Textdaten
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Autor: Adolf Ewald
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Titel: Gefangen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 401–406
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Späte Liebe
aus dem Zyklus „Nach siebenzehn Jahren“
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[401]
Gefangen.[1]
Von A. Ewald.


Margarethe: Er kommt!
Faust: Ach Schelm, so neckst Du mich!
 Treff’ ich Dich!
Margarethe: Bester Mann! von Herzen lieb’ ich Dich.


Mein Steckenpferd ist die Anatomie. Sie hat die sichersten Grundlagen, sie hat keine Geheimnisse, sondern klare, sogar der Anschauung faßbare Gesetze; im Uebrigen bin ich der Allopathie aus demselben Grunde zugethan. Von jeher besaß ich für meine Wissenschaft zu viel Interesse und fand in ihr zu viel Beschäftigung, um daneben noch andere Zwecke zu verfolgen. Ohne rechts und links zu sehen, habe ich mich immer nur der Medicin gewidmet, die Politik hat mich selbst 1848 nur vom Standpunkte der Psychiatrie berührt, die Religion hat mir keine Scrupel gemacht; mein bescheidener Glaube ist doch am Ende so viel werth, wie das schönste Dogma. Damit hab’ ich’s denn sehr glücklich getroffen, denn ich curire Heiden und Christen, Bettler und Fürsten und nütze beständig mir und meiner Wissenschaft.

In einem Punkt sah es freilich bedenklich aus. Die Medicin ist eine Wissenschaft, die sich wenig mit andern Herzenskrankheiten beschäftigt, als physischen Erweiterungen und Verknöcherungen. Auch waren die Bekanntschaften, zu denen sie mich führte, nicht eben solche, die mich von einer andern als der ärztlichen Seite her beschäftigen konnten. Die schöne Welt ist, das versichere ich, zu einem großen Theile eine kranke Welt, und meistens in Folge verkehrter Erziehung und Gewöhnung. So ein kleines Mädchen in seiner Zartheit und Feinheit, mit seiner körperlichen Empfindlichkeit und geistigen Empfindsamkeit ist ein reizendes Ding und ganz zum Verhätscheln geschaffen. Von hundert Müttern und Vätern widerstehen keine zehn der Versuchung, das liebe Geschöpf körperlich und geistig gründlich zu verwöhnen; es wird eingewickelt in Tücher und Pelze und gefüttert mit Kuchen und Confect, seine lebhafte Phantasie wird gleichfalls mit Zucker genährt, jeder Wunsch wird erfüllt, jeder Laune wird nachgegeben; zuletzt ist der Engel so vollkommen, daß er dieser irdischen Welt nicht mehr angehört. Blutarm plagt er sich mit ewigen Unpäßlichkeiten, Nerven und Krämpfen, Zahnweh und Magenleiden, gehen und stehen kann er nicht, aber tanzen desto besser, und bei seiner Kränklichkeit ist er unleidlich und folgt dem Arzte nicht. Da verliebe sich ein Doctor! Wir Aerzte sind überhaupt so glücklich, von unserem Berufe selbst immer genöthigt zu werden, das Leben von der realen Seite zu nehmen. An jedem unserer Freunde und Freundinnen lernen wir am besten Krankheiten und Schwächen kennen und, weil Krankheiten und Schwächen vielfach aus Schuld entspringen, auch die Fehler und Laster. In Geist und Gemüth können wir freilich noch nicht mit Sicherheit hineinblicken, aber die Leiber können uns nichts verschweigen. Ja, hat ein Herr Patient uns einmal in die Beschaffenheit seines Innern blicken lassen müssen, dann hält er’s in der Regel gar nicht mehr für der Mühe werth, etwas zu verstecken, sondern macht den Arzt zum Vertrauten. Wie manche Schönheit hat vor unseren Augen einen ekelhaften Flecken, wie manche Liebenswürdigkeit wird uns zur Widerlichkeit! Ich bin überzeugt, wir beurtheilen die Menschen sehr richtig, aber wir erkaufen unser Urtheil sehr theuer, denn ein Bischen poetischer Illusion und sogar gründlicher Täuschung ist auf dieser Welt nicht wohl zu entbehren, und daß wir’s nicht entbehren können, wissen wir Aerzte leider am besten.

Dieser Schleier der Illusion ist vor Allem für das Familienleben ersprießlich. Fast überall giebt es da Dies oder Jenes zu beklagen; am glücklichsten leben die, welche am nachsichtigsten gegen einander sind; in das Innere mancher Ehen thut der Arzt einen Blick, bei dem er das Gruseln lernen kann, selbst Ehen, die für glücklich gelten, zeigen sich oft im stillen Frieden der Häuslichkeit sehr trübselig und wenig anziehend. Das ist gar selten, daß Eins mit dem Andern in voller Uebereinstimmung lebt und Eins das Andere fördert und erhebt. Ich war demnach auf dem besten Wege, ein Bruder Hagestolz zu werden, und hätte mich mit Freudigkeit in dieses Schicksal ergeben. Im Rathe der Götter war’s aber anders beschlossen.

