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Autor: Johannes Scherr
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Titel: Garibaldi
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aus: Die Gartenlaube, Heft 40-41, S. 666-668, 676-680
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[666]

Garibaldi.

Nachdruck verboten.
Von Johannes Scherr.
1.

Der düstere Trauerpomp, welcher im Juni dieses Jahres (1882) unter Sturmgetose und Wogengedonner den Felsensteig von Caprera herabkam, ist vorübergezogen und mit dem übrigen Apparat desselben auch der überreich dabei entfaltete Redenbombast beiseite gethan, zerschlissen und verschollen.

Der Mann im rothen Hemde, schon bei Lebzeiten in Volkskreisen zu einer mythischen Figur geworden, ruht nun aus von seinen Heldengängen, wie von seinen Irrfahrten, und genießt jenes Friedens, den nur der Tod gibt.

Möchte doch die Majestät dieses einsamen Heroengrabes auf dem kleinen Eiland im Mittelmeer geachtet werden! Möchte doch keine verstandlose Pietät den Todten seiner Granitgruft entreißen, um das Denkmal, welches in Rom oder sonstwo seine Ueberreste decken soll, zur momentanen Neugierstillung müssiger Gaffer zu machen, wie sie jetzo hordenweise alle Wege und Stege unsicher machen in Europa. Napoleons Grab unter den Weiden von Longwood war von einem vollen Hauch tragischer Poesie umwittert. Seine Gruft bei den Invaliden in Paris ist nichts als ein Wachsfigurenkabinett in Marmor. Laßt den Todten von Caprera ruhen, wo er selber ruhen gewollt! Verschont seine Ueberreste mit eurer Spektakelei! Ihr habt ja der Fahnen und Fackeln, der Kränze und Phrasen genug und übergenug aufgewendet. Laßt den aufrichtigen Schmerz im Stillen trauern, aber heißt die erkünstelte Ueberschwänglichkeit schweigen und gebt der Geschichte das Wort!

Denn diese tritt jetzt in ihr Recht.

Drei Männer sind es, welche das „Regno d’Italia“ geschaffen haben: Mazzini, Garibaldi, Cavour. Mazzini war das Herz, Cavour der Kopf, Garibaldi der Arm der italischen Einheitsbewegung. Mazzini hat die Saat ausgestreut, Garibaldi die Getreidemahd vollzogen, Cavour die Garben eingebracht. Ohne die beiden Idealpolitiker Mazzini und Garibaldi – wo wäre Cavour mit all seiner Realpolitik geblieben? Auf seinem piemontesischen Ministersesselchen. Gerade wie Bismarck mit all seiner Realpolitik auf dem preußischen Ministersessel oder gar auf dem Sorgenstuhl eines mäßig begüterten märkischen Junkers sitzen geblieben wäre, so ihm nicht die Propheten und Märtyrer der deutschen Idealpolitik von den Tagen Walthers von der Vogelweide, Fischarts, Logau’s, Klopstocks, Schillers, Körners und Arndts herab die Pfade gewiesen und die Wege gebahnt gehabt hätten. Dem Donner der That rollt ein lauter Widerhall nach, ja wohl – aber ist es nicht der Blitz des Gedankens, der ihm voranleuchtet? Das ist eine Wahrheit, so wohlfeil wie Brombeeren. Aber in dieser Zeit schamloser Verlogenheit darf man wohl auch solche Brombeeren-Wahrheiten scharf betonen, und die in Rede stehende sollte, scheint mir, dermalen namentlich auch unter uns Deutschen beherzigt werden. Sind doch seit 1870 in Deutschland gar viele enge Gehirne ganz und gar von der Vorstellung erfüllt, alles, was nicht sogleich prakticirt, verwerthet, in Bargeld umgesetzt, von heute auf morgen nutzbar gemacht werden könne, das sei nicht „opportun“ oder tauge eigentlich kurzweg gar nichts. In den Tagen unserer großen Denker und Lehrer waren freilich die jetzo modischen Stichwörter „opportun“ und „realpolitisch“, allwomit man alles schlichten und machen zu können wähnt, noch nicht erfunden. Auch ein drittes, heutzutage rasselndes Modewort, das Wort „Freidenker“, haben, gelegentlich bemerkt, die Hochmeister der Ritterschaft vom deutschen Geiste nicht knäbisch-renommistisch herausgehängt, wie neuestens Leute thun, welchen die Bezeichnung „Nichtsdenker“ zumeist besser anstände.

Will man dem Manne, von welchem hier nicht etwa eine Lebensbeschreibung gegeben werden soll, sondern nur eine Charakteristik mit besonderer Berücksichtigung der zwei Glanzperioden seiner Laufbahn, 1849 und 1860, gerecht werden, so muß man sich auf den Standpunkt stellen, von welchem aus er sah, fühlte, dachte, sprach und handelte – also auf den Standpunkt eines Idealisten und eines italischen Patrioten, dessen Seele vom Sonnenfeuer des Südens großgenährt worden war.

