Geschichte des Illuminaten-Ordens/Der neue Illuminatenorden
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Nachdem die schicksalsschweren Ereignisse, die die früheren Illuminaten über sich ergehen lassen mussten, an unseren Augen vorüberzogen, tritt das Recht des Kritikers an uns heran und wir fragen: War das Werk Weishaupts überhaupt von aussichtsvollem Erfolg oder nicht? — [464] Wer Welt und Menschen kennt, muss antworten: In der von ihm erstrebten Form nicht. —
Es ist ein Wunsch, der in den Herzen aller edlen Manner lebt, dass die Menschheit veredelt und der Vollkommenheit zugeführt werden möge, es ist aber auch ganz sicher eine Utopie, anzunehmen, die Vollkommenheit werde jemals erreicht werden. Die Vollkommenheit an sich ist kein feststehendes erreichbares Ziel; sie ist eine göttliche Eigenschaft, nach der die Sterblichen streben sollen, die aber, wenn sie ganz zu erreichen wäre, in sich das Entwickelungsgesetz zum Stillstande bringen würde. Welches Streben, welches Fortschreiten, welche Freude an schaffensmutiger Arbeit bliebe noch übrig, wenn nicht auch das, was wir vollkommen zu nennen geneigt sind, dennoch der Möglichkeit der Verbesserung weiterhin unterworfen wäre. — Wenn nun gar unvollkommene Menschen die Wege suchen, die Vollkommenheit an sich zu ziehen, selbst durch die ihnen am klügsten scheinenden Mittel, so wird niemals dieses Ziel erreicht werden können. Das Begrenzte kann nicht das Unbegrenzte in sich aufnehmen. —
Menschen, die sich solche Arbeit zumuten, werden diesen Stein des Sisyphus niemals auf die beabsichtigte Bergeshöhe wälzen, sie rechnen zu wenig mit der Schwäche und Leidenschaft der Menschen, gehen daran zugrunde und stehen kurz oder lang vor den Trümmern ihres idealen Baues. So erging es auch Weishaupt.
Weishaupt hatte allerdings sein höchstes Ideal in die fernste Zukunft gesetzt, es sollte nur aus der Ferne dem Suchenden zuleuchten, ihn aber anspornen zu ernsthaftem Ringen. Ein zu hochgespanntes Ideal wird jedoch dem Menschen sehr bald nur ein Phantom. Er erkennt die Unmöglichkeit des zeitlichen Erringens und sieht sich sehr bald nach erreichbareren Gütern um. Der höchste strahlende Gott erhält alsbald Untergötter, die dem Sterblichen weniger spröde, blendend und seinen Wünschen gefügiger erscheinen. Hier scheidet sich dann Theorie und Praxis und eröffnet alle erdenklichen Wege der Heuchelei, Scheinheiligkeit und bewussten Betruges, unter dem Deckmantel der Brüderlichkeit. Der angebliche Besitz unbekannter Wissensschätze, tiefsinniger Mysterien, durch welche die Sache interessant gemacht werden soll, entpuppt sich dann bei solchen Gesellschaften immer bald als eine grosse Seifenblase, [465] die äusserlich bunt schillernd, beim ernsthaften Zufassen jedoch zerplatzt. —
Und dennoch war die Absicht Weishaupts nicht schlecht. Sie enthält auch einen brauchbaren, guten Kern, den er selbst lebhaft erfasste, nur das höchste Ideal, dessen berechtigte Aufstellung er auch in seinen späteren philosophischen Werken immer wieder betont, das er als idea victrix preist und in den Statuten durchleuchten lässt, war zu hoch gestellt. Das Mittel, dieses Ideal der Vollkommenheit zu erringen, sollte die Selbst- und Menschenkenntnis sein. Hätte er sich zunächst mit diesem Mittel begnügt, dieses Studium bestens ausgebildet und als Ordenszweck festgehalten, so wäre vielleicht ein System ausgebildet worden, das noch Geltung haben könnte und Anhänger. Er tat es nicht, verlor dadurch, wie wir gesehen haben, seinen Einfluss auf die massgebenden Mitglieder und ward nun alsbald der Spielball derer, die er eigentlich erziehen wollte. — Weishaupt vergass auch, dass das Unterfangen, Menschen zu verbessern, schon deswegen das schwierigste ist, weil jeder Mensch sich selbst stets für leidlich gut hält und sehr unangenehm in den meisten Fällen wird, falls man diese Tatsache zu bezweifeln wagt. Auch die Neigung, sofort andere bestens zu belehren, bevor die erhaltenen Lehren noch selbst gründlich befolgt wurden, ist ein wesentliches Hindernis. Seine Schüler verfielen in diese Felder, verwirrten dadurch das System, missachteten dasselbe und hielten sich dann an andere vorteilhaftere Dinge. Der eigentliche zu hoch gespannte Zweck des Ordens wurde beiseite gesetzt, das Interesse erlahmte, weil die ideale Seite zu wenig Früchte zeitigte. Die Menschen wollen immer etwas Positives, sie haben wenig Sehnsucht nach dem Ideellen, oder dieses letztere müsste ein Mittel zur Erreichung des Positiven werden. Damit wird dann aber der Zweck leicht auf den Kopf gestellt.
