Gesprächige Frauen
Gesprächige Frauen.
Die Gesprächigkeit der lieben Frauen ist eigentlich bekannt. Es giebt Indianerstämme, wo die Weiber eine ganz andere Sprache haben als die Männer; zum Beispiel bei den Kariben auf den Kleinen Antillen war es so. Gewöhnlich sprechen die Frauen nicht gerade anders als die Männer, aber meist mehr als die Männer. Die letzteren behaupten das nämlich – sie thun so, als ob die Frauen einerseits die Eitelkeit und den Spiegel, anderseits die Sprache gepachtet hätten, obgleich ich auch männliche Plaudertaschen und dafür Frauen kenne, die ein Geheimnis zu bewahren wissen. Auch unter uns leben Naturen vom Schlage der Porcia, der charakterstarken Gattin des Brutus. Aber die Herren der Schöpfung gefallen sich darin, die Thaten für sich in Anspruch zu nehmen und den Frauen die Redseligkeit zu lassen. Sie machen es wie Milton. Der englische Dichter war dreimal, und dreimal unglücklich verheiratet. Seine erste Frau ging ihm durch, seine zweite Frau starb ihm, seine dritte Frau verbitterte dem erblindeten Greis die letzten Lebensjahre. Von der ersten hatte er drei Töchter, die er notdürftig erzog, aber keine Sprachen lernen ließ. Man wollte ihn tadeln, doch er meinte betrübt: „Ach, eine Sprache ist schon genug für Weiberzungen!“
Zu gunsten dieser Art Gesprächigkeit, deren Wesen und Wert der verbitterte Dichter offenbar verkannte, möchte ich heute meinerseits etwas gesprächig werden. Ich meine mit meiner Aufschrift nicht Frauen, die viel sprechen, sondern die viele Sprachen sprechen – von alten und modernen Sprachenköniginnen möchte ich etwas erzählen. Diese sind gewiß selten, die Männer mögen sagen, was sie wollen. Frauen, die vieler Sprachen mächtig sind und nicht nur so ein bißchen Französisch oder Englisch gelernt haben, imponieren schon; sie werden schon zu den höher Gebildeten gerechnet. Zwar sind heutzutage Sprachkenntnisse infolge des vielen Reisens auch unter den Frauen ungleich verbreiteter als sonst und bereits auf den Töchterschulen und Pensionaten ein Gegenstand liebevoller Pflege. Aber als am Ende des 17. Jahrhunderts Aurora Gräfin von Königsmark, die Geliebte [619] Augusts des Starken, deutsch, französisch, englisch und italienisch sprach, hieß es, daß sie eine sorgfältige, großartige Erziehung genossen habe, und als Kaiser Heinrich V. im Jahre 1111 die bekannte Markgräfin Mathilde von Tuscien auf der Feste Bianello bei Reggio besuchte, war er überrascht, als sich die große Gräfin in deutscher Sprache mit ihm unterhalten konnte. Gegenwärtig gehören diese vier Sprachen: Deutsch, Französisch, Englisch und Italienisch bei den Gräfinnen gewissermaßen zum täglichen Brot, und es findet niemand etwas darin, wenn die Königin Margherita geläufig deutsch spricht und liest. Daß eine deutsche Dame gut englisch und leidlich italienisch spricht, daß sie in Italien gewesen und einen Winter in Rom verbracht hat, kommt jetzt so häufig vor, daß man sich gar nicht genug verwunderu kann, wie die Berliner vor ein paar Jahren, bei der Anwesenheit des Königs Humbert in Berlin, nicht imstande waren, eine Dame zu finden, die das Italienische völlig beherrschte.
Es war im Mai des Jahres 1889; der König von Italien kam an, die Majestäten fuhren nach dem Schlosse, und der Joachimsche Sängerchor stimmte die Weise aus Händels Josua an: „Seht, er kommt mit Sieg gekrönt!“ Darauf hielt der Wagen, denn eine Künstlerin, Frau von Hochenburger, trat als Klio vor und bewillkommnete den hohen Gast mit ein paar italienischen Strophen, die der Geheimerat Jordan gedichtet hatte. Sie sprach die Verse mit edlem Schwung und Feuer, lauthintönenden Klanges – der König war sichtlich überrascht und angenehm berührt. Er winkte die Dame freundlich heran uud sagte ihr, wie sehr es ihn freue, hier in seiner Muttersprache begrüßt zu werden. Und die Unglückliche verstand den König nicht! Sie konnte nur antworten: „Non capisco!“ was den König wiederum nicht wenig wunder nahm. Gewiß hätte man die Dame etwas gesprächiger gewünscht, denn so erinnerte sie doch ein wenig an einen Papagei oder Raben, dem man Worte eingelernt hat, die er nun verständnislos hersagt. – Es wäre übrigens hübsch gewesen, wenn der König Humbert seinen Dank und seine Freude gleich wieder deutsch ausgesprochen hätte; als ihm der Oberbürgermeister die Sympathien der Stadt Berlin ausdrückte, die diese sowohl der Kroue, als dem italienischen Volke entgegenbringe, drückte er ihm die Hand und sagte (wenn der Berichterstatter recht gehört hat): „Beaucoup de grâces“, womit er offenbar das italienische tante grazie übersetzte, während der Franzose merci sagen würde. Bei unserem Kaiser wurde es sehr bemerkt, daß er in Rußland den russischen Soldaten auf gut russisch Bescheid thun konnte.