Seinem Namen und seiner körperlichen Erscheinung zufolge von germanischer Abstammung, ist dieser blonde Ligurier dennoch in all seinem Fühlen, Denken und Thun ein Romane jeder Zoll gewesen,[1] also kein Mann vor-, um- und rücksichtiger Erwägung, sondern ein Mensch augenblicklicher Impulse, kein kalter Rechner, sondern ein kühner Drauflosgänger, weit mehr den Eingebungen der Phantasie als den Bedenken des Verstandes folgend und dann doch auch wieder einer guten Dosis echtitalischer Schlauheit nicht ermangelnd. Diese Eigenschaft durfte ihm ja schon als dem Fanatiker, der er gewesen, nicht fehlen; denn ein Fanatiker war er, aber in [667] des Wortes bestem und höchstem Sinne. Er glühte ja mit allen Sinnen für sein „Fanum“, für das Heiligthum der Einheit und Freiheit Italiens. Aus dieser Glut entband sich alle seine Liebe und all sein Haß. Er war ein Enthusiast, ein Phantast, wenn man will. Aber kein in’s Blau schwärmender, sondern vielmehr ein mit unermüdlicher Zähigkeit und hellem Opfermuth auf ein festes Ziel gerichteter. Italien war der Traum seiner Nächte, wie der Gedanke seiner Tage. Wenn er sich in seiner späteren Zeit mitunter schwatzhaft in dem Nebelheim herumtrieb oder vielmehr herumtreiben ließ, allwo die „Universalrepublik“, der „Weltmenschheitsbund“, die „Vereinigten Staaten von Europa, Asien, Afrika, Amerika und Australien“ oder dergleichen grellbunte Fabelvögel mehr umherflattern, so war das eben eine Altersschwäche. In den Tagen seiner Kraft und seines Könnens war er ein Patriot, der allzeit und überall Italien suchte. Dieses Ziel zu sehen und zu finden, dazu reichten seine Gaben aus. Den vielverschlungenen und bösverknoteten Fäden der europäischen Politik geduldig nachzuspüren, um schließlich eine richtige Lösung oder Neuverknüpfung zu finden, das war nicht seine Sache. Er ist all sein Lebtag für das Zerhauen der Knoten gewesen. Daß es aber solche Knotenzerhauer doch auch geben müsse in dieser unserer knotenvollen Welt, werden selbst Bekenner des Weder-Fisch-Noch Fleisch-Liberalismus nicht unbedingt bestreiten wollen.

Im Vorstehenden ist darauf angespielt worden, daß Garibaldi mitunter, und zwar besonders in seinen älteren Tagen, fatalen Einflüssen zugänglich gewesen und das Opfer einer beklagenswerthen Lenksamkeit geworden sei. Jedermann weiß, daß zweideutige oder vielmehr unzweideutige Macher und Streber die Phantasie, die Begeisterung, die Gutmüthigkeit des Mannes irreleiteten und mißbrauchten, um ihn das machen zu lassen, was man, wenn man wahr sein will, nicht anders nennen kann als dumme Streiche. Wie verträgt sich nun aber diese Bestimmbarkeit damit, daß man, wie oben schon gethan worden, den Irrgänger von Aspromonte füglich und schicklich doch mit dem alten Horaz einen „tenacem propositi virum“ nennen darf? Gerade so, wie sich der Widerspruch mit dem Widerspruch in jedem Menschen verträgt. Wo war, wo ist, wo wird einer sein, der von sich mit Recht rühmen dürfte, daß er niemals „zwei Seelen“ in seiner Brust wohnen gefühlt hätte? Wenigstens bedeutende Menschen werden dieses häufig genug wiederkehrende Gefühl der Zweiseeligkeit nicht ableugnen können, sondern allenfalls nur ganz gewöhnliche Leute, Famuli Wagners Söhne u. Komp.

So konnte es kommen, daß der König Viktor Emanuel, halb im Scherz, halb im Zorn, den großen Freischarenführer seinen „lieben Büffelschädel“ nennen durfte, um das halsstarrige Drauf- und Durchfahren desselben zu bezeichnen, während zur gleichen Zeit Gesellen der vorhin erwähnten Sorte dem guten „Büffelschädel“ den Leitstrick durch die Nase zogen. An diesem Leitstrick ist er auch im Jahre 1870 auf den Schauplatz seines letzten, in mehr oder weniger großem Stil unternommenen Abenteuers gezogen worden, welches so kläglich verlief und mit dem undankbaren Fußtritt endigte, den die französische Nationalversammlung am 13. Februar von 1871 dem alten Helden gab, welcher zu spät erkannt hatte, daß es zweierlei wäre, gegen neapolitanische oder aber gegen deutsche Soldaten zu Felde zu ziehen. Deutsche von gesundem und kräftigem Nationalgefühl werden Mühe haben, dem Andenken Garibaldi’s die Don-Quijoterie von 1870 zu verzeihen. Aber trotzdem muß man anerkennen, daß dieser Narrenstreich des Mannes, was seine Person anging, so ehrlich und selbstlos gemeint war wie irgendeiner der vom Helden des Cervantes gethanen Narrenstreiche. Und wenn weiter uns kaltblütigen Nordländern das Theatralische, Opernhafte, um nicht zu sagen Seiltänzerische der Ausstaffirung und des Auftretens Garibaldi’s gar störsam vorkommen muß, so sollten wir billig bedenken, daß Südländer derartige Aeußerlichkeiten subjectiv und objektiv ganz anders ansehen und werthen als wir, die wir unter dem ewiggrauen Himmel unseres „gemäßigten“ Klima’s uns nur mit Mühe ein bißchen Farben- und Formensinn zu bewahren vermögen.


2.

Giuseppe Garibaldi ist in den Anschauungen und Strebungen des italischen Carbonarismus aufgewachsen, welcher auf die Geschicke Italiens von so bedeutendem Einfluß gewesen. Er hat diese Anschauungen bis zuletzt festgehalten und demnach war er in innerster Seele Republikaner und Pfaffenfeind.

