Gesammelte Schriften über Musik und Musiker/Trio’s für Pianoforte mit Begleitung

Drei gute Liederhefte Gesammelte Schriften über Musik und Musiker (1854) von Robert Schumann
Trio’s für Pianoforte mit Begleitung
Musikleben in Leipzig während des Winters 1839–1840


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Trio’s für Pianoforte mit Begleitung.


Es sind Jahre verflossen, seitdem wir zum letztenmal über Compositionen obiger Gattung berichtet; vielleicht erinnert sich der Leser noch eines Cyklus von Kritiken, in dem alle seit etwa 10 Jahren erschienenen Trio’s ausführlich besprochen wurden. Allem neu Erscheinenden nachspähend, müssen wir uns wundern, wie wenig in den letzten 2–3 Jahren Werke obiger Gattung veröffentlicht worden sind – geschrieben? wohl mehr. Wer weiß das! Es liegen im Augenblicke nur vier Trio’s und ein Quartett vor uns. Für erschöpfend können wir aber unser Urtheil darüber nicht ausgeben, da wir nur eines davon aufführen gehört. Denn wie das innere Gehör das feinere musikalische ist, der Geist der Ausführung hat auch sein Recht, der helle lebendige Klang seine besonderen Wirkungen, über die sich selbst der gute Musiker, der zuerst gleichsam durch das Auge vom Papier hört, täuschen kann. Leichter schon wird es zu urtheilen, wo Partituren vorliegen, wie es bei Herausgabe [267] von Ensemblestücken jetzt löbliche Sitte geworden; wo aber diese fehlen, darf der Kritiker nicht gescholten werden, wenn er nur en gros berichtet. Von dem ersten der zu besprechenden Trio’s liegt uns in der Clavierstimme zugleich die Partitur vor; es ist von B. E. Philipp [Werk 33][H 1]. Der Name des in Breslau lebenden Tonsetzers kam in der Zeitschrift schon öfters vor. Mit seinem Trio tritt er, irren wir nicht, zum erstenmal mit einem größeren Ensemblestück auf. Es geht in F moll und weicht in der Form von andern nur darin ab, daß es kein Scherzo bringt. Im Uebrigen hat es den rechten Trio-Charakter, d. h. kein Instrument herrscht vor und hat jedes etwas zu sagen. Die Stimmung ist vorherrschend lyrisch; zwar im letzten Satz möchte einiges auf eine dramatische Absicht des Componisten schließen lassen; der Grundton bleibt aber lyrisch. Am schnellsten wirksam scheint der erste Satz; er hat Fluß und rundet sich. Zur größern Wirkung fehlt ihm nur ein bedeutender energischer Schluß; wie er ist, fühlt man, der Componist war am Ende und die Phantasie gab nichts mehr aus. Immerhin gilt er uns als der gelungenste des Trio. Wenig sagt uns das Adagio zu: die ersten acht Tacte der Cantilene sind melodisch gut erfunden, obwohl an das Adagio in Beethoven’s F moll-Sonate erinnernd; die folgenden aber haben keinen musikalischen Fortgang, wie uns auch der Mittelsatz in B moll karg und reizlos dünkt. Der letzte Satz, Finale, schließt sich dem Adagio gut an und nimmt einen kühnen Anlauf. Die ersten [268] Tacte des Allegros gleichen freilich sehr in Bewegung und Charakter dem des letzten Satzes der Cis moll-Phantasie von Beethoven; wenn dadurch die Wirkung geschmälert wird, so versöhnt uns bald der sehr gute und melodisch-schwungvolle Gesang im Dur der großen Unterterz, der dann später, nach herkömmlicher Form, im Dur der Haupttonart wieder erscheint. Eine Stelle des Adagio hebt sich kurz vor dem Schluß noch einmal hervor, wir wissen nicht, ob mit Wirkung. Es hat mit solchen sogenannten „Rückblicken“ sein Gefährliches; wo es nicht (wie z. B. im Finale der C moll-Symphonie, wo das Scherzo wieder auftaucht) im freisten Flug der Phantasie geschieht, so daß wir uns sagen müssen: es kann nicht anders sein, – sieht es leicht gezwungen und gemacht aus; immerhin hat schon die Intention etwas Sinniges und begegnen wir ihr immer gern. In Summa, das Trio wird denen, die nicht immer höchstes Meisterliches wollen, in vielen Parthieen zusagen; das Streben des Componisten war ein unverkennbar gutes, und so wünschen wir, daß er zu ähnlichen Werken größeren Umfangs auch immer bereite Verleger finde, wie den seines Trios, der es freigebig ausgestattet. Das Trio ist Adolph Henselt zugeeignet. –