Als lediger und wohlsituirter Mann hatte ich so zu sagen ganze Regimenter von Amazonen, jedoch heirathslustiger, zu bestehen, die Mütter waren die Aufmerksamkeit selbst, die Töchter bestrebten sich, mir zu gefallen, und zierten sich um so mehr und thaten um so gebildeter, die glücklichen Väter secundirten. Es regnete Einladungen in Häuser voll edler Weiblichkeit; die meisten dieser Angriffe, ja fast alle, schlug ich ab, ich wäre sonst vor der Zeit fett geworden, denn man wollte mir gründlich zeigen, was Küche und Keller leisten könnten. Die schönen Töchter wurden krank, damit ich gerufen werden konnte; für die meisten ihrer Krankheiten hat die Wissenschaft noch keine Lehre und keinen Namen gefunden, in der Regel war’s Kopfweh, Mattigkeit. Und wie [402] liebenswürdig konnten diese Patienten sein und wie niedlich standen ihnen die zierlichen Morgenhäubchen, die faltenreichen Negligékleider und die kleinfüßigen Saffianschuhe, die kokett unter dem Rocke hervorguckten! Jedes Weib ist geborene Schauspielerin, man könnte sie alle miteinander von der Wiege gleich auf’s Theater schicken, wenn sie sich nur dann auch gäben, wie sie sind, und nicht so zu sagen überschauspielerten, d. h. zehn Rollen auf einmal darstellten! Zuweilen deutete auch eine ehrbare Matrone darauf hin, es sei doch für manche Krankheiten sehr unangenehm, einen unverheiratheten Arzt beizuziehen; ein solcher stehe der Familie etwas fern. Ich verstand vollkommen, – daß sie eine Tochter hatte.

Bei diesem Kriege sind, wie beim wirklichen, die Kriegslist und der diplomatische Betrug erlaubt. Alles vereinigt sich und jedes Mittel gilt, eine Tochter zur Frau zu machen. Allein ich fand auch Bundesgenossen, denn außer jeder Einzelnen standen mir die Uebrigen wieder gegen diese bei, indem sie die weithin treffende Kraft ihrer vernichtenden Artillerie bethätigten. So blieb ich beschirmt und fühlte keine Rührung im Herzen.

Eines Tages besuchte ich einen Maskenball. Das war noch eine Gelegenheit für mich, meinem Vergnügen nachzugehen, denn bei gewöhnlichen Bällen, konnte ich den Verfolgungen der liebenswürdigen Schönen nicht entrinnen. Ich hatte mich möglichst unkenntlich gemacht und erlaubte mir, etlichen Damen, die sich im Gegentheil möglichst bemüht hatten, sich kenntlich zu machen, ihre Liebenswürdigkeit gegen mich mit Spöttereien zu vergelten. Sie hatten keine Idee davon, wer hinter der Maske stecken möge, denn als Arzt war ich, woran natürlich Niemand zweifeln wird, stets die Liebenswürdigkeit selbst; sie glaubten, es müsse irgend ein gänzlich Unbekannter sein, der sich solche Freiheiten herausnahm, und flohen vor mir in die fernsten Ecken. Ich amüsirte mich höchlich darüber und äußerte dies, wie ich glaubte, unbeobachtet, gegen einen Bekannten. Gleich darauf aber redete mich eine schlanke Rococofigur, die wie zufällig am Arme einer Andern an mir vorüberging, mit einem Vers an, der ungefähr lautete:

„Am Tageslicht erscheinst Du spröde,
Die Maske zeigt Dich nicht so blöde,
Sie demaskirt Dich nur als schnöde.“

Etwas verblüfft, faßte ich mich doch schnell und die gute Laune gab mir sogar eine poetische Antwort ein oder wenigstens eine gereimte, denn die Poesie kann ich nicht als meine Gabe rühmen. Ich sagte:

„Uebel, schöne Maske, that ich
Und Verzeihung hoff’ ich blos;
Deine Güte, das errath’ ich,
Ist ja sicher nur zu groß.“

Sogleich war auch ihre Antwort fertig, sie entgegnete:

„In der Hoffnung, sonst im Leben
Ueberall Dir auszuweichen,
Kann ich heute Dir vergeben
Und die Hand zum Frieden reichen.“

Mir ging dabei etwas der Dampf aus und meine poetische Begabung hatte ich mit der ersten Antwort schon stark erschöpft. Es war mir daher sehr lieb, nach dieser Friedenserklärung wieder zur Prosa übergehen zu können. Inzwischen hatte ich mir auch diese jugendliche Dame aus vorigem Jahrhundert etwas näher betrachtet. Es war eine zierliche Gestalt, schlank und doch rundlich, mittelgroß, ein reizendes Köpfchen, von dem ich freilich der Larve und des Puders wegen nichts als wenige Contouren wahrnehmen konnte. Ich hatte keine Ahnung, wo mir dieses Dämchen begegnet sei, auch die Stimme, die sie übrigens verstellte, schien mir nicht bekannt. Neugierig, wer diese Sappho sein möge, reichte ich ihr meinen Arm und führte sie im Saale umher. Recht kokett hing sie sich ein, steigerte meine Neugier und plagte mich mit tausend Neckereien. Offenbar war sie fein erzogen, allerliebst war ihr Humor. Wer mochte es nur sein? Ich bekam’s nicht heraus. Um wenigstens einen Theil ihres Gesichts sehen zu können, reichte ich ihr, an’s Büffet tretend, ein Glas Champagner; sie trank es aus auf meine ‚Zukünftige‘, hielt sich aber den Kinnbart fest zu, so daß ich nicht mehr sehen konnte, als vorher. Ich führte sie weiter und frug: „Sehe ich Dich wieder, schöne Maske?“