Stubengelehrte, welche sich, allen Lehren der Geschichte zum Trotz, die Entwickelung von Völkern und Staaten nur auf bureaukratischem, höchstens auf regelrecht-parlamentarischem Wege vorzustellen vermögen, haben über den Carbonarismus bekanntlich sehr abfällig geurtheilt – um so abfälliger, je weniger sie ihn kannten. Nun ist es ja wahr, daß der Carbonarismus viel Komödiantisches, Läppisches, Thörichtes, sogar entschieden Verwerfliches an sich hatte; aber nicht minder wahr ist es auch, daß er und nur er es gewesen, welcher das nach 1815 jeder Art von geistlicher und weltlicher Tyrannei unterworfene, zerrissene, durch heimische und fremde Zwingherrschaft niedergequetschte italische Volk wieder aufzurichten versuchte und aufzurichten wußte. Er vollbrachte das dadurch, daß er in dem Nationalcharakter angemessenen Formen den Kultus des Vaterlandes pflegte, den Glauben an das Ideal „Italien“ weckte und verbreitete und die gesammte gebildete Jugend zu dem Gedanken und Vorsatz erzog, für dieses Ideal Gut und Blut hinzugeben. Die Männer der ruhigen Bildung und friedlichen Entwickelung, die Balbo, Gioberti, D’Azeglio und ihre Gesinnungsgenossen, sie hätten niemals ein konstitutionelles Piemont, geschweige ein einheitliches Italien auch nur in Gedanken herzustellen vermocht, wenn ihnen nicht der Prophet des italischen Radikalismus, Giuseppe Mazzini, vorangewandelt wäre, alle empfänglichen Herzen mit dem unlöschlichen Feuer patriotischer Liebe und patriotischen Hasses erfüllend.

Nachdem Garibaldi in der Verbannung gelernt, sein Vaterland doppelt heiß zu lieben – Männer, deren Patriotismus echt, lernen das im Exil immer – und nachdem er sich auf den Meeren und in den Pampas von Südamerika den Ruf eines kühnen Kriegers und geschickten Führers erworben hatte, ist er im großen Sturmjahr 1848 zuerst auf die weltgeschichtliche Bühne getreten. Nicht mit Glück. Der italische Republikanismus hatte auf Garibaldi’s Freischaarenführerschaft Hoffnungen gesetzt, deren Ueberstiegenheit in einem schreienden Mißverhältniß stand zu den Mitteln, über welche der General verfügen konnte. War doch die große Mehrzahl der italischen Patrioten viel zu klug, um nicht zu merken, daß, wie die Sachen lagen, die Idee der Vereinheitlichung ihres Landes nur mittels aufrichtigen Anschlusses an Piemont, d. h. auf monarchischem Wege zu verwirklichen wäre. Uebrigens blieb auch das vorerst noch ein frommer Wunsch; denn der alte Radezky zeigte den Italienern den kriegerischen Meister in einer Weise, welche an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrigließ. Der Sieger von Custozza – 1848, wie dann wieder 1866, ein Triumphfeld der Waffen Oesterreichs – ließ schließlich durch den General D’Aspre die garibaldische Schaar in die Schweiz hinüberjagen.

Freilich, während in Oberitalien Radetzky die schwarz-gelbe Fahne mit dem habsburgischen Doppelaar auf den Dom von Mailand zurücktrug und in Unteritalien die bourbonische Pestilenz wieder in ihrer ganzen Grausigkeit grassirte, stieg der Stern des Republikanismus in Mittelitalien verheißungsvoll empor. Daß es nur ein Nebelstern, sollte bald offenbar werden. Die ephemere römische Republik vermochte nicht einmal mit der ephemeren florentinischen zu einem Zusammenschluß zu gelangen. Bald auch drohten vom Norden her die Oestreicher, vom Südosten her die Neapolitaner und in Civitavecchia landeten 30,000 Franzosen, welche der Pseudo-Bonaparte, der die Pseudo-Republik Frankreich in seinen Kaiserschnappsack zu stecken sich anschickte, gesandt hatte, um den entflohenen Papst wieder auf den Stuhl Petri zu setzen und den Kirchenstaat wieder herzustellen – ein echt französisches Stücklein, eine prächtige Illustration der Viktor-Hugo’schen Bombastphrasen von der Völkerbrüderlichkeit und Kosmopolitik der Gallier! Solcher Illustrationen giebt es bekanntlich eine Menge, aber darum hören Schwachköpfe und Ignoranten doch nicht auf, an den bezeichneten Bombast zu glauben.

Die Vertheidigung Roms gegen die völkerbrüderlichen Franzosen macht, zusammen mit der Vertheidigung Venedigs gegen die Oestreicher, bei weitem das Beste und Größte aus, was das republikanische Kredo dazumal, in den Jahren 1848–49, vollbracht hat. Es war bedauerlich, daß nicht Garibaldi den obersten Heerbefehl in dem berannten und belagerten Rom führte, sondern daß Mittelmäßigkeiten wie Avezzana und Roselli den Kommandostab hatten. Wäre Garibaldi Obergeneral gewesen, so würde – [668] hat man behauptet – die Möglichkeit eines glücklichen Ausgangs nicht gefehlt haben. Dem ist nicht so. Eine Möglichkeit, die Waffen der isolirten römischen Republik von 1849 über die ungeheure Uebermacht der Franzosen, Neapolitaner und Oestreicher triumphiren zu machen, war von vornherein ausgeschlossen. Es konnte sich nur darum handeln, die Ehre dieser Waffen aufrecht zu halten bis zum Aeußersten, und daß die von Garibaldi geführte „Legion“ das gethan, steht fest. Wir besitzen hierfür ein Zeugniß, dessen Wahrhaftigkeit nie die leiseste Anzweifelung gestattet hat, das Zeugniß eines Augen- und Ohrenzeugen, welcher zugleich ein in erster Reihe Mithandelnder war. Es ist unser trefflicher, leider vorzeitig hingegangener Gustav von Hoffstetter gemeint, dessen Tüchtigkeit und anspruchslose Liebenswürdigkeit gewiß bei Allen, welche ihn gekannt haben, in bestem Andenken stehen. Dieser deutsche Officier hat den ganzen römischen Kampf von 1849 als einer der Führer desselben mitgemacht und nachmals ebenso schlicht wie genau und anschaulich diese denkwürdige geschichtliche Episode beschrieben („Garibaldi in Rom; Tagebuch aus Italien“, 2. A. 1860).

