Gesammelte Schriften über Musik und Musiker/II. Heinrich Dorn

I. Studien für das Pianoforte von J. N. Hummel Gesammelte Schriften über Musik und Musiker (1854) von Robert Schumann
II. Heinrich Dorn
H. Vieuxtemps und L. Lacombe


II. Heinrich Dorn’s Tonblumen. [1]


1.


Was spricht denn die Hyacinthe? — sie sagt: mein Leben war so schön wie mein Ende, denn der schönste Gott hat mich geliebt und getödtet. Aus der Asche sproß aber die Blume, die dich trösten möchte.

Und die Narcisse? — sie spricht: denk’ an mich, damit du nicht übermüthig werdest in deiner Schönheit. Denn als ich mein Bild zum erstenmal in den Wellen sah, konnte ich den eignen Reiz nimmer vergessen, so heftig mich auch Echo liebte, die ich verstoßen hatte. Darum haben mich die Götter in die blasse Blume verwandelt, aber ich bin schön und stolz.

Und das Veilchen erzählt: — eine wonnige Maimondnacht war. Flog ein Abendfalter heran, sagte: „küsse mich!” Ich[H 2] aber zog meinen Duft tief in den Kelch, daß er mich für todt hielt. Kam eine lose Zephyrette,[H 3] sagte: „sieh, wie ich dich überall finde, komm doch in meine Arme und in die Welt — da unten sieht dich Niemand.” Als ich antwortete: „ich wolle schlafen“, flog sie fort und sagte: „du bist ein schläfrig eigensinnig Geschöpf, da spiel’ ich mit der Lilie.” — Rollte ein dicker Thautropfen auf mich, sprach: „in deinem Schoß muß sich’s so recht bequem liegen bei Mondschein.” Ich aber schüttelte mit dem Kopf, daß er herunterfiel und zerrann. Als nun auch von fern ein Mondstrahl heranschlich und ich das Geisblatt bat, daß es mich verstecken möchte, sagte die hohe Lilie zu mir: „pfui schäme dich! sieh, wie ich prange, wie mich Schmetterling küßt, Zephyr, Thautropfen und Mondstrahl, und wie die Menschen an mir stehen bleiben und mich „schön“ nennen — dich aber bemerkt in deinem Versteck Niemand.” Antwortete ich: „laß mich nur, hohe Lilie! — denn früh kam ein schüchterner schöner Jüngling zu mir und sprach so freundlich: „wie lieb du bist” — aber warte nur bis Abend, dann pflücke ich dich für sie. Lilie sagte: „dich wollte er pflücken? Du bist ein eingebildet Ding — mir versprach er’s.” Als ich antworten wollte, „du lügst, hohe Lilie”, kam der Jüngling mit dem Mädchen, verschlungen Arm in Arm. Da bog er sich zu mir herunter, sagte: „wie gleichst du ihr” — und brach mich; aber ich ruhe gebrochen so gern an ihrer Brust.


* * *


Das könnte ich mir bei euch denken, ihr Blumen, wäret ihr auch nicht von dem Mann gezogen, der mir Aufklimmenden zuerst die Hand gab,[H 4] und wenn ich zu zweifeln anfing, mich wohl höher zog, damit ich vom gemeinen Menschentreiben weniger sähe und mehr vom reinen Kunstäther.

Sollte Dir, theurer Künstler, dieses Blatt im Norden, wo Du jetzt weilst, in die Hände kommen, so erinnere es Dich an eine vergangene schöne Zeit. –

Euseb.


2.


Ein Geschenk von zwei bis drei Blumen sagt mehr als ein ganzer Tragkorb. Deshalb möchte ich das „Bouquet” weg. Warum so deutsche Blumen in französische parfümirte Töpfe setzen? Ein Titel, wie: „Narcisse, Veilchen und Hyacinthe — drei musikalische Gedichte” klingt auch und gut. — Wie wenig durch Einführung deutscher Titelblätter in der Sache gewonnen wird, weiß ich wohl — wäre es aber auch nur so viel, als Napoleon durch das Verbot des „Staël’schen Deutschlands”[H 5] erreichte, das lautete: es sei das Buch nicht französisch. –

Möglich ist es, daß dem Tauben die Blume eben so duftet, als dem Blinden der Ton klingt. Die Sprache, die hier zu übersetzen war, scheint eine so verwandte und feingeistige, daß der Gedanke an ein Pinseln à la bataille de Ligny etc.[H 6] gar nicht aufkommen kann. So unterscheiden sich auch diese Bilder von anderen klingenden, wie lebende von Porzellanblumen. Nur der Duft ist oben weggenommen, der Geist der Blume. –

Ich habe wenig gesprochen, aber nicht schlecht.

Florestan.




Anmerkungen

  1. Bouquet musicale Oe. 10.[H 1]

Anmerkungen (H)

  1. [MK] Dorn war bekanntlich 1831/32 Schumanns Lehrer in der Theorie. [WS] Heinrich Ludwig Egmont Dorn (1804–1892), deutscher Komponist, Dirigent, Musikdirektor und Musikkritiker. Schumann studierte 1831–32 in Leipzig bei ihm – der einzige professionelle Kompositionsunterricht den er überhaupt hatte.
  2. [WS] Vorlage: mich!” ich
  3. [WS] „Zephyrette“, nicht auflösbar. Allegorien des Windes Zephyr werden allerdings mit Blumen in Verbindung gebracht: „weil auch eine allzu große Hitze, dergleichen die Sonne und Zephyr, als ein laulichter Wind, verursachen können, ebenfalls machen, daß Hyacinthen und andere Blumen verderben.“ Boccac. lib. IV. c. 57.
  4. [GJ] Dorn war Schumanns Lehrer gewesen.
  5. [WS] Anne Louise Germaine de Staël (1766–1817), französische Schriftstellerin. Ihr Buch De l’Allemagne (1813) wurde für die deutsche Romantik wegweisend.
  6. [GJ] S. 67: „Mit solchen Schlachtenmalereien machten die Klavierspieler früherer Zeit viel Glück, namentlich Steibelt mit seiner „Bataille de Jemappes“, „Bataille de Neerwinde“, „L’incendie de Moscou“.. Aber auch die Schlachten von Austerlitz, Jena, Marengo, Wagram, Leipzig u. s. w. wurden musikalisch verwerthet. Beethovens „Schlacht von Vittoria“ hat sie freilich alle überlebt, „Vivat Genius und hol’ der Teufel alle Kritik!“ rief Zelter in lautem Enthusiasmus, als er sie gehört.“
I. Studien für das Pianoforte von J. N. Hummel Nach oben H. Vieuxtemps und L. Lacombe
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