„Willst Du’s denn, Herr Weiberfeind?“

„Nun, ich meine blos dann und wann!“

„Sehr schmeichelhaft. Aber ich wünsche Dich durchaus nicht zu sehen. Denn ich bin nicht gern krank.“

„Als ob ein Arzt nur Kranke sehen könnte!“

„Du hältst doch jedes weibliches Wesen für eine Kranke.“

„Desto lieber ist’s mir, einmal ausnahmsweise eine Gesunde zu sehen.“

„Aber ich fürchte mich, einen Doctor zu sehen, der mich wie eine Kranke behandelt und ein mechanter Mensch ist. Adieu bis auf’s Todtenbett!“

Und plötzlich löste sie sich aus meinem Arme, mischte sich unter eine dichte Masse und verschwand, ich bekam sie nicht wieder zu Gesicht, obwohl ich eifrigst nach ihr suchte.

So ein Erscheinen und Verschwinden hat etwas Ueberirdisches, Feenhaftes, und die unbekannte Sappho wurde meine stille Fee; sie kam mir nicht mehr aus dem Sinne. Wo ich nur hingerufen wurde, spähte ich nach ihr aus, in jeder Gesellschaft suchte ich sie. Nirgends fand ich etwas Aehnliches. Zu meinen gewöhnlichen Kreisen konnte sie nicht gehören, hin und wieder aber war ich fast in jedes Haus der Stadt gekommen.

Beinahe ein halbes Jahr war vergangen, schon wurde die Erinnerung schwächer, schon glaubte ich, das Opfer einer boshaften Mystification gewesen zu sein. Woher wußte ich denn, daß meine Dame jung und hübsch war, wie ich meinte? Konnte ich mich nicht auch darüber getäuscht haben, daß ich sie für fein erzogen und gebildet hielt? Es wollte nur aber doch nicht zu Sinne, daß ich mich so geirrt haben sollte, und Eins war jedenfalls auffallend und sprach dagegen: Niemand wußte von der Begegnung, Niemand hatte erfahren, daß ich’s gewesen war, der so vielen Schönen fatale Herbheiten gesagt hatte und auf den sie sehr aufgebracht waren. Das bedeutete etwas. So verschwiegen ist keine Dame, die nicht liebt, die sich nur den Spaß macht, einen Mann zu mystificiren. Aber wie konnte ich damit zusammenreimen, daß sie mich so wenig suchte, ja umgekehrt vermied?

Da ward ich eines Abends zu einem alten pensionirten Major gerufen. Ich traf den Mann bedenklich krank an einer Lungenentzündung, die selten, am wenigsten beim Alter des Majors, gefahrlos ist. Ich verordnete einige Mittel und empfahl vor Allem Ruhe und sorgfältige Pflege. Der Major wies auf ein Mädchen; seine Tochter sei dazu doch wohl genug. Erst dadurch wurde ich auf das Mädchen aufmerksam, das ich vorher für eine Dienstperson gehalten hatte, denn es war mehr als einfach angethan. Sie erröthete, da ich meine Augen auf sie richtete. Ich frug, ob ihre Kräfte ausreichen würden. Sie erwiderte, das verstehe sich von selbst und sie werde ihren Vater nicht von Fremden pflegen lassen. Die Antwort gefiel mir; ein echtes Soldatenkind, dachte ich im Stillen, auch schien mir die Stimme nicht unbekannt, aber ich war zu sehr mit dem Kranken beschäftigt, um darauf zu achten, und das Mädchen stand zu sehr in der Tiefe des spärlich beleuchteten Zimmers, als daß ich seine Gestalt und Züge genau hätte in’s Auge fassen können. Ich schärfte meine Vorschriften noch einmal nachdrücklich ein und empfahl mich. Als ich im Wagen saß, fiel mir die Stimme wieder ein und einen Augenblick dachte ich an meine Maske, aber ich mußte gleich wieder bei einem Patienten vorfahren und hatte keine Zeit, den Gedanken weiter zu verfolgen.

Am andern Tage wiederholte ich meinen Besuch beim Major. Es hatte sich mit ihm ein wenig gebessert und nach einem kurzen Verweilen stand ich im Begriffe, mich zu entfernen, da ich noch viele Patienten zu besuchen hatte, als die Tochter des Majors noch eine Frage an mich richtete. Sie war heute etwas sorgfältiger als gestern, aber immer noch bescheiden gekleidet. Wieder und bestimmter mußte ich der Maske gedenken. Aber wie sollte dieses Mädchen, das ich mich außerdem gar nicht gesehen zu haben erinnerte, auf den Einfall gerathen sein, mit mir Maskenscherz zu treiben? Halb verwundert, halb neugierig sah ich ihr bei meiner Antwort fest in’s Auge; sie erröthete und blickte zu Boden. Die ganze Erscheinung hatte etwas Frappantes, das meine Erinnerung immer lebendiger erregte. Es war ganz die Figur meiner Maske, so frisch mußte deren Trägerin sein. Eine offene Stirn, ein helles braunes Auge, volle braune Flechten, ein rother Mund voll kleiner weißer Zähne, eine leichte und graciöse Haltung, eine blühende Gesichtsfarbe, ein lustiges ungefüges Stumpfnäschen.