Italienisch zu sprechen und – die Hauptsache bei einer fremden Sprache – Italienisch zu verstehen, ist bei uns in gebildeteren Kreisen nichts Ungewöhnliches mehr, wie es in Wien nichts Besonderes ist; will heutzutage eine Dame etwas gelten, so muß sie schon russisch sprechen wie die Prinzessin Therese von Bayern – oder griechisch wie Frau Schliemann, die freilich eine geborene Griechin ist, aber außerdem noch ein halbes Dutzend anderer Sprachen beherrscht – oder hebräisch wie Eustochia, die Freundin des heiligen Hieronymus, die den Kirchenvater nach Palästiaa begleitete und mit ihm die Psalmen Davids in der Ursprache sang. Diese heilige Eustochia, eine vornehme Römerin des vierten Jahrhunderts, die Tochter der heiligen Paula, muß schon mehr zu den gelehrten Frauen zu rechnen gewesen sein, weil sie eine tote Sprache trieb, denn natürlich sprach man im vierten Jahrhundert nach Christus im Heiligen Lande kein Hebräisch; und von solchen Philologinnen sehen wir eigentlich hier ab. Wir kümmern uns bloß um die sprachgewandten Weltdamen, die mit allen Leuten zu reden wissen und nebenbei einen literarischen Anflug haben. Mit den klassischen Sprachen hat es jedoch eine eigene Bewandtnis; sie lebten im Mittelalter wirklich noch unter den höheren Ständen, und namentlich das Lateinische war Modesprache, wie das Französische noch heute Modesprache ist. Ich denke doch, die Maria Stuart war kein Blaustrumpf? – Nun, die Maria Stuart las in Holyrood Palace den Livius nach dem Mittagessen, und zwar im Original. Und ihre Nebenbuhlerin, die Königin Elisabeth von England? – Sie antwortete einst den Abgeordneten von Cambridge in griechischer Sprache und den polnischen Gesandten lateinisch. Aehnlich wurde vor ein paar Jahren in Berlin bei der Audienz des neuen italienischen Botschafters Grafen Lanza, der deutsch sprach und verstand, die Unterhaltung französisch geführt.
Solche Sprachen wie Deutsch, Französisch, Englisch oder Italienisch sprechen zu können, gehört zum guten Ton, weil das eben die heutigen Umgangssprachen sind; aber wenn die gnädige Frau noch außerdem mehrere andere lebende Sprachen meistert, entsteht eine kleine Sprachenkönigin. Und solche Sprachenköniginnen sind immer am ersten die wirklichen Königinnen gewesen, schon im Altertum. Die berühmte Kleopatra war nicht nur eine Kokette ersten Ranges, erfahren in allen Künsten der Verführung; sie war auch eine Frau von großem Talent, die ungewöhnliche Sprachkenntnisse besaß. Sie beherrschte sieben Sprachen, während ihre Vorgänger auf dem Throne nicht einmal das Aegyptische richtig sprachen, ja sogar ihr heimisches Macedonisch vergessen hatten. Es ist sonderbar, daß der Orient ein paar Jahrhunderte später noch eine bedeutende Frau erzeugte, die viel Aehnlichkeit mit der Kleopatra besaß und in der That von ihr abzustammen vorgab: Zenobia, die Königin von Palmyra. Auch sie war ein so schönes, wie hochgebildetes Weib, auch sie war sprachkundig, mit dem Lateinischen vertraut, des Griechischen mächtig, im Aegyptischen beschlagen und in den syrischen Dialekten fest. Das Schicksal verschlug sie nach Rom, wo sie, mit Gold und Edelsteinen beladen, vor dem Wagen des Kaisers Aurelian an einer goldnen Kette im Triumphe aufgeführt ward und nachmals mit ihren Söhnen in einer Villa bei Tivoli als römische Matrone lebte, wie in unseren Tagen so manche ehemalige Herrscherin auf ihre alten Tage bei London oder Wien in einer Villa lebt.
