Georgien. Natur, Sitten und Bewohner/Von Batum nach Tiflis
Georgien. Natur, Sitten und Bewohner von Arthur Leist |
Tiflis → |
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Nach fast viertägiger Fahrt langte unser Schiff von Odessa kommend im Batumer Hafen an und obwohl froh so nahe am Ziele meiner Wünsche zu sein, hätte ich doch noch mit Freuden die Seereise fortgesetzt, denn was giebt es Herrlicheres, Poesiereicheres als eine Wanderfahrt auf sommerlich ruhiger See, wenn das Schiff an malerischen Küsten vorübergleitet und wundervolle Mondscheinnächte die azurblaue See und ihre im Silberschimmer schwindenden Ufer in eine wahre Märchenwelt verwandeln! Zuerst hatte uns das prachtreiche, gebirgige und mit schönen Schlössern und Villen besetzte Südufer der Krim entzückt, darauf aber die unbeschreiblich schöne Küste Kaukasiens mit ihren weit die Wolken überragenden Bergen. Einen ganzen Tag hatten wir das Schauspiel seiner malerischen Berglandschaften, jede Stunde rollten sich in der Ferne neue Bilder auf, deren grüner Waldschimmer mit mächtigen, in der Sonne glänzenden Schneefeldern gekrönt war. Doch still ist es auf diesen grünen Bergen, still in den wonnig grünen Thälem, denn das ganze kaukasische Westufer [2] ist seit dem Auszuge der Tscherkessen fast unbewohnt und nur hie und da lassen angebaute Felder die Nähe von Menschen vermuten. Ganze Dörfer liegen verlassen da, auf hohen Bergen ragen vereinsamte Burgen schweigsam in den herrlichen Sommerglanz der Natur hinaus und weit ringsumher herrscht Totenstille, die zwar nicht reizlos ist, aber immerhin einen höchst traurigen Eindruck macht.
Batum, welches erst seit dem letzten Berliner Traktate zu Russland gehört, ist ein asiatisches Nest, das zwar schon einigen europäischen Schmuck angelegt hat, dessen Gesamtbild aber immer noch den Stempel türkischer Verwahrlosung an sich trägt. Die geringe Zivilisation, die hier seit den paar Jahren Wurzel geschlagen, scheint übrigens nicht schlecht fortzukommen, denn Batum hat heute schon seine erträglich bequemen Hotels, einige Läden und einen hölzernen Bahnhof. Auch besitzt es einen vorzüglichen Hafen, den jedoch weder Russen noch Türken gebaut haben, denn er ist nichts weiter als eine von Bergen geschützte Bucht und seine Baumeisterin ist die Mutter Natur, die überhaupt für Batum sehr gnädig ist und es Jahr aus, Jahr ein mit ewigem Frühlinge versorgt. Das Klima ist hier ein sehr mildes und wäre eines der gesündesten der Erde, wenn sich die Fieberluft aus diesen herrlichen Thälern verdrängen liesse.
Der üppige Pflanzenwuchs und die zahlreichen Sümpfe, die noch lange nicht ausgetrocknet sind, sichern aber dem Fieber noch für lange das Dasein in Batums paradiesischer Umgegend und bis dahin wird wohl von einem wirklichen Aufschwunge dieser Stadt keine Rede sein. Übrigens benimmt sich das Batumer Sumpffieber nicht gegen Alle auf gleiche Weise. Manche leiden Jahre lang daran wie am Rheumatismus, andere fallen ihm in kurzer Zeit zum Opfer, während nicht wenige gar keine Bekanntschaft mit ihm haben und es geradezu verspotten. Es geschieht mit ihm [3] wie mit der Liebe, obgleich mir ein Quarantänebeamte versicherte, dass gegen Liebe und Fieber alle Quarantänemassregeln erfolglos seien.