Um Garibaldi hatte sich die edelste Blüthe italischer Jugend gesammelt. In diesen jungen Männern, welche großentheils den gebildetsten, begütertsten, im besten Sinne vornehmsten Familien entstammten, pulsirten die Feuergedanken, welche Giacomo Leopardi in seinem hochherrlichen Canto „An Italien“ ausgeströmt hatte. Viele dieser jungen Helden haben die Echtheit ihrer Vaterlandsliebe mit ihrem Herzblut besiegelt. Ich wüßte nicht, daß zu irgendeiner Zeit und unter irgendeinem Volke auf dem Altar des Vaterlandes edlere Opfer geblutet hätten als ein Eugenio Manara oder ein Emilio Morosini. Manara, aus der Fülle aller Glücksgüter und jungen Eheglücks nach Rom geeilt, um für Italien zu kämpfen, einer der tapfersten sowohl, wie auch begabtesten und militärisch gebildetsten Führer, wurde, kaum fünfundzwanzigjährig, am 30. Juni bei der Villa Spada von einer Franzosenkugel tödtlich getroffen. Seine letzten Athemzüge verwandte er darauf, seinen schmerzerfüllten Waffengefährten zu sagen: „Tröstet meine Frau und bringt ihr diesen meinen letzten Gruß: sie soll unsere Kinder in der Liebe zum unglücklichen Vaterland erziehen und, sobald sie stark genug sind, ihnen die Waffen zur Befreiung Italiens in die Hände geben.“

An demselben Junitag von 1849 fiel auch Morosini, ein Apoll an Jugendschönheit, noch nicht zwanzig Jahre alt. Als er ein Jahr zuvor in Oberitalien als Freiwilliger zur italischen Fahne eilen gewollt, hatten seine Schwestern die Mutter flehentlich gebeten, den zärtlich geliebten Bruder nicht ziehen zu lassen. Aber die edle Italerin: „Ich gebe dem Vaterlande das Beste, was ich habe, meinen einzigen heißgeliebten Sohn.“ Als Hoffstetter später die kummervolle Mutter aufsuchte, sagte sie ihm, sie habe nur den Trost, zu wissen, daß ihr Emilio heldisch gestritten und gestorben. Eine Nation, fürwahr, welche solcher Mütter und solcher Söhne sich rühmen darf, braucht nie zu verzweifeln. Wenn aber Garibaldi, wie durch unzählige Beispiele erwiesen ist, gerade auf die reinsten und selbstlosesten unter seinen Landsleuten, auf so herrliche Menschen wie Manara und Morosini einen magisch-mächtigen Einfluß übte, so liegt hierin, sollt’ ich meinen, der unwidersprechlichste Beweis, daß er ein großer Mann war. Allzeit und überall ist nur wenigen Auserwählten eine solche elementare Macht über Menschen gegeben. Dem italischen Vorfechter kam hierbei noch etwas zu statten: das glückliche Naturell seiner Landsleute. Wo der Italiener liebt, ist seine Liebe voll; wo er hasst, ist sein Haß ganz. Das leidige deutsche Laster der Nergelei kennt er nicht. Die süßsaure Anerkennung, das halbe Lob, der flaue Tadel, diese schlechten deutschen Gepflogenheiten sind nicht seine Sache. Dem Neide der Ohnmacht und der Mittelmäßigkeit werden seine Frechheiten jenseits der Alpen nicht so leicht nachgesehen wie diesseits. Es ist charakteristisch, daß italische Zeitungen, welche notorisch im Sold und Dienst des Vatikans stehen, das Ehrliche wie das Schicksalsmächtige in der Persönlichkeit Garibaldi’s anerkannt haben. Nur deutsche und französische Pfaffenblätter haben in gemeiner Weise ihn verleumdet und verlästert.

Unser Gewährsmann sah den General zum erstenmal am 6. Mai von 1849. „Ruhig und fest saß er zu Pferde, als wäre er darauf geboren, ein etwas kleiner Mann mit sonnverbranntem Gesicht und vollständig antiken Zügen. Unter einem spitzen Hut mit schmaler Krämpe und schwarzer Straußfeder drängte sich das braune Haar hervor. Der röthliche Bart bedeckte zur Hälfte das Gesicht. Ueber der rothen Bluse flatterte der kurze, weiße amerikanische Mantel.“ Zuerst staunte der gute Hoffstetter nicht wenig über diesen „sonderbaren Aufzug“. Aber der Gesammteindruck, welchen er von der Erscheinung des Generals empfing, war doch der, daß er einen Mann vor sich habe, „welcher zum Befehlen geboren sei“.

Wie richtig dieser Eindruck gewesen, hatte unser Zeuge bald zu erhärten Gelegenheit, als er Garibaldi’s Streifzüge gegen die Soldaten des Rè Bomba in der Umgebung von Rom mitmachte und mitfechtend beobachtete, wie der General die Gefechte bei Velletri, Frosinone, Palestrina und Anagni vorbereitete, anordnete und durchführte, „mitten im dichtesten Feuer, der empfangenen Wunden nicht achtend, kaltblütig im Führen, feurig im Fechten“.

Mit der Gefahr in Rom wuchs auch das militärische Talent und die Thatkraft Garibaldi’s. Er vornehmlich war es, welcher das Eindringen der belagernden und bombardirenden Franzosen in die Siebenhügelstadt bis zur letzten Möglichkeit verhinderte. Er hat auch nicht kapitulirt, als die römische Republik dem pseudobonaparte’schen Banditenstreich erlag. Er faßte den kühnen Entschluß, mit den Trümmern seiner Legion quer durch Italien sich zu schlagen, Franzosen, Neapolitanern und Oestreichern zum Trotz, um, wo möglich, dem belagerten Venedig eine Verstärkung zuzuführen. Er machte seinen Waffengefährten kein Blendwerk vor, als er sie einlud, das verzweifelte Abenteuer zu wagen. Er sagte schlichtwahr zu ihnen: „Wer mir folgen will, dem biete ich Mühsäligkeiten, Hunger, Durst und alle Gefahren des Krieges.“ Etliche Tausende folgten ihm, und er rettete sie auf den Felsen von San Marino.

