Gebärden und Naturlaute

Textdaten
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Autor: L. Haschert
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Titel: Gebärden und Naturlaute
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 782–783
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1898
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Gebärden und Naturlaute.

Von L. Haschert.

Der normal entwickelte und in der Gesellschaft seiner Artgenossen aufgewachsene Mensch besitzt die Fähigkeit, seine Gedanken, seine Wünsche und Empfindungen durch eine Sprache mitzuteilen, die er sich in seiner Umgebung angeeignet, also künstlich erworben hat, eine Fähigkeit, die wir sonst bei keinem lebenden Wesen wiederfinden. Jede Nation aber spricht ihre eigene künstliche Sprache, die sich ihren physischen Bedürfnissen und geistigen Fortschritten gemäß fort und fort entwickelt. Daher kommt es, daß die Sprachen selbst benachbarter Völker bisweilen so weit voneinander abweichen, daß keines das andere ohne Dolmetscher zu verstehen vermag.

Außer dieser künstlichen Sprache, deren gründliche Erlernung oft vielen Fleiß erfordert, besitzt der Mensch die ihm von der Natur verliehene Gabe, seine innersten Empfindungen auch durch einfache, unartikulierte Laute, die sogenannten Naturlaute, und durch Mienen und Gebärden auszudrücken, deren Bedeutung von einem jeden begriffen wird, der sie wahrnimmt. Stößt jemand einen Schmerzensschrei aus und legt dabei etwa die Hand auf die leidende Stelle, so wird sein leidender Zustand sofort von allen Personen seiner Umgebung erkannt, und einen jeden erfaßt ein augenblickliches Unbehagen, gleichviel welcher Nationalität er angehören möge. Und wie ein einfacher Laut fremden Schmerz zu enthüllen vermag, so teilt uns ein anderer Laut die Freude mit, die jemand erfüllt, oder auch den Schrecken, der ihn [783] erfaßt. Vernehmen wir aber in finsterer Nacht ein fernes Angstgestöhn der Furcht, so ergreift auch uns dieses Gefühl und erstarrt unsere Glieder.

Sowie sich dergestalt die Empfindungen durch unartikulierte Laute auf andere übertragen, so teilen sie sich auch schon durch den Gesichtsausdruck und die Haltung des Körpers mit. „Das Gesicht ist der Spiegel der Seele“, sagt ein altes Wort, welches uns damit andeuten will, daß sich im Gesicht die Gedanken und Empfindungen abspiegeln, die in unserem Innern entstehen. Vergegenwärtigen wir uns nur das Bild einer zärtlich liebenden Mutter, die am Lager ihres schlummernden Lieblings lauscht, um aus den Mienen und Bewegungen desselben seinen innern Zustand zu erforschen! Bald zeigt sich ihr Antlitz mit Freude überstrahlt, bald sehen wir ein leichtes Wölkchen über dasselbe hinwegziehen, je nachdem ihr Herz mit Freude oder Besorgnis erfüllt ist. Diese natürliche Sprache, deren Alter mit dem des Menschengeschlechts übereinstimmt, wird von allen Völkern auf dem Erdenrund verstanden, und sie ist daher der beste Dolmetsch im Verkehr mit fremdsprachigen Nationen. Diese Thatsache war bereits in alter Zeit bekannt.