Dies Mal wurde ich meinen Gedanken nicht so schnell los, er ging mir beständig im Kopfe herum, und es war ja auch wieder ein neues Räthsel, eine neue Spannung. Unwillkürlich machte ich dem Major ein paar Besuche mehr, als durchaus nöthig [403] war, obgleich es sich mit ihm besserte und ich keine Zeit zu verlieren hatte. Therese empfing mich anfangs munter und freundlich, dankbar für meine Bemühungen um den Vater, aber immer mit einiger Zurückhaltung, so daß mir eine vertrauliche Annäherung unmöglich war. Immer hatte ich mir vorgenommen, den Maskenball zu erwähnen, und immer wurde das Gespräch abgelenkt, immer stand mir Therese zu fern, als daß ich auch nur scherzweise eine Andeutung wagen durfte, welche ihr unangenehm sein konnte. Als ich später wieder kam, fand ich sie oft nicht zu Hause. Endlich erhielt ich eines Tags ein anständiges Honorar zugeschickt; der Major schrieb dabei: er glaube jetzt nicht mehr der ärztlichen Hülfe zu bedürfen und halte es für seine Pflicht, meine kostbare und Vielen gewidmete Zeit nicht weiter in Anspruch zu nehmen. Ich sagte ihm dafür Dank und bat um die Erlaubniß, mich zuweilen nach seinem Befinden erkundigen zu dürfen. Der Major konnte das nicht wohl ablehnen, aber ich merkte wohl, es war nicht ganz nach seinem Wunsche. Ich sollte also wegbleiben. Und das geschah.

Inzwischen hatten Bekannte mich beim Major ein- und ausgehen sehen. Der Eine sagte, von Dem treffe das Wort zu: „Schulden wie ein Major“, der Andere nannte ihn einen sonderbaren Kauz. Mich hatte der Mann höchst anständig bezahlt; ich erkundigte mich nach seinen Verhältnissen und erfuhr nun Folgendes:

Allerdings hatte der Major vor einigen Jahren ziemliche Schulden gehabt; es war aber weniger ihm selbst zur Last zu legen, als vielmehr seiner Frau, welcher er die Wirthschaft vollständig überließ und die doch der Sache nicht Herr war und sich durch Rang und Würde für verpflichtet hielt, ein großes Haus zu machen. Für diese Verpflichtung langte freilich das Gehalt nicht, allein die Frau Majorin wollte trotzdem nichts von Einschränkung wissen, verrieth ihrem Gemahl nicht, daß es da und dort fehlte, und fuhr in ihrer Wirthschaft fort bis an ihr seliges Ende. Nun fanden sich ein paar Tausend Thaler Schulden und der Major meinte, darunter ersticken zu müssen. Indeß Therese nahm sich der Sache an und brachte es durch alle möglichen Einschränkungen dahin, daß die Last jetzt nach drei Jahren fast abgetragen war. Man sagte mir, sie vermeide ungeachtet ihrer Jugend alle größeren Gesellschaften, trage sich stets höchst einfach und lege sich überhaupt alle möglichen Entbehrungen auf, damit ihr Vater nicht von seiner gewöhnten Lebensweise ablassen müsse.

Mit diesen Nachrichten nahm mein Interesse an dem jungen Mädchen nicht wenig zu, aber ebenso mein Zweifel, ob Therese es gewesen, die mich am Maskenball angesprochen hatte. Woher hätte sie mich früher kennen sollen? Auch mußte ich aus der Zurückhaltung die sie jetzt gegen mich beobachtete, schließen, daß sie kein tieferes Interesse für mich fühle. Nun, dachte ich, auch gut, es muß ja nicht sein! Aber es wurde mir doch etwas schwer, diesen Gleichmuth zu behaupten, und meine Gedanken kehrten immer wieder zu ihr zurück. Und dazu kam, daß ich mitten in meinen nüchternen Bestrebungen der jungen Dame auf der Straße mehr als früher begegnete und ihr Gesicht, rosig wie das Morgenroth, in die Dämmerung meiner Gefühle helle Strahlen warf.

Indessen, was konnte ich thun? Mit einer Liebeserklärung in’s Haus fallen? Etwa gar einen Korb holen? Das dünkte mir zu tragisch. Ich befolgte die Lehre, die dem Arzt oft durch’s Leben eingeprägt wird: man muß der Natur ihren Lauf lassen.

