Geheimbünde bei den Naturvölkern

Textdaten
Autor: Walther Kabel
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Titel: Geheimbünde bei den Naturvölkern
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aus: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1911, Bd. 13, S. 213–216
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Erscheinungsdatum: 1911
Verlag: Union Deutsche Verlagsgesellschaft
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Erscheinungsort: Stuttgart, Berlin, Leipzig
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[213] Geheimbünde bei Naturvölkern. – Vereinigungen von Personen, die ihre Zwecke, Gebräuche und meist auch die Mitgliederlisten mehr oder minder geheimhalten, haben im Leben der Naturvölker zu allen Zeiten eine Rolle gespielt. Sie finden sich auch bei den meisten Naturvölkern der Gegenwart. Bei den letzteren ist der Grundzug ihrer Zusammensetzung die stets auftretende Beschränkung auf das eigene Geschlecht und zwar mit der Maßgabe, daß den straff organisierten Geheimbünden der Männer minder zahlreiche und weniger streng organisierte Verbände der Frauen gegenüberstehen.

Die meisten Geheimbünde dienen den verschiedensten Zwecken, so der Ausübung einer heimlichen Rechtspflege, ganz wie früher das deutsche Femgericht, auch der Erpressung, besonders aber der Aufrechterhaltung der Oberherrschaft der Männer über die Familie. Die Mittel zur Erreichung dieser Zwecke sind die Einhüllung der Bünde mit ihrem ganzen Tun und Treiben in tiefes Geheimnis, dessen Durchbrechung mit harten Strafen geahndet wird, die öffentliche, eine Einschüchterung aller Nichtmitglieder beabsichtigende Aufführung von Maskentänzen und -umzügen, gelegentliche Morde zur Abschreckung der Gegner und Ausübung bestimmter Kulte.

Reich an Geheimbünden ist Ozeanien. Berüchtigt ist der Duk-Duk-Bund auf der Insel Neulauenburg, der in merkwürdig geformten, einen Kasuar mit Menschenkopf darstellenden Masken auftritt. Früher war er anscheinend eine Art Justizbehörde, heute ist er zu einer bloßen Erpressungsgesellschaft herabgesunken. Auf der Salomoninsel Bougainville besteht ein ähnlicher Bund, dessen Gebräuche auf die Einschüchterung der Weiber und Kinder gerichtet sind. Sehr zahlreich vertreten sind die Geheimbünde auf den Neuen Hebriden. Die Torresinseln zählen ihrer etwa hundert. Auch Nordamerika ist reich [214] an derartigen Vereinigungen. Die bedeutendsten der neueren Zeit sind der Hamatha- und der Loloalabund der die Nordwestküste bewohnenden Indianerstämme. Sie scheinen hauptsächlich zur Aufrechterhaltung der Männerherrschaft gegründet zu sein. Anders die Midewiwingesellschaft der Algonkinindianer, deren Hauptzweck die mystische Heilung von Kranken und die Herbeiführung von Regen ist.

Am reichsten von allen Erdteilen ist Afrika mit geheimen Vereinigungen ausgestattet. In Oberguinea ist die bekannteste von ihnen der Purrah, der zwischen fünf verbündeten Stämmen den politischen Zusammenhang vermittelt und eine Art Regierungsform darstellt, die ihres Amtes im Dunkel eines Geheimbundes waltet. Die Aufnahme in den Purrah ist mit allerlei Mutproben, wie Anfassen glühenden Eisens und Töten einer giftigen Schlange mit der bloßen Hand, verbunden. Der Mumbo aljumbo-Bund wieder stellt sich die Bestrafung von Verbrechen und die Beilegung von Streitigkeiten zur Hauptaufgabe. Einen sehr verderblichen Einfluß im Gebiete des Ogoweflusses besitzt die Mangongogesellschaft, deren Mittelpunkt merkwürdigerweise ein Wassergeist bildet. Dieser Geist wird verkörpert durch eine aus dem Ogowe emporsteigende, vermummte Gestalt, unter deren Führung die gleichfalls phantastisch maskierten Bundesmitglieder die übrige Bevölkerung zur Hergabe von Geschenken zwingen. Der Mangongogeist erteilt auch gegen hohe Bezahlung Orakelsprüche, die von den Negern als sichere Wahrheit hingenommen werden. Im Gegensatz zu dieser Mangongogesellschaft sind die Geheimbünde von der Kongomündung weit ungefährlicheren Charakters. Ihre Aufzüge dienen jetzt lediglich noch zur Volksbelustigung.

Einen ganz besonderen wohltätigen Zweck verfolgt der in Kamerun weitverbreitete Yugubund. Er ist eine wirkliche Altersversicherung, indem alte und erwerbsunfähige Mitglieder tatsächlich mit allem Nötigen, mit Nahrungsmitteln und Kleidung, versehen werden.

