Geisterspuk
[1583]
Geisterspuk.
Ich habe schwer geträumt die lange Nacht.
Ich ward geführt vom mächt’gen Gott der Träume
Durch langer Säulengänge Marmorpracht.
In eines fürstlichen Palastes Räume.
Zu rasten in der Herrlichkeit auf Stunden,
Und neidenswerth schien mir ― im Traum ― der Mann,
Der hier sein Heim, sein sich’res Heim gefunden.
Von seinem Duft, Gesang und Harfenlaut
Und zu der Decke hab’ ich aufgeschaut,
Gedankenlos, in köstlichem Behagen.
Da schlug urplötzlich mich in seinen Bann
Ein tödtliches, entsetzliches Erschrecken,
Und rieselte herab in allen Ecken.
Wohl klang sie fort, die Stimme weich und tief,
Beschwichtigend mit Nachtigallentönen,
Doch durch die Mauern des Palastes lief
Und ab und zu ein Splittern scharf und kurz,
Von Wellen des Gesanges überflossen!
Wie nahe war, wie ferne noch der Sturz
Des goldnen Bau’s, in dem ich eingeschlossen?
Rang ich umsonst danach mich zu erheben,
Denn von der höchsten Zinne bis zum Grund
Erschütterte den stolzen Bau ein Beben.
Dem Schauern welken Laubs sein Zittern glich
Und wie der Wände Stütze wankend wich,
Schien seine Decke sich herabzusenken.
Und ob er mühsam Halt und Gleichgewicht
In wildem Krampfe sich zurückgewonnen ―
Nur einer Form des Untergangs entronnen.
Noch immer schmeichelte das Lied dem Ohr,
Doch hört’ ich über mir der Flammen Wehen
Und taumelnd sprang vom Lager ich empor,
Ich schluckte Rauch mit jedem Athemzug;
Grau durch die Hallen wälzten sich die Massen,
Als zum Portal der irre Fuß mich trug,
Doch sollt’ ich nicht den Schreckensort verlassen,
Und nirgends war ein Retter zu errufen,
Und dieses düstre, weißbeschäumte Meer
Bespülte gierig schon die ersten Stufen.
Da, in der höchsten Noth bin ich erwacht,
Und wie durch Zauber wich der Spuk der Nacht,
Der nur ein Widerspiel der Taggedanken.
Denn was in buntem Bilde nur der Traum,
Der quälende, gezeigt, daß rasch es schwinde ―
Da ich es nicht als Wirklichkeit empfinde.
R.L.