Es verflossen etliche Monate. Da wurde ich wieder zu meinem Major gerufen; die Krankheit war doch nicht so spurlos an ihm vorübergegangen, seine Gesundheit hatte einen Stoß erlitten, von dem er sich nicht wieder erholte. Ich erkannte alsbald die Symptome der Brustwassersucht, und der Major selbst fühlte sich dem Tode verfallen. Ich suchte den Kranken hinzuhalten und zu erleichtern, aber er ging rasch seinem Ende entgegen. Seine Tochter pflegte ihn wieder mit einer seltenen Treue und liebevollen Gewissenhaftigkeit. Ich sah meine Freude an ihr, mit jedem Besuche wurde mir nachdenklicher zu Muthe – ich dachte darüber nach, ob ich etwa verliebt sei. Aber oft sah ich auch die trüben Blicke des Vaters bekümmert auf ihr ruhen. Eines Tages, als sie von ihm wegging, machte er seinem Herzen gegen mich Luft. Er fühle, wie es mit ihm zu Ende gehe, und dann werde Therese allein auf der Welt stehen, sie habe so zurückgezogen gelebt, daß sie allen seinen früheren und vermögenderen Freunden fast unbekannt sei; nur mit einer Freundin verkehre sie und deren Eltern würden sie nicht bei sich aufnehmen können. Um ihn habe das Kind jedes Glück verdient und doch stehe ihr eine einsame und entbehrungsvolle Zukunft bevor. Wie schrecklich sei es doch, aus dem Leben zu scheiden, ohne für sein Kind, sein einziges Kind gesorgt zu haben! Als er seufzend schwieg, war mein Entschluß gefaßt; Mitleid mit dem bekümmerten Vater gab den Ausschlag, während ich sonst vielleicht länger geschwankt hätte. Aber ich ward mir nicht so schnell über die Wendung klar, die zu nehmen sei, und mochte auch dem Vater nicht bestimmt entgegentreten, ohne der Tochter gewiß zu sein. Um Zeit zu gewinnen, tröstete ich: wenn er seiner Therese auch keine Glücksgüter hinterlasse, so habe er ihr doch eine Erziehung gegeben, welche ihr Glück mehr sichere als Hab und Gut.

„Für eine andere Welt,“ erwiderte der Major bitter, „auf Erden gilt nur irdisches Vermögen.“

„Doch nicht immer,“ sagte ich, „meiner Wertigkeit z. B. nicht. Ich nähme sogar keine Reiche.

„Seltene Uneigennützigkeit!“ versetzte sarkastisch lächelnd der alte Herr, „aber um so werthvoller, da Sie überhaupt nicht heirathen!“

„Das steht wohl nicht geschrieben. Was sagten Sie wohl dazu, Herr Major, wenn … kurz und gut, wenn Ihr schönes Töchterchen mein Herz gerührt hätte?“

„Ah, ah, Herr Doctor,“ entgegnete er verletzt, „das ist kein Scherz für einen Sterbenden!“

Nun mußte ausgesprochen werden, was ich zurückzuhalten gedacht hatte.

„Nein, nein,“ wiederholte ich, „es ist mein völliger und heiliger Ernst.“

Zweifelnd sah er mich an. Ich erklärte nochmals, es sei mein Ernst.

„Haben Sie denn,“ frug er darauf, „das Herz meiner Tochter gewonnen?“

„Ja,“ mußte ich erwidern, „das weiß ich nicht.“

„Nun,“ äußerte der Major, „ohne ihre Einwilligung verfüge ich nicht über ihre Hand. Ich halte nichts davon, wenn man die Tochter versorgt, ohne daß deren Herz dabei ist, aber ich werde mich darüber freuen, wenn sie Ihre Frau werden will.“

„Ich habe also,“ schloß ich, „Ihre Einwilligung, mehr verlange ich nicht. Im Gegentheil müssen Sie mir versprechen, ihr von unserer Unterhaltung nichts mitzutheilen. Nur aus ihrem Herzen darf die Antwort kommen.“

„Das ist ganz meine Meinung,“ sagte der Major und reichte mir darauf die Hand.

Wie sollte ich aber der Tochter beikommen? Der Moment war höchst ungünstig. Das Schmerzenslager eines Dahinsterbenden, eines Vaters ist doch wahrlich der schlechteste Platz für eine Liebeswerbung; eben so gut könnte Einer auf dem Meere spazieren gehen. Und überdies dünkte es mich, als würde ich das Ding so ungeschickt wie möglich anfangen. Die Liebe macht uns etwas tölpelhaft, und zwar so, daß wir zugleich das unangenehme Bewußtsein der Tölpelhaftigkeit besitzen. Indessen ich überlegte mir’s und faßte mir ein Herz. Da es mir nicht passend erschien, in diesem Moment mit süßer Liebeslispelei hervorzutreten, so glaubte ich, vom praktischen Standpunkt ausgehen zu müssen. Ich setzte mich zu ihr an den Nähtisch und frug, was sie von ihres Vaters Krankheit halte. Sie brach in Thränen aus und antwortete: „Sie wollen mich darauf vorbereiten, daß es mit ihm zu Ende geht.“

„Ich glaube,“ sagte ich, „es Ihnen nicht länger verhehlen zu können.“

„Das ist hart,“ versetzte sie, „erführe ich es nicht bald genug im Augenblicke, da er mich verläßt? Wollen Sie mir den Muth nehmen, ihn zu pflegen?“

„Nein, wie können Sie so etwas denken? Aber ich mußte Ihnen sagen, daß Sie Ihre Zukunft in’s Auge fassen.“

„Was hilft es mir,“ erwiderte sie, „ein paar Tage früher daran zu denken? Ich sorge mich auch darum nur ein paar Tage länger, ohne etwas thun zu können.“

„Das wäre wohl richtig,“ versetzte ich wieder, und in diesem kritischen Moment war mir nicht ganz wohl zu Muthe, „das wäre wohl richtig, wenn Sie nicht doch etwas thun könnten.“

„Was?“

„Nun, wenn ich Ihnen Jemanden vorschlüge, durch den Ihre Zukunft …“

„Ah, ah!“ unterbrach sie mich erröthend und unwillig.