Ueber ein Trio von Carl Seyler vermögen wir nicht mehr zu sagen, als was uns eine stumme Aufführung nach den herumgelegten einzelnen Stimmen eingibt. Es scheint übrigens klar genug, um eine Partitur zu vermissen, und erhebt sich anscheinend nicht über [269] jenen mittleren Gedankenflug, der immer einige Minuten im Voraus zu errathen, so daß ich mir in den Pausen der Clavierstimme die Füllung der andern Instrumente auch meist ganz gut denken konnte. Der Charakter des Stückes ist modern, gefällig, bürgerlich; Melodie hat es, wenn auch kleine und bekannte; die Harmonie ist leicht, auch richtig. Der Componist scheint, allen Anzeichen nach, ein junger und strebsamer. In einer großen Stadt, wie Wien, auf tüchtigen Wegen zu bleiben, gehört freilich doppelte Kraft dazu. Publicum dort, wie Verleger wollen vor allem Leichtes, Unterhaltendes, und ein Feuerwerker gilt ihnen mehr, als ein rüstiger Gladiator. So kam es oft, daß, die das nicht begriffen und wider den Strom wollten, einsam und beifalllos ihren Weg fortsetzen mußten, während, die sich accommodirten, bald von höherem Streben ablassend, mit den hundert Andern im Strome mitschwammen und spurlos verschwanden. Wir wünschen dem jungen Componisten Ausdauer genug, nicht der letzten Classe zu verfallen. Was ist aller Beifall des Modehaufens gegen den stilleren des echten Künstlers. Das Publicum ist nie zu sättigen, während das fleißig gearbeitete, schön gelungene Kunstwerk Jahrzehnde lang nachhält. Wir sind in diesen moralischen Ton verfallen, weil wir eben wissen, wie oft gut anfangende Talente aus Mangel an Aufmunterung in großen Städten es auch nur bei den Anfängen bewenden ließen. Das „premier Trio“ möge denn nur der Vorläufer der köstlichsten späteren sein und [270] der Componist fortfahren an großen Formen seine Kraft zu stärken und zu meistern. –

An die schon besprochenen Trio’s der HH. Philipp und Seyler schließen sich neu erschienen noch drei an, von A. Fesca, J. P. Pixis und F. Mendelssohn-Bartholdy.

Des Compositionstalentes des ersteren ward schon früher in der Zeitschrift Erwähnung gethan. Man sieht, es geht ihm leicht von der Hand; eine Menge auch größerer Werke seiner Composition ist neuerdings im Druck erschienen. Das Trio [Werk 11, B dur][H 2] hat eine Schmetterlingsnatur, wo nicht der ganze Componist; er kostet und nascht noch in der Kunst, aber mit Lust und Liebe, und dies nimmt für ihn ein. Gern hängt er sich auch an höhere Kunstgenossen. Mendelssohn, Henselt, auch Thalberg, sind mit wenig Mühe wieder zu finden. Die Leichtigkeit und Anmuth aber, mit der er sich anschließt, söhnt schnell wieder aus. Das immer derbere deutsche Element abgerechnet könnte man den jungen Componisten am richtigsten dem französischen Bertini vergleichen. Ob ihm selbst dieser Vergleich gefalle, wissen wir nicht; doch, scheint es, hat er das Zeug, ihn zu nichte zu machen, sich höher hinaufzuarbeiten zu Ernst und männlicherem Ausdruck. So klingt das Trio, wie ein Bertini’sches, durchaus hübsch und gefällig. Nach Grammatik, selbst nach Octaven, Quinten (wenigstens für das Auge) wird nicht viel gefragt; was ihm wohlklingt, schreibt er hin, das Ohr gilt ihm der oberste Richter. [271] Wir haben nichts gegen diesen Grundsatz. Was schön klingt, spottet aller Grammatik, wie was schön ist, aller Aesthetik. Nach alle dem Gesagten wird der Kunstfreund wissen, was er ohngefähr vom Trio zu erwarten hat; es steht vermittelnd zwischen Künstler und Dilettanten und wird allen behagen, die nicht immer nach Höchstem verlangen. Im Besonderen ist noch zu erwähnen, daß das ganze Trio ohne Absatz hintereinander gespielt werden soll. Innigere Verbindung und Beziehung haben die einzelnen Sätze indeß nicht; man kann eben so gut nach jedem eine Pause einschalten. Das Clavier herrscht vor, doch nicht so, daß sich nicht auch die anderen Instrumente gut zeigen könnten, wie denn die Klarheit in Anordnung des Ganzen nur auszuzeichnen ist, doppelt an einem jungen Künstler, wie es der Componist noch sein soll. –