Das war freilich nicht „opportunistisch“ gesprochen und gehandelt, dafür aber heldisch, und am Ende aller Enden machen doch nicht die Opportunisten, sondern nur die Helden Geschichte.

[676]
3.

Die Präliminarien von Villafranca (11. Juli 1859), denen der Friedensschluß von Zürich (10. November) als eine bloße Formalität nachhinkt, hatten Italien unfertig, in Verwirrung und Gereiztheit gelassen. Der meineidige Decembermann in den Tuilerien glaubte ein wahres Wunderwerk von schlauer Staatskunst zuwegegebracht zu haben, als er nach den Tagen von Magenta und Solferino jählings einen Frieden schloß, welcher die Oestreicher im Festungsviereck und in Venedig, den Flüche speienden Pius in Rom, den König Bomba in Neapel ließ, die

[677]

Garibaldi’s Landung in Sicilien.
Nach dem Aquarell von Prof. C. Werner.

[678] Despoten Mittelitaliens auf ihre Thrönlein zurückzuführen versprach und alle diese widerhaarigen Elemente mit dem widerhaarigsten, dem um Mailand vergrößerten konstitutionellen Piemont, in eine italische Konföderation zusammenbinden wollte. Ein absurder Gedanke, der lächerlich gewesen sein würde, falls er nicht zu dumm war, um komisch sein zu können! Der Aushecker dieser Absurdität wähnte damit drei Fliegen mit einem Schlage getroffen zu haben: Er glaubte erstens, mittels Schaffung dieser Mißgeburt von einem geeinten Italien sich vor der Wiederholung einer Orsini’schen Bombenmahnung gesichert zu haben. Er glaubte zweitens, den Papst und somit auch die französische Klerisei auf’s neue und fest sich verpflichtet zu haben. Er glaubte drittens, der Selbstsucht Frankreichs eine wirksame Schmeichelei dargebracht zu haben, indem er Italien so zerrissen und ohnmächtig ließ, wie es vorher gewesen. Man weiß ja, daß es von jeher das Dogma aller französischen Parteien war und bis zur Stunde blieb, Frankreich müsse schlechterdings ein zerstückeltes und machtloses Deutschland und ein zerrissenes und ohnmächtiges Italien zur Seite haben, um sich in aller Bequemlichkeit als „la grande nation“ aufspielen zu können.

Nun aber geschah wieder einmal etwas in der Welt, was den Beweis erbrachte, daß der Gedanke doch mächtiger sei als die materielle Gewalt, die Begeisterung weiser als die List und die Kraft des von einem großen Wollen und Wagen erfüllten Gemüthes stärker als alle Fädengespinnste und Maschenknüpfungen der Diplomatie. Ein Realpolitiker würde nie zu denken gewagt haben, was der Idealpolitiker Garibaldi im Jahre 1860 kurzweg that, indem er nach Sicilien jene „Tausend von Marsala“ führte, die in ihrer Art ein nicht minder ehrenvolles Gedächtniß in der Geschichte für immer sich gestiftet haben als vordem die dreihundert Spartiaten des Leonidas.

Grollend über die Abmachungen von Plombières, wo Cavour Savoien und Nizza an den Kaiser der Franzosen verschachert hatte, um dessen Beistand gegen Oestreich zu erlangen, war Garibaldi aus dem turiner Parlament weggegangen. Er war dort überhaupt nicht an seinem Platze gewesen. Männer der That scheinen ja überhaupt nicht an ihrem Platze zu sein in diesen Versammlungen, welche namentlich während des letzten Jahrzehnts, als wären sie mit Blindheit geschlagen, leider so eifrig daran gearbeitet haben, das Ansehen und die Geltung des Parlamentarismus in den Augen der Völker abzuschwächen oder ganz zu ruiniren.

Das Jahr 1882 hat Enthüllungen gebracht, die ein helles Licht werfen auf die eigenartigen und wohlthuenden Beziehungen zwischen Garibaldi und dem König Vittorio Emanuele, welchem Italien so großen Dank schuldet. Der König-Ehrenmann („il rè galantuomo“), wie ihn Garibaldi zu nennen pflegte, hatte in seinem Wesen manche Aehnlichkeit mit diesem. Vor allen die, daß auch ihm Italien über alles ging. Nur kleine Seelen konnten die Meinung verlautbaren, der König sei durch eine kleinlich-ehrsüchtige Hauspolitik geleitet und getrieben worden. Er war vielmehr ein italischer Patriot, wie einen solchen Italien unter seinen Fürsten noch niemals gesehen hatte. Als zu Anfang des Jahres 1860 Garibaldi von dem Cavour’schen Schachergeschäft zu Plombières erfuhr, schrieb er am 17. Januar aus Fino nach Turin an den Oberst Türr: „Haben Sie die Güte, Seine Majestät zu fragen, ob die Abtretung Nizza’s an Frankreich eine beschlossene Sache sei! Diese Frage wird von meinen Mitbürgern“ – (Garibaldi war bekanntlich 1807 in Nizza geboren) – „in dringender Weise an mich gerichtet: Antworten Sie sofort durch den Telegraphen! Ja oder Nein!“ Türr begab sich in’s Schloß und suchte eine Audienz nach. Der König, unbässlich, empfing ihn im Bette liegend, mit aufgekrämpelten Hemdsärmeln. Er ließ sich den Brief Garibaldi’s geben, las denselben und sagte, die scharfen Augen auf Türr geheftet: „Durch den Telegraphen? Ja oder Nein? Sehr gut!“ Dann nach einer kurzen Pause: „Nun denn, Ja! Aber sagen Sie dem General: Nicht allein Nizza, sondern auch Savoien! Und wenn ich mich entschlossen habe, die Heimat meiner Ahnen, den Stammsitz meines Geschlechtes dahinzugeben, so wird er sich wohl bequemen können, den Ort zu verlieren, wo er geboren ist.“ Endlich, nach einer abermaligen Pause, sagte der König noch in schmerzbewegtem Ton: „Ja, es ist ein grausames Geschick, daß ich und er für Italien das größte Opfer bringen müssen, welches man von uns verlangen kann.“ Italien hat bekanntlich seit 1850 viel Glück, außerordentlich viel Glück gehabt: sein größtes aber war, daß es zu gleicher Zeit einen Garibaldi, einen Cavour und einen Viktor Emanuel besaß.