Schon Xenophon berichtet, daß seine Krieger in der Nähe des Euphrat sich genötigt sahen, mit den Bewohnern einiger Ortschaften, die sie durchschreiten mußten, sich wie Stumme durch bloße Zeichen zu verständigen, da ihnen die Sprache derselben völlig fremd war. Auch der römische Dichter Ovid, den Kaiser Augustus in die Gegend des Schwarzen Meeres verbannt hatte, beklagte es, mit den Bewohnern seines traurigen Verbannungsortes sich durch stumme Zeichen und Gesten verständigen zu müssen, da er deren Sprache nicht kannte. Einen noch interessanteren Fall erzählt uns Lucian von einem König, dessen Reich an das Schwarze Meer grenzte und der nach Rom gekommen war, um die Wunder dieser Weltstadt mit eigenen Augen zu schauen. Kaiser Nero bot alles auf, seinem Gaste den Aufenthalt in Rom möglichst angenehm zu machen. Von allen Schaustellungen aber machte auf ihn keine einen solchen Eindruck als das Auftreten eines Mimikers, dessen Gebärdensprache er ohne Dolmetscher deutlich verstand. Ganz erstaunt über eine solche Geschicklichkeit, bat er Nero, ihm diesen Mann als Geschenk zu überlassen, und als dieser ihn fragte, welchen Nutzen er von demselben erwarte, erwiderte er: „Dieser Mann soll mir mit seinen Mienen und Gebärden bei den benachbarten Völkerstämmen, deren Sprache niemand versteht und mit denen man deshalb nicht in Verbindung treten kann, als Dolmetsch dienen.“

Fragen wir uns nun, wie es möglich sei, daß unsere Gedanken und Empfindungen, durch einfache Laute, durch Mienen und Gebärden ausgedrückt, von jedermann, der die Aeußerung wahrnimmt, begriffen werden, so vermag uns nur ein physiologisches Gesetz darüber Auskunft zu verschaffen. Es ist bekannt, mit welcher Leichtigkeit sich das Lachen und Weinen und besonders das Gähnen auf die Umgebung überträgt, wie oft schon Krämpfe und Nervenleiden epidemisch aufgetreten sind und welchen verhängnisvollen Einfluß überhaupt das Beispiel zu üben vermag.

Die Gebärdensprache ist der Ausdruck innerer Empfindungen und dient nur als Mittel, dieselben auf andere Individuen zu übertragen und dadurch das Verständnis herbeizuführen. Hören wir einen Schmerzenslaut, so empfinden wir in demselben Augenblick ein gewisses Weh, das uns zu rascher Hilfeleistung treibt. Der Ausruf der Freude dagegen erweckt in uns dieselbe wohlthuende Empfindung, wie anderseits der Gefühlsausdruck der Traurigkeit uns zum Mitleid stimmt. Wie eine gute Musik die zartesten Empfindungen, die den Komponisten zur Zeit der Abfassung seines Tonstückes beseelten, auf die Hörer desselben überträgt, so ist auch die natürliche Sprache geeignet, die innersten Gefühle und Gedanken eines Menschen durch bloße Zeichen und Gebärden anderen mitzuteilen. Diese Sprache ist daher universell, denn jeder versteht sie, gleichviel ob er Russe oder Chinese, Araber oder Hottentotte ist.

Merkwürdigerweise beobachten wir auch unter den höheren Tieren eine Art Gebärdensprache, durch welche sie ihre Empfindungen ausdrücken und sich untereinander verständigen. Jeder Tag giebt uns Gelegenheit, uns von dieser Thatsache zu überzeugen. Beobachten wir nur einen Hund, der mit lustigen Sprüngen und eigentümlichem Gebell einen ruhig daliegenden Kameraden einladet, sich mit ihm herumzutummeln! Er braucht sich nicht lange zu bemühen, denn bald fühlt sich der Träge angesteckt und wie von der Tarantel gestochen springt er mit seinem Genossen auf dem grünen Rasen herum.