[404] „Rund heraus,“ erklärte ich jetzt entschlossen, „wenn ich selbst Ihnen meine Hand anböte.“

Sie stand stolz auf und sagte scharf: „Sie wählen Ihre Zeit recht passend und zu diesem Zwecke war’s freilich nöthig, daß Sie mich davon unterrichteten, wie es um meinen Vater steht; denn das macht Ihren Antrag unwiderstehlich.“

Das war mir doch etwas zu viel und auch ich gerieth in den Harnisch.

„Denken Sie, gnädiges Fräulein,“ sagte ich grimmig, „was Ihnen beliebt, aber es läge wohl nicht minder nahe, zu glauben, daß ich jetzt mit meinem Antrage hervortrat, um Ihrem Vater noch eine schwere Sorge vom Herzen zu nehmen und ihn noch um seinen Segen zu bitten. Da Sie so wenig im Stande scheinen, mich zu verstehen, so betrachte ich mich als abgewiesen. Ihren Vater werde ich noch besuchen, damit er nichts davon gewahr werden möge, daß sein Wunsch nicht in Erfüllung geht.“

Ich ergriff Stock und Hut, warf mich in den Wagen und fuhr nach Hause. Mein Ingrimm ließ mich lange nicht einschlafen und als ich früh erwachte, blieb ich sehr gegen meine Gewohnheit halb träumend liegen. In diesen Morgenbetrachtungen erschien mir die Sache doch etwas anders als am Abend vorher. Erstens stellte sich die ungnädige Schöne meiner Phantasie jetzt höchst anziehend dar. Sie war doch in der That sehr hübsch und ihre zornige Aufwallung that ihrer Schönheit keinen Eintrag. Ich sah das glänzende Auge blitzen, die schlanke Gestalt schien wie gewachsen, die bebende Lippe sprach wie geflügelt. Zum Andern aber begann ich zu begreifen, daß die Form, die ich so schlau gewählt zu haben meinte, recht ungeschickt und verletzend gewesen war und daß, trotz der fatalen Situation, hier, wie überall im Leben der gerade Weg der richtige und die Sprache des Herzens die wahre gewesen wäre. Ich dachte indessen, in meine Hagestolzideen zurückfallend: wer weiß, wozu’s gut ist! und beschloß, keinen neuen Versuch zu wagen.

Während ich noch mit solchen Gedanken im Bette lag, wurde die Glocke geläutet. Ein Bote holte mich zum Major; es gehe sehr schlecht mit ihm, ich möge doch ja recht schnell kommen. Ich zog mich an und folgte, noch dämmerte der Morgen kaum, in der Krankenstube war Licht. Therese stand in dem Zimmer, das ich durchschreiten mußte, um in jene zu gelangen. Ich verbeugte mich kurz und wollte vorübergehen, als sie mich zögernd anredete: „Herr Doctor … bitte! … seien Sie mir nicht bös … ich war nur augenblicklich verletzt …“ Sie faßte nach meiner Hand, die ich ihr bereitwillig überließ, indem ich antwortete: „Nicht ganz mit Unrecht, ich hatte es dumm genug angefangen, ich habe das Werben noch nicht gelernt; statt vom Herzen zu sprechen, das mich zu Ihnen drängt, schwatzte ich von den traurigen Umständen, die Sie bewegen sollten, sich mir zu vertrauen.“ Ich hatte noch nicht vollendet, als Therese weinend ihre beiden Arme um meinen Hals schlang. Trotz meiner Ungeübtheit in ähnlichen Situationen, verstand ich ohne Mühe, was dies bedeutete, und fand mich mit Ergebung in die Umstände; auch hinderte mich als einen in der Anatomie Wohlbewanderten das zweifelhafte Licht in der Stube nicht daran, die Gegenden zu finden, welche man zu küssen pflegt. Wir mochten in dieser Beschäftigung die Geduld des alten Herrn ein wenig auf die Probe gestellt haben; er ächzte laut.

„Wollen wir mit einander vor den Vater treten?“ bat Therese.

Jetzt überfiel mich eine kleine Angst. Sollte sie meine Hand blos ihres Vaters willen annehmen? Ich frug sie leise; aber sie lächelte und verneinte es, als ich meine Frage wiederholte, sehr entschieden. Hätte ich noch mißtraut, so mußte ich mich bei der rührenden Scene, die nun folgte, eines Andern überzeugen. Als Therese in ihrer wunderlich einfachen Weise zum Major sagte: „Der Doctor will mich heirathen; ist Dir’s recht?“ vergaß er auf einige Minuten seiner Schmerzen und legte tief bewegt unsere Hände ineinander. Allerdings war er kränker, als den Tag zuvor, aber die Tochter hatte offenbar in dem Wunsche, mich bald wieder zu sehen, etwas übertrieben, und ich, der es sonst einem Patienten sehr übel vermerkte, mich unnütz vor meinen gewöhnlichen Ausgängen zu belästigen, ich war dies Mal nicht eben bös darüber, verschwendete vielmehr während der nächsten acht Tage bis zum Tode des Majors viel Zeit an seinem Bette. War nun die Gelegenheit eine sehr sonderbare für den Abschluß einer Verlobung gewesen, so war sie um so günstiger für die Liebe; denn ich durfte mit meiner Freundin so lange beim Kranken sitzen, als ich wollte, und hatte das dankbare Amt eines Pflegers und Trösters, und je verlassener Therese sich fühlte, desto inniger schloß sie sich mir an.

