Geschichtskarten
[76] Geschichtskarten, die uns den Wandel der politischen Gestaltung der Reiche und Völker in der Vergangenheit in Landkartenbildern vor Augen führen, sind nicht nur ein wesentliches Hülfsmittel des Geschichtsunterrichts, sondern können, zur rechten Zeit dem Volke vorgehalten, auch sehr warm zu Herzen reden. Wir schlagen von dem uns vorliegenden neuesten historischen Atlas die Karte von „Mittel-Europa zur Zeit der höchsten Machtentfaltung Frankreichs im Jahre 1812“ auf. Wo ist da Deutschland? Verschwunden und verloren! Frankreich reicht von den Pyrenäen bis Lübeck im Norden und bis Terracina und Cattaro im Süden; zwischen ihm und den zerstückelten, im Kartenbilde kaum wiederzuerkennenden Preußen und Oesterreich breitet der „Rheinbund“ sich aus von der Ostseeküste Mecklenburgs bis zur italienischen Grenze Bayerns. Wie nahe stand damals unser Vaterland dem Schicksale Polens! Ja, solche Karten sprechen. Jede Landkarte wird durch die Zeit in eine Geschichtskarte verwandelt; unsere Karten von Deutschland vor 1866 und 1870 sind jetzt Geschichtskarten geworden. Da aber die Kartographie nach heutigen Ansprüchen nur bis 1790 und nach Mercator’s Projection bis etwa 1550 zurückreicht, so muß für alle Zeiten, aus welchen keine Karten des ehemaligen Landesbestandes vorhanden sind, von den Geschichtskundigen dieser Mangel ergänzt werden. Neuerdings zeichnet sich der Dietrich Reimer’sche Verlag durch seine historischen Atlanten aus, indem er dem bekannten „Atlas antiquus“ von Heinrich Kiepert einen neuen „Historischen Atlas zur mittleren und neueren Geschichte“ von Dr. Karl Wolff in Hildesheim folgen läßt. Der ersten Lieferung dieser gediegenen Arbeit gehört die oben genannte Karte an. Deutschland, dem Wolff schon 1872 seine große kartographische Darstellung der „geschichtlichen Bestandtheile des ehemaligen römisch-deutschen Kaiserreichs“ gewidmet, findet auch in dem neuen Atlas von achtzehn Karten besondere Berücksichtigung.