Für den, der den Orient zum ersten Male besucht, mag Batum immerhin einigen Reiz besitzen, obgleich sein orientalisches Leben selbst einem türkischen Effendi ganz erbärmlich erscheinen muss. Elende Häuser, einige Moscheen, halb zerlumpte Türken und Griechen und mitunter ein phantomartig verschleiertes Weib sind übrigens Alles, was Batum an orientalischen Bildern bietet. Zudem haftet an dem Gesamtbilde der Stadt noch ein sehr prosaischer Anflug hoher Zivilisation, denn Feuer, Wasser, Luft und Erde duften hier nach Petroleum, für welches Batum ein wichtiger Ausfuhrplatz ist.
Petroleumduft und Fieberluft sind nicht gerade anziehend, weshalb ich auch Batum gern den Rücken kehrte und mich zur Weiterreise nach Tiflis anschickte.
Die Eisenbahn dahin führt durch Gurien und Imeretien, zwei der schönsten Provinzen des alten Georgiens, das einst in den Tagen seiner Macht bis an das Schwarze Meer reichte und die ganze Landstrecke zwischen dem grossen und kleinen Kaukasus umfasste. Mingrelien, Gurien, Imeretien, Kartalinien und Kachetien waren damals seine Provinzen und erst später in den Zeiten des Verfalls zerfiel das Bagratidenreich in einzelne kleine Staaten, die ihre eigenen Fürsten hatten und durch ihre langwierigen Zwiste den Untergang der Selbstständigkeit Georgiens herbeiführten.
Bald hinter Batum nähert sich der Schienenweg dem Meeresufer und läuft eine weite Strecke längs demselben hin. Das schöne, blaue Meer, die herrliche Azurwelt lacht gar wonnig im Sonnenglanze und frisch toben die Wellen an das Ufer und werfen ihre Wasserperlen bis herauf auf den Schienendamm. Bald ist die weite Meeresfläche von einem grünen Schimmer überflogen, bald färbt sie sich veilchenblau [4] und wie Sträusse von Schneeblumen gaukeln über diesem Farbenspiele die weissen Kämme der Wogen.
Auf der andern Seite der Bahn erheben sich grüne Berge, die uns mächtig zu sich locken, hinauf auf ihre Gipfel, wo riesige Bäume ihre Laubkronen im frischen Winde wiegen. Zwischen den Bergen lachen freundliche Thäler, die in einem immergrünen Pflanzenschmucke prangen, denn die zartesten Gewächse des Südens gedeihen hier ohne Pflege und bedecken frei und wild die Bergabhänge.
Endlich entschwindet das Meer unsern Blicken und wir gelangen in einen schönen Wald, dessen undurchdringliches Dickicht einem Urwalde gleicht und ohne Zweifel ist dieses grüne Labyrinth noch nie in seinem ganzen Umfange von Menschenhand berührt worden. Alte, mächtige Riesen stehen hier neben jungen frisch emporschiessenden Zwergen, überall wuchert Grün hervor, überall blüht es und selbst die Stämme und Äste der Bäume sind bis in die Wipfel hinauf mit Schlingpflanzen berankt. Dazwischen liegen modernde Stämme am Boden, die wohl keine Menschenhand gefällt, sondern das Alter gebrochen haben mag und über sie hinweg wuchert ein neues Pflanzengeschlecht, die alten Baumleichen mit seinem frischen Laube bedeckend. An Stellen, wo die Bäume fehlen, bedeckt dichtes Gestrüpp den Erdboden oder Tausende von riesigen Farrnkräutern, deren Kronen sich zwischen Gräsern und Blumen wiegen.
Inmitten dieser Waldherrlichkeit flöten hunderte von Nachtigallen ihr nie ausgesungenes Lied, und so laut sind diese Flötentöne, dass wir trotz des Getöses, welches der dahinbrausende Eisenbahnzug verursacht, jeden ihrer Akkorde deutlich vernehmen.
