis befördert werden.

Ein Umgehen dieser Maßregel wird viel seltener stattfinden, als man glaubt: so viel Nächstenliebe ist im Durchschnitt noch vorhanden, um der Erkenntniß von der Nothwendigkeit dieser Abschließung zum Durchbruch zu verhelfen, und die Gefahr, durch gesunde Mitreisende angezeigt zu werden, liegt besonders bei Keuchhusten zu nahe. Ein einfaches ärztliches Attest müßte genügen, die Erlaubniß zur Benutzung des Krankencoupés zu erwirken. –

Noch in einer anderen Hinsicht könnten die Eisenbahnverwaltungen der allgemeinem Gesundheitspflege hilfreich zur Seite stehen. Die bedeutendste Entdeckung der Neuzeit auf medizinischem Gebiete, die Feststellung der Tuberkelbacillen durch Dr. Koch, weist leider bis jetzt für das allgemeine Leben nicht den gehofften Erfolg auf; man glaubte, aus der Entdeckung der Ursache müßte sich sofort ein Heilmittel für die ausgebrochene Krankheit ergeben, während man nicht versuchte, wie bei der Trichinose, die Ursache selbst zu vermindern. In letzterer Hinsicht sind nun durch die neuesten Untersuchungen von Dr. Cornet die wichtigsten Fingerzeige gegeben worden. Schon Dr. Koch stellte fest, daß der Tuberkelbacillus nicht überall in der Luft umherfliegt, sondern stets dem Auswurfe Brustkranker entstammt und auch außerhalb des Körpers Monate lang die Fähigkeit der Ansteckung behält. Dr. Cornet wies nun nach, daß die Ausathmungsluft und der feuchte Auswurf der Schwindsüchtigen zur Uebertragung der Schwindsucht auf dem gewöhnlichen Wege durch Einathmung von Tuberkelbacillen ungeeignet ist, daß vielmehr die Uebertragung durch den vertrockneten Auswurf geschieht, und zwar besonders durch das Ausspucken in Taschentücher und auf den Fußboden. Dr. Cornet konnte in dem Staube an den Wänden und Bettstellen von 21 Krankensälen in 15 Fällen Tuberkelbacillen durch Einspritzung dieses Staubes in Thiere nachweisen. In 6 Krankensälen, wo nur Schwindsüchtige lagen, welche aber streng angewiesen waren, ihren Auswurf nur an Wasser-Spucknäpfe zu entleeren, kamen keine Tuberkelbacillen vor. Dr. Cornet konnte die Richtigkeit seiner Befunde auch statistisch begründen, denn von den Schwestern der Krankenpflegerorden sterben mehr als ⅔ als Opfer ihrer Pflichttreue und der bisherigen leichtfertigen Handhabung der Ordnung in Beziehung auf den Auswurf der Kranken.

Nach diesen Entdeckungen ist der Brustkranke nicht, wie es bei der Feststellung der Tuberkelbacillen den Anschein hatte, ein Gift für seine Umgebung, er selbst ist im Gegentheil ungefährlich, nur sein Auswurf muß streng überwacht werden. Man bedient sich am besten eines Gefäßes mit Wasser, wie überhaupt jeder Auswurf so behandelt werden sollte. Die hergebrachten Näpfe mit Sand und Sägespänen verbreiten durch Eintrocknung die Ansteckungsstoffe.

Am meisten wird in dieser Hinsicht aber in den Eisenbahnwagen gesündigt. Die Mehrzahl unserer Leser wird von Eisenbahnfahrten her Beispiele verzeichnen können, mit welcher Rücksichtslosigkeit der Boden des Coupés durch Auswurf verunreinigt wird, und bei dem schnellen Eintrocknen ist dann die beste Gelegenheit zur Uebertragung von Krankheiten gegeben. Von Dr. Dettweiler sind neuerdings Taschenfläschchen für Hustende hergestellt worden, welche bei dem billigen Preise (1 Mark 50 Pf.) jeder an chronischem Katarrh Leidende leicht bei sich führen kann. Von der Eisenbahnverwaltung aber muß das Ausspucken auf den Boden der Coupés streng untersagt werden. –

Noch mehr Verbesserungen in hygieinischer Hinsicht ließen sich anbringen: z. B. vortheilhaftere Ventilation der Coupés. Die jetzt vorhandene Fensterlüftung ist nicht nur im Winter, sondern auch im Sommer öfters ungenügend. Selbst wenn nur ein Fenster offen steht, werden empfindliche Menschen durch den Zug belästigt und können sogar krankhafte Störungen, wie Gesichtslähmungen, dadurch erhalten, so daß bei neuen Wagen die Einrichtung eines Luftdurchzuges an der Decke dringend wünschenswerth ist. Gut wäre ferner eine Besprengung der von der Sonne erhitzten Wagen im Sommer und Einführung von Fenstervorhängen in sämmtlichen Wagenklassen; doch soll man nicht zu viel verlangen, wenn man etwas erreichen will. Die Bahnverwaltungen haben in den letzten Jahren so viel zum Wohle der Reisenden gethan, daß sie sicher auch die berechtigten Forderungen der Gesundheitspflege in Berücksichtigung ziehen werden. Dr. med. Taube.