Textdaten
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Autor: H–r.
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Titel: Gerettet
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aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 456–457, 483–484
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1898
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
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[456–457]
Datei:Die Gartenlaube (1898) b 0456.jpg

Gerettet.
Nach dem Gemälde von R. F. Curry.
Von der diesjährigen Münchener Jahresausstellung im Glaspalast.
( gemeinfrei ab 2026)

[483] Gerettet. (Zu dem Bilde S. 456 und 457.) Das ergreifende Bild von R. F. Curry führt uns eine Scene an der Paßstraße des großen St. Bernhard vor. Von Martinach im Wallis sind Vater, Mutter und Kind aufgebrochen, um durch die schweigenden Einöden des [484] Hochgebirges den Weg in die südliche Heimat, vielleicht in die nahen üppigen Gelände von Aosta, zu suchen. Schon liegen die letzten menschlichen Wohnungen hinter ihnen, die Dranse psaltert in den Felsenklüften ihr Donnerlied, an den Gipfeln ist der Herbststurm los. Da erscheint vor den ermüdeten Wanderern das schreckliche Gespenst der Berge, die „Guxete“. Aus einem Schlund des Gebirges saust eine schwarze Wolke, verfinstert mit ihrem Schneegestöber den Weg, die Armen finden den Atem nicht mehr, so reißt und schüttelt sie die Windsbraut, und herzlähmend dringt die Kälte ins Mark. Der Spuk geht rasch vorbei, ein Stündchen noch, dann ist das rettende Hospiz erreicht. Aber das Gespenst erscheint wieder – wieder! Das Kind wimmert: „Mutter, ich bin müde.“ Und jetzt schleicht sich auch den Eltern der Gedanke verführerisch in die ermattenden Sinne: „Ein wenig ruhen!“ Und da stockt der Fuß, schlafüberwältigt sinken sie nebeneinander hin und der Sturm überschüttet mit seinen Flocken den letzten heimatsüßen Traum der Sterbenden. Er soll milde und schmerzlos sein, der Tod auf verschneitem Paßweg! – Diese Verunglückten aber erwachen wieder zum Leben. Sobald die „Guxete“ oder Lawinen im Gebirge wüten, wird es auf dem Hospiz lebendig, die Chorherren des heiligen Bernhard mit ihren Klosterknechten und ihren treuen Hunden sind zur Rettung der Reisenden unterwegs, und mit dem ihnen eigenen Spürsinn wittern die Tiere die Opfer im höchsten Schnee. Sie scharren und wühlen, bis sie die Verschütteten frei haben, sie schnuppern an ihnen, bis die Schlafenden erwachen, sie stellen sich vor die Erschöpften hin, damit diese dem Fäßchen, das ihnen am Halse hängt, den stärkenden Trunk entnehmen, und melden den nachfolgenden Klosterknechten ihren Fund mit freudigem Gebell. Der Volksmund weiß von den Bernhardinerhunden die rührendsten Legenden zu erzählen, und zahlreiche Künstler haben ihre Thaten verherrlicht. Ihr Held ist und bleibt jener Barry, der 17 Reisende aus sicherm Tod gerettet hat, zuletzt aber das Opfer seines Werkes geworden ist, indem er von einem Geretteten, der ihn für einen Wolf hielt, erschlagen wurde. – Seit dem Jahr 962, also über ein Jahrtausend schon, üben die Jünger St. Bernhards ihr Werk der Barmherzigkeit. In den letzten Jahrzehnten ist manches geschehen, damit sich die eisigen Totenkammern des Hospizes nicht mehr mit so vielen Opfern füllen wie früher; mit der Mont Cenis- und Gotthardbahn bestehen Verträge, die den italienischen Konsuln in Frankreich und der Schweiz erlauben, arme Heimatangehörige zu billigstem Entgelt sicher durch die Schrecken der Berge zu führen, und die 12000 bedürftigen Reisenden, die dennoch jährlich die Mildthätigkeit des Hospizes in Anspruch nehmen und seine Mittel beinahe erschöpfen, verteilen sich auf die Jahreszeit, in der die Straße nicht zu gefährlich ist. Von Zeit zu Zeit wiederholen sich doch noch die alten Unfälle und die alten Rettungen und erneuen den Ruhm der Bernhardinerhunde. Im Sommer ziehen reisefrohe Touristen die Menge über den großen St. Bernhard, und nach der Ordensregel stellen die Chorherren auch ihnen für Speise und Trank keine Rechnung, aber wer legt angesichts des großartigen menschenfreundlichen Werkes, das sie erfüllen, dafür nicht gern einen stattlichen Obolus in den Opferstock oes Hospizes? H–r.