Zum Schluß sei hier noch der auf der Insel Sherboro in der englischen Kolonie Sierra Leone an der Westküste Afrikas [215] seit ungefähr zwanzig Jahren bestehende Geheimbund „Menschliche Leoparden“ erwähnt, über dessen Entstehung der Volksmund folgendes berichtet. Das Dorf Taiama entsandte einst seine wehrhaften Männer zur Überrumplung und Vernichtung eines feindlichen Lagers. Die Krieger wurden jedoch von den Einwohnern eines befreundeten Dorfes, den Imperi, heimtückisch niedergemetzelt. Ihrer Krieger beraubt, wehrlos, wandten sich die Taiamer an einen berühmten Zauberer um Rat, wie sie sich an den Imperi rächen könnten. Der Zauberer sagte ihnen seine Hilfe unter der Bedingung zu, daß sie in einen von ihm zu gründenden Geheimbund einträten. Er führte einen Götzen ein, dessen Besitz jedermann die Erfüllung seiner Wünsche sichern sollte, der aber nur an die Mitglieder der geheimen Gesellschaft abgegeben wurde. Dieser Götze, Boffima genannt, ist aus einer Wurzel des Kassavastrauches gefertigt und ungefähr so groß wie ein Straußenei. Er ist vollständig ausgehöhlt und mit vegetabilischen und klebrigen Stoffen, deren Zusammensetzung indes nicht bekannt ist, ausgefüllt. Die Besitzer des „glücklichmachenden Fetisch“ mußten denselben, wenn sich seine Wirkungskraft erhalten sollte, immer wieder mit Ziegenfett begießen oder einreiben. Später, als die Sekte sich genügend eingebürgert hatte, befahl der Zauberer, dem Fetisch statt des Ziegenfettes Menschenfett zu opfern. Und diese Opfer waren nun die Imperi, die man heimlich wegfing, wo man ihrer nur habhaft werden konnte.

Die Vereinigung „Menschliche Leoparden“ besteht aus drei Klassen. Die erste ist die der Häuptlinge oder Könige, die zweite die der „Vollstrecker“, und die dritte umfaßt die gewöhnlichen Mitglieder.

Der Kandidat, der in den Bund aufgenommen zu werden wünscht, sucht einen der Häuptlinge auf, von dem er durch Geschenke und gute Worte das Versprechen empfängt, auf die Erlangung des „allbeglückenden“ Boffima hoffen zu dürfen. Er wird darauf an den Versammlungsort, gewöhnlich inmitten des Waldes, bestellt, wo er eine Opfergabe darzubringen hat. Man zeigt ihm den auf einer länglichen Kiste sitzenden, mit rotem Flanell überdeckten Fetisch, dem er Treue schwören muß. [216] Der Neueintretende hat hierbei ein Opfermesser in der erhobenen Hand zu halten, bei welchem er auch schwören muß, sobald er den Befehl erhält, sein Eintrittsrecht zu bezahlen. Das neue Mitglied muß den Vorschriften des Bundes gemäß entweder ein Mitglied aus seiner Familie oder sonst eine Person, die ihm nahe steht, gleichviel ob Mann oder Weib, oder einen Imperi zu einer bestimmten Zeit an einen bestimmten Ort schicken oder, wenn nicht anders möglich, mit Gewalt hinschleppen, sich selbst aber in letzterem Falle sofort wieder entfernen. Das unglückliche Opfer, das zumeist schon sein trauriges Ende kennt, wird sofort von den „Menschlichen Leoparden“ umringt. Der an diesem Tage mit der Vollstreckung der Abschlachtung Betraute ist mit einem Leopardenfell vom Kopf bis zu den Knieen verhüllt. Er hält in jeder Hand ein einem Dreizack ähnliches Messer mit ovalem Griffe und drei scharfgeschliffenen und äußerst spitzen Klingen, mit dem er sich seinem Opfer nähert, um ihm die „Leopardenkrallen“ von beiden Seiten in den Hals zu stoßen. Ist dies geschehen, dann wirft der „Vollstrecker“ seine Verkleidung ab und schleift den noch zuckenden Körper an den Versammlungsort, wo er sofort in Stücke zerschnitten wird. Alles Eigentum des Ermordeten geht in Besitz des Bundes über. Leute, die die Gefahr, von dem Geheimbunde abgeschlachtet zu werden, vermeiden wollen, müssen eine monatliche, sehr hohe Abgabe an die Geheimgesellschaft zahlen. Wir haben also hier nichts als eine gewöhnliche Erpressergesellschaft vor uns.

Von der Regierung der Kolonie Sierra Leone wurden gegen die „Menschlichen Leoparden“ die strengsten Maßnahmen eingeleitet und mehrere Spione nach der Insel Sherboro entsandt, denen es auch gelang, eine große Anzahl von Mitgliedern des gefürchteten Geheimbundes zu ermitteln. Diese wurden sämtlich kurzerhand aufgeknüpft. Trotzdem hat man diese Mördergesellschaft bisher nicht völlig ausrotten können.

W. K.