Textdaten
Autor: Rudolf Lavant
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Titel: Geisterspuk
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aus: Der Wahre Jacob
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: J. H. W. Dietz
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Erscheinungsort: Stuttgart
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Quelle: Scan
Kurzbeschreibung:
Der Wahre Jacob, Nr. 190, Seite 1583
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[1583]

Geisterspuk.

Ich habe schwer geträumt die lange Nacht.
Ich ward geführt vom mächt’gen Gott der Träume
Durch langer Säulengänge Marmorpracht.
In eines fürstlichen Palastes Räume.

5
In weiche Kissen sank ich müde dann,

Zu rasten in der Herrlichkeit auf Stunden,
Und neidenswerth schien mir ― im Traum ― der Mann,
Der hier sein Heim, sein sich’res Heim gefunden.

Von seinem Duft, Gesang und Harfenlaut

10
Ward wie von weichen Wellen ich getragen

Und zu der Decke hab’ ich aufgeschaut,
Gedankenlos, in köstlichem Behagen.
Da schlug urplötzlich mich in seinen Bann
Ein tödtliches, entsetzliches Erschrecken,

15
Denn Staub und Kalk und loser Mörtel rann

Und rieselte herab in allen Ecken.

Wohl klang sie fort, die Stimme weich und tief,
Beschwichtigend mit Nachtigallentönen,
Doch durch die Mauern des Palastes lief

20
Wie Knistern es und dumpfes Balkenstöhnen.

Und ab und zu ein Splittern scharf und kurz,
Von Wellen des Gesanges überflossen!
Wie nahe war, wie ferne noch der Sturz
Des goldnen Bau’s, in dem ich eingeschlossen?

25
Und athemlos, mit schreckensbleichem Mund

Rang ich umsonst danach mich zu erheben,
Denn von der höchsten Zinne bis zum Grund
Erschütterte den stolzen Bau ein Beben.
Dem Schauern welken Laubs sein Zittern glich

30
Und Glied auf Glied schien man ihm auszurenken

Und wie der Wände Stütze wankend wich,
Schien seine Decke sich herabzusenken.

Und ob er mühsam Halt und Gleichgewicht
In wildem Krampfe sich zurückgewonnen ―

35
Gerettet schien er mir noch lange nicht,

Nur einer Form des Untergangs entronnen.
Noch immer schmeichelte das Lied dem Ohr,
Doch hört’ ich über mir der Flammen Wehen
Und taumelnd sprang vom Lager ich empor,

40
Um dem Verderben flüchtend zu entgehen.


Ich schluckte Rauch mit jedem Athemzug;
Grau durch die Hallen wälzten sich die Massen,
Als zum Portal der irre Fuß mich trug,
Doch sollt’ ich nicht den Schreckensort verlassen,

45
Denn trübe Fluth nur sah ich ringsumher

Und nirgends war ein Retter zu errufen,
Und dieses düstre, weißbeschäumte Meer
Bespülte gierig schon die ersten Stufen.

Da, in der höchsten Noth bin ich erwacht,

50
Bevor die Trümmer in der Fluth versanken,

Und wie durch Zauber wich der Spuk der Nacht,
Der nur ein Widerspiel der Taggedanken.
Denn was in buntem Bilde nur der Traum,
Der quälende, gezeigt, daß rasch es schwinde ―

55
Es ist kein Tag, ja eine Stunde kaum,

Da ich es nicht als Wirklichkeit empfinde.
                                                                      R.L.