General Sheridan in New-Orleans

Textdaten
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Autor: R. Elcho
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Titel: General Sheridan in New-Orleans
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aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 122–123
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[122] General Sheridan in New-Orleans. Der am 4. Januar dieses Jahres begangene Gewaltact im Hause der Repräsentanten des Staates Louisiana hat in den Vereinigten Staaten einen Sturm erregt, dessen hochgehende Wogen noch heute gegen das stolze Piedestal branden, auf welches die Bürger der Union den Präsidenten Grant stellten.

An diesem Tage hat ein Soldat, der General de Tobriand, es gewagt, an der Spitze von zwanzig Untergebenen in die Legislatur des Staates einzubrechen und fünf conservative Mitglieder derselben aus dem Sitzungssaale werfen zu lassen. Ein solcher Act ist unerhört in der Geschichte der Union und mit Recht rief Louis Wilts, der Sprecher des Hauses: „Louisiana hat aufgehört, ein souveräner Staat zu sein.“ Die Folgen der That sind bekannt. In New Orleans constituirten sich zwei Legislaturen. General Sheridan übernahm persönlich das Militärcommando und telegraphirte an den Präsidenten Grant, daß die Civilregierung des Staates Louisiana außer Stande sei, die Ordnung aufrecht zu erhalten; darum müsse über denselben der Belagerungszustand verhängt werden.

Grant billigte alle militärischen Maßregeln und zeigte sich nicht abgeneigt, auf Sheridan’s Verlangen einzugehen. Dies wird, soweit ich die Amerikaner kenne, dem Präsidenten den besseren Theil seiner republikanischen Freunde für immer entfremden.

Was den kleinen Phil. Henry Sheridan angeht, so dürfte ein Erinnerungsblatt aus vergangenen Tagen zur Genüge darthun, daß der Generallieutenant für keine Zustände so sehr schwärmt, als für Belagerungszustände. In dem Manne steckt ein Dictator. Wir wollen herzlich wünschen, daß die transatlantische Republik niemals in die Lage komme, von diesen hervorragenden Anlagen Sheridan’s Gebrauch machen zu müssen.

Sheridan erhielt bereits im Winter des Jahres 1865 im Staate Louisiana das Militärcommando und verlegte sein Hauptquartier nach New-Orleans, wo er kräftiglich bemüht war, die Wiederherstellungsacte durchzuführen. Als der Präsident Johnson diesen gewaltsamen Bemühungen durch die Abberufung des Generals ein Ziel setzte, gab sich im Norden eine große Entrüstung kund. Es ist wahrscheinlich, daß Johnson sich bei diesem Schritte von unlauteren Motiven leiten ließ, allein gewiß ist, daß Sheridan durch sein barsches Auftreten viel an der Verschärfung des genugsam ausgebildeten Racenhasses in Louisiana verschuldete und daß er sich bei der Anwendung seiner fast unumschränkten Macht Vollkommenheit nicht immer von der Rücksicht für Recht und Billigkeit leiten ließ.

Im französischen Opernhause zu New-Orleans spielte zu jener Zeit eine deutsche Schauspielertruppe, welche bei der geringen Anzahl der in der Stadt wohnenden Deutschen und der durch den Krieg herbeigeführten Geldcalamität Mühe hatte, die weiten Räume des prächtigen Theaters zu füllen. Zum Heile der Gesellschaft meldete sich Ende December eine italienische Operntruppe zum Gastspiele, welche – das ließ sich voraussehen – brillante Einnahmen erzielen mußte. Die Oper sollte viermal in der Woche Vorstellungen geben und dreimal die deutsche Gesellschaft. Als der Impressario eintraf, ließ dieser durch den deutschen Director ein Logenabonnement eröffnen. Schon waren die Logen alle vergriffen, da sandte General Sheridan einen Adjutanten auf’s Bureau und ließ für sich die große Prosceniumsloge rechts vom Parterre in Beschlag legen.