Wir sind hier an der Grenze Guriens und Mingreliens, dem alten Kolchis, aus dem einst Jason das goldene Vliess und die Giftmischerin Medea holte. Eben steigen zwei Mingrelierinnen in unseren Waggon, die ersten Töchter [5] des Landes, die mir begegnen. In ihren Gesichtszügen liegt Anmut und Milde, aber kein verführerischer Reiz und überhaupt nichts, das an eine Medea erinnerte.
In Samtredi betreten wir Imeretien, das eigentliche Herz Georgiens. Von der Südseite haben wir immer noch die grünen, schönen Berge des kleinen Kaukasus, während sich im Norden eine lachende Ebene aufthut, an deren Endsaume sich von neuem bewaldete Berge erheben. Nicht weit vom Schienenwege rauscht der Rion dahin, ein schöner reissender Strom, dessen Ufer grüne Fluren und Weidenhaine schmücken.
Imeretien ist dichter bevölkert als Gurien und Mingrelien und oft tauchen jetzt in der Nähe und Ferne Dörfer auf, zwischen welchen sich Gärten, Äcker und Wiesen hinziehen. Ausser bedeutenden Maispflanzungen, sieht man auch Getreidefelder, die dem Landschaftsbilde einen heiteren Anflug von Kultur verleihen und auf die Nähe von Menschen hindeuten, deren Spuren wir so lange in Guriens Urwäldern vermisst haben. Auf üppigen Weideplätzen tummeln sich grosse Herden von Schafen und Büffeln und dann und wann begegnen wir pflügenden Landleuten oder dicht am Schienendamme ruhenden Hirten, die so das ländliche Lebensbild vervollständigen.
Immer schöner, malerischer und verschiedenartiger wird die Landschaft, und ohne Übertreibung darf man diese Eisenbahnlinie zu den reizvollsten in ganz Europa rechnen, wenn sie nicht etwa gar alle andern an Naturschönheiten übertrifft. Schwerlich findet man wo anders so herrlich grüne Berge und so malerische Thäler wie hier.
Auf jeder Station vergrössert unsere Reisegesellschaft und zwar sind es meist Georgier und Georgierinnen, die sich uns zur Weiterfahrt anschliessen. Auf den Bahnhöfen bieten uns Bauernknaben Kirschen, Erdbeeren und Rosen zum Kaufe an, in den Wartesälen wimmelt es von malerischen Gestalten, es blinken silberne Säbelscheiden [6] und Kinschals, dunkle Frauenaugen funkeln dazwischen und auf den Tischen perlt feuriger Kachetinerwein in die Gläser.
Ja, ich bin in Georgien, dem Lande eines beständigen Frühlings, dem Lande der Lorbeerhaine und Weingärten, der schönen Frauen und kühnen Ritter!
Schon nähert sich der Eisenbahnzug der Stadt Kutais und wir gelangen in eine Ebene, zu deren beiden Seiten jedoch die Berge fortwährend sichtbar sind. Diese Ebene hat eine Breite von mehr als fünfzig Kilometern und gehört zu den gesegnetsten Landstrichen der Provinz Imeretien. Grüne Fluren, üppige Gärten und Haine prangen in der Nähe wie in der Ferne und über dieser wonnigen Frühlingspracht lacht der heitere Himmel des Südens. Auf der Station Rion hält der Zug etwas länger, denn von hier geht eine kurze Zweigbahn nach Kutais. Ich bin also im Herzen Imeretiens, dieser Perle Georgiens, deren Rosen und schöne Töchter weithin berühmt sind. Auf das Wohl der letzteren leere ich ein paar Gläser Kachetinerwein, werfe dann einige verstohlene Blicke auf die vor dem Bahnhofe spazierenden Kutaiserinnen und weiter geht es nach Tiflis.