Das Trio von J. P. Pixis ist bereits das sechste des Componisten [Werk 139, Fis moll][H 3], und nach langer Zeit wieder das erste bedeutende Werk, das von ihm erschienen. Gehört in vollständiger Besetzung habe ich es noch nicht; vielleicht, daß es mir sonst auch weniger unklar, weniger zerstückelt erschiene. Der Anfang ist eigen. Das Clavier beginnt mit einer wilden Figur, in die die Bässe den Hauptgedanken des ersten Satzes hineinwerfen; wild scheint der erste Satz überhaupt, so sehr es nämlich ein Componist sein kann, der nicht gerade ein Beethoven ist, der, in Sicilien an der Seite einer gefeierten Tochter unter immergrünen Triumphbögen mitwandelnd, nicht eben [272] Grund haben mag, sich über das Leben zu beklagen. Dem angemessen endigt auch der Satz. Das Capriccio, an der Stelle des Scherzo, scheint sehr pikant und geistreich, wie denn Pixis in solchen kleinen Sachen immer glücklich ist. Das Adagio, sentimentalen Charakters, währt beinahe so lange wie die drei übrigen Sätze zusammengenommen, und wohl zu lange; es ist hier eine Menge Harmonie an einen gewöhnlichen melodischen Gedanken verschwendet, die vereinfacht und verringert dasselbe gewirkt haben würde. Reicheres Leben bringt der Schlußsatz, wie der erste in der seltenen Tonart Fis moll geschrieben und beschlossen. Der Schluß erinnert übrigens an ein Stück aus Rossini’s Soireen, wie die Octavensprünge in der Hauptfigur an die Pauken im Scherzo der D moll-Symphonie von Beethoven. Das Ganze ist glänzend und schwierig, doch auch dankbar. Darf man ihm auch nicht, wie einem Meisterwerke, eine nachhaltigere Wirkung, eine große Lebensdauer zusprechen, so ragt es als Glanz- und Virtuositätsstück doch immer als ein bedeutendes und eigenthümliches hervor, das mehr will als bloße Fertigkeit des Spielers, bloßes Amusement des Zuhörers. –

Es bleibt noch übrig, über Mendelssohn’s Trio [Werk 49, D moll][H 4] etwas zu sagen, – weniges nur, da es sich gewiß schon in Aller Händen befindet. Es ist das Meistertrio der Gegenwart, wie es ihrer Zeit die von Beethoven in B und D, das von Franz Schubert in Es waren; eine gar schöne Composition, die nach Jahren noch Enkel [273] und Urenkel erfreuen wird. Der Sturm der letzten Jahre fängt allmählig sich zu legen an, und, gestehen wir es, hat schon manche Perle an’s Ufer geworfen. Mendelssohn, obschon weniger als Andere von ihm gepackt, bleibt doch immer auch ein Sohn der Zeit, hat auch ringen müssen, hat es auch oft anhören müssen das Geschwätz einiger bornirter Schriftsteller: „die eigentliche Blüthenzeit der Musik sei hinter uns,“ und hat sich emporgerungen, daß wir es wohl sagen dürfen: er ist der Mozart des 19ten Jahrhunderts, der hellste Musiker, der die Widersprüche der Zeit am klarsten durchschaut, und zuerst versöhnt. Und er wird auch nicht der letzte Künstler sein. Nach Mozart kam ein Beethoven; dem neuen Mozart wird ein neuer Beethoven folgen, ja er ist vielleicht schon geboren. Was soll ich noch über dies Trio sagen, was sich nicht jeder, der es gehört, schon selbst gesagt? Am glücklichsten freilich, die es vom Schöpfer selbst gehört. Denn wenn es auch kühnere Virtuosen geben mag, in so zauberischer Frische weiß kaum ein Anderer Mendelssohn’s Werke wiederzugeben, als er selbst. Es schrecke dies Niemanden ab, das Trio auch zu spielen; es hat sogar im Vergleich zu andern, wie z. B. zu den Schubert’s, weniger Schwierigkeiten, wie denn diese bei Kunstwerken ersten Ranges mit der Wirkung immer im Verhältnisse stehen, und je größer jene, je gesteigerter diese ist. Daß das Trio übrigens keines für den Clavierspieler allein ist, daß auch die anderen lebendig einzugreifen haben und auf Genuß und [274] Dank rechnen können, braucht kaum einer Erwähnung. So wirke denn das neue Werk nach allen Seiten wie es soll, und sei uns ein neues Zeugniß der Kunstkraft seines Schöpfers, die jetzt beinahe in ihrer höchsten Blüthe zu stehen scheint. –




Anmerkungen (H)

  1. Zusatz von [GJ]
  2. Zusatz von [GJ]
  3. Zusatz von [GJ]
  4. Zusatz von [GJ]
Drei gute Liederhefte Nach oben Musikleben in Leipzig während des Winters 1839–1840
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