Diese Maßregel rief bei dem deutschen Director wie dessen Gesellschaft eine nicht geringe Bestürzung hervor, denn gerade diese Loge war von einer Familie bereits gemiethet, welche ein Anrecht darauf besaß.

Der Lohgerber N., ein biederer Schwabe, hatte das deutsche Schauspielunternehmen so zu sagen in's Leben gerufen. Er unterstützte die Direction mit reichen Geldmitteln und war seit Eröffnung des Theaters stetiger Abonnent dieser Loge gewesen. Abend für Abend war dieser treue Kunstmäcen in jener Loge erschienen, hatte sich in den weichen Sammetfauteuil gestreckt und war bei den Klängen der Ouverture fest eingeschlafen, um nicht eher wieder zu erwachen, als bis der Vorhang fiel. Welch’ einen beruhigenden Einfluß der Anblick dieses wackeren Schläfers auf die vom Coulissenfieber befallenen Darsteller ausübte, möge der unparteiische Leser selber beurtheilen. Andererseits aber floß aus dieser Loge den Schauspielern, welche sich in animirter Stimmung befanden, auch wieder ein reicher Strom der Ermunterung zu. Dem braven Schläfer gegenüber hatte nämlich dessen Gattin, eine höchst würdige Matrone, Platz genommen, welche nicht schlief, sondern mit gespannter Aufmerksamkeit den Gang des Spiels verfolgte. Bei alledem war es nicht der sittliche Ernst dieser Dame, welcher einen belebenden Einfluß ausübte, so hoch ich denselben auch sonst immer anschlage. Die Person, welche eine nie versiechende Quelle der Anregung und stummen Heiterkeit ausströmte, saß im Schooße der Dame und war keine andere als Chrischtöffle, das schwarze Adoptivkind der Familie.

Chrischtöffle war ein Vollblutneger im Alter von sieben Jahren, den die Lohgerberfamilie adoptirt hatte, als dessen Mutter, eine treue Person, dem gelben Fieber zum Opfer fiel. Der lebhafte Knabe hatte eine ebenholzschwarze Hautfarbe, blendend weiße Zähne, aber die edlere Gesichtsbildung der Negerstämme im Hochlande Centralafrikas. Was nun den pikanten Zug im Wesen dieses schwarzen Knaben ausmachte, war der [123] seltene Umstand, daß, er von der englischen und französischen Sprache nur höchst unvollkommene Begriffe hatte, dagegen die alemannische Mundart in der ganzen ungetrübten Reinheit, wie sie zwischen Neckar und Rhein erklingt, zu Gehör brachte.

Chrischtöffle war der lebhafteste Zuschauer, welchen das deutsche Theater je aufzuweisen hatte: er klatschte in die Hände, fletschte die Zähne, kicherte überlaut, weinte dicke Thränen beim kläglichen Schicksale der Genoveva und warf dem Franz Moor, Jago oder Wurm pantomimisch stets die ärgsten Drohungen an den Kopf. Bei Gastspielen oder sonstigen feierlichen Gelegenheiten erschien Chrischtöffle stets mit einem Lorbeerkranze an der Logenbrüstung, den er aber nie dem Gaste, sondern immer dem Komiker des Stückes zuwarf. Ging ein Schauspieler an des Lohgerbers Haus vorüber, so durfte er stets erwarten, daß ihm Chrischtöffle mit einer kritischen Bemerkung unter die Augen trete, welche entweder dahin lautete: „Ihr hent awer wüschte Faxe gemacht,“ oder im Falle des Wohlwollens und besonderer Gnade: „Du bischt emol e scharfer Spieler.“

Daß bei einer solchen Sachlage Chrischtöffle den Gegenstand des Ergötzens aller Schauspieler und Theaterbesucher in gleichem Maße bildete, begreift sich leicht – und er sollte nun aus einer Loge verbannt werden, in welcher seit Monden seine persönlichen Eigenschaften zu so vortrefflicher Geltung kamen! Alle deutschen Gemüther empörten sich.