Der Major starb. Die ernste Trauerzeit verstrich und allmählich kehrte meine Braut wieder zu ihrer jugendlich frischen Heiterkeit zurück; ja nach und nach kam ein rechter Schalk zum Vorschein. Lange schon hatte sie mich damit geplagt, an unserem Hochzeitstag wolle sie mir etwas erzählen, daß ich schaudere, und mich auf meine Fragen, ob sie doch die Maske gewesen, lachend bis zur Hochzeit vertröstet. Ich war wirklich neugierig geworden. Was erfuhr ich nun, als wir nach der Trauung und einem Frühstück mit einigen Bekannten in den Wagen stiegen, um eine kleine Hochzeitsreise zu machen?

Kurz vor dem Maskenballe ging Therese mit ihrer Freundin Laura Mengs eines Tags spazieren; ich fuhr an ihnen vorbei.

„Sieht er nicht aus,“ sagte Laura, „als ob ihn die ganze Welt nichts anginge? Er soll ein ausgemachter Hagestolz sein; er könnte die reichsten Partieen machen, die Goldfischchen schwimmen ihm nur so zu, aber er behandelt alle so, als wollte er sagen: ‚Ihr seid meine Patienten, gut, aber damit Basta!‘“

„Ja,“ antwortete mein Schlauköpfchen, „da mag er ganz Recht haben, er wird seine Leute schon kennen, und da sie ihm nachlaufen, so weicht er vor ihnen aus. Ich würde das ebenso machen.“

„Nun,“ gab Laura zur Antwort, „wenn die Mädchen vor ihm ausweichen, so würde er sich erst recht nicht um sie kümmern.“

„Es käme darauf an,“ entgegnete Therese wieder.

Und was beginnen die Mädchen? Sie wetten miteinander, Therese soll mit mir auf dem Maskenball – ein guter Bekannter hatte zufällig verrathen, daß ich ihn besuchen wolle – oder bei sonst einer Gelegenheit ein Gespräch anknüpfen und sich dann von mir zurückziehen. Sie behauptete, ich würde sie aufsuchen und heirathen. Wenn ich sie heirathe, so bekommt sie, wenn es fehl schlägt, bekommt Laura – was? – zwei Tafeln Chocolade! Ja, um zwei Tafeln Chocolade wurde meine würdige Person verwettet. Ist’s nicht schauderhaft? Und der Spaß war gelungen und ich war im Besitz der Dame, weil es ihr beliebte, mit ihrer Freundin zu wetten! Wahrlich, es wurde mir himmelangst, es fröstelte mich ordentlich. Aber es kam noch ein Bekenntniß hinterdrein.

Therese hatte mich schon oft vorbeifahren sehen und nebenbei von meinen Curen gehört. Ein Arzt ist überhaupt für ein Frauenzimmer ein Beglücker der Menschheit, ein Märtyrer christlicher Aufopferung, ein Sieger über Leben und Tod. Die schöne Equipage stach meinem Schatz in die Augen, mein Ruhm schallte ihr in die Ohren, denn eitel war auch mein Schätzchen ein wenig, sonst hätte sie nicht zu Eva’s Geschlecht gehören müssen; meine sonstige Persönlichkeit fand gleichfalls Gnade vor ihren Augen, und so war jene curiose Wette zugleich ein schlauer Vorwand, um einmal in meine Nähe zu kommen. Jedes Frauenzimmer kann, auch in der Leidenschaft und wo das Herz mitspielt, mit klügster Berechnung, mit zähester Beharrlichkeit handeln. So meine Maske, da sie wahrnahm, daß eben ihre kühle Manier mich reizte und daß ich nach ihr suchte, als sie mir entwischt war. Ihr eigenes Verlangen wuchs freilich ebenfalls, je länger eine zweite Gelegenheit zum Verkehr auf sich warten ließ, aber dessen ungeachtet beobachtete sie auch dann, als die Krankheit ihres Vaters mich mit ihr zusammenführte, dieselbe Regel, mir durchaus nicht entgegen zu kommen, und das um so mehr, als sie bemerkte, daß ich immer eifriger wurde, je mehr sie sich mir entzog; ja sie war, als sie meine deutlich hervortretende Leidenschaft gewahrte, ihres Sieges gewiß, voller Uebermuth die Veranlassung gewesen, daß ihr Vater mir zu verstehen gab, meine Besuche seien nicht mehr nöthig, und sie behauptete, sich höchlich darüber amüsirt zu haben, wenn ich nachher durch die Straße fuhr und nie versäumte, hinauf zu grüßen, was mir übrigens kaum noch erinnerlich ist. Bei der zweiten und tödtlichen Krankheit des Majors dachte sie natürlich nicht mehr so geflissentlich an’s Ränkeschmieden, aber ihr System hielt sie doch fest. Als ich mit meiner Werbung hervortrat, hatte sie vielleicht noch unbewußt unter Mitwirkung ihres Planes gehandelt, obschon es ihr auch keine Freude machen konnte, mich so steif wie von einem Geschäft sprechen zu hören, wo sie dachte, ich würde ihr auf meinen Knieen Liebe schwören. Da ich aber davonging, erhielt sammt dem Herzen das System einen Stoß und die Planmacherei war zu Ende.