Doch ist es nicht bloß das Gefühl der Lust und Freude, das sich bei den Tieren in so auffallender Weise von einem Individuum auf das andere überträgt; auch andere Empfindungen teilen sich ebenso rasch mit. Der englische Gelehrte J. Romanes erzählt folgende Thatsache: „Mr. H. A. Macpherson schrieb mir, daß er im Jahre 1876 im Besitz eines alten Katers nebst einem nur wenige Monate alten Kätzchen war. Der Kater, der lange der bevorzugte Günstling des Hauses gewesen, wurde auf den kleinen Eindringling eifersüchtig und zeigte bei jeder Gelegenheit gegen denselben eine große Abneigung. Einmal wurde im unteren Stock des Hauses der Fußboden repariert und einige neue Dielen wurden eingelegt. Am Tage nach der Vollendung dieser Arbeit erschien der Kater in der Küche, rieb sich an der Köchin und miaute ohne Unterlaß, bis er deren Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte und diese ihm endlich nach dem reparierten Zimmer folgte. Natürlich vermochte sie sich über das eigentümliche Verhalten des Katers keine Rechenschaft zu geben, bis sie auf einmal dicht unter ihren Füßen ein klägliches Miauen vernahm. Sofort wurde die Diele emporgehoben, worauf das Kätzchen zum Vorschein kam. Der Kater blieb ruhig zugegen und ging erst von dannen, als er seinen Nebenbuhler befreit sah, dessen hilfesuchendes Rufen ihn zum Mitleid gestimmt und zu seiner Befreiung angespornt hatte.“

Wenn schon die Katze, die sich oft lange an der Todesangst ihrer kleinen Schlachtopfer weiden kann, durch die Klagelaute eines Geschlechtsgenossen zum Mitleid gestimmt wird, so können wir mit Sicherheit erwarten, daß uns der brave Hund zu ähnlichen Beobachtungen Gelegenheit bietet. Von den zahlreichen Beispielen wollen wir nur das folgende hervorheben:

An einem schönen Wintertage des Jahres 1875 saß der Gutsbesitzer Hesselbarth in Espenbusch mit einem Freunde an einem Fenster seines Zimmers, von dem aus sie einen ansehnlichen Landsee übersehen konnten, dessen Oberfläche ganz mit Eis bedeckt war. In der Nähe des Hauses aber war tags vorher eine sogenannte „Luhme“ zum Wasserschöpfen gehauen worden, die sich über Nacht mit einer dünnen, etwas beschneiten Eiskruste bedeckt hatte. Auf einmal erblickten die beiden Freunde einen kleinen fremden Hund, der über das Eis daher gelaufen kam und in die Luhme einbrach. Er machte vergebliche Anstrengungen, aus dem kalten Bade wieder herauszukommen, indem er stets wieder von dem glatten Rande des Eises abglitt. Da erhob der Aermste ein klägliches Geheul, und eben schickten die Männer sich an. ihm zu Hilfe zu eilen, als der brave Hofhund, der bis dahin auf der anderen Seite des Hauses in seiner Hütte ruhig geschlafen hatte und durch das Winseln des Unglücklichen aus seinem Schlummer geweckt worden war, hinzueilte, den Unvorsichtigen am Genick erfaßte und bedächtig auf das Eis niedersetzte. Darauf begab er sich, als ob nichts weiter vorgefallen sei, wieder in den Hof zurück, um in seiner Hütte den unterbrochenen Schlummer fortzusetzen.

Selbst von dem geduldigen Schaf teilt Watson eine ähnliche Beobachtung mit. Ein Lamm hatte sich einst in ein Dornengesträuch verirrt, aus dem es seine Mutter vorsichtig zu befreien suchte. Als sie aber einsehen mochte, daß all ihre Befreiungsversuche vergeblich blieben, lief sie mit ängstlichem Geblöke zu der nahen Herde und kehrte sofort in Begleitung eines kräftigen Widders zurück, der mit seinen starken Hörnern die Dornenzweige so weit auseinander breitete, daß das Lämmchen wieder davonlaufen konnte.

Die Vögel teilen sich ihre Empfindungen ebenfalls mit. Beobachten wir nur die Schwalben, wenn sie von allen Seiten herbeieilen, eine klagende Schwester im Kampfe gegen den frechen Spatz zu unterstützen oder das im Kampfe zertrümmerte Nest ihr wieder aufbauen zu helfen. Bei den meisten höheren Tieren können wir ähnliche Beobachtungen machen; ja sie bedürfen zur Uebertragung ihrer Empfindungen auf andere Individuen ihrer Art nicht einmal der Laute, da sie durch bloße Gebärden und Zeichen, durch den Blick oder einfaches Berühren dieselben mitzuteilen vermögen.