Bei Wiederbelebung des Ordens entstand allmählig der Gedanke, es müsse doch möglich sein, Positives zu geben, um das Ideelle zu erreichen und zwar mittelst der Weishauptschen Grundtheorien. Letztere sollten jedoch nicht wieder ein bestimmtes himmelhohes Ideal mit fragwürdigen Konsequenzen aufstellen, sondern vielmehr das letzte höchste Ideal dem einzelnen gänzlich überlassen. Dadurch wechselte der Orden das Kleid. Er war nicht mehr der Tempel, in dem die Vollkommenheit einstens Wohnung nehmen würde, sondern nur [466] ein Wegweiser, der zum Tempel fuhren kann, durch Hinweis auf die zu ihm führenden Wege.
Wenn Weishaupt z. B. sagte: Dadurch, dass alle Menschen vollkommen werden, jeder lediglich den vollendetsten Begriff des Guten erfüllt, so werden dadurch alle Gesetze, die das Böse zu bestrafen suchen, überflüssig, — mithin auch die Gesetzgeber, so ist das ein fragwürdiges hohes Ideal, das in seinen Konsequenzen zu den grössten Missverständnissen, Verdrehungen und Verleumdungen hinreichend Veranlassung gibt und gegeben hat. Der Orden und dessen Mitglieder werden schwerlich Tempel und Priester dieses verwirklichten Ideals werden. Wird jedoch einfach ein gangbarer Weg gezeigt, wie man sich selbst und dann andere verbessern kann, so müssen die Einwände fallen, nur muss man sich hüten, mit fernen, utopistischen Ideen zu liebäugeln.
Der Versuch, ein solches Institut auf den Ruinen des alten Gebäudes zu errichten, schien dem Autor dieses Buches der Mühe wert und er legte die Hand an das Werk. Nicht selbst war er auf diesen Gedanken gekommen, sondern derselbe wurde von einer Persönlichkeit angeregt, die sich später als so unwürdig wie nur möglich erwies. Es sei deshalb der Name hier verschwiegen. Diese Person behauptete, dass in ihr sich noch die alten Überreste des Ordens konzentrierten, dass eine bedeutende Anzahl von würdigen Männern sich unter ihrer Obhut noch befände, die nur warteten, den geeigneten Führer zu erhalten und dass dieser Führer der Schreiber dieser Zeilen sein könne, wenn er nur wolle.
Nach genauer Prüfung des alten, ihm unbekannten Systems leuchtete dieses Angebot ein und freudig ging es an die Arbeit, eine Organisation zu schaffen, die, wie es hiess, von den noch unbekannten Freunden freudig unterstützt werden würde.
Die erwartete Hilfe blieb jedoch nicht nur aus, sondern erwies sich als falsche Vorspiegelung, denn nichts bestand mehr aus alter oder neuerer Zeit, als das, was etwa Antiquare verschaffen können. Die würdigen Männer standen nur auf dem Papier, waren jedoch in Wirklichkeit nicht vorhanden. Die ersten Schritte waren jedoch einmal getan. Freunde des Autors hatten sich ihm angeschlossen und erwarteten nun von ihm die Erfüllung seiner Versprechungen. Wollte er nicht zum Lügner werden, so musste er nun selbst alles daransetzen, das zu schaffen, was vorhanden sein sollte, denn schwerlich [467] würde man ihm geglaubt haben, dass er selbst ein Opfer zu schnellen Vertrauens geworden, namentlich da Eintrittsgelder gezahlt worden waren.
Um kurz zu sein, die Arbeit ist gediehen in jahrelanger, unermüdlicher Anstrengung. Anfeindungen, Verleumdungen, Verdruss blieben zwar nicht aus, das Gebäude jedoch wuchs und befestigte sich immer mehr.
Die mühsam errungenen Kenntnisse des Autors gestatteten einen Lehrgang herzustellen, der die Anfangsgründe der Selbst- und Menschenkenntnis in übersichtlicher Form enthielt. Dieser Lehrgang, der allerdings noch keineswegs als ein Muster der Vollkommenheit gelten kann, schon deswegen, weil der Autor ihn bisher nicht gründlich revidieren und verbessern konnte, hat 10 Jahre lang dem Orden diejenige philosophische Grundlage gegeben, die dessen System bedingt. Ob er weiterhin dazu dienen wird, entzieht sich vorläufig seinem Wissen. Jedenfalls ist die Selbst- und Menschenkenntnis ein Hauptweg in dem Streben nach Vollkommenheit und ein positiver Schatz, der in dem Hinblick nach dem hohen Ideal gleichzeitig erworben wird. Diese praktische Kenntnis sollte sich schon deswegen jeder erwerben, um sich möglichst vor sehr leicht unrichtig taxierten Menschen, denen zu trauen man geneigt ist, zu schützen.
Es kann hier an dieser Stelle nicht mehr über den neueren Orden gesagt werden, weil diese Geschichte keine Werbeschrift ist und auch die sich noch abspielende Jetztzeit erst Geschichte werden wird. Wer sich jedoch über den Orden, dessen Ziele sowie Lehren genau unterrichten will, wende sich an den Autor, dessen Adresse sich am Anfange dieses Werkes unter der Vormerkung befindet.
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