Die unmittelbaren Folgen des Friedens von Zürich zeigten die angebliche Staatskunst Napoleons des Dritten in ihrer ganzen Nichtigkeit auf. Es folgte dann der frevelhafte Schwindel des mexikanischen Abenteuers, den Anfang vom Ende der pseudobonaparte’schen Herrlichkeit zu markiren. Die Zustände in Italien waren unleidlich. Die Bestimmungen des züricher Friedens flatterten als werthlose Papierfetzen im Winde. Von dem Spottgebilde eines italischen Staatenbundes keine Rede! Die Bevölkerungen von Mittelitalien fielen mittels feierlicher Volksbeschlüsse dem König Viktor Emanuel zu, und die von Unteritalien und Sicilien lechzten nach Erlösung aus bourbonischer Pein. Die im Vatikan arbeitende Flüchespritze goß aber nur Oel in das Feuer nationaler Begeisterung. Dieses Feuer im Geheimen zu schüren, war der im Januar 1860 nach kurzer Unterbrechung wieder an’s piemontesische Staatsruder zurückgekehrte Cavour eifrig bemüht. Zugleich wusste der große Minister dem Despoten in den Tuilerien, welcher Italien noch immer unter seiner Hand zu haben wähnte, ein Beschwichtigungsgaukelspiel von vollendeter Meisterschaft vorzumachen. Der Sohn der Hortense Beauharnais, welchen in den Tagen seiner Macht so viele feile Zungen und Federn für ein politisches Genie ausgegeben haben, war dazumal gerade so der Narr Cavours, wie er etliche Jahre später der Narr Bismarcks gewesen ist.

Aber alle diplomatische Kunst hätte doch nicht ausgereicht, der auf’s Höchste gespannten Lage eine entschiedene und entscheidende Wendung zu geben. Es war wieder einmal ein Draufgänger und Durchfahrer vonnöthen, ein Knotenzerhauer, und der kam im April von 1860 von seiner Ziegeninsel nach der Villa Spinola unweit von Genua herüber. Diese Villa wurde das Hauptquartier zur Rüstung des Unternehmens, im Verlaufe dessen der Stern Garibaldi’s zu seiner Zenithhöhe hinanstieg. Hier sammelten sich um den General alle die aus früheren Kämpfen mit dem Leben davongekommenen Führer der Rothhemden, die Bertani, Stocco, Bixio, La Masa, Cairoli, Crispi und andere manche. Es kam auch der Ungar Türr, etwas später der Deutsche Rüstow. Die Mannschaften eilten in kleinen Trupps, um Aufsehen zu vermeiden, herbei, viele der besten Männer und Jünglinge Ober- und Mittelitaliens, fast lauter gediente und erprobte „Bersaglieri“, und bald war das „Tausend“ voll. Nach Sicilien sollte die kühne Kriegsfahrt gehen. Dort sollte der Hebel angesetzt werden zum Sturze des Bourbonenthrons in Neapel, zur Vernichtung der Priesterherrschaft in[WS 1] Rom, zur vollen Lösung der italischen Einheitsfrage, zur endlichen Verwirklichung der stolzen Losung von 1848: „Italia farà da se.“

Es steht fest, daß Garibaldi sein kühnes Wagniß hätte weder vorbereiten noch durchführen können, so die turiner Regierung dasselbe nicht stillschweigend gebilligt und so der italische „Nationalverein“, also die konstitutionell-monarchische Partei, das Unternehmen nicht ausgiebig unterstützt hätte – selbstverständlich in der Meinung und Absicht, daß die Sache zum Vortheile der Monarchie ausschlagen sollte und müsste. Cavour wusste demnach um alles. Die ihm zugetheilte Rolle in diesem neuen Aufzug des Drama’s der italischen Bewegung war sicherlich eine ungeheuer schwierige. Er sollte den anerkannten Bannerherrn des italischen Republikanismus in einem Unternehmen, das hochroth den republikanischen Stämpel trug, gewähren lassen, ja sogar unter der Hand fördern. Zugleich aber sollte er sich fertigmachen, im gegebenen Augenblick mit überlegener Macht einzugreifen, um die von Garibaldi erlangten Erfolge zum Vortheil der Monarchie auszubeuten und überhaupt der ganzen Sache eine nationale zwar, aber auch entschieden monarchisch-dynastische Wendung zu geben. Endlich musste er gleichzeitig den ganzen Apparat diplomatischer Kniffe und Pfiffe, worüber er verfügte, in Anwendung bringen, um den Argwohn des Verbrechers vom 2. December einzulullen, wenigstens soweit, daß Frankreich von einer thatsächlichen Einmischung in den Gang der Dinge auf der apenninischen Halbinsel abgehalten werden könnte. Erfolganbeter haben natürlich den Minister um dieses Doppel- oder Tripelspiels willen gepriesen, weil es eben Erfolg hatte. Altfränkische Menschen jedoch, welche des bescheidenen Dafürhaltens sind, daß es nicht nur im privatlichen, sondern auch im öffentlichen Leben etwas wie Moral geben sollte, werden es sehr