Sofort begab sich Director O. nach Sheridan’s Hauptquartier, und da ihm eine Audienz zugestanden wurde, stellte er dem General vor, daß er mit Rücksicht auf seine hervorragende Stellung ihm die schönste Loge im Centrum des Theaters reservirt hätte, die verlangte sei dagegen an eine Familie verkauft, welcher er großen Dank schulde und die außerdem seit der Erbauung des Opernhauses sich im Besitze derselben befinde.

Sheridan schnitt diese Vorstellungen mit einem kurzen „Das kümmert mich nicht!“ ab. – „Wenn diese Leute so lange in der einen Loge gesessen haben, so können sie sich zufrieden geben und endlich einmal Andere darin Platz nehmen lassen.“

„Wie aber in aller Welt soll ich die rechtmäßigen Eigenthümer daraus vertreiben?“ wagte der Director einzuwenden.

„Das ist Ihre Sache.“

„Ich kann es nicht –“

„Sie können es nicht?“ rief jetzt Sheridan ungeduldig und trat in drohender Haltung vor den Schauspieldirector hin. „So kann ich es. Wenn am Tage der ersten Vorstellung diese Loge nicht in meinem Besitze ist, so schließe ich das Theater zu und mache einen Pferdestall daraus.“

„Herr General,“ stammelte O. und erbleichte, „mit welchem Rechte –“

„Mit welchem Rechte?“ unterbrach ihn Sheridan verächtlich. „Haben Sie vergessen, daß das Kriegsrecht über diese Rebellenstadt verhängt ist und daß ich jedes Gebäude der Stadt zu militärischen Zwecken verwenden kann? Erhalte ich die Prosceniumsloge nicht, so wiehern morgen die Pferde meiner Officiere an derselben Stelle, wo Faust und Margarethe ihr Duett flöten sollten.“

„Aber das sind ja Zustände –“

„Wie sie Ihnen nicht gefallen? – Ich meinerseits befinde mich äußerst wohl dabei.“ Sprach’s und ging lächelnd von dannen. –

Mit dem Gefühl tiefster Zerknirschung theilte der rathlose Director seinem freundlichen Mäcen das traurige Dilemma mit, vor welches ihn die unbillige Forderung Sheridan’s gestellt habe. Der Lohgerber fügte sich in das Unvermeidliche mit den Worten:

„Sehe Se, liewer Director, die Säwelrassler bleiwe sich in der ganze Welt gleich. Sitze die emol uf dem hohe Pferd, dann frage se nimmer was das Gesetz, sondern was die Gewalt ihne erlaubt.“ –

Am ersten Opernabend war das prächtige Theater zum Erdrücken gefüllt. Der Glanz der alten Sclavenstadt schien wieder erwacht zu sein, denn Hunderte von dunkeläugigen Creolinnen paradirten in reichster Toilette und mit der Camelie im schwarzen Haar. Aber an derselben Stelle, wo einst Chrischtöffle’s rabenschwarzes Antlitz glänzte, das alle Zuschauer zum Enthusiasmus anfeuerte, sah man heute nur Uniformem.

In vorderster Reihe saß Philipp Henry Sheridan, der Sieger von Five-Forks und Sailors Creek, der Mann, dessen glücklichem Eingreifen bei Appomattox Grant es vorzugsweise dankte, daß der Löwe des Südens, Sir Robert Lee, die Waffen streckte. Sheridan zählte damals erst vierunddreißig Jahre, und da er klein von Gestalt, begabt mit einem runden unschönen Gesicht und von lebhaften Bewegungen ist, so glaubte man den jungen kecken Lieutenant noch vor sich zu sehen, der einst bei den Cascaden des Columbia die Indianer in die Enge trieb. Seine hohe Begabung als Taktiker wurde damals gerade in militärischen Kreisen auf’s Rühmendste anerkannt, und Officiere, welche im Pulverdampf grau wurden, behaupteten, daß die blitzartige Schnelligkeit, mit welcher dieser Cavalleriegeneral seine Dispositionen treffe, geradezu einzig dastehe und nur mit dem raschen Handeln des alten Ziethen verglichen werden könne.