Den Rion haben wir nun nahe zur rechten Seite, so dass wir ununterbrochen die Schönheit seiner Uferlandschaften geniessen können. Rechts wie links türmen sich herrliche Berge empor, deren Schmuck von Bäumen, Sträuchern und Blumen die prächtigsten Bilder darbietet. Selbst die mächtigen Felsen, durch deren Chaos sich der brausende Rion hindurchwindet, sind mit Bäumen und blühenden Schlingpflanzen besetzt, deren lange Zweige bis in die schäumende Flut herabhängen.
Bald beginnt die Bahn zu steigen, die Berge werden immer höher und immer verschiedenartiger die Landschaften, die wie Zauberbilder bei jeder Wendung der Bahnlinie in neuer, überraschender Pracht hervortreten. [7] Lange keucht der Zug an Bergrändem empor, immer höher, bis wir endlich im Surampasse anlangen. Wer Augen hat, der schaue jetzt, wer ein Herz hat, der empfinde die Wonne dieser Herrlichkeit, denn ein Paradies ohne Gleichen thut sich hier den Blicken auf!
Entzücken malt sich auf dem Antlitze eines Jeden und in begeisterten Worten äussert sich dasselbe. Fürwahr, herrlich diese Gebirgslandschaft, so herrlich, dass sich ihre Pracht gar nicht beschreiben lässt und mein Nachbar hatte Recht, wenn er sagte, dass man jeden einzelnen Berg und Felsen, jeden Baum und Strauch, jede Blumenflur und Quelle beschreiben müsse, um diese Schönheit annähernd in Worten auszudrücken.
Von Poni ab senkt sich die Bahnlinie wieder und nach einer halbstündigen Fahrt sind wir in der Ebene, wo uns jetzt der Kur, der König der kaukasischen Ströme, begleitet. Seine Wellen sind jedoch trübe und wenn ihn trotzdem georgische Dichter besingen, so thun sie das wohl seiner stellenweise schönen Ufer wegen, aber nicht um seine „klare Flut“ zu verherrlichen. Doch grosse Ströme haben ihren Reiz und ihre Bedeutung im Leben der Menschen, die an ihren Ufern wohnen, und daher empfindet jeder soviel Anhänglichkeit an seinen Heimatsstrom. Die Georgier, denen die Augen funkeln, wenn sie ihre unvergleichlich schönen Berge anschauen, besingen daher auch ihren Kur, obgleich seine Wellen trübe und oft sogar schmutzig sind. Prangen doch an seinen Ufern üppige Fluren und stehen alte Kirchen und Burgen, die soviel aus des Landes Vergangenheit zu erzählen haben!
Der Zug dampft weiter durch die Ebene, die immer noch schön ist, aber schon sinkt der Abend hernieder und er sinkt nicht langsam wie bei uns im Norden, sondern mit Eile; kaum ist die Sonne verschwunden und schon breitet die Nacht ihren Schleier aus.
In der Ferne fahren Blitzstrahlen am Himmel dahin, [8] die stets für einen Augenblick die schon schlummernden Fluren Georgiens[WS 1] beleuchten. Da erlöschen die Sterne am Himmel und ein Märchenschimmer tritt ein, eine Dämmerung, wie sie sich schöner nicht träumen lässt. In ihrem Zwielichte sehen wir das Grün der Bäume und die Blütensträusse der Rosen, aber dieses Zauberbild schwindet so schnell wie es erschienen und wieder ist es Nacht und die Sterne glänzen am Himmel.
Dann steigt der Mond weit hinter den Bergen auf und sein Silberschimmer ergiesst sich auf diese Märchenwelt und von neuem liegen Berge und Fluren im Zauberscheine da.
Weiter, weiter dampft unser Zug gen Tiflis, immer mehr nähern wir uns der alten Hauptstadt Georgiens. Schon dringt aus der Ferne ein dumpfes Getöse zu uns her, das allmälig stärker und deutlicher wird, dann erblicken wir Lichtschein, Gärten, Häuser, wir vernehmen Wagengerassel, die Lokomotive pfeift, ihr Gang wird schwächer — wir sind in Tiflis.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Gorgiens