[406] Es packte mich doch ein wenig, daß ich alter Knabe trotz aller Erfahrungen, trotz aller Vorsicht, so in’s Netz einer Planmacherin gegangen war, aber ich mußte trotzdem mitlachen, wenn die junge Frau ein Mal über’s andere ausrief: „Ja, ja, ich habe Dich gefangen und Du hast’s gar nicht gemerkt!“ und sich vor Lachen ausschütten wollte. Ferner kann ich nicht leugnen, daß mir für den Frieden meiner Zukunft überaus bange wurde, als ich hörte, bis zu welchem Grade von schlauer Consequenz meine Dame es gebracht hatte. Ich muß auch gestehen, daß sie wirklich Manches durchsetzt, was besser unterbliebe, wenn man alle Gesetze der Logik und Vernunft gelten läßt. Indessen, dazu ist das schöne Geschlecht nicht von der Vorsehung bestimmt, uns Männer zu heiliger, unverrückbarer Vernunft zu erziehen, und wir können schon damit zufrieden sein, wenn sie nur insofern ihren Zweck erfüllen, daß sie unser irdisches Dasein mit einem Bischen Liebe und lustiger Tollheit schmücken. Ich bin damit sogar vollkommen zufrieden und, wenn möglich, mehr als vollkommen. Denn die Schellenkappe klingelt nicht minder schön, als das Geläute der Kuhheerde im Walde, man muß sie nur zu tragen verstehen, daß sie hübsch klingelt. Ja, ich bin zufrieden, denn was sie auch treibt, hat eine Art, daß man gern zusieht, und so lass’ ich sie gern schalten und walten, indem ich mir nur die Oberherrschaft vorbehalte, und wenn sie einmal mir etwas abgewinnt, so freue ich mich mehr über die schlaue Liebenswürdigkeit, die sie dabei aufwendet, als ich über den Mangel an Weisheit traure, zu dem sie mich bringt.

Ja, ich habe ein ungeheures Glück gehabt. Denn eine Frau, klug wie eine Schlange, sanft wie eine Taube, munter wie eine Lerche, gesund wie eine Dorfamme (das weiß ein Arzt vorzüglich zu schätzen!) und – vor allen Dingen – ohne Vater und Mutter, Vettern und Basen, und arm wie eine Kirchenmaus, das ist das Beste, was man finden kann Sie hat keine Freude, als mit mir, das Geringste, was ich ihr schenke, ist ihr ein Glück; gebe ich ihr ein neues Kleid, so freut sie sich darüber wie ein Kind, aber gewiß zieht sie das alte an, um das neue zu schonen. Verlasse ich das Haus, so nimmt sie von mir so zärtlichen Abschied, als wär’s auf Lebenszeit; kehre ich von meinen Gängen und Fahrten zurück, so empfängt mich eine warme Stube und ein warmer Mund und ich stecke in Schlafrock und Hausschuhen, ehe ich’s recht weiß, denn bequem soll ich’s haben, meint sie, nach meinen täglichen Strapazen. Eins befürchtete ich anfangs, daß nämlich ihre dichterischen Bestrebungen nicht sehr zum Heile des Hauses gereichen möchten, und ich hätte doch ihr Dichten nicht verdammen können, denn sie hat ein ganz hübsches Talent. Aber bald kamen gewisse Sorgen, und es mußte viel genäht und gestrickt werden, und statt in Versen dichtet die kleine Frau jetzt, wie es sein muß, in Werken der Wirthschaft, daß Alles schimmert und flimmert, klingt und singt. Unser Hauswesen kommt mir vor wie eine Idylle, obwohl ich kein Daphnis bin und keine Chloe Theresen gleicht.

Gern hätte ich sie hierher mitgenommen, damit sie das liebe alte Jena und Euch, alte Knaben, kennen lerne. Aber gewisse Umstände waren mir hinderlich. Als ich ihr sagte, was mich hierher führe, lachte sie gerade heraus und band mir’s auf die Seele, daß ich auch wahrhaft erzähle, wie sie mich gefangen habe. Die aber, meinte sie, die hier zusammen kämen, um ihr Wort zu lösen, das müßten wunderliche Käuze sein, sie möchte wohl hinter der Wand stehen und horchen und sich ausschütten vor Lachen.

Diese Diebin kann ich Euch nicht verschweigen und Ihr würdet ihr verzeihen, daß sie uns auslacht, wenn Ihr dabei die weißen Zähnchen und die Grübchen in ihren Wangen sähet.




  1. Wir theilen hiermit die zweite Erzählung aus dem in Nr. 20 bereits erwähnten Cyclus von Novellen unter dem Titel „Nach siebenzehn Jahren“ mit, ein heiteres Gegenstück gegen die hochtragische erste. D. Red.