Um so beklagenswerther, daß ein Mann von so hervorragenden Talenten sich nicht den schlichten Bürgersinn bewahrt hat, welcher einen Helden wie George Washington zu jeder Zeit des Lebens auszeichnete.

Warum bestand aber Sheridan gerade auf den Besitz dieser Loge, welche nur zwei Personen einen freien Blick auf die Bühne gestattete, während die in zweiter Reihe sitzenden Officiere so gut wie nichts sahen?

Meine Blicke fielen auf die gegenüberliegende Prosceniumsloge, und nun bemerkte ich zu meiner Verwunderung, daß die Augen aller meiner Nachbarn nach derselben Stelle gerichtet waren. In dieser Loge befand sich Prinzessin Ruth. – Wer war Prinzessin Ruth? – Niemand konnte es sagen, selbst nicht der reiche Kranz ihrer Bewunderer, welcher sich des Abends in ihrer einsamen, von einem Orangenwalde umhegten Villa zusammenfand. Wie das Mädchen aus der Fremde tauchte sie in New-Orleans auf, und so verschwand sie auch wieder; allein – um die Wahrheit zu gestehen – sie nahm mehr Gaben mit sich, als sie austheilte. Der Titel „Prinzessin“ gab ihr keinerlei Anwartschaft auf den Gothaer Hofkalender, denn derselbe verdankte seine Entstehung lediglich der Erfindungsgabe einiger geistreicher Anbeter. Anlaß zu dieser Auszeichnung boten theils die erstaunliche, fast unirdische Schönheit der Miß Ruth, theils ihr vornehmes Auftreten. Nie erschien sie in einer andern Tracht als in einem schmelzbesäeten schwarzen Seidenkleide; nie schmückte ein anderer Zierrath ihr Haar als eine dunkle Granatblüthe, und nie sah man sie auf der Straße in anderer Gesellschaft als der einer jüngern Schwester von milder, knospenartiger, aber ebenso auffallender Schönheit. In wahrhaft königlicher Majestät lehnte sich Prinzessin Ruth gegen die Logenbrüstung, und als sei sie des Anstarrens müde, ließ sie langsam die dunkeln Wimpern ihr gluthsprühendes Auge beschatten. Nachlässig spielten ihre schlanken Finger mit einem breiten schwarzbefiederten Fächer, dessen weiße Elfenbeinstäbe weithin sichtbar waren.

Der Vorhang rauschte auf. Aller Augen wendeten sich nach der Bühne; nur die Sheridan’s nicht. Jetzt spielte Prinzessin Ruth mit den weißen Fächerstäben. – Was war das? Diese Stäbe waren jeder Schiebung zugänglich. Jetzt bildeten sie römische Ziffern. Die Prinzessin telegraphirte, und dann richtete sie einen flammenden Blick nach des Generals Loge. Sheridan’s Auge schien achtlos über das schöne Weib zu streifen, dann plötzlich nickte er wie Boas bei der Aehrenlese. … Die Südstaaten, und vor Allem das reiche Louisiana, seufzen heute unter dem Fluche, den sie durch die Sclaverei auf sich geladen. Der Racenkampf bildet die offene Wunde am Körper der Union; nur die Zeit kann diese heilen. Wer aber den Heilungsproceß beschleunigen will, der kann dies nur durch Vermehrung der Schulen, Förderung der Einwanderung und nachdrücklichen Schutz der Gesetze. Belagerungszustände aber und Gewaltmittelchen, wie sie General Sheridan liebt, reißen die klaffende Wunde nur noch weiter auf.

R. Elcho.