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Walther Kabel: Geheimbünde bei den Naturvölkern. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1911, Bd. 13, S. 213–216

seit ungefähr zwanzig Jahren bestehende Geheimbund „Menschliche Leoparden“ erwähnt, über dessen Entstehung der Volksmund folgendes berichtet. Das Dorf Taiama entsandte einst seine wehrhaften Männer zur Überrumplung und Vernichtung eines feindlichen Lagers. Die Krieger wurden jedoch von den Einwohnern eines befreundeten Dorfes, den Imperi, heimtückisch niedergemetzelt. Ihrer Krieger beraubt, wehrlos, wandten sich die Taiamer an einen berühmten Zauberer um Rat, wie sie sich an den Imperi rächen könnten. Der Zauberer sagte ihnen seine Hilfe unter der Bedingung zu, daß sie in einen von ihm zu gründenden Geheimbund einträten. Er führte einen Götzen ein, dessen Besitz jedermann die Erfüllung seiner Wünsche sichern sollte, der aber nur an die Mitglieder der geheimen Gesellschaft abgegeben wurde. Dieser Götze, Boffima genannt, ist aus einer Wurzel des Kassavastrauches gefertigt und ungefähr so groß wie ein Straußenei. Er ist vollständig ausgehöhlt und mit vegetabilischen und klebrigen Stoffen, deren Zusammensetzung indes nicht bekannt ist, ausgefüllt. Die Besitzer des „glücklichmachenden Fetisch“ mußten denselben, wenn sich seine Wirkungskraft erhalten sollte, immer wieder mit Ziegenfett begießen oder einreiben. Später, als die Sekte sich genügend eingebürgert hatte, befahl der Zauberer, dem Fetisch statt des Ziegenfettes Menschenfett zu opfern. Und diese Opfer waren nun die Imperi, die man heimlich wegfing, wo man ihrer nur habhaft werden konnte.

Die Vereinigung „Menschliche Leoparden“ besteht aus drei Klassen. Die erste ist die der Häuptlinge oder Könige, die zweite die der „Vollstrecker“, und die dritte umfaßt die gewöhnlichen Mitglieder.

Der Kandidat, der in den Bund aufgenommen zu werden wünscht, sucht einen der Häuptlinge auf, von dem er durch Geschenke und gute Worte das Versprechen empfängt, auf die Erlangung des „allbeglückenden“ Boffima hoffen zu dürfen. Er wird darauf an den Versammlungsort, gewöhnlich inmitten des Waldes, bestellt, wo er eine Opfergabe darzubringen hat. Man zeigt ihm den auf einer länglichen Kiste sitzenden, mit rotem Flanell überdeckten Fetisch, dem er Treue schwören muß.

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Walther Kabel: Geheimbünde bei den Naturvölkern. In: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1911, Bd. 13, S. 213–216. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1911, Seite 215. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Geheimb%C3%BCnde_bei_den_Naturv%C3%B6lkern.pdf/4&oldid=- (Version vom 1.8.2018)