Im österreichischen Kaiserhause ist das Sprachenlernen traditionell, und nicht bloß die männlichen Mitglieder desselben rühmen sich, mit allen ihren Unterthanen in deren Muttersprache verkehren zu können, auch die Kaiserinnen und die Erzherzoginnen pflegen sich diese Fähigkeit zu erwerben. Als die Prinzessin Stephanie von Belgien Braut des Kronprinzen Rudolf von Oesterreich war, hatte sie nichts Eiligeres zu thun, als Ungarisch und Tschechisch zu lernen, gerade so wie die Prinzessin Sophie von Preußen als Braut des Kronprinzen Konstantin Griechisch und die Prinzessin Alix von Hessen als Braut des Großfürsten-Thronfolgers Russisch lernte. Vielleicht bringt sie es einmal so weit wie die nordische Semiramis, Katharina II., die, ebenfalls eine deutsche Prinzessin, als Kaiserin von Rußland hundert verschiedene russische Nationen in ihren Mundarten anzureden vermochte. Die Erzherzogin Maria Christine von Oesterreich, die Witwe des Königs Alfons von Spanien, lernte als Braut in ein paar Monaten Spanisch; am 30. Dezember 1885 leistete sie im reinsten Spanisch den Eid auf die Verfassung. Sie spricht, eine echte Oesterreicherin, wie ihr verstorbener Gemahl außer Russisch und Türkisch die meisten modernen Sprachen und lernt jetzt Baskisch. Vielleicht ist das mit ein Grund, daß die Königin-Regentin so gern zu dem Vater Mortara in die Kirche geht. Dieser Vater Mortara, ein Kanonikus des Augustinerordens, ein ernster gedankenvoller Mönch, ist derselbe, der als Judenkind in Bologna von einer frommen christlichen Amme die Nottaufe erhielt und hierauf seinen Eltern von den päpstlichen Sbirren weggenommen ward. Er predigt, wenn er sich in Madrid befindet, in der Kirche San José und spricht nicht minder seine zweiundzwanzig Sprachen.
Vor allen Frauen ragt auf diesem Felde die Kaiserin von Oesterreich hervor. Wie sie die Litteratur kennt und pflegt, so ist sie auch eine wahre Sprachenkönigin, die nicht nur alle Sprachen der österreichisch-ungarischen Kronländer, nicht nur die Hauptkultursprachen, sondern, ich möchte sagen: alle Sprachen der Habsburgischen Dynastie beherrscht. Ja, sie hat charakteristischerweise gerade dieses Studium gewählt, um sich in den schweren Prüfungen des Lebens zu zerstreuen, ihre Gedanken abzulenken und den Geist zu beschäftigen – wenn sie einen großen Schmerz zu überwinden hat, so erlernt sie eine fremde Sprache.
Die Kaiserin von Oesterreich ist eine bayerische Prinzessin, mithin eine Verwandte der obengenannten Prinzeß Therese, der Tochter des Prinzregenten Luitpold, die unter dem Schriftstellernamen Th. von Bayer Reiseerinnerungen aus Rußland herausgegeben hat und acht Sprachen geläufig spricht. Die Namensschwester der Kaiserin, Elisabeth von Rumänien, die als Dichterin den Namen Carmen Sylva führt, soll ebenfalls in drei Sprachen schreiben und so ziemlich alle übrigen europäischen Sprachen sprechen. Ueber die Gesprächigkeit dieser deutschen Prinzessinnen! Gehört nicht auch die Königin Viktoria halb und halb zu ihnen? Nun, die Königin von Großbritannien und Kaiserin von Indien lernt in ihren hohen Jahren noch die Verkehrssprache Indiens, das sogenannte Hindustani, das von etwa 100 Millionen Menschen gesprochen wird, [620] und nimmt nebst zwei Mitgliedern ihrer Familie bei einem jungen, eigens zu diesem Zwecke nach England berufenen indischen Fürsten Unterricht. Seit Juni 1888 treibt die hohe Frau Hindustani. Es ist nicht lange her, daß der sogenannte Gaikawar, der Fürst des britisch-indischen Vasallenstaates Baroda, nebst seiner Gemahlin, der sogenannten Maharami, bei der Königin Viktoria in Windsor zu Gaste war. Notabene, der Titel Gaikawar bedeutet eigentlich so viel wie Kuhhirt; Maharami ist das Femininum zu Maharadscha, Großkönig.
Diese Fürstlichkeiten hatte die Königin Viktoria schon im Jahre 1887 bei ihrem fünfzigjährigen Regierungsjubiläum kennengelernt. Aber damals verstand die Königin noch kein Wort Hindustani und die Großkönigin noch kein Wort Englisch. Anders im Jahre 1892. In der Audienz, welche die Königin der Maharami jetzt gewährte, redete die Fürstin ihre Oberlehnsherrin in erträglichem Englisch an, und die Königin erwiderte ohne Mühe in der Sprache Hindostans. In derselben fand sie auch ein freundliches Wort für die zwei kleinen indischen Prinzen, welche der Audienz beiwohnten. Die kleinen Jungen hatten wie gewöhnlich große Brillanten an den Fingern und an den Mützen. Die Diamanten, Perlen und Smaragden, welche die Fürstin an ihrer hellroten Jacke trug, sollen das Schönste gewesen sein, was man an Juwelen in Windsor bei Tageslicht jemals gesehen hat! Daß die Dame etwas gelernt hatte, war ebenfalls ein Juwel.