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: ir

[679] begreiflich finden, daß die Papalini, die Borbonici und die Austriaci in ganz Italien den ministerlichen Doppel- und Tripelspieler keineswegs einen „gran uomo“, wohl aber einen „gran birbante“ nannten. Mit Garibaldi war es etwas ganz anderes: Von dem wusste alle Welt, daß er kein doppeltes Spiel spielte. Der ging nicht im Zickzack, sondern gradaus. Da es kein Italien geben konnte, sei es ein Reich Italien oder eine Republik Italien, so lange der Thron der Bourbons in Neapel und der Stuhl Petri in Rom stand, so mussten seiner Meinung zufolge diese beiden hinderlichen Möbel umgeworfen, zerschlagen und weggeschafft werden. In Stunden kühnsten Hoffens mochte der General wohl auch mit der Vorstellung sich tragen, daß die Erschütterung, welche der Sturz dieser beiden Thronstühle hervorbringen würde, gewaltig genug wäre, um noch einen dritten in’s Wanken und zum Fallen zu bringen, den des nachgemachten Bonaparte an der Seine, auf welchen Garibaldi mit nicht geringerem Abscheu blickte, als mit welchem etwa in Alt-Eran strenge Ormuzdbekenner auf den Ahriman und seine Dews hingesehen hatten. Uebrigens ist auch behauptet worden, Cavour hätte das sicilische Abenteuer des großen Freischärlers nur darum unter der Hand unterstützt, weil er gehofft hätte, der unbequeme Idealpolitiker würde in diesem Abenteuer zu Grunde gehen. Ein auch nur halbwegs bindender Beweis für diese Behauptung ist aber nicht beigebracht worden, und Cavours zweifelloser Patriotismus verbietet, daran zu glauben. Dagegen ist erwiesen, daß Garibaldi wenigstens stillschweigend damit einverstanden war, es müsste die nach vielen Weiterungen zwischen der republikanischen und der monarchischen Partei vereinbarte Losung des Unternehmens sein: „Das Italien der Italiener, geeint unter der konstitutionellen Krone Viktor Emanuels!“ und Cavour wusste dafür zu sorgen, daß diese Losung eingehalten und verwirklicht wurde.

Der Verlauf des großen Abenteuers von 1860 ist allbekannt. In der Nacht vom 5. auf den 6. Mai schiffte sich Garibaldi im Hafen von Genua auf zwei, zum Schein gewaltsam weggenommenen Dampfern mit seinen „Tausend“ – (eigentlich 1067) – ein und am 11. Mai landete er zu Marsala an der Westküste Siciliens.[2] Drei Tage später erklärte er sich zum Diktator der Insel „im Namen Viktor Emanuels, des Königs von Italien“. Auf dem Marsche gen Salemi begrüßte ihn ein begeisterter Mönch, Pantaleone, als den Erlöser seines Heimathlandes, geradezu wie einen Heiland und Messias. Es muß überhaupt als denkwürdig hervorgehoben werden, daß auf Sicilien die niedere Weltpriesterschaft und die Mönche ganz entschieden für die nationale Sache eintraten. Die meisten der sicilischen Freischarenbanden, welche zur Fahne des Diktators eilten, wurden von Mönchen und Pfarrern geführt. Auch anderwärts hat ja die Geschichte der Umwandelung Italiens eine stattliche Reihe von Beispielen geliefert, daß italische Priester das Vaterland über die Kirche zu stellen wussten, und einer der edelsten Blutzeugen für die Sache der Einheit und Freiheit Italiens war jener Priester Ugo Bassi, welcher 1849 Rom gegen die Franzosen vertheidigen half und den dann beim Rückzuge nach San Marino die Oestreicher fingen und erschossen.

Am 15. Mai jagte Garibaldi bei Calatafimi die erste ihm entgegengestellte neapolitanische Truppenschar in die Flucht. Am 6. Juni war Palermo in seiner Gewalt. Am 28. Juli kapitulirte Messina. Am 19. August fuhr der General mit 5000 Mann über die Meerenge nach Kalabrien. Am 21. hatte er Reggio. Das bei Salerno stehende Heer König Franz des Zweiten lief vor dem „Rothen Teufel“ davon. Am 1. September brach Garibaldi von Cosenza gegen Neapel auf. Am 6. floh der Bourbon aus der Hauptstadt. Am 7. hielt der „Rothe Teufel“ seinen Triumpheinzug unter einem so wahnsinnigen Volksjubel, wie er nur am Fuße des Vesuvs ausbersten kann.

Dieser 7. September von 1860 war der eigentliche Höhe- und Glanztag in Garibaldi’s Dasein. Auf so einer Höhe und in solchem Glanze lange sich zu halten, ist aber dem Menschen nicht gegeben. Von jenem Tag an ging die Laufbahn des Generals nicht mehr aufwärts, sondern abwärts. Den Bourbonenthron in Neapel hatte er umgeworfen, aber sein Vorsatz, auch den Stuhl Petri in Rom umzustürzen, blieb eine Phantasie. Den staatsmännischen Forderungen der Lage zeigte er sich nicht gewachsen. Sein Talent für die Organisation und den Betrieb des Civildienstes war gleich Null. Berufene Urtheiler haben auch gemeint, Garibaldi wäre zwar groß im kleinen Kriege gewesen, aber klein im großen. Eine Arme von 100,000 oder auch nur von 50,000 Mann zu führen – wohlverstanden einem tüchtigen Gegner gegenüber – sei weit über sein Vermögen gegangen. Die überlegene Geisteskraft und Geschicklichkeit Cavours hat er thatsächlich zugestanden und anerkannt. Denn er machte ja keinen Versuch, zu verhindern, daß der piemontesische Minister in seiner Art das von Garibaldi heroisch angefangene Unternehmen diplomatisch und militärisch zu Ende brachte. Die Einheit Italiens war hergestellt, Rom und Venedig ausgeschlossen. Das blieben freilich zwei offene und schmerzhafte Wunden, wie an dem neuen italischen Staatskörper, so in der Seele Garibaldi’s, und man kann sich leicht vorstellen, welchen bittern Groll er in sich bemeistern musste, bevor er die Stimmung fand, so herzlich, wie er that, den ihm auf der Walstatt am Volturno begegnenden Viktor Emanuel als „Rè d’Italia“ zu begrüßen. Dann kehrte er arm, wie er gekommen, mit leeren und reinen Händen nach seinem Eiland Caprera zurück, er, dem als Diktator Siciliens und Neapels die Reichthümer dieser Länder monatelang zur Verfügung gestanden hatten.

Und nun begannen Alter und Krankheit ihre traurigen Rechte an dem Manne geltend zu machen, für dessen Ruhm es gut gewesen wäre, so er nach seiner Heldenfahrt von 1860 gestorben. Es war ihm ja nur noch gegeben, Mißgriffe zu thun und Fehlschläge zu erleben: – Aspromonte, Stelvio, Mentana. Dann die Thorheit der Thorheiten, aus Gründen der Vernunft, der Sittlichkeit und der Politik gleich verwerflich, die Narrenfahrt nach Frankreich i. J. 1870, zum Dank dafür, daß die Deutschen so eben den Italienern die ihnen durch die Franzosen so lange versperrten Thore Roms von Sedan her aufgeschossen hatten. Auch sonstige Altersschwächen des Alten von Caprera machten sich unangenehm bemerkbar. So seine mehr oder weniger absonderlichen schriftlichen Stilübungen, so seine hetzenden Zurufe an die italischen Republikaner, während er sich doch von der italischen Monarchie eine Jahrespension von 100,000 Lire gefallen ließ.

Aber alle diese Mängel, Schwächen und Fehle waren weggewischt aus dem Gedächtniß der Menschen, als der elektrische Draht über und um den Erdball die Botschaft blitzte, daß Garibaldi am 2. Juni 1882 in seinem bescheidenen Haus auf Caprera gestorben sei. Da wurde offenbar, daß die Gesellschaft von heute doch auch Stunden hat, wo sie noch an etwas Besseres glaubt als an den allmächtigen Kurszettel. Man fühlte, daß ein großer und guter Mann dahingegangen. Ja, Freunde und Feinde fühlten so. Es gereichte einem italischen Hauptorgan der päpstlichen Kurie, der „Voce della Verità“, wahrlich nur zur Ehre, daß sie dem Papstbekämpfer diesen Nachruf widmete: „Mit Garibaldi verschwindet einer der größten Männer der Revolution, einer der größten Gegner des Papstthums. Wir beugen die Stirn vor der Majestät des Todes und erinnern uns der Worte des göttlichen Lehrers: ‚Liebet eure Feinde!‘ Wenn Garibaldi der heftigste Feind der Kirche gewesen, so war er zugleich auch der loyalste. Er bekämpfte die Kirche mit offenem Visir und kannte keine Heuchelei.“ Von allen Huldigungen aber, die dem lebenden und dem todten Helden dargebracht worden sind, dürften wohl die edelste jene Strophen sein, welche ihm der genialste Poet, den Italien seit dem Hingange Manzoni’s, Leopardi’s und Giusti’s vorgeschickt, Giosuè Carducci, geweiht hat ….

Fern vom gemeinen Kreise der Seelen ruft
Dich die Geschichte stralend zu jenen Höhn,
Zu jenem fleckenlosen Kreise,
Unter des Vaterlands heim’sche Götter.

Du kommst, und Dante spricht, zum Vergil gewandt:
‚Wir haben niemals edleres Heldenbild
Ersonnen.‘ Livius sagt lächelnd:
‚Er ist geschichtlichen Stamms, o Dichter!

[680]

Die zähe Kühnheit dieses Liguriers
Gehört Italiens Bürgergeschichte an;
Sie ruht im Rechte, strebt nach Hohem
Und sie verklärt sich im Idealen.‘“

Ja, das ist’s. Im Idealen hat Giuseppe Garibaldi gelebt und gewebt. Der Glaube an das Ideal, welcher seine selbstlose Seele bis in die letzte Falte füllte, war seine Stärke. Er war, was Göthe mit einem jener Worte, wie nur er sie zu finden wusste, bezeichnen und kennzeichnen wollte, eine Natur – eine wahre und wirkliche Heldennatur. Unter ihm lag tief, wie unter unserem Helden Schiller, „in wechsellosem Scheine das Gemeine“. Sein Tod hat eine ungeheure Lücke gerissen. So weit ich überall hin die Blicke schweifen lasse, ich sehe Keinen, der ihn ersetzen könnte.

  1. Bekanntlich existirt eine Ueberlieferung, welche wissen will, der germanische Tropfen in Garibaldi’s Blut stamme keineswegs vom Mittelalter her, sondern aus dem 18. Jahrhundert, wo der deutsche Junker Theodor von Neuhof eine Weile König von Korsika war. Eine Abkömmlingin dieses Abenteurers sei Garibaldi’s Mutter gewesen.
  2. Eine Episode aus dieser Landung stellt unser Holzschnitt auf Seite 677 dar, welcher nach dem trefflichen Aquarell des berühmten Professor Karl Werner ausgeführt wurde. Unter der stilvollen Klosterruine di Santa Maria delle Pallude empfängt Garibaldi einige ihn begrüßende Landleute Siciliens, die ihn beim Bereiten der Mahlzeit antreffen. Um ihn versammelt sind seine Getreuen: Bixio sieht über die Schulter des Generals hinweg; der Deutsch-Ungar Colonel Türr sitzt, seine Pfeife stopfend, ihm zur Rechten, während Caceri zu seiner Linken an einer Säule der Ruine lehnt; der mit entblößten Armen Garibaldi gegenüber Sitzende ist sein intimer Freund, der Engländer Capitain Peard.
    Die Red.